WESER-KURIER v. 22.6.2005
Rolf Gössner: Ausgerechnet die
Kontrolleure verfassungsfeindlicher Umtriebe werden nicht effektiv kontrolliert
Der Bremer
Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner stellt Politik und Sicherheitsbehörden
bundesweit ein schlechtes Zeugnis im Umgang mit politischem Extremismus aus. Im
Gespräch mit unserer Redakteurin Christine Kröger hat er vor allem die Geheimdienste
im Visier.
Frage: Herr
Gössner, sind Sie noch auf der Höhe der Zeit? Die Hysterie wegen mordender Linksterroristen
und die heimliche Sympathie für Rechtsextreme in Politik und Behörden sind doch
längst vorbei. Heute rufen Politiker aller demokratischen Parteien zum
"Aufstand der Anständigen" gegen Neonazis auf.
Rolf Gössner: Und was tun sie konkret? Sie schaffen
ein schärferes Versammlungsrecht und werkeln an Verboten, die die Demokratie
nicht gerade stärken und die wirklichen Probleme verdrängen. Dabei wird vergessen,
dass etwa die NPD als Sammelbecken für Rechtsextremisten aus den verschiedenen
Lagern ein Problem ist, das sich die "wehrhafte Demokratie" teils
selbst geschaffen hat. Indem sie in den 90er-Jahren kleine rechtsextreme
Organisationen und Kameradschaften verboten hat. Deren Anhänger ließen sich
aber nicht verbieten, tummeln sich jetzt in der NPD und haben diese
radikalisiert.
Haben Sie bessere Vorschläge als Verbote?
Wir müssen weg von der Konzentration auf
die extremistischen Ränder der Gesellschaft. Denn der Rechtsruck hat seinen
Ausgang in der Mitte der Gesellschaft genommen, dort findet rassistische Gewalt
ihren fremdenfeindlichen Nährboden. Deshalb muss die politische Auseinandersetzung
forciert und flankiert werden von Gegenstrategien wie einer konsequenten Antidiskriminierungspolitik
und einer humanen Asyl- und Migrantenpolitik. Gefordert sind also sozial- und
verfassungsverträgliche Lösungen - jenseits von V-Mann-Seligkeit und geheimdienstlichen
Verstrickungen, die das NPD-Verbotsverfahren zu Recht haben scheitern lassen.
Sie sind kein Freund der Geheimdienste . . .
. . . weil
Geheimdienste in einer Demokratie Fremdkörper sind. Sie sind weder transparent
noch demokratisch kontrollierbar. Die Feinde der Demokratie sollen also auf
undemokratische Weise im Zaum gehalten werden. Wohin das führt, hat das
NPD-Verfahren gezeigt. Der bezahlte V-Mann eines Geheimdienstes wird fast
zwangsläufig zum agent provocateur: Je mehr passiert, umso wichtiger ist er für
seinen Brötchengeber. Beispielsweise hatten V-Leute über Jahre die boomende
Neonazi-Musikszene fest im Griff. So verstrickt sich der Verfassungsschutz und
wird selbst Teil des Neonaziproblems.
Aber es gibt
doch Kontrolleure des Geheimdienstes, in Bremen die Parlamentarische Kontrollkommission
der Bürgerschaft.
Die erstens zu totalem Stillschweigen
verdonnert ist und zweitens unzureichende Befugnisse hat. Oder glauben Sie, die
Kommission besitzt eine Liste der V-Leute des Verfassungsschutzes und ihrer
Einsatzbereiche? Nein, die Kontrolleure verfassungsfeindlicher Umtriebe werden
selbst nicht effektiv kontrolliert. Dieses Kontrolldefizit begünstigt
skandalöse Machenschaften. Die Dienste und ihre politisch Verantwortlichen
bekommen zu viel Definitionsmacht - etwa, was denn so alles unter "linksextremistische
Bestrebung" fällt.
Diese
Definition kritisieren Sie schon seit Jahren.
Liest man die Verfassungsschutzberichte
von Bund und Ländern aufmerksam und gläubig, fühlt man sich von Linksextremisten
geradezu umzingelt. Das Spektrum der Beobachteten geht Autonomen und
Anarchisten über Friedensaktivisten, Atom- und Globalisierungsgegnern bis zu
Antifaschisten . . .
. . . ich
bin auch für Frieden und gegen Faschismus . . .
. . . dann sehen Sie sich
mal gelegentlich um, ob Ihnen ein Schlapphut folgt. Spaß beiseite: Die hoheitlichen
Verrufserklärungen gegen links treiben wirklich Blüten. Aber auch die
Strafverfolgungsbehörden behandeln links und rechts motivierte Taten
unterschiedlich. Das zeigt ein Blick auf die Verfahren nach den Paragrafen 129
und 129 a des Strafgesetzbuches.
Sie sprechen von den so genannten
terroristischen und kriminellen Vereinigungen.
Ja, bis in die 90er-Jahre wurden diese
Paragrafen praktisch ausschließlich gegen Mitglieder, Unterstützer oder
Sympathisanten von vermeintlich oder tatsächlich linksextremistischen Organisationen
angewendet, obwohl es bereits in den 80er-Jahren "Rechtsterror" gab
und 36 Menschen als Opfer rechter Gewalt starben - mehr als drei mal so viele
wie im gleichen Zeitraum Opfer von Linksterror wurden. Und seit 1990 sind schon
mehr als 100 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen.
Mittlerweile
gibt es 129- und 129 a-Verfahren auch gegen Rechtsextreme.
In jüngster Zeit wurden die Mitglieder
der Neonazi-Band "Landser" und einiger weniger neonazistischer
Kameradschaften nach diesen Paragraphen verurteilt. Aber im Vergleich zu Terrorismusverfahren
gegen links immer noch absolut wenig.
Warum tut
sich der Staat Ihrer Meinung nach so viel schwerer mit der juristischen Verfolgung
von Rechtsextremisten als mit der vermeintlicher oder tatsächlicher
Linksextremisten?
Das könnte unter anderem mit den Opfern
rechter und linker Gewalt zu tun haben. Linke Gewalt richtet sich in erster
Linie gegen staatliche und wirtschaftliche Einrichtungen und hohe Funktionsträger.
Rechter Terror zielt dagegen meist gegen soziale Minderheiten wie Ausländer,
Juden, Homosexuelle oder Behinderte - also gegen Menschen, die keine starke
Lobby haben.
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