WESER-KURIER 07-10-2003 |
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Für staatliche Spitzel gibt’s auch mal Strafnachlass
Bremer
Publizist Rolf Gössner kritisiert in neuem Buch
die Zusammenarbeit von
V-Leuten mit dem Verfassungsschutz
Von unserem
Redakteur Rainer Kabbert
Bremen. Staatliche Spitzel in rechtsextremen Parteien
– ein heikles Feld. Nicht erst, seit dem das Verbotsverfahren gegen die NPD im
Desaster endete, spielen die V-Leute eine zwiespältige Rolle. Der Bremer
Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner hat in seinem jüngst erschienenen Buch
(„Geheime Informanten“) die Problematik in einem breit gefächerten Ansatz
untersucht. Seine Fallbeispiele aus dem politischen Bodensatz in Deutschland –
neben NPD und Republikanern geht es auch um eine Fülle rechtsextremer
Organisationen wie Skinhead-Gruppen oder extremistischer Musik-Bands – lesen
sich wie ein Dokumentar-Krimi.
Hauptvorwurf Gössners: Der Verfassungsschutz ist
selbst Teil des Problems, nicht aber die Lösung. Er beobachte nicht nur die
rechtsextremistische Szene, er greife auch über seine V-Leute aktiv in das
Milieu ein. Zum Teil mit erschreckenden Konsequenzen.
Zwei Beispiele für Viele. So sollen, behauptet
Gössner, drei der Angeklagten im Mordprozess um den Anschlag auf eine Solinger
Familie auch im Kampfsportverein eines stadtbekannten Neonazis ein und
ausgegangen sein. Der Besitzer des Vereins stand als Spitzel auf der
Honorarliste des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Damit aber,
resümiert Gössner, habe der Verfassungsschutz „zumindest eine moralische
Mitschuld an dem Solinger Brandanschlag“. Denn der Kampfsportverein habe sich
als „braune Kontaktstelle unter den Augen des Geheimdienstes“ erwiesen.
Beispiel zwei: Vor dem Berliner Kammergericht
müssen sich zur Zeit Mitglieder der rechtsextremistischen Band „Landser“ verantworten.
Ihnen wird Aufruf zum Mord an Prominenten wie dem Neonazi-Gegner Michel
Friedman vorgeworfen. Am Vertrieb der CD’s waren auch zwei V-Leute des
brandenburgischen Verfassungsschutzes beteiligt.
Die drohende Verflechtung der
Verfassungsschutzbehörden mit kriminellem Milieu scheint auch Konsequenzen für
Strafverfahren zu haben. Gössner zitiert aus einem Urteil des Berliner
Kammergerichts, wonach das „unverantwortliche und nicht nachvollziehbare
Verhalten“ des Brandenburger Verfassungsschutzes als strafmildernd bewertet wird.
Der Angeklagte habe die Taten „jeweils mit Wissen und Billigung des Landesamts
für Verfassungsschutz begangen und ist hierfür auch noch belohnt worden“.
Auf welches Feld darf sich der Verfassungsschutz
vorwagen, um seine Aufgaben zu erfüllen, ohne rechtsstaatliche Grenzen zu
verletzen? Nach Ansicht von Gössner tendieren Politiker dazu, den Verfassungsschutz
eher an der langen Leine laufen zu lassen. Innenpolitiker von Union und SPD
stellen sich hinter das Bundesamt für Verfassungsschutz. Und in den Parlamentarischen
Kontroll Kommissionen der Parlamente, zuständig für die Überwachung der
Verfassungsschützer, so Gössner, werde eher unkritisch kontrolliert.
Dagegen fordern Staatsanwälte und Richter einen
eng begrenzten Rahmen. Der Verfassungsschutz dürfe keinesfalls Straftaten von
V-Leuten zulassen, und die Delikte dürften auch nicht ohne strafrechtliche
Konsequenzen bleiben.
Gössner geht noch weiter. Der V-Leute-Einsatz
sollte per Gesetz verboten oder zumindest als Ultima-Ratio-Methode erklärt
werden. So könne etwa die rechtliche Eingriffsschwelle angehoben werden, ab der
V-Leute eingesetzt werden dürfen. Als Alternative zu geheimen Diensten plädiert
Gössner für wissenschaftliche Dokumentationsstellen, die Rechtsextremismus
beobachten und analysieren.
(Rolf Gössner: Geheime Informanten. V-Leute des
Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates, Knaur-Taschenbuchverlag,
München 2003, 316 Seiten)