junge Welt

Artikel aus der Beilage

 

antifa (Ausgabe Februar/März 2004)

 

Magazin der VVN-BdA für antifaschistische Politik und Kultur

 

 

Das Gespräch führte Hans Canjé

 

Der Verfassungsschutz gehört aufgelöst

 

»antifa«-Interview mit RA Dr. Rolf Gössner

 

F: Der Untertitel Ihres jüngsten Buches »Geheime Informanten« lautet »V-Leute des Verfassungsschutzes (VS): Kriminelle im Dienste des Staates«. Eine skandalöse Geschichte. Sie stellen die Berechtigung schon des Namens dieser Einrichtung in Frage. Warum?

Nach gründlicher Recherche bin ich in meinem Buch zu dem Ergebnis gekommen, dass der VS als staatliche Institution über seine V-Leute das mitzuproduziert und mitfinanziert, was er als »Frühwarnsystem« eigentlich beobachten und bekämpfen soll: den Rechtsextremismus in diesem Lande. So ist der VS über seine bezahlten Informanten aus der rechten Szene, bei denen es sich ja um hartgesottene Neonazis und Rassisten handelt, Teil des Neonazi-Problems geworden. Dieser Befund hat mit Verfassungsschutz wahrlich nichts mehr zu tun – im Gegenteil: Das ist Verfassungsbruch. Der Begriff »Verfassungsschutz« ist ein Euphemismus, der verschleiern soll, dass es sich um einen ordinären Geheimdienst handelt, der mit Mitteln und Methoden arbeitet, die gemeinhin als schmutzig gelten – und der demokratischen Prinzipien widerspricht, weil er weder transparent noch wirklich kontrollierbar ist. Geheimdienste sind Fremdkörper in einer Demokratie.

F: Die Lektüre offenbart nicht nur rechtliche Bedenken gegen dieses Amt, sondern auch erhebliche Zweifel an dessen Effizienz, wenn Sie sagen, dass zum Beispiel antirassistische und antifaschistische Gruppen mehr Erkenntnisse über die Rechtsextremen zu Tage fördern könnten, als die dürftigen und einseitigen Ermittlungen des VS. Warum aber werden die dann mit solcher Hartnäckigkeit von diesen Diensten beobachtet? Die VVN-BdA steht z.B. seit Jahren unter besonderer geheimdienstlicher Beobachtung.

Tatsächlich steht die hohe Anzahl an V-Leuten in rechten Szenen in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn des VS. Schließlich hat er mit seinen Analysen und Prognosen immer wieder erbärmlich schief gelegen, also als Frühwarnsystem versagt. Lange Zeit hat er die rechte Gewalt als spontan und unorganisiert abgetan, Mitglieder- und Aktivistenzahlen heruntergespielt, Vernetzung und Organisierung geleugnet. Was der VS mit Millionenaufwand zuweilen zutage förderte, war für Kenner der braunen Szene immer wieder recht enttäuschend. Das spricht für wenig Effizienz.

Zu diesen Kennern gehört auch die VVN-BdA, die auf Bundesebene und in zahlreichen Bundesländern ihrerseits unter Beobachtung des VS steht. Die VVN wird dem sogenannten DKP-Umfeld zugerechnet. Sie gilt dem VS als »Scharnier« zwischen Nichtextremisten und Linksextremisten und damit als »linksextremistisch beeinflusste Organisation«, die deswegen geheimdienstlicher Beobachtung bedürfe.

Übel genommen wird der VVN, dass ihr Antifaschismus sich, wie es das Bundesamt für VS formulierte, an der »orthodox-kommunistischen Faschismus-Definition« orientiere, nach der Faschismus und »bürgerliche Demokratie«, verkürzt gesagt, wesensverwandte Methoden zur Sicherung der Herrschaft des Kapitals seien und daher auch der heutige Rechtsextremismus aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft entstehe.

F: Brauchen wir überhaupt eine solche doch recht obskure Einrichtung und was wäre eine Alternative?

Spätestens nach dem NPD-Verbotsdesaster im letzten Jahr und der größten V-Mann-Affäre in der Geschichte der Bundesrepublik gehört der VS auf den Prüfstand und einer Generalrevision unterzogen. Es geht in einem ersten Schritt darum, das V-Mann-Unwesen zu beschneiden, letztlich die unheilvolle Symbiose zwischen Verfassungsfeinden und Verfassungsschutz zu beenden. Doch leider sind auf politischer Ebene bislang keine politischen Konsequenzen gezogen worden.

Darüber hinaus plädiere ich für die Einsetzung eines unabhängigen Geheimdienstbeauftragten, der – ähnlich den Datenschutzbeauftragten – mit weitreichenden Prüfkompetenzen wie Akteneinsichts- und Vernehmungsrecht ausgestattet werden muss, um die notorisch mangelhafte Kontrolle der Geheimdienste wenigstens zu professionalisieren und zu intensivieren.

Meines Erachtens wäre jedoch eine offen arbeitende wissenschaftliche Dokumentationsstelle zur Beobachtung, Erforschung und Analyse des Rechtsextremismus besser in der Lage, die Entwicklung in diesem Bereich zu diagnostizieren und zu analysieren, Politikberatung zu betreiben und Gegenstrategien zu entwickeln – besser als eine unkontrollierbare und interessengeleitete Geheiminstitution. Zu diesen Gegenstrategien müssten eine konsequente Antidiskriminierungspolitik, die Stärkung der Position von Minderheiten und eine bessere Unterstützung von Opfern rechter Gewalt zählen. Problematisiert werden müsste besonders der populistische Umgang mit den Themen Flucht, Asyl und Zuwanderung, mit dem Parteipolitik und Regierungen dem rechtsextremen Spektrum häufig genug zugearbeitet haben. Es geht also um sozial- und verfassungsverträgliche Lösungsansätze – jenseits von V-Mann-Seligkeit und geheimdienstlichen Verstrickungen, jenseits von Rassisten und Schlägern im Dienste des Staates.

F: Also weg mit dieser Art »Verfassungsschutz« und, was den Herausgeber dieses Blattes angeht: Schluss mit der diskriminierenden Beobachtung der VVN-BdA?

Prinzipiell ja. Die sauberste, aber in der gegenwärtigen Lage nicht mehrheitsfähige Lösung wäre, den VS als Inlandsgeheimdienst aufzulösen, weil seine Arbeit mit demokratischen Prinzipien und rechtsstaatlichen Verfahren nicht zu vereinbaren ist. Das wäre dann womöglich auch ein wirklich schwerer Schlag gegen die Neonazi-Szene – so vermutete schon vor Jahren der Neonazi-Aussteiger und Journalist Jörg Fischer, weil dann nämlich ihr »größter Arbeit- und Geldgeber auf einmal weg wäre«.

Und mit der Auflösung des VS als Geheimdienst entfiele auch die nachrichtendienstliche Beobachtung etwa der VVN-BdA, die längst zum politischen Dauer-Skandal geworden ist. Diese diskriminierende Ausforschung einer weithin anerkannten antifaschistischen Kraft muss umgehend beendet werden.

 

Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater. Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren auf Bundes- und Länderebene. Seit März 2003 Präsident der »Internationalen Liga für Menschenrechte« (Berlin). Mitherausgeber der Zweiwochenschrift »Ossietzky« sowie Mitglied der Jury zur jährlichen Verleihung des Negativpreises »BigBrotherAward« an Institutionen, die in besonderem Maße gegen den Datenschutz verstoßen. Sein neuestes Buch: »Geheime Informanten: V-Leute des Verfassungsschutzes – Kriminelle im Dienst des Staates«, Knaur-Verlag, München 2003. Weitere Informationen: www.rolf-goessner.de