junge
Welt |
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Artikel aus der Beilage |
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Das Gespräch führte Hans Canjé |
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Der Verfassungsschutz gehört aufgelöst
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»antifa«-Interview mit
RA Dr. Rolf Gössner |
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F: Der Untertitel
Ihres jüngsten Buches »Geheime Informanten« lautet »V-Leute des Verfassungsschutzes
(VS): Kriminelle im Dienste des Staates«. Eine skandalöse Geschichte. Sie stellen
die Berechtigung schon des Namens dieser Einrichtung in Frage. Warum? Nach gründlicher
Recherche bin ich in meinem Buch zu dem Ergebnis gekommen, dass der VS als
staatliche Institution über seine V-Leute das mitzuproduziert und
mitfinanziert, was er als »Frühwarnsystem« eigentlich beobachten und
bekämpfen soll: den Rechtsextremismus in diesem Lande. So ist der VS über
seine bezahlten Informanten aus der rechten Szene, bei denen es sich ja um
hartgesottene Neonazis und Rassisten handelt, Teil des Neonazi-Problems geworden.
Dieser Befund hat mit Verfassungsschutz wahrlich nichts mehr zu tun – im
Gegenteil: Das ist Verfassungsbruch. Der Begriff »Verfassungsschutz« ist ein
Euphemismus, der verschleiern soll, dass es sich um einen ordinären
Geheimdienst handelt, der mit Mitteln und Methoden arbeitet, die gemeinhin
als schmutzig gelten – und der demokratischen Prinzipien widerspricht, weil
er weder transparent noch wirklich kontrollierbar ist. Geheimdienste sind
Fremdkörper in einer Demokratie. F: Die Lektüre
offenbart nicht nur rechtliche Bedenken gegen dieses Amt, sondern auch erhebliche
Zweifel an dessen Effizienz, wenn Sie sagen, dass zum Beispiel
antirassistische und antifaschistische Gruppen mehr Erkenntnisse über die
Rechtsextremen zu Tage fördern könnten, als die dürftigen und einseitigen
Ermittlungen des VS. Warum aber werden die dann mit solcher Hartnäckigkeit
von diesen Diensten beobachtet? Die VVN-BdA steht z.B. seit Jahren unter
besonderer geheimdienstlicher Beobachtung. Tatsächlich steht die
hohe Anzahl an V-Leuten in rechten Szenen in keinem Verhältnis zum
Erkenntnisgewinn des VS. Schließlich hat er mit seinen Analysen und Prognosen
immer wieder erbärmlich schief gelegen, also als Frühwarnsystem versagt.
Lange Zeit hat er die rechte Gewalt als spontan und unorganisiert abgetan,
Mitglieder- und Aktivistenzahlen heruntergespielt, Vernetzung und
Organisierung geleugnet. Was der VS mit Millionenaufwand zuweilen zutage
förderte, war für Kenner der braunen Szene immer wieder recht enttäuschend.
Das spricht für wenig Effizienz. Zu diesen Kennern gehört
auch die VVN-BdA, die auf Bundesebene und in zahlreichen Bundesländern
ihrerseits unter Beobachtung des VS steht. Die VVN wird dem sogenannten
DKP-Umfeld zugerechnet. Sie gilt dem VS als »Scharnier« zwischen
Nichtextremisten und Linksextremisten und damit als »linksextremistisch
beeinflusste Organisation«, die deswegen geheimdienstlicher Beobachtung
bedürfe.
Übel genommen wird der VVN, dass ihr Antifaschismus sich, wie es das
Bundesamt für VS formulierte, an der »orthodox-kommunistischen
Faschismus-Definition« orientiere, nach der Faschismus und »bürgerliche
Demokratie«, verkürzt gesagt, wesensverwandte Methoden zur Sicherung der
Herrschaft des Kapitals seien und daher auch der heutige Rechtsextremismus
aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft entstehe. F: Brauchen wir
überhaupt eine solche doch recht obskure Einrichtung und was wäre eine Alternative? Spätestens nach dem
NPD-Verbotsdesaster im letzten Jahr und der größten V-Mann-Affäre in der
Geschichte der Bundesrepublik gehört der VS auf den Prüfstand und einer
Generalrevision unterzogen. Es geht in einem ersten Schritt darum, das
V-Mann-Unwesen zu beschneiden, letztlich die unheilvolle Symbiose zwischen
Verfassungsfeinden und Verfassungsschutz zu beenden. Doch leider sind auf
politischer Ebene bislang keine politischen Konsequenzen gezogen worden. Darüber hinaus plädiere
ich für die Einsetzung eines unabhängigen Geheimdienstbeauftragten, der –
ähnlich den Datenschutzbeauftragten – mit weitreichenden Prüfkompetenzen wie
Akteneinsichts- und Vernehmungsrecht ausgestattet werden muss, um die
notorisch mangelhafte Kontrolle der Geheimdienste wenigstens zu
professionalisieren und zu intensivieren. Meines Erachtens wäre
jedoch eine offen arbeitende wissenschaftliche Dokumentationsstelle zur
Beobachtung, Erforschung und Analyse des Rechtsextremismus besser in der
Lage, die Entwicklung in diesem Bereich zu diagnostizieren und zu analysieren,
Politikberatung zu betreiben und Gegenstrategien zu entwickeln – besser als
eine unkontrollierbare und interessengeleitete Geheiminstitution. Zu diesen
Gegenstrategien müssten eine konsequente Antidiskriminierungspolitik, die
Stärkung der Position von Minderheiten und eine bessere Unterstützung von
Opfern rechter Gewalt zählen. Problematisiert werden müsste besonders der
populistische Umgang mit den Themen Flucht, Asyl und Zuwanderung, mit dem
Parteipolitik und Regierungen dem rechtsextremen Spektrum häufig genug
zugearbeitet haben. Es geht also um sozial- und verfassungsverträgliche Lösungsansätze
– jenseits von V-Mann-Seligkeit und geheimdienstlichen Verstrickungen,
jenseits von Rassisten und Schlägern im Dienste des Staates. F: Also weg mit dieser Art
»Verfassungsschutz« und, was den Herausgeber dieses Blattes angeht: Schluss
mit der diskriminierenden Beobachtung der VVN-BdA? Prinzipiell ja. Die
sauberste, aber in der gegenwärtigen Lage nicht mehrheitsfähige Lösung wäre,
den VS als Inlandsgeheimdienst aufzulösen, weil seine Arbeit mit
demokratischen Prinzipien und rechtsstaatlichen Verfahren nicht zu
vereinbaren ist. Das wäre dann womöglich auch ein wirklich schwerer Schlag
gegen die Neonazi-Szene – so vermutete schon vor Jahren der
Neonazi-Aussteiger und Journalist Jörg Fischer, weil dann nämlich ihr
»größter Arbeit- und Geldgeber auf einmal weg wäre«. Und mit der Auflösung des VS als
Geheimdienst entfiele auch die nachrichtendienstliche Beobachtung etwa der
VVN-BdA, die längst zum politischen Dauer-Skandal geworden ist. Diese
diskriminierende Ausforschung einer weithin anerkannten antifaschistischen
Kraft muss umgehend beendet werden. |
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Dr. Rolf Gössner ist
Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater. Sachverständiger in
Gesetzgebungsverfahren auf Bundes- und Länderebene. Seit März 2003 Präsident
der »Internationalen Liga für Menschenrechte« (Berlin). Mitherausgeber der
Zweiwochenschrift »Ossietzky« sowie Mitglied der Jury zur jährlichen Verleihung
des Negativpreises »BigBrotherAward« an Institutionen, die in besonderem Maße
gegen den Datenschutz verstoßen. Sein neuestes Buch: »Geheime Informanten:
V-Leute des Verfassungsschutzes – Kriminelle im Dienst des Staates«,
Knaur-Verlag, München 2003. Weitere Informationen: www.rolf-goessner.de |
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