unsere zeit - Zeitung der DKP

17. Oktober 2003

 

Hintergrund

 

 

Kriminelle im Dienste des Staates
"Ergiebige" V-Leute müssen auch "gute" Neonazis und gnadenlose Rassisten sein

UZ-Interview mit Rolf Gössner

Welche Straftaten haben V-Leute in der Nazi-Szene veranlasst, angestiftet, selbst begangen, vertuscht - wie viele Angriffe auf Flüchtlinge, Obdachlose, Linke, welche Brandstiftungen und Körperverletzungen gehen auf ihr Konto, wie viele Hakenkreuzschmierereien und NS-Propagandadelikte? Rolf Gössner schildert in seinem neuen Buch die unheimliche Symbiose von Verfassungsfeinden und Verfassungsschützern. UZ sprach mit dem Bremer Rechtsanwalt über sein Buch "Geheime Informanten - V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates"

UZ: Sie konzentrieren sich in ihrem neuen Buch auf die geheimdienstliche Infiltration rechter Szenen und Organisationen. Auf welche Quellen stützen sich ihre Recherchen?

Rolf Gössner: Recherchen im Geheimdienst-Milieu sind naturgemäß recht schwierig und mühsam. Und schon aus Gründen des Informantenschutzes nicht öffentlich zu präsentieren. Um Licht ins Dunkel, das die V-Mann-Sphäre umgibt, zu bringen, habe ich erstmals systematisch Gerichtsurteile und Prozessunterlagen ausgewertet, die über die erschreckend kriminellen Karrieren vieler V-Leute detailliert Auskunft geben. Nicht zuletzt das NPD-Verbotsverfahren und die bislang größte V-Mann-Affäre in der Geschichte der Bundesrepublik geben vergleichsweise tiefe Einblicke in das bundesdeutsche V-Leute-Unwesen.

Darüber hinaus habe ich viele Gespräche geführt und ausgewertet, teils unter konspirativen Umständen - mit Tätern und Opfern, mit Staatsanwälten und Richtern, mit Anwälten und Journalisten, mit Geheimdienstlern und Politikern. Ohne die Mithilfe geheimer und - in der Mehrzahl - nicht geheimer Informanten aus Politik, Sicherheitsbehörden, Justiz, Wissenschaft und Medien hätte diese Arbeit nicht bewältigt werden können.

Zusammen mit bislang nicht zugänglichen Dienstanweisungen, Behördenzeugnissen und anderen nicht ausgewerteten Dokumenten konnte ich aufschlussreiche Fallstudien betreiben, die einen tieferen Einblick vermitteln in das "aufregende" Agentenleben von geworbenen, gedungenen und sich andienenden V-Leuten. Von Menschen mit Decknamen, die für einen "Judaslohn", der in einzelnen Fällen in die Hunderttausende gehen kann, käuflich sind, die sich täglich verstellen müssen, lügen und betrügen, sich in große Gefahr begeben und mit dem schweren Vorwurf des Verrats leben müssen. Und die im Zweifel schnell und gnadenlos abgeschaltet und fallen gelassen werden.

UZ: Was ist aus ihrer Sicht die Hauptproblematik der V-Mann-Praxis im rechten Spektrum?

Rolf Gössner: Dass "ergiebige" V-Leute auch "gute" Neonazis und gnadenlose Rassisten sein müssen. Die "Vertrauensmänner" des Verfassungsschutzes (VS) stammen aus der Neonazi-Szene oder -Organisationen oder werden dort eingeschleust, um dem VS unerkannt Informationen gegen Geld zu liefern. In diesem gewaltorientierten Milieu treiben die rekrutierten V-Leute weiterhin ihr Unwesen als Rechtsextremisten, Rassisten, Antisemiten, Verfassungsfeinde und rechte Gewalttäter.

Die systematische Unterwanderung des rechtsextremen Spektrums bringt enorme rechtspolitische und bürgerrechtliche Probleme mit sich. Dabei hat die NPD-V-Mann-Affäre eine lang verdrängte Tatsache wieder ins öffentliche Bewusstsein geholt: die Tatsache nämlich, dass Geheimdienste im Auftrag der verantwortlichen Regierungen in einer kaum kontrollierbaren Grauzone mit "schmutzigen" Mitteln und Methoden zu arbeiten pflegen; und dass V-Leute keine "Ehrenmänner" oder "reuigen Sünder" sind, die Verfassung und Demokratie vor Gefahren retten wollen - oder wie es der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, ausdrückt: "Unsere V-Männer sind keine Pastorentöchter."

UZ: Das heißt, dass V-Leute zwangsläufig aktiv in der Szene mitmischen müssen - bis hin zur Beteiligung oder Planung und Durchführung von Straftaten?

Rolf Gössner: V-Leute bleiben, mit wenigen Ausnahmen, was sie sind: Mitglieder der gewaltorientierten Neonazi-Szene, die als bezahlte V-Leute häufig besondere Aktivitäten entfalten und auf eine Radikalisierung des Beobachtungsobjekts hinwirken. Doch solange sie "wertvolle" Informationen liefern, wollen VS und V-Mann-Führer oft gar nicht so genau wissen, was ihre gut platzierten Spitzel so alles treiben, um an die begehrten Informationen zu gelangen.

Wie meine Fallstudien zeigen, sind nichtkriminelle V-Leute in rechtsextremen Szenen kaum vorstellbar. Die Übergänge zwischen Informationsbeschaffung, Aufklärung, Kumpanei, Anstachelung und Anstiftung sind ohnehin fließend. Ein Hauptmotiv für die Provokation von kriminellen Handlungen ist in erster Linie der Erhalt der finanziellen Quellen, denn der V-Mann ist für den VS umso wertvoller, je mehr brisante Informationen er liefert, für die er dann bezahlt wird. Damit begeben sich V-Leute in ein direktes Abhängigkeitsverhältnis zum VS, das sie "erpressbar", "produktiv" und proaktiv macht. Mangelt es an brisanten Nachrichten, dann werden solche notfalls produziert, um sich die Vergünstigungen zu erhalten.

UZ: Können Sie konkrete Fälle nennen, in denen V-Leute rechtsextreme Straftaten begangen haben?

Rolf Gössner: Ich habe in meinem Buch zahlreiche Fälle aufgezeigt, in denen sich V-Leute an rassistisch motivierten Mordaufrufen beteiligten, an brutaler Gewalt, Brandstiftung, Waffenhandel und Nazipropaganda, in die der VS über seine geheimen Informanten zunehmend verwickelt ist - nehmen sie nur die Fälle Michael Grube, Carsten Sczepanski, Toni Stadler oder Mirko Hesse.

Es ist mitunter ziemlich schwierig, die Grenzlinie zwischen VS und VS-unterwanderter Szene oder Organisation überhaupt noch auszumachen - zumal, wenn die VS-Mitarbeiter in führenden Funktionen der beobachteten Gruppen tätig sind, was allzu häufig passiert. Dann haben sie in der Regel auch prägenden Einfluss auf die rassistische oder auch gewalttätige Politik dieser Gruppen.

Und das Schlimmste: Der VS deckt die Straftäter oft genug und schaltet sie nicht unverzüglich ab. Und so können sich kriminelle V-Leute in ihrem Tun ermutigt und bestärkt fühlen und unangefochten weitermachen wie bisher - mit Rückendeckung ihrer VS-Führung. Im strafrechtlichen Sprachgebrauch nennt man dieses Verhalten psychische Unterstützung von Kriminellen, Beihilfe zu Straftaten, Teilnahme durch Unterlassen. Das ist zwar strafbar, doch der VS mitsamt seinen V-Mann-Führern ist dafür bislang nie zur Rechenschaft gezogen worden.

UZ: Der Staat finanziert und ermöglicht also rechten Terror?

Rolf Gössner: Ja, davon kann man in vereinzelten Fällen leider sprechen. Ich erinnere nur an den V-Mann Hans-Dieter Lepzien, einen frühen Waffen- und Bombenlieferanten der Neonaziszene sowie der als terroristisch eingestuften "Otte-Gruppe". Oder an Werner Gottwald, Deckname "Reiser". Hier flossen die Staatsgelder in die jeweiligen Gruppen und Aktivitäten. Aber die Finanzierung der Neonaziszenen findet in größerem Stil und Umfang statt: über die Honorierung der V-Leute und über Spendenbeiträge für rechtsextreme Gruppen und Projekte, die aus der Staatskasse stammen. Damit werden objektiv auch neonazistische Propaganda und kriminelle Handlungen aus Steuergeldern mitfinanziert.

Der Neonazi-Aussteiger und Journalist Jörg Fischer vermutete schon vor Jahren, dass ein Rückzug des VS womöglich ein wirklich schwerer Schlag gegen die Neonazi-Szene sei, weil dann nämlich ihr "größter Arbeit- und Geldgeber auf einmal weg wäre".

Der Staat trägt aber nicht nur bei klaren Grenzüberschreitungen - wie in den Fällen Wolfgang Frenz und Udo Holtmann - eine Mitverantwortung. Wer ein gefährliches Instrument benutzt, haftet auch für die möglichen Folgen des "normalen" Gebrauchs: So können V-Leute selbst aus rein "dienstlichen" Motiven zu Agents provocateurs oder Straftätern werden - etwa um in ihrem Beobachtungsfeld glaubwürdig zu erscheinen, um nicht als Spitzel aufzufallen und sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Da fällt es so manchem schwer, zu Hause zu bleiben, wenn die Kameraden zur Ausländerjagd blasen. Es könnte ja auffallen und Misstrauen schüren. Solche Sicherungsmaßnahmen sind durchaus auch im Interesse des VS, um seine V-Leute in der Szene zu stabilisieren. Doch der kann sich regelmäßig von jeder Verantwortung frei zeichnen - im Zweifel haben die V-Leute eben eigenmächtig gehandelt und sind "aus dem Ruder gelaufen".

UZ: Nach den Sprengstoff- und Waffenfunden bei Neonazis in München warnte Innenminister Schily vor einer "allgemeinen Alarmstimmung". Gleichzeitig kündigte er an, die Beobachtung der rechtsextremen Szene zu verstärken und die "Arbeit der Landesämter für Verfassungsschutz möglicherweise zu intensivieren". Das klingt nach Ihren Recherchen eher bedrohlich ...

Rolf Gössner: In der Tat. Wir brauchen keine Intensivierung der geheimdienstlichen Beobachtung und Infiltration, denn damit werden die ohnehin vorhandenen Probleme gehörig verschärft. Noch weiß man überhaupt nicht, ob denn im Umfeld der Neonazis in Bayern nicht auch V-Leute platziert waren, die in die Sprengstoff- und Waffenbeschaffungen sowie in die Attentatspläne verwickelt waren. Denkbar wäre es jedenfalls.

UZ: Ist die V-Mann-Praxis lediglich "aus dem Ruder gelaufen" oder ist diese geheimdienstliche Praxis grundsätzlich nicht kontrollierbar?

Rolf Gössner: Ich tendiere dazu, diese Praxis aus den bereits genannten Gründen prinzipiell als kaum kontrollierbar einzustufen. Außerdem macht das Geheimhaltungssystem im Zusammenhang mit dem V-Leute-Einsatz nicht nur die öffentliche Kontrolle schier unmöglich, sondern die Geheimhaltung reicht ja bis hinein in solche Gerichtsverfahren, in denen V-Leute eine Rolle spielen. Wer Geheimdienste, ihre geheimen Mittel und Methoden bejaht und den systematischen Einsatz von V-Leuten akzeptiert, muss dann in letzter Konsequenz auch Geheimprozesse befürworten, die aus solchen Aktivitäten erwachsen.

Letztlich wird sich das V-Mann-Unwesen und das damit verbundene Geheimhaltungssystem nur aufbrechen lassen, wenn der systematische Einsatz unterbunden und damit auch die erkennbar gewordene Symbiose von Verfassungsfeinden und Verfassungsschützern beendet wird.

UZ: Also, Verfassungsschutz abschaffen. Und dann?

Rolf Gössner: Ich halte den Aufbau einer offen arbeitenden, wissenschaftlichen Dokumentationsstelle zur Beobachtung, Erforschung und Analyse des Rechtsextremismus für wesentlich sinnvoller als den Betrieb geheimer Dienste. Schließlich bezieht auch der VS etwa 80 Prozent seiner Erkenntnisse aus offenen Quellen, also vor allem aus den Medien und der Wissenschaft. Nur etwa 20 Prozent stammen aus nachrichtendienstlichen Quellen, hauptsächlich von dubiosen V-Leuten. Der Wert dieser Informationen ist aus den bereits beschriebenen Gründen recht zweifelhaft.

Eine offen arbeitende Institution hätte gegenüber dem VS den enormen Vorteil, dass sie weniger interessegeleitet wäre als ein Regierungsgeheimdienst, dass sie kontrollierbar wäre und dass ihre wissenschaftlichen Diagnose- und Analysefähigkeiten denen des VS deutlich überlegen wären. Diese Stelle sollte der Aufklärung und Politikberatung dienen, sie müsste Regierungen und Öffentlichkeit frühzeitig über rechtsextreme Tendenzen informieren sowie Gegenstrategien ausarbeiten. Zu diesen Gegenstrategien müssten eine konsequente Antidiskriminierungspolitik, die Stärkung der Position von Minderheiten und eine bessere Unterstützung von Opfern rechter Gewalt zählen.

Problematisiert werden müsste ganz besonders der populistische Umgang mit den Themen Flucht, Asyl und Zuwanderung, mit dem Parteipolitik und Regierungen dem rechtsextremen Spektrum häufig genug zugearbeitet haben. Es geht primär um sozial- und verfassungsverträgliche Lösungsansätze - jenseits von V-Mann-Seligkeit und geheimdienstlichen Verstrickungen.

Die Fragen stellte
Wera Richter


Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt und Publizist. Der Autor zahlreicher Bücher zum Themenspektrum "Innere Sicherheit", Bürgerrechte und Demokratie arbeitet seit Jahren als parlamentarischer Berater und Sachverständiger auf Bundes- und Länderebene. Im März 2003 wurde er zum Präsidenten der "Internationalen Liga für Menschenrechte" (Berlin) gewählt. Weitere Infos: www.rolf-goessner.de

Rolf Gössner: "Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates", 320 Seiten, 12,90 Euro, Knaur-Taschenbuch-Originalausgabe. Auch zu beziehen über den Neue Impulse Versand, Hoffnungstraße 18, 45127 Essen.