FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 30.10.2004
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Die Bundesagentur für Arbeit verstößt mit ihren Fragebögen zum Arbeitslosengeld II massiv gegen den Sozialdatenschutz / Von Rolf Gössner
Die behördliche Neugier kennt keine Grenzen: Mit den
Fragebögen zum neuen Arbeitslosengeld II werden nach Ansicht von Datenschützern
die Persönlichkeitsrechte von Millionen Menschen ausgehöhlt. Deshalb verleihen
Bürgerrechtsorganisationen in diesem Jahr der Bundesagentur für Arbeit einen
BigBrotherAward.
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Der BigBrotherAward in der
Kategorie "Behörden und Verwaltung" wird verliehen an die
Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden
Frank-Jürgen Weise für die Ausgabe eines 16seitigen Antragsformulars an Langzeitarbeitslose,
mit dem hochsensible Daten teils unzulässig abgefragt werden und Informationen
auch unbefugten Stellen zugänglich werden können. Damit verstößt die
Bundesagentur massiv gegen den Sozialdatenschutz, das Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung und den Grundsatz der Datensparsamkeit.
"Haben... die mit Ihnen im Haushalt lebenden Angehörigen Vermögen? Bank-
und Sparguthaben, Bargeld..., Kraftfahrzeug, Wertpapiere...,
Kapitallebensversicherungen, Bausparverträge..., Wertsachen, Gemälde?"
oder "Kann... Ihrer Einschätzung nach mindestens drei Stunden täglich
einer Erwerbstätigkeit... nachgehen?" oder "Name, Anschrift und
Bankverbindung des Vermieters".
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Dies sind nur wenige Zitate aus dem
umfangreichen Antragsbogen für das kommende Arbeitslosengeld II (ALG II). Die
Antragsteller müssen auf diesen Formularen entblößende Auskünfte über
Einkommens-, Vermögens-, Wohn- und Familienverhältnisse offenbaren. Das
betrifft Millionen Arbeitslose, denen seit Juli 2004 entsprechende Formulare
zugesandt worden sind.
Hartz IV und ALG II stellen einen Generalangriff auf den Sozialstaat dar, der
zu massiven sozialen Verwerfungen führen kann. Doch allein schon die
datenschutzrechtlichen Probleme sind einen BigBrotherAward wert. Mit dem
Antragsbogen sind gravierende Eingriffe in die informationelle
Selbstbestimmung, die Persönlichkeitsrechte, die Privat- und Intimsphäre der
Antragsteller verbunden.
Fünf Beispiele
1.Offenlegung der Lebensverhältnisse Dritter: In den Erfassungsbögen müssen
nicht nur die Antragsteller Angaben zu ihren Einkommens-, Vermögens-, Familien-
und Wohnverhältnissen machen und durch entsprechende Nachweise belegen. Sie
sehen sich auch gezwungen, sensible Daten über andere Personen anzugeben,
insbesondere über ihre Kinder, Ehe- und Lebenspartner, andere Angehörige oder
Mitbewohner in sogenannten Bedarfsgemeinschaften. Diese wissen im Zweifel noch
nicht mal von der Weitergabe und Verarbeitung ihrer Daten.
2.Mangelhafte Eingrenzung der Fragen: Darüber hinaus wird in den Antragsbögen
an vielen Stellen nicht unterschieden zwischen einerseits der
"Bedarfsgemeinschaft", zu der Eltern und Kinder gehören, und
andererseits einer "Haushaltsgemeinschaft", also der bloßen
Wohngemeinschaft, auch wenn es sich bei dem Mitbewohner um einen Onkel handelt.
Zu reinen Haushaltsgemeinschaften müssen zumeist keine Angaben gemacht werden,
aber dieser Hinweis fehlt in den Antragsformularen.
Auf diese Weise werden Antragsteller hinters Licht geführt und zu Informationen
verleitet, die sie weder machen müssen, noch eigentlich machen dürfen.(Das
Bundesverfassungsgericht hat in einem am Freitag bekannt gewordenen Beschluss
klargestellt, dass Langzeitarbeitslose keine persönlichen Angaben über
Mitbewohner ihrer Wohngemeinschaft oder Untermieter machen müssen, wenn diese
keine Lebenspartner sind, d.Red.)
3.Einsicht Unbefugter in geschützte Daten: Vom Antragsteller sowie von dessen
erwerbstätigen Angehörigen und Mitbewohnern wird verlangt,
Verdienstbescheini-gungen von den jeweiligen Arbeitgebern beizubringen. Dafür
ist das so genannte Zusatzblatt 2
("Einkommenserklärung/Verdienstbescheinigung") vorgesehen - und zwar
die Rückseite. Auf der Vorderseite findet der Arbeitgeber oder irgendein
ausfüllender Kollege aus der Personalabteilung die eigentlich zu schützenden
Daten ihrer Mitarbeiter und der Antragsteller.
Normalerweise braucht aber niemand seinem Arbeitgeber zu offenbaren, was er
sonst noch für Einnahmen hat, dass er ALG II beantragen muss oder dass er mit
einem ALG-II-Empfänger zusammenlebt. Das wäre mit dem Sozialgeheimnis und dem
Persönlichkeitsrecht nicht vereinbar und könnte sich im Einzelfall nachteilig
auswirken.
Alles über Vermieter
4.Die Antragsteller werden aufgefordert, auch Name, Anschrift und
Bankverbindung des Vermieters anzugeben. Über diese Angaben könnte der
Vermieter erfahren, dass der Antragsteller Bezieher von ALG II ist, was zu Nachteilen
führen kann. So wird die Bankverbindung ohne Einschränkung abgefragt, obwohl
eine Pflicht zur Beantwortung nicht besteht. Schließlich darf eine direkte
Überweisung der Unterkunftskosten an den Vermieter nur dann erfolgen, wenn der
Antragsteller zuvor schriftlich eingewilligt hat. Mit den erhobenen Daten
könnte illegalerweise die bundesweit größte Vermieterdatenbank mit mehreren
Millionen Datensätzen entstehen - ob da ein bloßes Versprechen der
Bundesregierung ausreicht, dass "Vermieterdaten nicht bundesweit
automatisiert gespeichert" werden, ist fraglich.
5.Angaben zur Unterbringung in einer stationären Einrichtung können das
Arztgeheimnis aushebeln, zumal entsprechende Unterlagen verlangt werden, um die
Unterbringung zu belegen. Das gleiche gilt für die Ärztliche Bescheinigung zur
Aner-kennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung, in der die Art
der Erkrankung/Diagnose, die Krankenkost und das Körpergewicht angegeben werden
müssen.
Angesichts der massiven Kritik an den Antragsbögen lud Bundeswirtschaftsminister
Wolfgang Clement (SPD) Arbeitslose ein, sich doch an ihn persönlich zu wenden,
falls Probleme beim Ausfüllen auftreten sollten: "Wer nicht zurecht kommt,
soll mich anrufen", lautet sein saloppes Angebot. Das Ausfüllen dauere
höchstens eine halbe bis dreiviertel Stunde. Ein - vielleicht willkommener -
Nebeneffekt des flotten Ausfüllens ist: Wer so schnell ausfüllt, übersieht am
ehesten die Tücken, auch die datenschutzrechtlichen. Dieser
Beschwichtigungsversuch ist also so populistisch wie zynisch - denn die
gravierenden Mängel der Fragebögen sind auch nach berechtigter Fachkritik nicht
behoben worden.
Seit Juli 2004 wurden die Antragsbögen verschickt, im August gab es ein
dringendes Gespräch mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz, Peter Schaar,
wegen erhebli-cher rechtlicher Bedenken. Das Ergebnis: Die Bundesanstalt für
Arbeit hat die Kritik weitgehend eingesehen. Zukünftig sollen
datenschutzgerechte Antragsbögen verwendet werden. Das ist die gute Nachricht -
die schlechte: Vor Februar 2005 seien diese neuen Bögen aber nicht einsetzbar.
Millionen von Menschen müssen also, wenn sie im Januar Geld zum Leben erhalten
wollen, die alten, datenschutzwidrigen Formulare ver-wenden. Zwar hat die
Bundesagentur im September neue Ausfüllhinweise (Stand 16.9.04) herausgegeben
und darin etliche Fehler eingestanden und zu korrigieren versucht; aber die
kamen für manche Antragsteller zu spät, sind vielen noch immer nicht bekannt.
Unter Generalverdacht
Mit den Melde- und Nachweispflichten werden zukünftige Empfänger von
Arbeitslosengeld praktisch unter den Generalverdacht des potentiellen
Leistungsmissbrauchs gestellt - Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat es
klar und deutlich ausgedrückt, als er von der "Mitnahme-Mentalität"
bei staatlichen Sozialleistungen bis weit in die Mittelschicht hinein
gesprochen hat. Auch nach Antragstellung müssen Leistungs-Empfänger damit
rechnen, weiter durchleuchtet zu werden. Außerdem sind ihre personenbezogenen
Daten nicht ausreichend geschützt. Hierfür drei Beispiele:
1.Fehlerhafte Software: Die geplante automatische Verarbeitung der mit den
Antrags-formularen erhobenen Daten stößt auf erhebliche datenschutzrechtliche
Bedenken - zumal inzwischen bekannt geworden ist, dass die Software mit
systematischen Fehlern behaftet ist. Bisher weist alles darauf hin, dass es bei
dem bundesweiten Datenverarbeitungssystem keinerlei Zugriffsbeschränkungen
gibt. Dies bedeutet, dass nicht nur die örtliche Sachbearbeiterin, sondern
sämtliche Sachbearbeiter aller Arbeitsagenturen bundesweit auf sämtliche
hochsensiblen Daten aller Arbeitslosen Zugriff erhalten, ohne dass wirksame
Missbrauchsvorkehrungen getroffen wären. Wir fragen uns, ob das ein Fehler in
der Software ist oder ein gewünschter Effekt.
2.Geplanter Datenabgleich: Die Bundesagentur hat angekündigt, im Falle von
"Ungereimtheiten" (z.B. Diskrepanzen zu früheren Angaben,
widersprüchliche Angaben aus der Bedarfsgemeinschaft etc.) die Auskünfte der
Betroffenen mit den Daten an-derer Behörden, etwa der Finanzämter oder Rentenversicherungsträger,
abzugleichen. Um die Kontrolle zu perfektionieren, lässt sich sogar auf
"Antiterror"-Gesetze zurückgreifen: Danach müssen alle Geldinstitute
über eine Computer-Schnittstelle jederzeit Informationen über sämtliche Konten
und Depots von allen Bankkunden zum Abruf für die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bereithalten (§ 24c KWG -
Kreditwesengesetz) - ohne dass die Banken oder ihre Kunden von den
Online-Abfragen etwas merken. Den Arbeitsagenturen stehen ab 2005 solche
Finanz-Daten der Leistungsempfänger sowie der Kinder, Ehepartner,
Lebensgefährten und Mitbewohner innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft zur
Verfügung, "wenn eigene Ermittlungen", etwa Nachfragen beim
Betroffenen oder bei Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft durch die
Arbeitsagenturen, "keinen Erfolg versprechen" (§ 93 Abs. 8 AO).
Schnüffeln bei Hausbesuchen
3.Hausbesuche: Die Bundesagentur für Arbeit hat bereits angekündigt, dass zur
Überprüfung von Vermögensangaben und Wohnverhältnissen auch Hausbesuche stattfinden
könnten. Solche Heimsuchungen und Schnüffelmethoden stellen einen schweren
Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen dar und verletzen das Grund-recht
auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Kontrollen in privaten Wohnräumen, um die
Lebensverhältnisse der Antragsteller zu inspizieren, darf es ohne Einwilligung
der Betroffenen nicht geben. Dabei stellt sich aber die Frage, welche
Konsequenzen es haben kann, wenn jemand seine Einwilligung verweigert. Nach
momentaner Rechtslage verletzt er damit seine Mitwirkungspflicht und macht sich
erheblich verdächtig. Von Freiwilligkeit kann hier wohl kaum die Rede sein.
Fazit: Der Umgang der Bundesagentur mit sensiblen personenbezogenen Daten ist
erschreckend. Die behördliche Neugier macht vor kaum einem Lebensbereich der
Millionen von Betroffenen halt. Mit den Erfassungsbögen und der weiteren
Datenverarbeitung werden die Persönlichkeitsrechte von Langzeitarbeitslosen
ausgehöhlt, sie mutieren zu gläsernen Leistungsempfängern.
Die Datenerhebung ist in weiten Teilen rechtlich unzulässig, weil mehr
personenbezogene Daten abgefragt werden, als für die Feststellung des
Leistungsanspruchs unabdingbar sind. Zwar versicherte die Bundesregierung, nur
die erforderlichen Daten würden gespeichert und überflüssige gelöscht (PM vom
24.08.2004). Doch sie hat nicht mitgeteilt, wie sie dafür sorgen will, dass die
unzu-lässig erhobenen Informationen aus den Hunderttausenden von Akten wieder
entfernt werden sollen.
Herzlichen Glückwunsch zu diesem datenschutzrechtlichen Desaster der Bundesagentur
für Arbeit, Herr Weise!
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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 29.10.2004 um 15:28:01 Uhr
Erscheinungsdatum 30.10.2004