- Report                                 3/2004

Informationsbrief der INTERNATIONALEN LIGA FÜR MENSCHENRECHTE

Berlin, im November 2004

 


An die Mitglieder und Freunde der „Internationalen Liga für Menschenrechte“

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!

In diesem Jahr stand das Kuratorium vor der erfreulichen Schwierigkeit, aus einer ganzen Reihe von guten Vorschlägen für Kandidatinnen und Kandidaten auswählen zu müssen, die wegen ihres Eintretens für Menschenrechte und Frieden für die Auszeichnung mit der Carl-von-Ossietzky- Medaille nominiert wurden. Mit Esther Bejarano, Peter Gingold, Martin Löwenberg auf der einen und Percy MacLean auf der anderen Seite ist die Wahl auf Menschen verschiedener Generationen mit unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungshorizonten und Tätigkeitsbereichen gefallen – die aber gemeinsam haben, dass sie in der Tradition streitbarer Humanität stehen, für die Carl von Ossietzky ein großes Beispiel ist.

Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass sich die Republik auf einer schiefen Ebene bewegt. Max Horkheimers Aussage aus den 50er Jahren, dass Europa in den Vereinigten Staaten seine Zukunft vor sich sehe, droht nach einer Schonfrist von wenigen Jahrzehnten Realität zu werden. Und diese Vereinigten Staaten sind in der Zwischenzeit sozial, innen- und außenpolitisch entschieden nach rechts gerückt. Im vorliegenden Liga-Report ist, entsprechend dem begrenzten Wirkungsfeld der Liga, ein kleiner Teil der Veränderungen angesprochen, die sich unter den Bezeichnungen „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“, „Reform“ und „Modernisierung“ hierzulande vollzogen haben und noch vollziehen.

Wie es in dieser Republik weitergeht, hängt auch von den Akteuren der Zivilgesellschaft ab. Die Liga ist einer ihrer verlässlichen Bestandteile, die sich zumindest sporadisch immer wieder kritisch zu Wort melden. Es macht sich jedoch schmerzlich eine Diskrepanz zwischen den Wirkungsmöglichkeiten der Liga und ihrer finanziellen Misere bemerkbar – eine Misere, die uns handlungsunfähig zu machen droht. Dabei handelt es sich um Beträge, die lächerlich klein sind im Verhältnis zu jenen Summen, die im politischen Betrieb verpulvert werden.

Auch dieses Mal bitten wir unsere Mitglieder, Mitstreiter und Sympathisanten eindringlich, die Liga mit Spenden zu unterstützen, damit wir auf einer besser gesicherten Basis weiterarbeiten kön­nen und damit die Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille künftig nicht gefährdet ist. Diesem Liga- Report haben wir einen Brief beigefügt, in dem der finanzielle Engpass näher umrissen wird und dessen Lektüre wir Ihnen ans Herz legen möchten.

Ihnen und der Liga eine produktive und erfolgreiche Zeit im Kampf um die Menschenrechte.

Berlin/Bremen, November 2004       

Kilian Stein                                                                                                   

Rolf Gössner

Liga-Konto 33 17 100 Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 100 205 00).

 

I n h a l t

Einleitung

Carl-v-Ossietzky-Medaillen-Verleihung 2004

Hintergrund-Themen

Bundesrepublik

Gössner, Neue Berufsverbote 

Stein, Thesen zur „Folterdiskussion“

Thomas, Abschiebungshaft

EU – Europa

Gössner, Bürgerrechte in Terrorzeiten

Gössner, Gläserne Flugpassagiere

Liga-Prozessbeobachtung

Staatsschutz-Prozess gg Berlinerin in Spanien    


Liga-Presseerklärungen

Entschuldigung für Völkermord an Hereros

Liga verurteilt Berufsverbotsfall in Baden-Württemberg

Unabhängige internat. Kontrolle der US-Wahl..13

BigBrotherAwards 2004

Liga-Pressemitteilung und die Preisträger

Interview

„Weites Feld für Denunzianten“ (WK-Int.)

Vortrag

EU-„Terrorliste“ + Asyl-Wiederrufe (Gössner)

Kooperationen & Aufrufe

Flüchtlingslager in Afrika, EU-Vorratsdatenspeicherung, Aufruf zu Demo gg Berufsverbot, Denkmal f. Wehrmachtsdeserteure, Gerechtigkeit f. Abu-Jamal, Irak – Stoppt die Eskalation

Termine/Literatur/Hinweise

Impressum

 

Liga verleiht Carl-von-Ossietzky-Medaille 2004

an Percy MacLean,  Esther Bejarano, Peter Gingold, Martin Löwenberg

Wie jedes Jahr verleiht die Internationale Liga für Menschenrechte anlässlich des Tages der Menschenrechte im Dezember die Carl-von-Ossietz­ky-Medaille an Personen, die sich um Verteidigung, Durchsetzung und Fortentwicklung der Menschen- und Bürgerrechte besonders verdient gemacht haben sowie an Menschen, die vorbildliche antifaschistische und antirassistische Arbeit leisten.

Das Kuratorium der Liga unter Vorsitz von Hilde Schramm hat die Carl-von-Ossietzky-Medaille in diesem Jahr folgenden Personen zuerkannt: Esther Bejarano, Peter Gingold und Martin Löwenberg, alle drei Verfolgte des Naziregimes und aktive Antifaschisten, sowie Percy MacLean, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin. Alle vier Preisträger werden für ihren auf unterschiedliche Weise geführten politischen und rechtlichen Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und Neonazismus in dieser Gesellschaft ausgezeichnet.

Percy MacLean (Berlin) soll für sein aufklärerisches Wirken und seine dem Antidiskriminierungsgebot verpflichtete justizielle Tätigkeit, insbesondere für politisch Verfolgte und Bürgerkriegsflüchtlinge, gewürdigt werden. Gerade in Flüchtlingsfragen setzte er mit seinem gesamten Engagement – oft genug gegen starke Widerstände aus Behörden und Politik – deutliche Akzente für einen umfassenden Menschenrechtsschutz. So hatte er sich als erster Direktor des neugegründeten „Deutschen Instituts für Menschenrechte“ dafür eingesetzt, nicht allein Menschenrechtsverletzungen in aller Welt zu thematisieren, sondern auch die Menschenrechtssituation in Deutschland zu beleuchten – z.B. den Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern, rassistische Übergriffe und Diskriminierungen, Vollzug und Dauer der Abschiebehaft sowie die deutsche Abschiebepraxis. Den Schwerpunkt auf Menschenrechtsfragen im eigenen Land zu legen, war ihm wichtiger als das Amt: Nachdem man - unter Verletzung der von den Vereinten Nationen geforderten Unabhängigkeit des Instituts - in deutschlandspezifische Projekte eingegriffen und eine Schwerpunktsetzung im internationalen Bereich verlangt hatte, erklärte er seinen Rücktritt.

Esther Bejarano (Hamburg), Tochter einer jüdischen Familie, wurde 1943 nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, wo sie dank ihrer musikalischen Fähigkeiten als Akkordeonspielerin im legendären Mädchenorchester des KZ überlebte. Später wird sie ins KZ Ravensbrück überstellt, wo sie Zwangsarbeit für den Siemens-Konzern verrichten muss. Ende April 1945 gelingt ihr die Flucht aus dem Todesmarsch. Nach der Befreiung ging sie nach Palästina und kehrte in den 60er Jahren aus Israel nach (West-)Deutschland zurück – in die Heimat der Mörder ihrer Familie. Sie tritt als Künstlerin und Zeitzeugin auf, klärt Menschen, insbesondere Jugendliche, über das NS-Regime sowie über neonazistische Strömungen in der Gegenwart auf. Die 79jährige kämpft bis heute gegen Rassismus und Neonazismus, mit Zivilcourage demonstriert sie gegen Rechtsradikale und ihre martialischen Aufmärsche.

·        Peter Gingold (Frankfurt/M.), aus Nazi­deutschland nach Frankreich entkommen, war aktiver Widerstandskämpfer gegen das Naziregime im besetzten Frankreich. Er wurde von der Gestapo verhaftet, für Wochen inhaftiert und gefoltert, bis ihm die Flucht gelang. Nach dem Krieg konnte er als ehemaliger Widerstands­kämpfer und Kommunist in Deutsch­land nur schwer wieder Fuß fassen. Er und seine Familie mussten sechs lange Jahre um die Erlangung der bundesdeutschen Staatsbürgerschaft kämpfen – wegen „Zweifeln“ an ihrem Bekenntnis zur „freiheitlich- demokratischen Grundordnung“. Deswegen wurde seine Tochter Silvia Mitte der 70er Jahre mit einem Berufsverbot belegt. Erst nach langen Prozessen und heftigen Protesten wird sie schließlich als Lehrerin im Schuldienst eingestellt, aber nie verbeamtet. Peter Gingold und seine Frau Ettie sind seit den 60er Jahren in der Friedensbewegung und der antifaschistischen Bewegung aktiv – entsprechend ihrer Lebensaufgabe, alles zu tun, „damit nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg von Deutschen ausgeht“. Peter Gingold ist Bundessprecher der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN-BdA). Als Zeitzeuge ist der heute 88jährige vor allem bei jungen Menschen ein beliebter und angesehener Gesprächspartner.

·        Martin Löwenberg (München) hat Konzentrationslager und Zwangsarbeit überlebt. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der VVN. Aus politischen Gründen wurde er in der jungen Bundesrepublik verfolgt und verhaftet – wegen seines sozialistischen und antifaschistischen Engagements in einer Organisation, die vom Staatsschutz im Kalten Krieg als „Tarnorganisation“ der verbotenen KPD eingestuft worden war. Zweimal stand er vor Gericht, zweimal wurde er zu jeweils 10 Monaten Haft verurteilt – allein wegen seiner gewaltlosen, linksoppositionellen Betätigung und Gesin­nung. Im Jahre 2003 stand er wieder vor Gericht: Diesmal wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er dazu aufgerufen hatte, sich in München einem Aufmarsch von Alt- und Neonazis in den Weg zu stellen. Erst kürzlich ist seine Berufung verworfen worden, so dass der heute 79jährige für sein antifaschistisches Engagement rechtskräftig verurteilt ist. Die „Süddeutsche Zeitung“ titelte: „Ex-KZ-Häft­ling wegen Nazi-Protest verurteilt“.

Martin Löwenberg, Peter Gingold und Esther Bejarano stehen stellvertretend für zahllose andere,

  • die nach 1949 in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik wegen ihres antifaschistischen und sozialistischen Engagements, auch im Zuge der Kommunistenverfolgung, kriminalisiert und teils inhaftiert wurden,
  • die sich als Überlebende des Naziterrors oder ehemalige Widerstandskämpfer in der Bundesrepublik aktiv gegen Rassismus und Neonazismus engagiert haben und immer noch so engagieren,
  • die Mitglieder und Repräsentanten der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) sind. Ihre Organisation war 1947 von Überlebenden des NS-Terrorregimes als überparteiliche Vereinigung von Verfolgten und Antifaschisten gegründet worden. Von den 50er Jahren an bis heute wird die VVN vom Verfassungsschutz geheimdienstlich überwacht. Viele ihrer Mitglieder wurden von Entschädigungszahlungen für erlittene Verfolgung ausgeschlossen, zwei Jahrzehnte lang kriminalisiert, später auch mit Berufsverboten belegt.
  • Diese Menschen, die heute zwischen 79 und 88 Jahre alt sind, sollen für ihre jahrzehntelange antifaschistische Arbeit gewürdigt und geehrt werden, die sie – trotz langjähriger Kriminalisierung und Anfeindungen, trotz beruflicher und finanzieller Nachteile – mit hohem persönlichen Einsatz und Glaubwürdigkeit in der Bundesrepublik geleistet haben. Zusammen mit Percy MacLean werden sie für ihre Verdienste mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet.

    Die Würdigung aller Preisträger/innen und die Verleihung der Ossietzky-Medaillen findet statt

    am Sonntag, 12. Dezember 2004, 11 Uhr, im Haus der Kulturen der Welt, Berlin.

    Dr. Rolf Gössner
    Präsident der Internat. Liga für Menschenrechte

    Berlin/Bremen, 26. Oktober 2004


    Hintergrund-Themen

    Bundesrepublik

    Rolf Gössner

    Vor 20 Jahren Plakate geklebt

    Berufsverbote: Kehrt mit den "Antiterror"-Gesetzen ein tot geglaubter Geist zurück?

     

    Wer glaubt, in der Bundesrepublik gehörten politisch motivierte Berufsverbote der Vergangenheit an, irrt sich. Kürzlich traf es in Baden-Württem­berg den 34-jährigen Realschullehrer Michael Csaszkóczy, dem von Kultusministerin Annette Schavan (CDU) die Einstellung in den staatlichen Schuldienst verweigert worden ist. Das Berufsverbot gegen Csaszkóczy begründet die Kultusministerin damit, dass sich der angehende Lehrer in der "Antifaschistischen Initiative Heidelberg" politisch betätige. Diese Initiative engagiert sich gegen fremdenfeindliche und neonazistische Bestrebungen aller Art. Eigentlich ein anerkannt löbliches Tun, rufen doch selbst Politiker zuweilen einen "Aufstand der Anständigen" aus. Doch die Antifa-Initiative des Lehramtskandidaten, die ernst macht mit ihrem Anliegen, zählt nicht zu den offiziell anerkannten "Anständigen". Sie sei "linksextremistisch" und befürworte Militanz gegen Neonazis und Rassisten, so der Verfassungsschutz, der Csaszkóczy schon seit mehr als einem Jahrzehnt hinterher schnüffelt.

    Ausgerechnet die zweifelhaften Quellen und Bewertungen des Geheimdienstes nähren die Zweifel der Kultusministerin an der Verfassungstreue des Bewerbers: Wer Mitglied einer "extremistischen Vereinigung" sei, könne nicht Lehrer an einer öffentlichen Schule werden. Schließlich habe der Betroffene sich nicht von der Antifa-Initiative und ihren Zielen distanziert, obwohl das Ministerium gerade dies von ihm verlangt hatte. Mit ihrer Entscheidung hält die Ministerin einen engagierten Antifaschisten aus Gesinnungsgründen vom Schuldienst fern, obwohl ihm persönlich keinerlei Fehlverhalten vorgeworfen werden kann - ein klarer Verstoß gegen die Grundrechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Berufsfreiheit. Viele Organisationen und Einzelpersonen, auch Schülerinnen und Schüler, hatten sich vergeblich für den bestens qualifizierten Lehramtsanwärter eingesetzt - denn gerade solche Lehrer braucht das Land.

    Man fühlt sich zurückversetzt in vergangen geglaubte Zeiten: in die siebziger und achtziger Jahre, als der Verfassungsschutz auf Grundlage des "Radikalenerlasses" Hunderttausende Stelleninhaber und Bewerber für den öffentlichen Dienst systematisch überprüfte. Etwa zehntausend Berufsverbotsverfahren und über tausend Berufsverbotsmaßnahmen waren das Ergebnis dieser Praxis, die das politisch-kulturelle Klima der damaligen Bundesrepublik vergiftete. Betroffen war die gesamte Linke, von Kommunisten bis hin zu jungen Liberalen, die eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst suchten oder aber dort bereits tätig waren, ob als Wissenschaftler, Lehrer, Postbote, Bahnschaffner oder Friedhofsgärtner.

    Für diese Berufsverbotspraxis ist die Bundesrepublik Deutschland schon einmal vom Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt worden - wegen Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und damit wegen Verletzung von Menschenrechten. Zuvor hatten sämtliche bundesdeutschen Gerichte, auch das Bundesverfassungsgericht, diese Pra­xis im Einzelfall als grundrechtskonform abgesegnet. Mit dem Urteil der Straßburger Richter glaubte man, die Berufsverbote seien endlich auf dem "Müllhaufen der Geschichte" (Egon Bahr) gelandet. Doch eine nachhaltige Entsorgung ohne Wiederkehr ist damit wohl nicht verbunden. Jetzt traf es einen jungen Antifaschisten jenseits des Parteienspektrums, der am Anfang seiner Berufslaufbahn steht - ein qualifizierter und politisch unbequemer Lehrer, dessen Auskommen und Lebensperspektive mit dieser Entscheidung auf dem Spiel stehen.

    Aber auch andere müssen um ihre Jobs fürchten, wenn an ihrer Verfassungstreue oder an ihrer Zuverlässigkeit Zweifel bestehen. So können nach den "Antiterror"-Gesetzen von 2002 Tausende von Beschäftigten in "lebens- oder verteidigungs­wichtigen Einrichtungen" sogenannten Sicherheitsüberprüfungen unter Mitwirkung des Verfassungsschutzes unterzogen werden - im öffentlichen Dienst, aber auch in privatwirtschaftlichen Betrieben. Betroffen von diesem ausgeweiteten personellen "Sabotageschutz" sind Einrichtungen und sicherheitsempfindliche Stellen, so heißt es im Gesetz wörtlich, "die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung entstehen lassen würde". Gemeint sind Einrichtungen, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, wie Energie-Unterneh­men, Krankenhäuser, pharmazeutische Firmen, Chemie-Anlagen, Bahn, Post, Banken, Telekommunikationsunternehmen, aber auch Rundfunk- und Fernsehanstalten können betroffen sein. Menschen, die sich um solche sicherheitsempfindlichen Stellen bewerben oder sie bereits innehaben, werden also wesentlich mehr als bislang in geheimdienstliche Überprüfungen einbezogen - und nicht nur sie, sondern womöglich auch ihre Lebenspartner und ihr soziales Umfeld.

    Schon die "Besorgnis" möglicher Erpressbarkeit, also etwa Schulden, sexuelle Normabweichungen oder "Zweifel an der Zuverlässigkeit oder am Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung", reichen aus, um zu einem personellen "Sicherheitsrisiko" deklariert zu werden. Selbst "sicherheitserhebliche Erkenntnisse" über den Lebenspartner machen die überprüfte Person zum Sicherheitsrisiko. Vor allem die gesammelten Aussagen gesprächiger Referenz- oder Auskunftspersonen über die Betroffenen erweisen sich nicht selten als wahre Fundgrube an Informationen über Vereinstätigkeiten, Hobbys, Krankheiten, Kleidungsverhalten, angebliche Verschwendungssucht, Kindererziehung und Wirkung auf das andere Geschlecht.

    Die auf solchen "Erkenntnissen" beruhenden Kündigungen oder Nichteinstellungen wegen Sicherheitsbedenken können arbeitsrechtlich kaum angegriffen werden, denn die Quellen der Erkenntnisse bleiben regelmäßig geheim, so dass anonymen Denunziationen Tür und Tor geöffnet sind. Die hochsensiblen Daten dürfen zu allem Überfluss auch noch für ganz andere Zwecke des Verfassungsschutzes verwendet und an andere Stellen weitergegeben werden.

    Wie sich die ausgeweiteten Sicherheitsüberprüfungen in der Praxis auswirken, das lässt sich kaum ergründen. In aller Regel scheuen sich diejenigen, die davon betroffen sind, ihre Fälle öffentlich zu machen. Sie haben verständlicherweise Angst, ihre berufliche Existenz aufs Spiel zu setzen. Das gilt auch für den Lagerleiter Johann H., der auf einem bayerischen Flughafen beschäftigt war. Die Regierung hat ihm von heute auf morgen die Zutrittsberechtigung für nicht allgemein zugängliche und sicherheitsempfind­liche Bereiche des Flughafens entzogen. Er musste seinen Flughafenausweis zurückgeben und kann seinen Arbeitsplatz nicht mehr errei­chen. Begründung: Die Feststellung seiner persönlichen Zuverlässigkeit werde widerrufen, weil er vor zwanzig Jahren für eine linksradikale Gruppierung Plakate geklebt haben soll. Gut möglich, dass sich mit diesem Geist der "Antiterror"-Gesetze eine neue Welle von Berufsverboten entwickelt.

    Aus: „FREITAG“ vom 8.10.2004


    Thesen zur „Folterdiskussion“

    Kilian Stein

     

    1.) Das Verbot von Folter ist in den einschlägigen Rechtsdokumenten als ein absolutes Verbot ausgestattet. In keinem Einzelfall soll eine Abwägung mit anderen Rechtsgütern, etwa dem Recht auf Leben, zulässig sein. Von den diversen Gesetzgebern wurde die Absolutheit des Verbotes aus der als obersten Wert gesetzten Unantastbarkeit der Würde des Menschen abgeleitet.

    2.) Zu den Triebfedern für diese exzeptionelle juristische Konstruktion gehören neben jener menschenrechtlichen Fundamentalbegründung aus der historischen Erfahrung gewonnene Überlegungen. Dazu einige Gesichtspunkte:

    Folter kann als Mittel zur Vernichtung politischer Gegner dienen. Sie ist eine äußerste Negierung von demokratischen Prozessen.

    Auf welche Fälle beschränkt Folter auch immer zulässig ist, den zuständigen staatlichen Organen muss notwendig ein Ermessensspielraum eingeräumt werden, der die Möglichkeit von Fehlern wie auch von bewusstem Missbrauch einschließt.

    Ist durch eine gesetzliche Änderung oder eine Wende in der Gesetzesinterpretation durch die Gerichte einmal die Barriere des absoluten Verbotes gefallen, werden weitere Ausnahmen angestrebt. Dies insbesondere in Zeiten von politischen Krisen und von Krieg.

    Ist Folter gebräuchlich geworden, sind ihr Umfang und die Methoden ihrer Anwendung nicht zu kontrollieren, selbst wenn Regierungen dies wollten. Das gilt insbesondere im Krieg. Die Folterherren haben keine Kontrolle über ihre Folterknechte.

    3.) Fast 60 Jahre war in ganz Deutschland die Absolutheit des Folterverbotes faktisch unum­stritten. Seit dem Fall Gäffgen/Daschner gibt es in den Printmedien, im Fernsehen und im Rundfunk eine Diskussion über die Möglichkeit von Ausnahmen von diesem Verbot. Warum diese Wendung?

    4.) „Es ist durchaus denkbar, dass angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus, die spätestens mit dem Anschlag vom 11. März 2004 in Madrid auch unmittelbar Europa erreicht hat, mit der Zeit eine Stimmung entsteht, in der der Einsatz von Folter immer mehr ´denkbar´ wird. ... Die sukzessive Erosion des Folterverbots ist eine reale politische Gefahr.“ (Heiner Bielefeldt, Das Folterverbot im Rechtsstaat, Deutsches Institut für Menschenrechte)

    5.) Eine Einführung von Folter auf deutschem Staatsgebiet steht nicht an. Eine politisch zugespitzte Situation im Inneren wie in Deutschland unter den Nazis oder in Pinochets Chile gibt es in Deutschland gegenwärtig nicht. Auch die Gefahr terroristischer Anschläge reicht nicht aus, eine Aushöhlung des Verbots von Folter auf deutschem Staatsgebiet durchzusetzen.

    Im Zuge der Umwälzung des sozialstaatlich abgefederten „rheinischen Kapitalismus“ hin zu einem im Zeichen der Ideologie des Neoliberalismus stehenden entfesselten Kapitalismus wird die repressive Seite des Staates durch institutionelle Veränderungen und die Schaffung neuer Befugnisse für staatliche Organe gestärkt und werden zugleich menschenrechtliche Positionen zurückgedrängt. Die „Folterdiskussion“ passt da hinein. Es ist das restaurative gesellschaftliche Klima, das diese noch vor zwanzig Jahren nicht vorstellbare öffentliche Diskussion möglich macht.

    Es geht aber heute schon nicht nur um Atmosphärisches. Es macht auch unmittelbar Sinn, wenn der Einsatz von Folter wieder ´denkbar´ gemacht wird. „Die Rückkehr Deutschlands zur Normalität in der Außenpolitik“ (Thierse) bringt einen Zwang zur Anpassung an die Praxis anderer kapitalistischer Staaten mit sich, die mit dem Widerspruch zwischen dem von ihnen offiziell anerkannten absoluten Verbot von Folter und deren systematischer Anwendung in ihren Kriegen, Stellvertreterkriegen und inszenierten Putschen ausgekommen sind und weiter auszukommen haben. Es liegt nicht fern, dass auch deutsche Soldaten in Kriegen an der Seite derart „bewährter“ Verbündeter wieder die Folter im Tornister haben. Der Abbau moralischer Hemmungen in der Bevölkerung würde es einer Regierung erleichtern, auf die Folter als ein Mittel zur Erpressung von Aussagen und zur Erzeugung von Schrecken zuzugreifen.

    6.) Die Aufklärung über die drohende Erosion des Verbots von Folter und deren Hintergründe ist Bestandteil des Kampfes gegen eine aggressive  Außenpolitik und eine Politik der sozialen Deformation im Inneren.

    Berlin, den 29.9.2004 – Vorgestellt während der 41. Republikanischen Vesper im Haus der Demokratie und Menschenrechte am 28.10.2004 zum Thema „Nur ein bisschen Folter?“ u.a. mit Heiner Bielefeld (Deutsches Institut für Menschenrechte). Veranstaltet von Humanistische Union, Liga und „Ossietzky“.

    ***

    Abschiebungshaft – im Abseits des Rechtsstaats?“

    Jens-Uwe Thomas

    Unter diesem Titel fand die Republikanische Vesper am 26. August 2004 im Haus der Demokratie und Menschenrecht statt. An der Vesper wirkten Pfarrer Dieter Ziebarth (Seelsorger im Abschiebungsgewahrsam) und Rechtsanwalt Ronald Reimann (Republikanischer Anwaltsverein) mit.

    Diese zogen eine kritische Bilanz der bisherigen Umsetzung der Beschlüsse des Abgeordnetenhauses zur Verbesserung der Bedingungen im Gewahrsam sowie zur Vermeidung von Abschiebungshaft von 2001. Die Kritik betraf u.a. die Haftverlängerungen im Fall von Minderjährigen Flüchtlingen über die in der Weisung vorgesehene Frist von drei Monaten hinaus, gestützt auf Altersfeststellungen per Augenschein oder durch (zahn-)ärztliche Untersuchungen. Bisher gibt es kein transparentes Verfahren, dass im Zweifelsfall zur Feststellung des Alters der betroffenen Jugendlichen führt. In der Regel wird das Alter per Augenschein u.a. durch Mitarbeiter der Ausländerbehörde eingeschätzt. Dem Flüchtlingsrat liegt das Beispiel eines 17jährigen Mädchens aus Sierra Leone vor, das nach seiner Entlassung (auf Intervention der Initiative gegen Abschiebehaft) zum zweiten Mal inhaftiert wurde. Mittlerweile wurde erneut die Drei-Monats-Frist überschritten.

    Als rechtsstaatlich bedenklich wurde die Durchführung des Freiheitsentziehungsverfahren vor dem Amtsgericht Berlin –Schöneberg eingeschätzt. Rechtsanwalt Reimann bemängelte, dass der Haftbeschluss nur in deutsch ausgefertigt wird. Bei der Begründung der Haftanträge verwendet die Ausländerbehörde Textbausteine, die Richter des Amtsgerichtes Schöneberg kommen nicht ausreichend ihrer Amtsaufklärungspflicht nach und prüfen nicht genügend die Erfolgsaussichten der Ausländerbehörden bei der beabsichtigten Passbeschaffung. Gegen einen Amtsrichter lief zum Zeitpunkt der Veranstaltung ein Verfahren wegen Befangenheit, da er in einem Presseinterview rassistische Aussagen zu den Insassen des Abschiebungsgewahrsams getroffen hatte. Die Betroffenen haben im Regelfall keinen Rechtsbeistand an ihrer Seite, wie das im Fall des Strafverfahrens generell durch die Stellung eines Strafverteidigers ermöglicht wird.

    Im Ergebnis der Vesper wurde eine erneute Anhörung im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses zum Stand der Umsetzung der zitierten Beschlüsse des Parlamentes angeregt. Diese sollte sich mit denen in der Diskussion benannten Forderungen auseinandersetzen. Zu diesen Forderungen gehören u.a. folgende Schwerpunkte:

    -         Minderjährige sollten entsprechend des genannten Beschlusses des Berliner Abgeordnetenhauses generell nicht inhaftiert werden. Gleiches gilt für andere besonders schutzbedürftige Menschen, wie Schwangere.

    -         Abschiebungshaft darf nicht als Beugehaft zur Passbeschaffung genutzt werden.

    -         Das Land Berlin sollte einen Rechtshilfefonds zur Gewährleistung einer unabhängigen Rechtsberatung für Inhaftierte schaffen.

    -         Diese sind nach der Inhaftierung über Rechte im Freiheitsentziehungsverfahren unter Verwendung fremdsprachlicher Informationsblätter zu belehren.

    -         Bei den Haftprüfungsterminen ist die Anwesenheit von Sprachmittlern sicherzustellen.

    -         Das Amtsgericht Schöneberg sollte durch die Schaffung weitere Richterstellen entlastet werden.

    Der Richter am Verwaltungsgericht Berlin und frühere Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Percy MacLean, stellte auf einer früheren Veranstaltung an  Abschiebungshaft den Anspruch, dass sie nach der Formel Normales Leben minus Freiheit organisiert werden müsse.

    Abgesehen von seiner prinzipiellen Ablehnung der Abschiebungshaft ist für den Flüchtlingsrat Berlin dieser Anspruch noch weit von der Realität im Gewahrsam Berlin-Grünau entfernt. Das wurde Anfang Oktober 2004 besonders deutlich, als ca. 60 inhaftierte Frauen und Männer in einen vorerst befristeten Hungerstreik traten. Sie forderten u.a. eine Begrenzung der Haftdauer auf drei Monate. Unter ihnen befanden sich auch sogenannte Langzeitinhaftierte, die bald ein Jahr im Gewahrsam inhaftiert sind. Hierbei ist anzumerken, dass mit der maximalen Haftdauer von 18 Monaten Deutschland einen traurigen Rekord in Europa aufstellt.

    Die Abschiebungshaft bedeutet für die Inhaftierten eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Grundrechte. Mit ihr ist bei zunehmender Haftdauer eine stetig anwachsende psychische Belastung verbunden, die - wie die Praxis leider schon zeigte – in Selbstverletzungen und Suizidversuchen münden kann. Deshalb ist es nötig, dass sich Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsinitiativen zusammenzuschließen, um politisch den Senat zu einer Politik der größtmöglichen Vermeidung von Abschiebungshaft zu bewegen. Parallel kommt den persönlichen individuellen Einsatz für die Inhaftierten z.B. durch die Unterstützung der Initiative gegen Abschiebehaft große Bedeutung zu. Infos zur Arbeit der Initiative sind auch über das Büro des Flüchtlingsrates (Tel.: 030/24344-5762) erhältlich.

    Für den Flüchtlingsrat Berlin: Jens-Uwe Thomas (Mitglied der „Internationalen Liga für Menschenrechte!; Oktober 2004

     

    EU - Europa

    Bürgerrechte in Terrorzeiten

    Von Rolf Gössner 

    Nicht nur in einzelnen Ländern, auch auf EU-Ebene ist seit dem 11. 9. 2001 ein Antiterror-Aktionismus ausgebrochen, der mitunter bizarre Blüten treibt.

    Da beschlossen die EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Terrorismusdefinition, die auch Formen des zivilen Ungehorsams wie Sitzblockaden vor Atomkraftwerken oder politische Streiks in Versorgungsbetrieben erfassen könnte. Mit dieser Kriminalisierung per Definition macht der »Gegenterror« auch vor sozialem Protest nicht halt, weder vor der Friedensbewegung und dem Anti-Atom-Widerstand noch vor Globalisierungsprotesten.

    Da schlossen im Frühjahr 2004 der Rat und die Kommission der EU ein Abkommen mit den USA, in dem festgelegt wird, dass Flugpassagier-Daten aus allen EU-Ländern an USA-Sicherheits­behörden übermittelt werden müssen. Die beiden EU-Organe setzten sich damit über das ausdrückliche Votum des Europäischen Parlaments hinweg, das deshalb den Europäischen Gerichtshof angerufen hat, um die Annullierung des Paktes zu erreichen. Der Datentransfer verstoße gegen Grundrechte und völkerrechtliche Prinzipien des Datenschutzes. Mit dem Abkommen erhält die USA-Heimatschutzbehörde Direktzugriff auf teils hochsensible Daten aller europäischen Flug-Buchungssysteme. Jährlich sind mehr als 10 Millionen Passagiere, die in die USA fliegen, unmittelbar betroffen. Schon bevor sie auch nur einen Fuß auf den Boden des Landes gesetzt haben, sind die USA-Behörden über sie informiert, haben ihre Daten abgeglichen, Bewegungsbilder und Persönlichkeitsprofile erstellt, schlimmstenfalls Verdächtigungen konstruiert. Auch unbescholtene Fluggäste sind nicht davor gefeit, auf diese Weise zu Opfern rigider Antiterror-Maß­nahmen zu werden und sich wie Verbrecher behandeln lassen zu müssen. Kollateralschäden im Antiterrorkampf.

    Die Agenda des EU-Aktionsplans zur Terrorismusbekämpfung ist ellenlang. Ganz oben rangiert die Optimierung der polizeilichen und geheimdienstlichen Zusammenarbeit. Gleichrangig wird die Kontrolle der Telekommunikation angestrebt: die Überwachung der weltweiten Kommunikationsströme über Telefon, Handy, Fax, Emails, SMS und Internet –- unabhängig von einem Straftatverdacht oder einer konkreten Gefahr. Alle Internet-Provider und Telefongesellschaften sollen gezwungen werden, den EU-Sicherheits­behörden Zugang zu allen Verbindungsdaten zu gewährleisten. Diese Daten sollen dann auf der Suche nach Sicherheitsrisiken erfasst und analysiert werden sowie mindestens ein Jahr, höchstens drei Jahre auf Vorrat gespeichert bleiben. Mit diesem Datenfundus könnten ganze Lebensbereiche ausgeforscht werden – schließlich kann etwa die Auswertung von Internet-Verbindungs­daten etwas über Interessen, Vorlieben und politische Präferenzen der Nutzer verraten. Die Europäische Menschenrechtskonvention, die jedem Einzelnen die Meinungsfreiheit, das Post- und Fernmeldegeheimnis sowie den Respekt vor seinem Privatleben garantiert, würde damit praktisch ausgehebelt.

    Der Antiterrorkampf beschleunigt die Entwicklung in Richtung einer europäischen »Sicherheitsunion«, deren Außengrenzen gegen Schutzsuchende immer rigider abgesichert werden, in der die expandierende Polizeibehörde Europol keiner demokratischen Kontrolle unterliegt, Polizei und Geheimdienste sich mehr und mehr verzahnen, Migranten biometrisch vermessen, die Einwohner zu gläsernen Menschen werden – während die Euro-Bürokratie immer undurchsichtiger wird. Leider gibt es noch keine kritische europäische Öffentlichkeit, die diesem Treiben das tragfähige Gegenkonzept eines demokratischen, friedlichen, menschenrechtlichen Europas entgegensetzen könnte.

    (Aus: NEUES DEUTSCHLAND vom 17.09.04)

    ***

    Der gläserne Passagier ist der Willkür ausgeliefert

    Der skandalöse Transfer sensibler Fluggastdaten an US-Sicherheitsbehörden
    verstößt gegen Bürgerrechte und europäischen Datenschutz

    Von Rolf Gössner

    Der Standpunkt des Autors

    US-Behörden haben seit Mai 2004 direkten Zugriff auf die Daten von Fluggästen, die von einem Flughafen in der EU in die USA fliegen. Das erlaubt ein von EU-Rat und -Kommission mit Washington geschlossenes Abkommen. Der Autor sieht darin einen eklatanten Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte und Datenschutzbestimmungen. Er hofft, dass der Europäische Gerichtshof, der vom EU-Parlament angerufen wurde, das Abkommen annulliert. Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, ist Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte" sowie Autor zahlreicher Sachbücher zu Bürgerrechtsthemen.

    Gegen das ausdrückliche Votum des Europäischen Parlaments und der EU-Datenschutz­beauftragten hatten EU-Rat und -Kommission im Mai 2004 ein höchst brisantes Abkommen mit den USA geschlossen. Darin geht es um die Übermittlung von Flugpassagierdaten aus den 25 EU-Ländern an US-Sicherheitsbehörden.

    Dieser Vorfall steht beispielhaft für das notorische Demokratiedefizit in der EU - um so erfreulicher, dass das Europäische Parlament gegen dieses Abkommen schweres Geschütz auffährt: Es hat vor kurzem den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg angerufen, um eine Annullierung zu erreichen. Die große Mehrheit der Parlamentarier vermisst einen ausreichenden Schutz für die übermittelten Daten. Die Datenweitergabe verstoße gegen Grundrechte und völkerrechtlich garantierte Prinzipien des Datenschutzes.

    Von dem Datentransfer sind jährlich mehr als zehn Millionen Flugpassagiere aus Europa, die in die USA fliegen oder über die USA weiterreisen, unmittelbar betroffen. Schon bevor sie auch nur einen Fuß auf den Boden des Landes gesetzt haben, sind die US-Sicherheits­behörden über sie umfassend informiert, haben ihre Schlüsse gezogen, Verdachtsmomente ventiliert oder Verdächtigungen konstruiert. Begründet wird all dies mit der "Bekämpfung des Terrorismus sowie sonstiger Verbrechen transnationaler Art, einschließlich der organisierten Kriminalität".

    Schon vor Abschluss des Abkommens hatten die USA europäische Fluggesellschaft unter massiven Druck gesetzt: Sollten sie sich weigern, die gewünschten Daten herauszurücken, drohten ihnen empfindliche Geldbußen oder gar die Entziehung der Landerechte. Tatsächlich haben viele Fluglinien sämtliche Passagierdaten ohne jegliche rechtliche Grundlage übermittelt.

    Hochsensible Informationen

    Anstatt den Fluggesellschaften den Rücken zu stärken, unterwarf sich nun die gesamte EU der Sicherheitsdoktrin der US-Regierung, die kaum noch rechtsstaatliche Grenzen kennt. Mit dem geschlossenen Abkommen erhält die US-"Heimat­schutz"-Behörde elektronischen Direktzugriff auf die Fluggast-Datensätze aus allen europäischen Flug-Buchungssystemen. Mit diesem automatischen "Pull-Verfahren" erhalten die US-Sicherheitsbehörden weit mehr Daten, als ihnen nach dem Abkommen eigentlich zustehen - gegen die bloße Zusicherung, die darüber hinausgehenden Daten nicht auswerten und verarbeiten zu wollen.

    Nach dem Abkommen geht es um 34 personenbezogene Daten: Neben den Kerndaten zur sicheren Identifikation werden auch zum Teil hochsensible Informationen übermittelt wie etwa Reiseverlauf und Hotelbuchungen, Bonusmeilen von Vielfliegern und Reiseversicherung, Kreditkarten und Telefonnummern sowie Angaben über Krankheiten und spezielle Essenswünsche während des Flugs - also kosher, hindu, moslem meal oder Diabetikeressen. Aus solchen Angaben können Verdachtsmomente herauskristallisiert und weitreichende Schlüsse gezogen werden, etwa auf Reisebewegungen oder Religionszugehörigkeit der Betroffenen.

    Lückenlose Bewegungsbilder

    Fluggäste aus EU-Staaten in die USA werden praktisch zu gläsernen Passagieren. Ihre millionenfach gelieferten Daten können ohne ihre Einwilligung nach allen Richtungen verarbeitet, durchgerastert und mit einer Unzahl anderer polizeilicher, geheimdienstlicher oder auch privater Dateien abgeglichen werden, um Verdächtige herauszufiltern. Die Daten werden dreieinhalb Jahre gespeichert, unter bestimmten Bedingungen aber auch zehn Jahre oder länger. Mit dieser Datenvorratshaltung können lückenlose Bewegungsbilder sowie Persönlichkeitsprofile von Flugpassagieren erstellt werden - zumal wenn die Weitergabe von Email-Adressen und Kreditkartennummern den Zugriff auf finanzielle Transaktionen und privaten Meinungsaustausch ermöglichen. Selbst an Behörden anderer Staaten dürfen die Daten weitergegeben werden, ohne dass deren Verwendung kontrolliert werden kann, ohne Gewähr, dass der Datenschutz in jenen Ländern eingehalten wird. Auch unbescholtene Fluggäste müssen verstärkt damit rechnen, dass sie auf Grundlage solcher unkontrolliert übermittelten Daten zu Opfern rigider Antiterror-Maßnahmen werden und sich wie Verbrecher behandeln lassen müssen. Die Datenübermittlung kann letztlich zu peinlichen Verhören und erkennungsdienstlicher Behandlung führen, zu willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen und schließlich zu Ausweisungen auch vollkommen unschuldiger Personen - ohne Begründung und ohne die Möglichkeit, einen Anwalt oder die deutsche Botschaft einzuschalten.

    Beispiele hierfür gibt es seit dem 11. September 2001 leider genug: So musste der deutsche Geschäftsmann Jakob T. bei seiner Ankunft in den USA erleben, wie ihn Sicherheitskräfte einem entwürdigenden Verhör unterzogen, ohne erkennbaren Anlass in Handschellen legten und schließlich ins Gefängnis steckten. Ohne Begründung wird er später nach Deutschland abgeschoben. Bei einer Umfrage bestätigten Dreiviertel der befragten deutschen Geschäftsleute, die in die USA reisen, Behinderungen und Willkürakte.

    Offener Rechtsbruch

    Die Fluggastdaten liefern die materielle Grundlage für solche Praktiken und Willkürakte. Die systematische Weitergabe auch intimer Daten greift tief in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ein, verstößt gegen europäische Datenschutzbestimmungen und essenzielle Schutzpflichten der EU-Organe gegenüber den Menschenrechten der EU-Bürger. Das ist offener Rechtsbruch - auch wenn sich die US-Behörden in dem Abkommen verpflichten, die Daten der Fluggäste "ohne unrechtmäßige Diskriminierung" zu verarbeiten. Denn im Fall des Zuwiderhandelns gibt es keinerlei Sanktionen. Gegen Missbrauch ist man nicht gefeit. Nichtamerikanische Fluggäste haben kein Beschwerderecht bei einer unabhängigen Stelle. Folgerichtig halten Datenschützer den Datentransfer für eine unverhältnismäßige und ungeeignete Maßnahme, die weit über das Ziel der Terrorbekämpfung hinausschieße und sich auch mit dem anerkennenswerten Sicherheitsinteresse nicht rechtfertigen lasse.

    Es bleibt zu hoffen, dass der Europäische Gerichtshof das Abkommen für null und nichtig erklärt. Da die Flugdaten unablässig in die USA fließen, ist höchste Eile geboten. Bis dahin bleibt den betroffenen Passagieren nur, auf Datensparsamkeit zu achten, also nur so viele Daten preiszugeben, wie für den Flug unbedingt nötig sind. Darüber hinaus wäre auch an Individualklagen Betroffener zu denken.

    Aus: FRANKFURTER RUNDSCHAU 18. 08.2004

    ***

    Liga-Prozessbeobachtung

     

    Die Liga hat in letzter Zeit an Prozessbeobachtungen in Florida/USA, in Straßburg/Frankreich sowie in Seoul/Südkorea teilgenommen. Beobachter waren RA Eberhard Schultz sowie RA Rolf Gössner (s. Liga-Report 2/2004).

     

    Staatsschutz-Prozess gegen Berlinerin vor spanischen Gericht

    Ende November 2004 beginnt vor dem höchsten spanischen Gericht Audencia Nacional in Madrid der Prozess gegen die deutsche Staatsangehörige Gabriele Kanze aus Berlin. Die Angeklagte war aufgrund eines internationalen Haftbefehls von der Schweiz an Spanien ausgeliefert worden und wird seit über zwei Jahren in Auslieferungs- und U-Haft in der Schweiz und jetzt in Spanien festgehalten. Ihr wird Eta-Unterstützung vorgeworfen: Sie habe eine Wohnung in Barcelona angemietet und dort Sprengstoff besessen – Vorwürfe, die in einem bundesdeutschen Ermittlungsverfahren längst widerlegt worden sind (Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdacht). Kanze war zur angeblichen Tatzeit seit Monaten nicht mehr in ihrer Wohnung in Spanien, sondern arbeitete und wohnte in Berlin.

    Die belastenden Aussagen gegen sie und ihren Ehemann Benjamin Ramos Vega stammen von einem Zeugen, der von der spanischen Polizei gefoltert worden war. Vega wurde bereits 1996 von Berlin an Spanien ausgeliefert und in einem „Terroristenprozess“ zu neun Jahren Haft verurteilt, inzwischen allerdings vorzeitig freigelassen.

    Wegen der Auslieferungs- und Folterproblematik, die in diesem Verfahren eine zentrale Rolle spielen wird, ist eine Delegation zusammengestellt worden, um diesen Prozess zu beobachten und die Öffentlichkeit darüber zu informieren.

    Rolf Gössner wird für die Liga zusammen u.a. mit dem Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr, der Berliner PDS-Abgeordneten Marion Seelig, einem Schweizer Anwalt und zwei Journalisten an der Prozessbeobachtung teilnehmen und im nächsten Liga-Report berichten.


    Liga-Pressemitteilungen

    August – Oktober 2004

     

    >Frau Ministerin, do the right thing!<

    Global Afrikan Congress und Internationale Liga für Menschenrechte
     
    fordern Bundesregierung auf, sich für koloniale Verbrechen Deutschlands zu entschuldigen

    Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, reist am Mittwoch nach Namibia, um an den Gedenkfeiern zum hundertsten Jahrestag des Völkermordes an den Herero durch deutsche Kolonialtruppen teilzunehmen. Sie will während ihres Besuch für eine „angemessene Geste“ sorgen. Bisher haben sich Bundesregierung und Bundestag beharrlich geweigert, sich zu der historischen Schuld Deutschlands zu bekennen und sich offiziell zu entschuldigen. Im Bundestagsbeschluss zu diesem Thema vom Juni 2004 ist nichts über die deutsche Verantwortung zu lesen; dieser Beschluss kommt damit einer Verhöhnung der Opfer gleich.

     

    "Frau Ministerin: Was ist eine 'angemessene Geste' für den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts?", fragt Yonas Endrias, der Europavertreter der weltweiten Organisation Global Afrikan Congress, anlässlich ihrer Reise nach Namibia.

    "Wenn die Ministerin für einen Genozid wieder nur ‚tiefes Bedauern’ ausdrückt, anstatt sich zur historischen Schuld zu bekennen und sich offiziell bei den Völkern der Herero, Nama und Damara zu entschuldigen“, so Yonas Endrias, „wenn die Ministerin sich wieder hinter entwicklungspolitischen und rechtlichen Argumenten versteckt, dann wäre dies eine inakzeptable Doppelmoral und Verhöhnung der Opfer jenes grausamen Feldzugs des deutschen Generals von Trotha".

    Menschenrechtsorganisationen, wie die Internationale Liga für Menschenrechte, fordern die längst fällige Anerkennung dieser Ausrottungspolitik als Völkermord; sie fordern eine offizielle Entschuldigung für diese Verbrechen der deutschen Kolonialtruppen sowie eine Entschädigung für die durch den Genozid stark dezimierten Völker der Herero und Nama.

    „Wir fordern Frau Wieczorek-Zeul und die Bundesregierung auf, den 100. Jahrestag des Völkermordes am 11. August dafür zu nutzen, sich zu der historischen Schuld zu bekennen“, erklärt Dr. Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. „Eine offizielle Entschuldigung wäre der erste Schritt in Richtung Versöhnung – tiefes Bedauern allein wäre keineswegs angemessen.“ Vergangenheitsbewältigung gelte auch für koloniale Verbrechen.

    y.e.                                                               (10. August 2004)

    Weitere Informationen über: Yonas Endrias, e-mail: gaceurope@aol.com

     

    Herero-Genozid: Kritik an Berlin

    BERLIN epd  Menschenrechtsorganisationen haben Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) aufgefordert, sich offiziell für die deutschen Kolonialverbrechen am Herero-Volk in Namibia zu entschuldigen. Anlässlich des 100. Jahrestags der Schlacht am Waterberg im damaligen Deutsch-Südwestafrika, bei der ein Aufstand der Herero gegen die Kolonialmacht niedergeschlagen wurde, sei es Zeit, sich zu der historischen Schuld zu bekennen, sagte der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, gestern in Berlin. Das "Forum Menschenrechte", ein Dachverband von rund 40 Menschenrechtsorganisationen, kritisierte, dass der Bundestag den Krieg gegen die Herero immer noch nicht als Völkermord bezeichne. Wieczorek-Zeul reist heute nach Namibia und wird am Samstag an Gedenkfeiern teilnehmen.

    „die Tageszeitung“/taz Nr. 7432 vom 11.8.2004

    Fortgang der Geschichte:

    Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wie­czorek-Zeul (SPD) hat sich bei den Gedenkfeiern in Okakarara in Namibia tatsächlich für den deutschen Völkermord an den Hereros vor 100 Jahren entschuldigt; sie bat die Nachfahren der Verfolgten und Ermordeten um „Vergebung unserer Schuld“. „Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historischen-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben.“ Diese Rede und  die Dialogbereitschaft sind in Afrika mit Genugtuung aufgenommen worden. Auf diese Rede hätten die Menschen „hundert Jahre lang gewartet“. Eine direkte Wiedergutmachung soll – über Entwicklungshilfe hinaus - damit aber nicht verbunden sein. Über eine von Herero-Vertretern bevorzugte gemeinsame Stiftung von Deutschen und Hereros, um damit den Entwicklungsrückstand in den traditionellen Herero-Gebieten aufzuholen, gibt es noch keine Entscheidung (vgl. taz vom 21./22.8.2004, S. 10).

    ***

    Liga verurteilt Berufsverbotsfall in Baden-Württemberg

    Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner:
    „Die Nichteinstellung des Heidelberger Realschullehrers ist ein unverhältnismäßiger Vorgang und verstößt gegen verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte“

    Wer glaubte, in der Bundesrepublik gehörten Berufsverbote aus politischen Gründen der Vergangenheit an, wird mit dem neuesten Vorfall in Baden-Württemberg eines Besseren belehrt. Dem Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy ist Ende August von der baden-württem­bergischen Kultusministerin Annette Schavan (CDU) die Einstellung in den Staatsdienst verweigert worden. Begründet wird die Entscheidung damit, dass sich der Lehrer in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg engagiere, die gegen fremdenfeindliche und neonazistische Bestrebungen aktiv ist. Diese legale Initiative sei linksextremistisch und befürworte Militanz, so der baden-württem­bergische Verfassungsschutz, der Csaszkóczy schon seit mehr als einem Jahrzehnt überwacht.

    Aus seinen antifaschistischen Aktivitäten in jener Initiative leitet das Kultusministerium Zweifel an der Verfassungstreue des Lehramtsanwärters ab. Wer Mitglied einer „extremistischen Vereinigung“ sei, könne nicht Lehrer an einer öffentlichen Schule werden. Der Betroffene habe sich nicht von der Initiative distanziert; ihm werden jedoch persönlich keine gesetzwidrigen Aktivitäten vorgeworfen.

    „Mit diesem verfassungsschädlichen Berufsverbot wird ein engagierter Antifaschist aus Gesinnungsgründen vom Schuldienst fern­gehalten, dem persönlich kein Fehlverhalten vorzuwerfen und der für den Lehrerberuf bestens qualifiziert ist“, stellt Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner fest: „Das ist ein Verstoß gegen die Grundrechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Berufsfreiheit.“ Diese politisch motivierte und diskriminierende Entschei­dung basiere auf den zweifelhaften Erkenntnissen und Bewertungen des „Verfassungsschutzes“, dessen geheimdienstliches Wirken im Zusammenhang mit der berüchtigten Berufsverbote-Praxis der 70er und 80er Jahre das politisch-kulturelle Klima der damaligen Bundesrepublik vergiftete.

    Die Bundesrepublik Deutschland ist schon einmal für die Verhängung eines Berufsverbotes vom Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt worden – wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte. Auch der neueste Fall gehört vor Gericht – notfalls durch alle Instanzen bis zum Internationalen Gerichtshof. Um eine solch langwierige Prozedur zu vermeiden, fordert die Internationale Liga für Menschenrechte die Kultusministerin auf, ihre Entscheidung zu revidieren und Michael Csaszkóczy umgehend als Lehrer im Angestelltenverhältnis einzustellen. Liga-Präsident Gössner: „Solchen Anfängen einer neuen Berufsverbote-Politik muss schnellstmöglich Einhalt geboten werden, damit nicht weitere Lebensperspektiven und Berufskarrieren zerstört werden.“                     (06. September 2004)

    ***

    Liga fordert unabhängige internationale Beobachtung
    bereits im Vorfeld der US-Präsidentenwahlen

    Liga-Präsident Rolf Gössner: „Ein Wahldebakel wie vor vier Jahren darf sich nicht wiederholen. Jetzt ist die internationale Gemeinschaft gefordert – schließlich kann der Ausgang dieser Wahl weltweit über Krieg oder Frieden entscheiden.“

    Fairness und Korrektheit der anstehenden US-Präsidentenwahl am 2. November stehen auf dem Spiel. Deshalb fordert die Internationale Liga für Menschenrechte, schon im Vorfeld der Wahl unabhängige internationale Experten und Wahlbeobachter der Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen zur Verfügung zu stellen und einzusetzen. Denn jetzt schon wird über die Fairness dieser Wahl entschieden. Das weltweite Misstrauen ist groß.

    Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner: „Ein solches Wahldebakel wie im Herbst 2000 darf sich nicht wiederholen – schließlich kann der Ausgang dieser Präsidentenwahl weltweit über Krieg oder Frieden entscheiden, so wie der Wahlausgang vor vier Jahren Krieg bedeutete. Schon deshalb ist die internationale Gemeinschaft gefordert, sowohl frühzeitig die Wahlvorbereitungen als auch am 2.11. die Wahl selbst zu beobachten. Es ist allerhöchste Zeit.“

    Nach Auffassung von Fachleuten und Beobachtern, etwa der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), wird es auch dieses Mal gravierende Probleme mit einer unsicheren, teils veralteten, teils nicht erprobten Wahltechnik geben (gestanzte Wahlscheine/ Wahlmaschinen/ Berührungsbildschirme). Dort, wo die neue elektronische Stimmabgabe per Bildschirmtouching ohne Beleg oder Ausdruck erfolgen soll, ist es unmöglich, das Ergebnis der Wahl durch eine Nachzählung zu überprüfen. Auch Schwierigkeiten mit den Wählerverzeichnissen werden wieder erwartet; das kann dazu führen, dass Hunderttausende Menschen ihre Stimme nicht abgeben können. Darüber hinaus klagen Minderheiten im Vorfeld der Wahl über Einschüchterungsversuche. Insbesondere Florida, so der frühere US-Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter, erfülle noch immer nicht die international gültigen Voraussetzungen für eine faire demokratische Wahl.

    Vor vier Jahren ist Präsident George W. Bush jun. mit einer hauchdünnen Mehrheit von wenigen hundert Stimmen gewählt worden. Dabei ist es gerade in Florida zu einem Chaos bei der Abgabe der Wahlzettel und zu Unregelmäßigkeiten bei der Aus- und Nachzählung der Stimmen gekommen, weshalb die knappe Wahl Bushs weltweit angezweifelt wurde. Rolf Gössner: „Wäre die Wahl damals anders verlaufen, wäre der Welt womöglich viel erspart geblieben: ein völkerrechtswidriger Krieg, viel Leid und Elend sowie gravierende Menschenrechtsverletzungen.“                     (15. Oktober 2004)


     2004

     Verleihung der BigBrotherAwards am 29.10.2004 in Bielefeld

    Die „Internationale Liga für Menschenrechte“ ist zusammen mit anderen Datenschutz- und Bürgerrechtsgruppen seit vorigem Jahr Mitträgerin des „Überwachungs-Oscars“ BigBrotherAward. Am Freitag, den 29. Oktober 2004, wurden, wie jedes Jahr in Bielefeld, die Deutschen Awards verliehen. Die Preisträger – Unternehmen, Organisationen und Politiker – verletzen nach Meinung der Jury erheblich die Privatsphäre der Bundesbürger und den Datenschutz. Vergeben wird der Preis, der sich zum fünften Mal jährt, in verschiedenen Kategorien, darunter „Politik“, „Behörden/ Verwaltung“, „Verbraucherschutz“, „Arbeitswelt“ und „Kommunikation“.

    Mit der Verleihung der BigBrotherAwards soll das abstrakte Thema Datenschutz durch konkrete Beispiele anschaulich und allgemein verständlich gemacht werden. In den vergangenen vier Jahren fanden die Verleihungen ein großes mediales Echo. BigBrotherAwards erhielten in den letzten Jahren beispielsweise Bundesinnenminister Otto Schily für seine „Anti-Terror“-Gesetzespa­kete, das Bundesverwaltungsamt für das „Ausländerzentralregister“, das Bundeskriminalamt für die sog. Gewalttäter-Dateien, diverse Innenminister für ausufernde Polizeigesetze, der Metro-Konzern für den Einsatz von RFID-Chips, die GEZ für ihre Schnüffelmethoden, das Lkw-Mautsystem von TollCollect für die geplante Überwachungstechnologie, Microsoft, die Payback-Kundenkarte, das sog. Scoring-Verfahren der Informa GmbH und die Videoüberwachung der Deutschen Bahn.

    Mit den aktuellen „Negativ-Preisen für Datenkraken“ will die aus namhaften Datenschutz- und Bürgerrechtsgruppen bestehende Jury wieder auf ausufernde Kontrolle, Manipulation und Überwachung hinweisen. In diesem Jahr wurden dazu rund 250 Nominierungsvorschläge eingereicht. Die Initiatoren des deutschen BigBrotherAwards sind international vernetzt: Die Negativ-Preise werden bereits in 14 europäischen Ländern sowie Australien, Japan und den USA vergeben.

    Die Jury des deutschen BigBrotherAwards 2004

    Rena Tangens, padeluun - Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. [FoeBuD]

    Karin Schuler, Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. [DVD]

    Dr. Rolf Gössner, Internationale Liga für Menschenrechte [ILMR]

    Dr. Fredrik Roggan, Humanistische Union e.V. [HU]

    Frank Rosengart, Chaos Computer Club e.V. [CCC]

    Alvar C. H. Freude, Förderverein Informatik und Gesellschaft e.V. (Fitug)

    Werner Hülsmann, Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche
    Verantwortung
    e.V. (FIfF)

    Weitere Informationen: presse@foebud.org, www.bigbrotherawards.de, www.foebud.org

     

    Liste der BBA-Gewinner 2004

    Kategorie Politik

    Justizministerin Brigitte Zypries

    Justizminsterin Brigitte Zypries erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Politik". Obwohl das Bundesverfassungsgericht im März 2004 den Großen Lauschangriff mit elektronischen Wanzen in und aus Wohnungen für weitgehend verfassungswidrig erklärt hatte, verabschiedete sich die Ministerin nicht etwa von diesem einschneidenden Überwachungsinstrument, sondern wollte es sogar noch ausweiten auf Berufsgeheimnisträger. Nach heftiger öffentlicher Kritik an diesen Ausweitungsplänen hält sie jedoch nach wie vor grundsätzlich am Großen Lauschangriff als Instrument der Strafverfolgung fest. Seine bloße Existenz führt - auch nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts - zu der Gefahr, dass Menschen sich eingeschüchtert fühlen – und das betrifft insbesondere Unschuldige.      Laudator: Dr. Fredrik Roggan

     

    Kategorie Gesundheit und Soziales (neu)

    Gesundheitsministerin Ulla Schmidt

    Ministerin Ulla Schmidt erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Gesundheit und Soziales" für das GKV-Modernisierungsgesetz. Durch die versichertenbezogenen Datenverarbeitung kommt es zu einer massiven Verschlechterung des Datenschutzes für die Patienten. Diese datenschutzrechtlichen Risiken hätten durch die Verwendung moderner, datenschutzfreundlicher Technik einschließlich der Pseudonymisierung vermieden werden können. Diese Möglichkeiten sind von ihr nicht berücksichtigt worden.

    Laudator: Werner Hülsmann

     

    Kategorie Behörden und Verwaltung

    Bundesagentur für Arbeit

    Frank Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der „Bundesagentur für Arbeit“ erhält den Big-BrotherAward in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" für die Ausgabe eines 16seitigen Antragsformulars an Langzeitarbeitslose, mit dem hochsensible Daten teils unzulässig abgefragt werden und Informationen auch unbefugten Stellen zugänglich werden können. Damit verstößt die Bundesagentur massiv gegen den Sozialdatenschutz, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und den Grundsatz der Datensparsamkeit. Preiswürdig sind:

    a)      der inquisitorische Fragebogen zur Beantragung von Arbeitslosengeld II (ALG II), auf dem die Antragsteller entblößende Auskünfte über ihre Einkommens-, Vermögens-, Wohn- und Familienverhältnisse sowie über die Lebensverhältnisse Dritter in sog. Bedarfsgemeinschaften offenbaren müssen;

    b)      die mangelhafte Eingrenzung der Fragen, mit denen die Antragsteller zu Informationen verleitet werden, die sie weder machen müssen, noch dürften;

    c)      die Gefahr, dass Unbefugte Einblick in geschützte Daten nehmen können;

    d)      die Unwilligkeit, die fehlerhaften Fragebögen vor 2005 datenschutzgerecht zu überarbeiten, so dass Millionen von Menschen, wollen sie ab Januar 2005 Geld zum Leben erhalten, die alten, datenschutzwidrigen Formulare verwenden müssen;

    e)      die geplanten Datenabgleichsmöglichkeiten mit anderen Dateien anderer Behörden sowie die vermutete bundesweite Zugriffsmöglichkeit auf die teils intimen Daten der Arbeitssuchenden von sämtlichen Arbeitsagenturen aus.

    Laudator: Dr. Rolf Gössner  FR-Doku 30.10.04

     

    Kategorie Technik:

    Canon

    Eine im Kopierer gespeicherte Kennummer (Identifikationsnummer) wird unsichtbar auf *allen* Kopien mitausgegeben. Da jeder Kopierer eine individuelle Barcode-Kennung hat, läßt sich die Herkunft einer Kopie ermitteln. Wird als Funktion verkauft, die das Fälschen von Banknoten, Schecks etc. unterbinden soll. Da jeder Kopierer eine individuelle Barcode-Kennung hat, läßt sich die Herkunft einer Kopie ermitteln.

    Laudator: Frank Rosengart

     

    Kategorie Arbeitswelt

    Lidl

    Lidl erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Arbeitswelt". Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen. Besonders auszeichnungswürdig erschien der Jury die heimliche Videoüberwachung in einigen der deutschen Filialen und dass menstruierende Mitarbeiterinnen in Filialen in Tschechien zum Tragen eines Stirnbands verpflichtet worden sind, damit sie die Toilette auch außerhalb der Pausen aufsuchen durften.

    Laudatorin: Rena Tangens

     

    Kategorie Kommunikation

    Armex

    Die Armex GmbH erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Kommunikation". Um ihr Produkt "Track Your Kid" zu verkaufen, nutzt sie diffuse Ängste von Eltern aus und gibt ihnen ein Instrument in die Hand, das Kinder nicht zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, sondern zu willigen Untertanen einer Kontrollgesellschaft erzieht.                           Laudator: Karin Schuler

     

    Kategorie Verbraucherschutz

    Tchibo direct

    Die Tschibo direct GmbH erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Verbraucherschutz". Sie beteuert in ihren Prospekten und im Internet "Alle persönlichen Daten werden vertraulich behandelt." Tatsächlich aber werden angereicherte Adressen der Tchibo-direct-Kundinnen und -Kunden über die Arvarto / AZ direct auf dem Adressenmarkt angeboten.

    Laudator: Alvar Freude

     

    Kategorie Regional

    Uni Paderborn

    Der Rektor der Universität Paderborn, Prof. Dr. rer. nat. Nikolaus Risch, erhält den Regionalpreis der BigBrotherAwards, weil Hörsäle und Uni-Rechnerräume mit Videokameras überwacht werden.                                Laudator: padeluun

     

    Informationen unter: www.bigbrotherawards.de

     

     

     

    Tadelnde Erwähnung: 2004

    Landeskriminalamt Niedersachsen fördert Denunziation
    durch anonyme Anzeigemöglichkeit per Internet

    Seit Ende 2003 läuft beim niedersächsischen Landeskriminalamt (LKA) ein bundesweit einmaliges Projekt, das der Korruptionsbekämpfung dienen soll. Per Internet können Bürger anonym Tipps geben, wer angeblich wen wo schmiert oder welche öffentlichen Leistungen erschleicht. In zehn Monaten gab es bereits 15.000 Zugriffe auf dieses "Business Keeper Monitoring System". 437 Verdachtsmeldungen sind eingegangen, davon 260 mit angeblich strafrechtlicher Relevanz. Die Denunziationsquote soll laut LKA bei nur 5 Prozent liegen; das ergibt etwa 22 Fälle – 22 Fälle zu viel. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.

    Das LKA stellt mit diesem System eine vereinfachte Möglichkeit für Abertausende Internetnutzer zur Verfügung, Mitmenschen vollkommen anonym anzeigen und verdächtigen zu können - nicht nur wegen Korruptionsverdachts, sondern etwa auch Bezieher von Sozialhilfe, die angeblich nebenher jobben, zu viel Vermögen oder verdächtig große Wohnungen haben. In Zeiten von Hartz IV ein weites Betätigungsfeld für Informanten und Denunzianten.

    Ein aktuelles Beispiel: Das renommierte Hydraulik-Unternehmen Lingk + Sturzebecher in Stuhr und sein Geschäftsführer sind über das Internet-System des LKA anonym wegen Subventionsbetrügereien angezeigt worden. Daraufhin durchsuchten LKA-Beamte den Betrieb sowie sieben weitere Objekt bundesweit, beschlagnahmten Akten und Dateiträger. Monatelange Ermittlungen folgten. Erst sechs Monate nach der Durchsuchung bestätigt der zuständige Staatsanwalt, dass sich die anonymen Beschuldigungen als haltlos und als bösartige Verleumdungen erwiesen hätten. Gleiches gelte für entsprechende Vorwürfe gegen leitende Mitarbeiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Nürnberg sowie der Bezirksregierung in Hannover. Abgesehen von der Rufschädigung entstand dem Stuhrer Unternehmen durch die aufwendigen Ermittlungsmaßnahmen ein Schaden in sechsstelliger Höhe. Den Denunzianten dürfte die anonyme Falschbeschuldigung kaum nachzuweisen sein.

    Anstatt niederschwellige und missbrauchsanfällige Internet-Anreize zum verantwortungslosen anonymen Anschwärzen zu schaffen, sollte Korruption verstärkt dort bekämpft werden, wo die Strukturen in Verwaltung und Wirtschaft diese Art von Kriminalität begünstigen - also ursachenorientierte Korruptionsprävention und mehr Transparenz, etwa bei der Auftragsvergabe, anstatt die Bewohner zu Hilfspolizisten heranzuziehen, wie das seit geraumer Zeit verstärkt geschieht. Erinnert sei an das SMS-Fahndungs­projekt, mit dem Handy-Besitzer zu Hobby-Fahn­dern gekürt und dazu animiert werden, ihre Beobachtungen an die Polizei zu übermitteln.

    Rolf Gössner

    Quelle: www.lka.niedersachsen.de

     

     

    Interview

    „Ein weites Feld für Informanten und Denunzianten“

    Bremer Anwalt Rolf Gössner kritisiert Korruptionsbekämpfung per Internet als höchst problematisch

    Bremen (kf). Seit Jahren schon warnt Rolf Gössner, Bremer Rechtsanwalt und Publizist, vor den Risiken der modernen Informationsgesellschaft. Er prangert vor allem die zunehmende Einbeziehung der Bürger in die Kriminalitätsbekämpfung und gravierende Verletzungen des Datenschutzes an. Auch das Internet-Angebot des Landeskriminalamtes Niedersachsen sieht er skeptisch.

    Halten Sie das Internetangebot des LKA Niedersachsen für ein geeignetes Mittel, die Korruption zu bekämpfen?

    Rolf Gössner: Nicht wirklich - denn Korruption müsste dort bekämpft werden, wo die Strukturen in Verwaltung und Wirtschaft diese Art von Kriminalität begünstigen. Also eher Ursachen-orien­tierte Korruptionsprävention und mehr Transparenz, anstatt die Bevölkerung in die Kriminalitätsbekämpfung einzubeziehen. Leider gibt es seit geraumer Zeit eine solche Tendenz, ich erinnere an das SMS-Fahndungsprojekt, mit dem Handy-Besitzer zu Hobby-Fahndern gekürt und dazu animiert wurden, ihre Beobachtungen an die Polizei zu übermitteln. Ebenfalls eine höchst problematische Geschichte.

    Birgt dieses "Angebot" die Gefahr, dass unbescholtene Bürger in Verdacht geraten?

    Ich denke schon. Schließlich handelt es sich um ein niedrigschwelliges Angebot an abertausende Internetnutzer, Mitmenschen ganz einfach und vollkommen anonym anzeigen zu können - nicht nur wegen Korruptionsverdachts, sondern etwa auch den Bezieher von Arbeitslosenhilfe, der angeblich nebenher jobbt, zu viel Vermögen oder eine verdächtig große Wohnung hat. Ein weites Betätigungsfeld für Informanten und Denunzianten, gerade wenn ab nächstem Jahr Hartz IV umgesetzt wird. Da wünschte man sich wirklich eine höhere Hürde statt einer freundlichen, aber missbrauchsanfälligen Einladung zum vereinfachten Verdächtigen. Der Zweck sollte auch hier nicht jedes realisierbare Mittel heiligen. Sonst könnte sich nach und nach ein veritables Denunziationssystem entwickeln, das gerade in Krisenzeiten fatale Auswirkungen zeitigen kann.

    Die Quote so genannten Denunziantentums wird vom LKA mit fünf Prozent überraschend niedrig angegeben.

    Das wären in etwa 22 Fälle. 22 Fälle zu viel. Doch was versteht man denn unter Denunziation? Jemanden aus persönlichen, niedrigen Beweggründen anzeigen oder anschwärzen? Diese hinter der jeweiligen Anzeige stehende Motivation - etwa Missgunst oder Rache - dürfte das LKA kaum in allen Fällen herausfinden können. Im übrigen gibt es ja eine gehörige Differenz zwischen den Verdachtsmeldungen und den strafrechtlich relevanten Sachverhalten. Da frage ich mich, was wohl alles der Polizei zugetragen wird.

    Die Tipps sind anonymisiert. Was aber ist mit den Daten, die im Zuge der Ermittlungen von der Polizei gesammelt werden?

    Tatsächlich wird der Datenschutz nur dem anonym bleibenden Tippgeber garantiert. Das gilt natürlich nicht für die von ihm gemeldeten Personen, deren personenbezogene, teils intimen Daten ohne deren Wissen erfasst und auch länger gespeichert werden. Gegen diese Personen wird dann auf dieser Datengrundlage polizeilich vorermittelt - mit allen unangenehmen Konsequenzen, die sich daraus ergeben können.

    WESER-KURIER v. 13.9.2004

     

     Vorträge

    Muslime in Zeiten des Terrors

    Auswege aus Generalverdacht + Selbstisolation

    Rede von Rolf Gössner während der Jahrestagung der ISLAMISCHEN GEMEINSCHAFT in Deutschland, Gruga-Halle in Essen, 18.09.2004 (vor mehr als 6.000 Teilnehmern). S. auch Interview in Islamische Zeitung, Liga-Report 2/04, 28.

    ***

    Am 10. November 2004 fand in Paris eine Internationale Juristen-Konferenz zum Thema

    „Les Liste des groupes terroristes: L’approche du droit européen
    et international“

    (Sujet d’études: L’Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran).

    An der Konferenz nahmen etwa 400 Juristinnen und Juristen sowie Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt teil – unter anderem unsere französische Schwesterorganisation FIDH.

    Liga-Präsident Rolf Gössner war ebenfalls zu der Konferenz eingeladen worden und hielt einen kurzen Vortrag zu den Auswirkungen der EU-„Terrorliste“ in der Bundesrepublik. Wir doku­mentieren die Langfassung seiner Rede.

    Internationale Liga für Menschenrechtekritisiert Widerruf von Asylberechtigungen

    Plädoyer für eine Revision der EU-Terrorliste

    Mit Sorge beobachtet die „Internationale Liga für Menschenrechte“ die gegenwärtige Praxis des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, vermehrt Asylanerkennungen zu widerrufen. Damit wird bislang anerkannten politischen Flüchtlingen der Asylstatus, den sie bereits vor vielen Jahren erworben haben, wieder entzogen. Das schwächt ihren Schutz gegen Auslieferung an Verfolgerstaaten, wo sie der Gefahr von Folter und anderen unmenschlichen, grausamen und erniedrigenden Verfolgungsmaßnahmen aus­gesetzt wären.

    Diese Widerrufsverfahren stützen sich auf die sog. Anti-Terror-Gesetze, mit denen unter anderem die Anerkennung von Asylbewerbern erschwert und Ausweisungen erleichtert worden sind. Die Betroffenen hatten ursprünglich ihre politische Verfolgung in den jeweiligen Heimatländern, aus denen sie stammen, glaubhaft machen können und sind deshalb als Asylberechtigte anerkannt worden. Nach der neuen Rechtslage können sie gerade aus diesen Gründen ihre Anerkennung verlieren.

    In den Widerrufsverfahren stützen sich die Behörden nicht nur auf die Antiterror-Regelungen des Ausländerrechts, sondern auch auf die sog. Terrorliste der EU, auf der als terroristisch geltende Einzelpersonen und Organisationen aufgeführt sind - unter anderen die linksgerichtete türkische DHKP-C, die kurdische Arbeiterpartei PKK und ihre Nachfolgeorganisation sowie die iranischen Volksmodjahedin.

    So werden etwa die Anhänger der oppositionellen iranischen Volksmodjahedin, die in der Vergangenheit wegen ihrer Verfolgung im Iran als Asylberechtigte anerkannt worden waren, immer häufiger mit dem Widerruf ihrer Anerkennung konfrontiert. Auch Hunderte von Anträgen auf Asylanerkennung und Einbürgerung wurden bereits abgelehnt, weil die Betroffenen aus diesem Personenkreis als „Sicherheitsrisiko“ gelten. Bei der Begründung, für die mitunter die Beteiligung an bestimmten Demonstrationen ausreicht, spielt die EU-„Terrorliste“ eine besondere Rolle. Auf dieser Liste wird die Widerstandsbewegung der Volksmodjahedin gegen das staatsterroristische iranische Regime als „terroristische Vereinigung“ eingestuft - ausgerechnet auf Druck des iranischen Regimes, das die UNO wegen massiver Menschenrechtsverletzungen verurteilt hat.

    Gegenwärtig droht ein skandalöser Handel zwischen Teilen der EU und dem Iran auf Kosten der iranischen Oppositionellen, ein Handel, der von vielen Menschenrechtsorganisationen, unter anderem der französischen FIDH, scharf kritisiert wird: Um das Mullah-Regime in Teheran zum Verzicht auf ein eigenständiges Atomprogramm zu bewegen, sollen die Volksmodjahedin als Gegenleistung weiterhin im Rahmen der EU als „Terroristische Vereinigung“ eingestuft bleiben. Diese Einstufung kann dazu führen, dass sich die iranischen Herrscher ermuntert fühlen, weiter Oppositionelle in ihrem Machtbereich zu verfolgen, zu foltern oder hinzurichten. Und bislang anerkannte Asylberechtigte müssen fürchten, schon wegen dieser Einstufung ihren Asylstatus hierzulande zu verlieren und ggfls. an den Iran ausgeliefert zu werden. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes führe im Iran bereits die bloße Mitgliedschaft bei den Volksmodjahedin zu menschenrechtswidrigen Verfolgungsmaßnahmen. Auch Anhänger und Sympathisanten sind vor solcher Verfolgung nicht gefeit.

    Auf Grundlage eines aktuellen Gutachtens des renommierten Asylrechtsexperten Dr. Reinhard Marx (Frankfurt/M.) ist das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlingen aufzufordern, bei seinen Entscheidungen folgende Punkte zu berücksichtigen:

    ·  Allein die Zugehörigkeit zu den Volkmodjahedin, wie immer man zu ihnen und ihren Aktivitäten im Iran stehen mag, rechtfertigt weder die Ablehnung eines Asylbegehrens noch den Widerruf des Asyl- oder Flüchtlingsstatus’ noch eine Ausweisung; zumindest müssen noch zusätzliche erschwerende, auf das individuelle Verhalten des Betroffenen bezogene Umstände hinzutreten.

    ·  Soweit der Charakter der Organisation selbst zu beurteilen ist, können die Volksmodjahedin nicht als Organisation eingestuft werden, die den internationalen Terrorismus unterstützt. Selbst die im Irak befindlichen Mitglieder, die ursprünglich das iranische Regime bekämpft hatten (s. Liga-Presseerklärung vom 10.02. 2004), sind inzwischen völkerrechtlich als schutzwürdige Gruppe nach der Genfer Konvention eingestuft und anerkannt worden.

    ·  Der Widerruf einer asylrechtlichen Entscheidung ist nur beim nachträglichen Wegfall der tatsächlichen Anerkennungsvoraussetzungen erlaubt.

    Die Internationale Liga für Menschenrechte fordert die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken,

    ·  dass innerhalb der EU die Volksmudjahedin nicht zum Spielball diplomatischer Taktik werden, nicht zum „Verhandlungschip“ der EU gegenüber dem Mullah-Regime des Iran, das die Menschenrechte nach wie vor mit Füßen tritt;

    ·  dass die auf rein politisch-exekutiver, nicht auf rechtlich-legislativer Entscheidung beruhende EU-Terror-Liste, deren Zusammensetzung keinerlei demokratischer Kontrolle unterliegt, unverzüglich revidiert wird, weil ihre Folgewirkungen gravierend sind und zu massiven Menschenrechtsverletzungen führen können;

    ·  dass niemand in Auslieferungshaft gerät, bevor sein Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist und dass niemand an einen Verfolgerstaat ausgeliefert wird, weil damit gegen Verfassung, Europäische Menschenrechtskonvention und Genfer Flüchtlingskonventionen verstoßen würde.

    Auch im Zeichen des Antiterrorkampfes und im Namen der Sicherheit ist die Verletzung von Völkerrecht und Menschenrechten nicht zu tolerieren.

    Dr. Rolf Gössner
    Rechtsanwalt/Publizist, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte

    ***

    Folgende Erklärung hat die « Internationale Liga für Menschenrechte » unterstützt :

     

    Fédération internationale des ligues des droits de l'Homme (FIDH)

    Ligue des droits de l’Homme et du Citoyen (LDH)

    Ligue pour la défense des droits de l'Homme en Iran (LDDHI)

    Iran / nucléaire :  Un marchandage inadmissible

     

    * Paris, le 28 octobre 2004 -*

    La FIDH et ses associations affiliées, la LDDHI et la LDH expriment leur stupéfaction à la lecture d’une dépêche de l’AFP du 21 octobre 2004, jamais démentie, selon laquelle la France et deux autres pays de l’Union européenne offriraient au gouvernement iranien, en échange de diverses mesures concernant la limitation de son programme nucléaire, de poursuivre la répression du terrorisme «dans le respect des législations réciproques » et à maintenir l’Organisation des Moudjahiddines du Peuple d'Iran (OMPI) sur les listes d’organisations terroristes.

    Tout en réaffirmant la nécessité d’empêcher, où que ce soit, la prolifération des armes de destruc­tion massive, un tel marchandage constitue un mépris de tous les principes de droit international.

    «Respecter» la législation du gouvernement Iranien, c’est, entre autres choses, se satisfaire de l’absence de démocratie, des arrestations arbi­traires, des fermetures de journaux, de la peine de mort ou de la torture érigée en règle.

    En échangeant le maintien d’une organisation, quel que soit le jugement que l’on porte sur elle, sur les listes d’organisations terroristes contre une évolution de la politique nucléaire de l’Iran, les auteurs de cette proposition démontrent que ces listes ont un caractère arbitraire et relèvent de la seule décision politique des États.

    La FIDH, la LDDHI et la LDH rappellent que la nécessaire lutte contre le terrorisme ne saurait conduire à cautionner des régimes qui bafouent les droits de l'Homme pas plus qu’à édicter des mesures d’exception faisant fi des libertés individuelles et collectives.

     

    Kooperationen & Aufrufe

    Gustav Heinemann-Initiative
    Greifswalder Str. 4 10405 Berlin

    An den Bundesminister des Innern, Otto Schily

    Nachrichtlich an Innenausschuss des Deutschen Bundestags und Innenpolitische Sprecher der Fraktionen

     

    Berlin, den 13.9.2004

    Flüchtlingslager in Afrika

    Sehr geehrter Herr Minister,

    die Gustav Heinemann-Initiative als Teil der unabhängigen, überparteilichen Bürgerrechtsbewegung befasst sich insbesondere mit der Verteidigung der Grundrechte unserer Verfassung und tritt im Sinne eines umfassenden Friedensbegriffs für gewaltfreie Konfliktlösungen ein. Die Auseinandersetzung mit der Frage der Flüchtlinge, die von Afrika nach Europa reisen, berührt sowohl die Geltung der Grundrechte wie die gewaltfreie Lösung eines wichtigen Konfliktes.

    Sie haben vorgeschlagen, für diese Personen Flüchtlingslager in den nordafrikanischen Staaten einzurichten. Wir halten diesen Vorschlag für falsch, rechtlich fragwürdig und für das politische Klima in Deutschland für schädlich. Unsere Aussage beruht auf folgenden Überlegungen:

    1. Das Problem der Fluchtbewegung aus Afrika nach Europa wird durch Auffanglager nicht gelöst. Es wird sich schnell herumsprechen, dass die Verfahren in den Lagern nicht zu einer Einreise nach Europa führen werden. Bekanntlich kann auf ausländischem Boden ein Asylantrag für ein anderes Land nicht gestellt werden. Die Menschen werden folglich trotzdem versuchen, den lebensgefährlichen Weg über das Meer anzutreten, um in Lampedusa oder an einem anderen Ort in Italien oder Spanien an Land zu gelangen. Somit trifft Ihre Argumentation nicht zu, die Lager u.a. deshalb einzurichten, um Menschen diese lebensgefährliche Reise zu ersparen.

    2. Das nationale und internationale Flüchtlingsrecht wird durch diese Lager untergraben. Die rechtliche Konstruktion, einen Teil des Landes zu italienischem oder deutschen Territorium zu machen, um dort - rein formell - nationales bzw. internationales Flüchtlingsrecht zur Anwendung kommen zu lassen, ist ein untauglicher Versuch, die Instrumente der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und des nationalen Asylrechts zu marginalisieren. Zum einen geht dieser Gedanke von der völlig falschen Prämisse aus, dass die auf Einhaltung ihrer Souveränität besonders bedachten nordafrikanischen Staaten ein Interesse an dieser Form der „Enklaven“ hätten. Zum anderen wären rechtliche Schritte gegen ablehnende Entscheidungen kaum durchführbar. Die Unterlagen müssten aus den Lagern zu dem zuständigen Gericht (wahrschein­lich in Italien) überstellt werden. Die Kosten für einen Rechtsbeistand, der sich mit der nationalen Gerichtspraxis auskennt, wären immens und für viele nicht bezahlbar, direkte Kontakte zu den einzelnen Flüchtlingen so gut wie ausgeschlossen.

    3. Die Situation in den Auffanglagern und die tatsächliche Umsetzung des Prüfverfahrens wie die Befragung der Flüchtlinge und das Entscheidungsprozedere würde sich weitestgehend einer öffentlichen Kontrolle entziehen. Kleineren Flüchtlingsorganisationen wird in der Regel das Geld fehlen, um die Lager aufsuchen zu können. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die örtlichen Verantwortlichen Pressevertretern einen adäquaten Zugang zu den Lagern ermöglichen werden, sodass eine Information der Öffentlichkeit über die Lebensumstände der Flüchtlinge und die Verfahren in den Lagern kaum möglich sein wird. Es besteht aus unserer Sicht zudem der begründete Verdacht, dass die Verdeckung von Missständen in den autoritär regierten Staaten, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, weit einfacher zu realisieren ist als in Deutschland oder Italien.

    4. Deutschland könnte sich seiner Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Grundgesetz (GG) und den nationalen Asyl-Bestimmungen gänzlich entziehen, wenn es Auffanglager mit eigener Territorialität schaffen würde. Die Konstruktion des sicheren Drittstaates könnte auf die Auffanglager übertragen werden, indem diese als sog. sichere „Drittstaaten“ umdefiniert werden. Jeder, der in Frankfurt a.M. im Flughafen einen Antrag stellt, sollte er aus Afrika kommen, könnte ohne eine Überprüfung abgeschoben werden, da er über den faktischen sicheren „Drittstaat“, das Auffanglager in Libyen oder anderswo, hätte „einreisen“ können. Damit wäre das Fundamentalrecht auf Asyl gänzlich ausgehebelt und der Rechtsstaat in diesem Punkt nicht mehr existent. Deutschland würde endgültig zur asylfreien Zone und dies zu einem Zeitpunkt, wo die Zahl der Asylbewerber mit rund 50.000 den niedrigsten Stand seit 1984 erreicht hat!

    5. Die Annahme einer unüberschaubaren Zahl an potentiellen Flüchtlingen entspringt einer Angstvorstellung. Es stimmt zwar, dass es eine Flüchtlingsbewegung von Afrika nach Europa gibt. Der Umfang dieser Bewegung wird jedoch überbewertet. Hier vermengen sich Ängste, denen ein Weltbild zu Grunde liegt, das immer noch von uns Deutschen und den Ausländern da draußen ausgeht, mit Tatsachen und sachlichen Prognosen, die eine sachgerechte Lösung des Problems ermöglichen könnten. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie hier auf eine in der deutschen Bevölkerung verbreitete Stimmung populistisch reagieren, statt Ihrer Rolle als einer der wichtigsten Hüter der Verfassung gerecht zu werden.

    Aus den genannten fünf Gründen möchten wir Sie darum bitten, Ihren Vorschlag zurückzuziehen. Wir verwahren uns dagegen, dass unter dem Deckmantel der Hilfe die Demontage von Flüchtlingsrecht betrieben wird. Einen rechtsfreien Raum wie Guantanamo darf es nicht geben. Die Mindestforderungen der GFK, d.h. faire Einzelfallprüfung in einem rechtsstaatlichen Verfahren, Gewährleistung von Rechtsbeistand und Dolmetscher sowie gerichtliche Überprüfung einer ablehnenden Entscheidung, müssen gewahrt bleiben.

    Dieser Brief wird unterstützt von Aktion Courage, der Humanistischen Union und der Internationalen Liga für Menschenrechte.

    Mit freundlichen Grüßen

    Sebastian Müller, im Auftrag des Vorstandes der Gustav Heinemann-Initiative

    ***

    Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V.

    Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V.

    Gemeinsame Pressemitteilung vom 30.09.2004

    EU will bis zu drei Jahre im Nachhinein wissen, wer wann mit wem und womit
    telefoniert, gesimst oder gemailt hat und wer wann wie lange
    welche Internetseiten aufgerufen hat

    Wenn es nach dem Willen von Großbritannien, Irland, Spanien und Frankreich geht, sollen alle Telekommunikationsgesellschaften und Internetprovider in den EU-Staaten verpflichtet werden, die Verkehrsdaten aller Telekommunikationsvorgänge und Internetnutzungen aller Kundinnen und Kunden für mindestens 12 und bis zu 36 Monate zu speichern. Bisher dürfen in Deutschland ohne besondere Verdachtsmomente nur die Abrechnungsdaten für bis zu sechs Monaten nach Rechnungsversand gespeichert werden. Mit der geplanten Neuregelung würden die Telekommuni­kations-Verkehrsdaten von 450 Millionen Menschen in der EU für mindestens 12 Monate gespeichert, weil nicht auszuschließen sei, dass unter Ausnutzung von Telefon, SMS, MMS, E-Mail und Internet Straftaten begangen werden.

    Werner Hülsmann, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) e.V. und des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V. erklärt zu diesen Plänen: „Die in dem Entwurf vorgeschlagenen Regelungen verstoßen nicht nur gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und damit gegen das Grundgesetz. So hat bereits 1983 das Bundesverfassungsgericht eine solche Vorratsdatenspeicherung als verfassungswidrig bezeichnet. Diese Regelungen sind auch nicht mit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu vereinbaren.“

    Im Telefonbereich soll nicht nur gespeichert werden, von welchem Anschluss aus mit welcher Nummer wann und wie lange angerufen wird, es soll auch erfasst werden, mit welcher Art von Endgerät der Anruf erfolgte. Bei Handys soll auch der jeweilige Standort erfasst werden. Ebenso soll gespeichert werden, wer wann wem in welchem Umfang Kurz- und Multimediamitteilungen (SMS, MMS) gesandt hat. Auch bei E-Mails soll erfasst werden, wer wann wem welche E-Mail gesandt hat. Im Internet sollen die Provider auf Vorrat speichern, wer sich wann wie lange auf welcher Internetseite aufgehalten hat.

    Mit Hilfe dieser Daten lassen sich sehr sensible Persönlichkeitsprofile erzeugen. Anrufe bei einem Arzt oder einer Beratungsstelle, Aufrufe von Websites von Selbsthilfegruppen lassen tiefe Schlüsse auf gesundheitliche oder soziale Probleme zu. Auch wenn diese Daten auf richterlichen Beschluss den Strafverfolgungsbehörden über­mittelt werden sollten, ist ein Missbrauch nicht auszuschließen.

    Dass diese Vorratsdatenspeicherung weder erforderlich noch zweckmäßig ist, sondern in erster Linie die unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger trifft, ergibt sich bereits daraus, dass es für den Internationalen Terrorismus und die Organisierte Kriminalität mit etwas technischem Sachverstand und Aufwand leicht möglich ist, diese Regelungen zu umgehen; so können z.B. Spuren durch Austausch von Handykarten oder über die Manipulation der Identifikationsnummern von Handys und anderen Endgeräten verwischt werden.

    In der Frage der Vorratsdatenspeicherung sind sich FIfF e.V. und DVD e.V. mit dem Bundesverband der Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), aber auch den Verbänden der Telefongesellschaften und Internetprovider einig: Eine Vorratsdatenspeicherung aller TK-Verkehrsdaten führt nicht zu mehr Sicherheit und auch nicht zu einer höheren Aufklärungsquote von Straftaten, sondern nur zu deutlich höheren Kosten für Telekommunikations- und Internetdienstleistungen.

    Diplom-Informatiker Werner Hülsmann erklärt hierzu: „Die Aussage der Vertreterin der Französischen Strafverfolgungsbehörden anlässlich eines öffentlichen EU-Workshops zu diesen Plänen lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Wir wissen nicht so genau, welche der TK-Ver­kehrs­daten wir für unsere Ermittlungen brauchen, daher wollen wir alle haben. Und weil unsere Ermittlungen so lange dauern, wollen wir diese Daten so lange wie möglich zur Verfügung haben. Selbst ein Kritiker hätte die Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme nicht deutlicher darstellen können.“ Dabei geht es nicht nur um die Daten von Verdächtigen, sondern um die TK-Verkehrs­daten aller 450 Millionen Menschen, die in der EU leben, unabhängig von etwaigen Verdachtsmomenten.

    Die immensen Kosten für die unnötige Vorratsdatenspeicherung – Fachverbände beziffern sie auf zwei bis dreistellige Millionenbeträge pro Dienst­leister – werden wohl kaum von den EU-Staaten getragen werden, sondern – wie es zumindest in Deutschland im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung geregelt ist – von den Providern und Telekommunikationsdienstleistern. Diese Kosten werden schlussendlich über höhere Preise an die Kunden weitergegeben. Auch die Entwicklung der Informationsgesellschaft würde bei Übernahme der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gebremst. Projekte und Initiativen für offene Internetzugänge, wie sie sich nicht nur in Deutschland vielfältig entwickeln, würden unmöglich gemacht, da die Kosten für die Vorratsdatenspeicherung von vielen privaten Initiativen und Gewerbetreibenden nicht getragen werden können.

    Die Bürger und Bürgerinnen Europas sollen durch höhere Preise für Telefonieren, Simsen und Internetnutzung die Kosten für die völlig überzogene und unnötige umfassende und langfristige Speicherung ihrer Verkehrsdaten aufkommen. Sie werden also nicht nur in ihrem Grundrecht auf unbeobachtete Kommunikation in unzulässiger Weise eingeschränkt, sondern müssen diesen Eingriff auch noch selbst bezahlen.

    Werner Hülsmann erklärt abschließend: „Noch ist es nicht zu spät diese Pläne zu verhindern, die nicht zu mehr Sicherheit, aber zu mehr Überwachung führen werden, zu verhindern. Alle demokratischen Kräfte sind aufgefordert, weitere Schritte in Richtung Überwachungsstaat zu verhindern.“

    Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. und die Deutsche Vereinigung für den Datenschutz e.V.

    Diese Presseerklärung wurde außerdem u.a. von der „Internationalen Liga für Menschenrechte „und der „Humanistischen Union“ unterstützt und mitgetragen.

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    Weg mit dem Berufsverbot für Michael Csaszkóczy!

    Gemeint sind wir alle!

    Seit Anfang des Jahres 2004 wird dem Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy aus politischen Gründen die Einstellung in den Schul­dienst des Landes Baden-Württemberg verwie­gert. Über mehr als 12 Jahre hinweg wurde Csaszkóczy vom Verfassungsschutz überwacht. Für das Berufsverbot ausschlaggebend war seine Mitgliedschaft in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg, von der er nicht bereit war, sich zu distanzieren. Damit wird die grundrechtswidrige Berufsverbotspraxis der BRD aus den 70er Jahren wiederbelebt. Wir protestieren gegen die staatliche Bespitzelung und Einschüchterung, die sich potentiell gegen alle emanzipatorischen und politisch unbequemen Bestrebungen richtet. Wir fordern die Einstellung Michael Csaszkózys und die Abschaffung der gesetzlichen Grundlagen der Berufsverbote.

    Weg mit den antidemokratischen Berufsverboten! Grundrechte verteidigen!

    Demonstration am 23.10.2004 in Heidelberg

    Dieser Aufruf wurde unterstützt von (Stand: 19.10.2004):

    Komitee für Grundrechte und Demokratie; Internationale Liga für Menschenrechte; Contraste (Zeitschrift für Selbstorganisation); VVN-BdA Bundesvereinigung (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der AntifaschistInnen); Redaktion Graswurzelrevolution; Deutscher Freidenker-Verband, Vereinsvorstand; ['solid] - die sozialistische jugend, Bundesverband; Bund demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (BdWi); freier zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs); Rote Hilfe e.V. Bundesvorstand, Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner Baden-Württemberg; ver.di, GEW.... u.v.m.

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    Der Wehrmachtsdeserteure gedenken

    Aufruf

    “Ein Denkmal für die Wehrmachtsdeserteure in Halbe”

    Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, setzen uns dafür ein, dass anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung vom deutschen Faschismus am 8. Mai 2005 in Halbe (Brandenburg) ein Denkmal für die Wehrmachtsdeserteure errichtet wird.

    Wehrmachtsdeserteure, “Wehrkraftzersetzer” und Kriegsdienstverweigerer wurden mit etwa 30.000 Todesurteilen und Tausenden Zuchthausstrafen verfolgt; 20.000 Todesurteile wurden vollstreckt. Überlebt haben das Grauen in den KZs, Straflagern und Strafbataillonen keine 4.000 von ihnen.

    Im April 1945 bildeten Panzereinheiten der Roten Armee in der Gegend um Halbe einen Kessel um die Reste der geschlagenen 9. Armee des Generals Busse, der ein Kapitulationsangebot ablehnte. Mehrere zehntausend Soldaten und Zivilisten fielen im Zuge dieser letzten Kessel­schlacht des 2. Weltkrieges dem NS-Durchhaltewillen zum Opfer. Nicht zuletzt kam es auch in Halbe in den letzten Kriegstagen zu standrechtlichen Erschießungen von Deserteuren. Menschen, die sich diesem Krieg verweigerten, waren die Opfer. Viele von ihnen, viele wiederum namenlos, liegen auf Friedhöfen begraben, auch auf dem Waldfriedhof in Halbe.

    Statt in Halbe all jener zu gedenken, die sich der nationalsozialistischen Mord- und Terror­maschi­nerie verweigert haben, wird Halbe nunmehr jedes Jahr aufs Neue zu einem Wallfahrts­ort nationalsozialistischen Heldengedenkens durch Aufmärsche von Alt- und Neonazis. Das unterschiedslose Gedenken von offizieller Seite am “Volkstrauertag” leistet einer Vermischung von Opfern und Tätern Vorschub.

    Wir treten dafür ein, der Deserteure zu gedenken und ihnen, die sich dem Dienst in Hitlers verbrecherischem Krieg entzogen haben, zu danken.

    Wir treten dafür ein, den Wehrmachtsdeserteuren ein Denkmal hier in Halbe zu setzen, auch als Zeichen gegen NS-Heldenverehrung und Beschwörung faschistischen und soldatischen Opfertodes.

    Wir treten dafür ein, dass mit diesem Denkmal ausnahmslos alle Wehrmachtsdeserteure geehrt werden, dies gerade vor dem Hintergrund, dass denjenigen Deserteuren, die mit der Waffe gegen NS-Deutschland kämpften, bis heute die gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigung für erlittenes Unrecht versagt blieb.

    ErstunterzeichnerInnen:

    Ludwig Baumann (Bremen, Wehrmachtsdeserteur), Dr. Hans Coppi (Berlin, Historiker), Daniela DAHN (Berlin, Schriftstellerin und Journalistin) Judith Demba (Berlin, Bildungswerk Berlin), Dietrich Eichholtz (Borkheide, Wirtschaftshistoriker), Heinrich Fink (Berlin, Bundesvorsitzender VVN-BdA), Dr. Detlev Garbe (Hamburg, Historiker), Peter Gingold (Bundessprecher VVN-BdA, Sprecher Verband Deutscher in der Résistance/DRAFD), Kurt Goldstein (Berlin, Ehrenvorsitzender des Internationalen Auschwitzkomitees), Dr. Rolf Gössner (Bremen, RA/Publizist, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte), Jürgen Grässlin (Freiburg, Bundessprecher der DFG-VK), Hellmut G. Haasis (Reutlingen, Schriftsteller), Franz von Hammerstein (Berlin, Kurator Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste), Ulla JELPKE (Berlin, Publizistin), Wolfgang Kaleck (Rechtsanwalt, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins), Prof. Dr. Jörg Kammler (Osnabrück, Hochschullehrer i.R.), Günter KNEBEL, Bremen (Geschäftsführer der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer/EAK), Helmut Kramer (Wolfenbüttel, Richter a.D.), Gerhard Leo (Berlin, Publizist und Mitglied der franz. Résistance), Ernst Melis (Vorsitzender Verband Deutscher in der Résistance/DRAFD), Prof. Dr. Manfred Messerschmidt (Freiburg, Leitender Historiker a.D. Militärgeschichtliches Forschungsamt), Gertrud Müller (Stuttgart, Vizepräsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees), Tobias Pflüger (Brüssel, parteiloses Mitglied des europäischen Parlaments), Maren POESCHKE (Potsdam, Stadtverordnete Die Andere), Frieder SCHÖBEL (Friedenszentrum Braunschweig), Dr. Martin Seckendorf (Berlin, Historiker), Eckhart Spoo (Berlin, Herausgeber der Zeitschrift Ossietzky), Prof. Dr. Peter Steinbach (Berlin/Karlsruhe, Gedenkstätte Deutscher Widerstand), Rolf Surmann (Hamburg, Publizist), Prof. Dr. Wolfram Wette (Waldkirch, Historiker), Dr. Susanne Willems (Berlin, Historikerin), Dr. Winfried Wolf (Berlin, Publizist), Gerhard Zwerenz (Schmitten/Taunus, Schriftsteller).

    Zur Realisierung des Denkmals benötigen wir 50.000 €. Ihre Spende ist herzlichst willkommen.

    Bitte überweisen Sie auf folgendes Konto:

    Antimilitaristischer Förderverein
    Mittelbrandenburgische Sparkasse, Konto 350 300 25 28, BLZ 160 500 00, Stichwort Halbe.

    (Zuwendungen sind im Sinne des § 10b des Einkommensteuergesetzes absetzbar)

    Initiative für ein Denkmal für die Wehrmachtsdeserteure in Halbe, Lindenstr. 47, 14467 Potsdam

    Tel.: 0331 - 237 03 83, Fax: 0331 - 237 02 72, halbe@antimilitaristischer-foerderverein.de, http://www.deserteure-halbe.de

    ***

    Die Freunde der Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal

    Vor mehr als zwanzig Jahren, am 25. Mai 1983, ver­kündete Richter Albert F. Sabo das Todesurteil gegen den afro­ame­rikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal:

    Die Hinrichtung soll durchgeführt werden, indem eine elektrische Stromladung durch Ihren Körper geleitet wird, deren Intensität aus­reicht, um zum Tod zu führen, und die Anwendung dieser Strom­ladung soll von solcher Intensität und Stärke und von solcher Dau­er sein, dass Sie Ihr Leben aushauchen bzw. ihr Tod eintritt. Möge Gott in Seiner Unendlichen Weisheit Ihrer Seele gnädig sein.

    Abu-Jamal wurde in den Todestrakt des US-Bundes­staates Pennsylvania verlegt und kämpft seitdem für die Aufhebung des Geschworenenspruchs, der ihn des Mor­des an einem Polizeibeamten für schuldig befand und zum Tod verurteilte. Erst in den neunziger Jahren wurden die skandalösen Umstände, unter denen dieses Urteil zustande gekommen war, US-weit und international bekannt.

    Der Fall Mumia Abu-Jamals wurde zum Symbol für die tiefverwurzelten Ungerechtigkeiten im Justizsystem des mächtigsten Staates der Welt, der Vereinigten Staaten von Amerika. Zudem kamen vor allem in den letzten Jahren immer mehr neue Beweise ans Licht, die mit überwältigender Deutlichkeit für Abu-Jamals Unschuld sprechen.

    Zwar wurde am 18. Dezember 2001 das Todesurteil gegen Abu-Jamal von einem Bundesgericht vorläufig ausgesetzt – eine Berufung der Staatsanwaltschaft ist anhängig – der Schuldspruch gegen ihn blieb jedoch bestehen, und nach wie vor weigern sich sämtliche Gerichte, die massiven Beweise für seine Unschuld auch nur anzuhören.

    Jetzt, wo der Fall Mumia Abu-Jamals in seine letzte und endgültige Phase vor einem Bundesbe­rufungsgericht der USA eintritt, verrinnt die Zeit für eine Korrektur der vielen Ungerechtigkeiten in diesem Fall und für die Herstellung von Gerechtigkeit. Es ist Zeit, zu handeln – und zwar JETZT!

    Die „Freunde der Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal“ sind ein loser Zusammenschluss von Menschen, die das Ziel verfolgen, Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal durchzusetzen. Die „Freunde“ konzentrieren sich auf den Fall Mumia Abu-Jamals, weil 1) in ihm die vielen Ungerechtigkeiten des Strafjustizsystems der USA auf besonders gravierende Weise zusammenkommen, 2) in diesem Fall die berechtigte Befürchtung besteht, dass hier ein politischer Dissident endgültig zum Schweigen gebracht werden soll, indem er hingerichtet wird, und 3) ein Unrecht gegen einen von uns ein Unrecht gegen alle ist“.

    In diesem Geiste fordern die Freunde der Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal (FGMAJ), dass der verfassungswidrige Schuldspruch und das ebenfalls verfassungswidrige Todesurteil gegen ihn aufgehoben werden, dass die Gerichte die Beweise, und zwar sämtliche Beweise, in seinem Fall anhören, und dass er entweder, nach mehr als zwei Jahrzehnten Haft, freigelassen wird oder ein neues Verfahren bekommt, dessen Verfassungsmäßigkeit durch unabhängige Beobachter garantiert wird.

    Mitglied der FGMAJ ist jede/r, der/die der Veröffentlichung seines bzw. ihres Namens zur Unterstützung des vorliegenden Textes zustimmt. Die FGMAJ haben einen aus einigen ihrer aktiveren und/oder prominenteren Mitgliedern bestehenden Beirat, der dem Zusammenschluss in seinen Aktivitäten unterstützt und ihm dabei hilft, größere Publizität zu gewinnen. Zu dem weiter oben skizzierten Zweck werden die FGMAJ von Zeit zu Zeit Erklärungen herausgeben, die die Entwicklung des Falles kommentieren. Diese unterliegen der Zustimmung durch die Mitglieder des Beirats, und für sie soll dann größtmögliche Unterstützung in Form von Unterschriften gewonnen werden.

    Im Beirat u.a: Rolf Gössner (RA/Liga)

    Ich unterstütze diesen Text:  Unterschrift + E-Mail-Adresse: .......................................................   

    Kontakt: Jakob Köllhofer, Deutsch-Amerikanisches Institut, Sophienstraße 12, D-69115 Heidelberg, jjk@dai-heidelberg.de * Michael Schiffmann, In der Neckarhelle 72, D-69118 Heidelberg,  mikschiff@t-online.de * Sabine Schubert, Kreutzigerstraße 11, 10247 Berlin, trillian2@freenet.de.

     

    ***

    IRAK - STOPPT DIE ESKALATION!

    KEINE UNTERSTÜTZUNG DER BESATZER DURCH DIE DEUTSCHE REGIERUNG

    Der Krieg im Irak ist noch lange nicht vorbei und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Zahl der Opfer unter der irakischen Bevölkerung - weit über 100.000 seit Beginn der Invasion, zumeist Frauen und Kinder - steigt täglich, und die der Besatzungstruppen auch. Die USA sind ganz offensichtlich nicht in der Lage, in dem Land, welches sie unter der Vortäuschung falscher Tatsachen und unter Bruch des Völkerrechts überfallen haben, Frieden und Demokratie herzustellen.

    Die Besatzung ist auch durch die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats nicht rechtmäßig geworden. Statt sie zu beenden und dem irakischen Volk die Organisation seiner Gesellschaft selbst zu überlassen sowie die Mittel zur Beseitigung der angerichteten Zerstörungen bereitzustellen, setzt die US-Regierung auf eine Marionettenregierung und die militärische Vernichtung des Widerstandes. Dies wird eine weitere Eskalation hervorrufen, die auch Wahlen unter US-ameri­kanischem Protektorat nicht beendet können. Den USA und ihren Verbündeten sind in diesem Teil der Welt so wenige Freunde verblieben, dass jede auf sie gestützte politische Organisation ohne jegliche Legitimation bleiben wird und nur mit militärischer Unterstützung durch die USA überleben kann.

    Wir fordern die Regierung der Vereinigten Staaten auf, ihre Truppen ohne Bedingungen aus dem Irak abziehen und Wiedergutmachung für die angerichteten Schäden zu leisten. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass ihre Präsenz eine positiven Beitrag zur Stabilisierung der Region leisten könne. Im Gegenteil: Solange sie den Irak besetzt halten, wird der Widerstand anwachsen und Krieg und Vernichtung eskalieren.

    Wir fordern die Bundesregierung auf die politische, ökonomische und militärische Unterstützung dieses Verbrechens unverzüglich zu beenden: Wirken Sie auf Ihre Verbündeten ein und bewegen Sie sie zum Rückzug ihrer Truppen aus dem Irak. Gewähren sie Asyl all jenen Soldaten, die sich weigern, im Irak Krieg zu führen.

    Bis dieser Rückzug bewerkstelligt ist, bekräftigen wir, dass wir uns mit allen uns zur Verfügung stehenden friedlichen und legalen Mitteln gegen

    jeden Versuch wenden werden, den irakischen Widerstand durch eine Militäreskalation niederzuschlagen, wie es während des Vietnam-Krieges mit dem vietnamesischen Widerstand versucht wurde (Aufruf-Entwurf: Prof. Dr. Norman Paech)

    Der Aufruf wird u.a. vom Bundesausschuss Friedensratschlag und von der Internationalen Liga für Menschenrechte unterstützt.

     

    ***

    Aufruf zum 60. Jahrestag der Befreiung 8. Mai 2005

    Bitte beachten Sie diesen Aufruf, den wir im Liga-Report 2/2004, S. 27 f. abgedruckt haben.

    Wer an einer Mitarbeit interessiert ist oder den Aufruf unterzeichnen möchte, melde sich bitte.

    Kontaktadressen: frikomail@freenet.de; laurawimmersperg@t-online.de

    Termine – Veranstaltungen

    Jeden letzten Donnerstag im Monat findet jeweils um 19 Uhr im Haus der Demokratie u. Menschenrechte Berlin, Robert-Havemann-Saal, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, eine

    „Republikanische Vesper“

    statt – mit Wein/Wasser/Käse/Brot.

    Veranstalter:

    Ossietzky“ , Internationale Liga für Menschenrechte, Humanistische Union

    Am Donnerstag, 25. November 2004, 19 Uhr

    zum Thema:

    „Selbstbestimmtes und humanes Sterben“

    mit Benno Bolze (Vors. LAG Hospiz Berlin),
    Dr. Thomas Jehser (Stationsarzt)
    Prof. Dr. Rosemarie Will, Stellv. Vors. der HU

     

    Sehenswerte Ausstellungen:

    Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße:

    “Warschau – Hauptstadt der Freiheit“
    Der Warschauer Aufstand
    August bis Oktober 1944

    Ausstellung vom 4.10.2004 bis 30. Juni 2005. Eintritt frei.

    Martin Gropius-Bau:

    „Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63, Frankfurt am Main“

    Eine ausführliche Dokumentation des Auschwitz-Prozesses 1963 bis 1965; Dokumente des gesamten Prozessverlaufs, auf denen „Die Ermittlung“ von Peter Weiß beruhen, zum Hören und Sehen, vor allem zum Lesen.

    Ausstellung des Fritz-Bauer-Instituts in Kooperation mit mehreren Institutionen, u.a. Topographie des Terrors und Bundeszentrale für Politische Bildung.

    26.10. bis 19.12.2004, täglich 10 bis 20 Uhr, Dienstags geschlossen. Eintritt: 4 €.

    Film- und Vortragsreihe zur Ausstellung im Martin-Gropius-Bau (bitte dort Programm anfordern), u.a.

    Donnerstag, 2. Dezember, 20.00 Uhr

    Vortrag und Diskussion

    Die Geschichte der Straflosigkeit von NS-Ver­brechen, Prof. Dr. Ingo Müller, Bremen.

    Moderation: Hannes Honecker, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein,  Berlin

     

    Gedenkstätte Sachsenhausen:

    „Medizin und Verbrechen“

    Eröffnung der Ausstellung in den Krankenbaracken zu den medizinischen Versuchen und Morden im KZ

    Sonntag, 7.11.2004, 13 Uhr.

    Die Gedenkstätte ist geöffnet von 9 bis 16.30 h, nicht Montags. Eintritt frei.

     Topographie des Terrors

    Die Fakten sind bekannt : Das Neubauprojekt Zumthor ist nach rund 25 Jahren am Nullpunkt gelandet, der Stiftung und dem Steuerzahler ein Millionenschaden entstanden.

    Der internationale Beirat hat kürzlich ein Positionspapier für den Neubeginn begrüßen und absegnen können, dazu die Prognosen für den Mindest-Raumbedarf, womit die Voraussetzungen für eine neuerliche Ausschreibung gegeben sind. Für Gestaltung und Inhalt der Ausstellung soll nunmehr die Stiftung, nicht jedoch Architekt und Baubehörden zuständig sein; keine Entscheidung soll gegen das Votum der Stiftung Topographie des Terrors getroffen werden können. Das Gelände soll wieder zugänglich gemacht, die marmorweißen Treppentürme noch im Herbst 2004 abgerissen werden. Die open-air-Ausstellung im Graben wird weiter bestehen für die rund 300.000 Besucher jährlich. Lotto-Mittel sind für die Ausstellung „Hausgefängnis“ beantragt. Die nochmalige Präsentation der Ausstellung „Berlin 1945“ ist für den 8. Mai 2005 aktuell vorausgeplant, voraussichtlich in der Zitadelle Spandau. Ein Neubaubeginn nach erfolgter Neuausschreibung ist etwa 2008 denkbar. Die Jury steht noch nicht fest.... (Marianne Reiff-Hundt)

     

    Veranstaltungen

    27.11.2004 "Kinder auf der Flucht" Internationale Kinderrechte durchsetzen! Symposium von 10.00h bis -17.00h in der Uni Hamburg (Philosophenturm, Von-Melle-Park 6, und Hauptgebäude/West, Edmund-Siemers-Allee 1, Nähe Bahnhof Dammtor, Tel.: 040/ 30620 342), Veranstalter: u.a. Flüchtlingsräte Hamburg und Schleswig-Holstein

     

    Veranstaltungen mit Rolf Gössner

    November 2004

    16.11., 19.30 h in Oldenburg, Berufsverbote kehren zurück (IGS oder Alhambra)

    18.11., 19.30 h in Verden, Berufsverbote kehren zurück (Öko-Zentrum)

    23.11., 18.00 h in Berlin, Die vergessenen Justizopfer des Kalten Kriegs – mit Betroffenen und Zeitzeugen, MedienGalerie im Haus der Buchdrucker, Dudenstr.

    24.11., 18.00 h in Münster, EU: Überwachung ohne Grenzen? Fachhochschule, Frauenstr. 24.

     

    Dezember 2004

    02.12., 19.00 h in Hamburg, Zwischen Verharmlosung und Überreaktion? Zum staatlichen Umgang mit Neonazismus und rechter Gewalt, HWP/Uni

    04.12., 14.00 h in Kassel, „Innere Sicherheit“ im permanentem Ausnahmezustand, Veranstaltung während des 11. Friedensratschlags, Uni, Wilhelmshöher Allee 73

    12.12., 11.00 h in Berlin, Einführungsrede zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaillen an Percy MacLean, Esther Bejarano, Peter Gingold, Martin Löwenberg im Haus der Kulturen der Welt.

     


    Literaturhinweise

     

    Jahrbuch Menschenrechte. Schwerpunkt: Frauenrechte durchsetzen

    Frankfurt/M. 2004, 400 Seiten, 11 €

    Gerhard Wisnewski, Mythos 9/11 – Der Wahrheit auf der Spur

    Knaur-Taschenbuch, München 2004 (311 S., 12,90 €)

    Widerstand in Berlin gegen das NS-Regime 1933 bis 1945. Ein biographisches Lexikon, 10 Bände. Herausgeber/Autoren: M. Baricelli, L. Berthold, H.J. Fieber, K. Keim, R. Mounajed, O. Reschke und G. Wehner, trafo-verlag, Berlin, Einzelband 30 €, Gesamtpreis 250 €.

    Ein über Jahre zusammengetragenes Nachschlagewerk mit allen Facetten des Widerstands in Berlin; zwar nicht fehlerfrei und lückenlos, jedoch eine Fundgrube für bislang Versäumtes.

    Karl Heinz Roth, Angelika Ebbinghaus,

      Rote Kapellen - Kreisauer Kreise - Schwarze Kapellen, Neue Sichtweisen auf den Widerstand

    gegen die NS - Diktatur, VSA 1994.

    ProAsyl aktuell: Asyllager in Nordafrika? ProAsyl warnt vor dem größten Angriff auf das Asylrecht seit der Grundrechtsänderung, Frankfurt/M., Sept. 2004 (ProAsyl, Pf. 160624, 60069 Frankfurt/M. Internet: www.proasyl.de. Email: proasyl@proasyl.de

    Das Buch zum Perspektiven-Kongress ist im VSA-Verlag, Hamburg erschienen:

    Perspektiven!
    Soziale Bewegungen und Gewerkschaften

    Tagungsband zum Perspektivenkongress. 9,80 €.

    Bestellungen: : gerd.siebecke@vsa-verlag.de.

    Reise an das Ende der Demokratie

    Erfahrungen aus den Demonstrationsbeobachtungen beim Castor-Transport im November 2003, ergänzt durch die Beobachtungen beim Protest der Wagenburgen in Hamburg im April 2004 (120 Seiten, 8 €),

    Hrg. Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln

    info@grundrechtekomitee.de

    Nachträglich Sicherungsverwahrung

    Oder: Wie Freiheit und Integrität der Bürgerinnen und Bürger präventiv/präemptiv zu Tode gesichert werden (5 €)

    Hrg. Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln

    info@grundrechtekomitee.de

    Bürgerrechte & Polizei 2/2004: Geheimdienste im Aufwind?

    Verlag Cilip, Malteserstr. 74-100, 12249 Berlin, info@cilip.de; www.cilip.de

    Geheim: Die Gesichter der Folterer
    Täter, Opfer – Methoden in Spanien, USA, Irak und Afghanistan

    Postfach 270324, 50509 Köln, Redaktion-geheim@geheim-magazin.de; www.geheim-magazin.de

    In Deutschland Schutz gesucht: Kinder in Abschiebungshaft; Infoblatt (4 S); Hrsg.: Förderverein PRO ASYL e.V., Interkultureller Rat in Deutschland e.V., Postfach 160624, 60069 Frankfurt/Main, Tel.: 069/ 236088, Fax- 236050, www.proasyl.de

    Jörg Alt: Auswirkungen des neuen Zuwanderungsgesetzes auf den Problemkomplex Illegalität, August 2004, erhältlich als 3-seitige Zusammenfassung oder 32-seitiges Original in Internet unter http://www.joerg-alt.de

    Bayerischer Flüchtlingsrat: infodienst 03-Juli/ August 2004: Europa macht die Schotten dicht;  Hrsg.: Förderverein Bayerischer Flüchtlingsrat e.V., Augsburger Strasse 13, 80337 München, Tel.: 089/ 76 22 34, Fax: - 76 22 36, bfr@ibu.de

    Bernhard Schäfer: “Die Individualbeschwerde nach dem Fakultativprotokoll zum Zivilpakt”; Ein Handbuch für die Praxis, Hg.: Deutsches Institut für Menschenrechte, Zimmerstrasse 26/27, 10969 Berlin, Tel.: 030/2593590, Fax: -59, info@institut-fuer-menschenrechte.de, www.institut-fuer-menschenrechte.de, April 2004

    Hubert Heinhold, Georg Classen: Das Zuwanderungsgesetz – Hinweise für die Flüchtlings-sozialarbeit, Hrsg.: Informationsverbund Asyl/ZDWF e.V., Verlag IBIS e.V., Alexanderstrasse 48, 26121 Oldenburg, Tel.: 0441-884016, Fax: 9849606, IBISeV.OL@t-online.de

    Ausländerrecht 2005, aktuelle Gesetzestexte, Kurzinfos, Übersichten, Stichwortverzeichnis, Ariadne – Buchdienst, Kiefernweg 13, 76149 Karlsruhe, Fax: 0721-788370, info@Ariadne.de, Bestell-Nr. 0-440

    Dokumentation zur Verleihung der Ossietzky-Medaille 2003 ist über das Liga-Büro zu erhalten - mit der Eröffnungsrede von Rolf Gössner, der Laudatio von Eberhard Radczuweit, den Dankesreden von Gerit von Leitner sowie von Benedikt Schirge und Annemarie Friedrich für die Bürgerinitiative „Freie Heide“. Zu beziehen über das Liga-Büro (ab Dezember).

     

    Veröffentlichungen von und Interviews mit Rolf Gössner (Auswahl seit August 2004)

    Der gläserne Passagier ist der Willkür ausgeliefert. Der skandalöse Transfer sensibler Fluggastdaten an US-Sicherheitsbehörden verstößt gegen Bürgerrechte und europäischen Datenschutz, in: FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 18.08.2004; GEHEIM 3/2004, S. 4.

    Bürgerrechte in Terrorzeiten (ND-Kolumne „Brüsseler Spitzen“), in: NEUES DEUTSCHLAND vom 17.09.2004 (Europa-Seite).

    Die Berufsverbote kehren zurück, in: OSSIETZKY 19/2004, S. 653 ff.; GEHEIM 3/2004, S. 7 f.

    Verantwortlichkeit im Internet – Zum (straf-) rechtlichen Risiko beim Betreiben einer interaktiven Website, in: FIfF-KOMMUNIKATION 3/04, S. 11 ff.

    Vor 20 Jahren Plakate geklebt. Berufsverbote: Kehrt mit den „Antiterror“-Gesetzen ein tot geglaubter Geist zurück? In: FREITAG 42 v. 8.10.2004.

    Bürgerrechtswidriger Zustand – zu Meisterzwang und Kriminalisierung von Handwerkern, in: FREIBRIEF – Zeitung für Existenzgründung, Berufs- und Gewerbefreiheit im Handwerk 2/2004, S. 7.

    Gläserne Leistungsempfänger. Die Bundesagentur für Arbeit verstößt mit ihren Fragebögen zum Arbeitslosengeld II massiv gegen den Sozialdatenschutz, in: FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 30.10.04.

    Verfolgung Unschuldiger, in: FREITAG v. 5.11.2004

    Hintergrund: „Bürgerrechte als Hemmnisse ?" IZ-Serie "Begegnungen": Rolf Gössner, Vorsitzender der Internationalen Liga für Menschenrechte; in: ISLAMISCHE ZEITUNG vom 08.08.2004.

    „Ein weites Feld für Informanten und Denunzianten“. Bremer Anwalt Rolf Gössner kritisiert Korruptionsbekämpfung per Internet als höchst problematisch, in: WESER-KURIER vom 13.09.2004

     

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    Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Tel. 030 – 396 21 22; Fax 030 – 396 21 47;

    Mail: vorstand@ilmr.org; Internet: www.ilmr.org

    Redaktion 3/2004: Dr. Rolf Gössner, Kilian Stein. Mitarbeit: Lore Kujawa, Marinanne Reiff-Hundt. ViSdP: Kilian Stein.

    Spenden bitte an: Bank für Sozialwirtschaft, Konto 33 17 100; BLZ 100 205 00