„Internationale Liga für Menschenrechte“: „Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte im Fall Öcalan muss Konsequenzen haben“

Liga-Präsident Rolf Gössner:
„Der weitere Umgang mit dem Fall Öcalan wird zu einem Gradmesser für die
Glaubwürdigkeit der türkischen Menschenrechtsentwicklung“

Mit dem heute ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg wird die Türkei wegen rechtsstaatswidriger Bedingungen im Hochverratsprozess gegen den Kurdenführer Abdullah Öcalan verurteilt. Der Angeklagte habe in der Türkei kein faires Verfahren erhalten und sei einer „menschenunwürdigen Behandlung“ unterzogen worden. Dies verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Das Urteil zeige, so Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner heute in Bremen, „dass der Fall Öcalan noch lange nicht Geschichte ist, sondern weit in Gegenwart und Zukunft der Türkei und Europas hineinragt. Der weitere Umgang mit diesem Fall in der Türkei wird ein Gradmesser für die Glaubwürdigkeit der türkischen Menschenrechtsentwicklung sein.“ Nun müsse die Türkei in einem Wiederaufnahme-Verfahren Bedingungen schaffen, die ein faires Verfahren zulassen – sonst hätten die alarmierenden Feststellungen des Europäischen Gerichtshof keine praktischen Auswirkungen. Auch die heftigen und noch zunehmenden Auseinandersetzungen über eine Neuverhandlung des Öcalan-Prozesses dürften die Türkei nicht davon abhalten.

Die Liga appelliert deshalb an die EU-Organe, gerade im Vorfeld der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei darauf achten, dass der Straßburger Richterspruch tatsächlich umgesetzt wird, dass es also zu einer Neuverhandlung des Falles kommt und dass dieser unter fairen, menschenrechtlichen Bedingungen durchgeführt wird.

Darüber hinaus müsse der Fall Öcalan im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen angemessene Berücksichtigung finden, fordert Rolf Gössner, „insbesondere auch was die höchst bedenklichen Isolations­haftbedingungen angeht.“ Auch wenn der Europäische Gerichtshof hier keinen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention angenommen hat, so müsse die Isolationshaft auf der Gefängnisinsel Imrali, wo Öcalan als einziger Gefangener festgehalten wird, doch als „äußerst besorgniserregend“ bezeichnet werden. Nach gegenwärtigem Recht könnte Öcalan bis zu neun Jahre unter diesen erschwerten Bedingungen in Einzelhaft gehalten werden. Und die lebenslange Haft wird laut Gesetz tatsächlich bis zum Tode vollstreckt – „streng genommen eine Hinrichtung auf Raten“.

Angesichts des schlechten Gesundheitszustands von Öcalan nach sechs Jahren Isolation fordert die „Internationale Liga für Menschenrechte“ die sofortige Aufhebung der Isolationshaft sowie die Unterlassung aller Will­kürhandlungen, die den Kontakt mit Familienangehörigen und Rechtsanwälten immer wieder schwer beeinträchtigen; darüber hinaus die Entsendung einer unabhängigen Ärztekommission, die sich um den schlechten Gesundheitszustand Öcalans kümmert.

Es geht aber nicht nur um den Fall Öcalan. Bei den EU-Beitrittsverhandlungen muss auch die Kurdenfrage insgesamt einen ganz zentralen Platz einnehmen – mit dem Ziel einer friedlichen und gerechten Lösung, die der kurdischen Bevölkerung endlich sämtliche Menschenrechte und politisch-kulturelle Gleichberechtigung garantiert.

Wir verweisen auf das Interview mit Liga-Präsident Rolf Gössner, das die DEUTSCHE WELLE am 11.05.2005 zu diesem Thema geführt hat. Erklärung unter:

 http://www.dw-world.de/dw/article/0,1564,1580526,00.html

Das gesamte Interview im Wortlaut:
 http://www.dw-world.de/dw/article/0,1564,1580230,00.html