Presseerklärung
vom 18. März 2003
„Internationale Liga für Menschenrechte“ befürchtet nach
Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens eine Stärkung der Neonazi-Szene.
Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner:
„Geheimdienstmethoden und rechtsstaatlich-faires Verfahren sind unvereinbar –
jetzt ist eine unvoreingenommene Aufarbeitung des V-Leute-Unwesens dringend
geboten“
„Die Infiltration der
NDP mit zahlreichen bezahlten V-Leuten des Verfassungsschutzes hat das Parteiverbotsverfahren
zu Fall gebracht“, stellt Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner angesichts der
heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fest. „Dafür tragen die
Antragsteller, insbesondere aber Bundesregierung und Landesregierungen die
Verantwortung.“ Sie seien den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht
gerecht geworden. Selbst unmittelbar vor und nach ihren Verbotsanträgen waren
noch V-Leute in den NPD-Vorständen im Einsatz, wie das Verfassungsgericht
monierte, so dass von einer Staatsfreiheit der NPD keine Rede sein könne.
Möglicherweise konnten V-Leute sogar die Verteidigungsstrategie der NPD
ausspähen.
Der eigentliche Skandal
dieses Verfahrens liegt darin, dass die Exekutive die Beteiligung von V-Leuten
in Führungsfunktionen der NPD gegenüber dem Verfassungsgericht schlicht
vertuschen, jedenfalls nicht von vornherein offen legen wollte – obwohl Teile
des Verbotsantrags auf Aussagen solch dubioser Belastungszeugen basieren. Bis
zuletzt wollten die Antragsteller die V-Leute geheim halten und ihre offene
Vernehmung in einem rechtsstaatlich korrekten Verfahren torpedieren.
Dem hat das
Bundesverfassungsgericht mit der heutigen Verfahrenseinstellung einen Riegel
vorgeschoben. Rolf Gössner: „Das Gericht hat von Anfang an rechtsstaatliche
Sensibilität gegenüber den geheimdienstlichen Machenschaften bewiesen. Damit
konnte verhindert werden, dass aus dem Verbotsprozess ein Geheimverfahren
wurde, in dem die Öffentlichkeit und die Antragsgegnerin, die NPD, aus Gründen
des ‚Quellenschutzes’ und des ‚Staatswohls’ ausgeschlossen werden. Denn Geheimmethoden
des Verfassungsschutzes und ein rechtsstaatlich-faires Gerichtsverfahren sind
unvereinbar.“
Der Verfassungsschutz ist mit
seiner V-Mann-Verstrickung Teil des Neonazi-Problems geworden, nicht ansatzweise
dessen Lösung. Mit dem Verbotsverfahren wollten die Antragsteller einen
schweren Schlag gegen den Rechtsextremismus landen. Sie haben stattdessen mit
ihrem unverantwortlichen Taktieren dem demokratischen Rechtsstaat einen schweren
Schlag versetzt und sämtlichen antirassistischen Bemühungen gleich mit. Die
Antragsteller haben damit den Verbotsprozess diskreditiert und der
rechtsextremen NPD zu einem Triumph verholfen. Es steht zu befürchten, dass das
gesamte rechte Lager gestärkt aus dieser Affäre hervorgeht, was die
gesellschaftliche Ächtung und Auseinandersetzung erheblich erschweren würde.
Die skandalöse Verstrickung von V-Leuten in die NPD, aber auch in die gesamte Neonazi-Szene muss restlos aufgeklärt werden, fordert Liga-Präsident Gössner. Die Strukturen und die Arbeit der VS-Behörden gehören auf den Prüfstand – ihre Aufgaben, Befugnisse und Methoden, aber auch ihre Effizienz, von der niemand auch nur eine leise Ahnung hat. Letztlich wird sich das V-Mann-Unwesen und das damit verbundene Geheimhaltungssystem nur aufbrechen lassen, wenn der systematische Einsatz unterbunden, die erkennbar gewordene Symbiose von Verfassungsfeinden und Verfassungsschützern beendet wird. Die Überlegung, den Geheimdienst wegen seiner Unvereinbarkeit mit Demokratie und rechtsstaatlichen Verfahren aufzulösen, ist wieder hochaktuell. Das wäre womöglich auch ein schwerer Schlag gegen die Neonazi-Szene, die über V-Leute vom Verfassungsschutz mitfinanziert und unterstützt wird.