INTERNATIONALE LIGA FÜR MENSCHENRECHTE (Berlin)

PRO ASYL (Frankfurt/M.)
                                                                                                                      23. März 2007

 

Strafprozess um Verbrennungstod eines Flüchtlings im Polizeigewahrsam

Internationale Liga für Menschenrechte und PRO ASYL beobachten Strafprozess
gegen zwei Polizeibeamte vor dem Landgericht Dessau

Prozessbeobachter Rolf Gössner:
„Dieses Strafverfahren bedarf besonderer öffentlicher Aufmerksamkeit,
damit der tragische Verbrennungstod eines Asylbewerbers in einer Polizeizelle endlich nach über zwei Jahren rückhaltlos aufgeklärt wird und die Verantwortlichen innerhalb der Polizei zur Rechenschaft gezogen werden.“

Ab Dienstag, 27.03.2007 findet vor dem Landgericht Dessau ein Strafverfahren gegen zwei Polizeibeamte statt, die mutmaßlich für den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich sind. Die Anklage lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge (durch Unterlassen) und fahrlässige Tötung. Der Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone war Anfang 2005 in betrunkenem Zustand in Polizeigewahrsam geraten. Die Polizisten fesselten ihn an Händen und Füßen, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf einem Bett in der Arrestzelle und ließen ihn allein zurück. In der rundherum gekachelten Sicherheitszelle verbrannte er am 7.1.2005 bei lebendigem Leib. Trotz Hilferufen und Todesschreien, die über eine Gegensprechanlage vernehmbar waren, trotz Alarmzeichen des Feuermelders reagierten die wachhabenden Beamten nicht rechtzeitig.

Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner, der den Prozess auch für die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL (Frankfurt/M.) beobachteten wird: „Die Aufklärung dieses Todesfalles, der international Aufsehen erregte, wurde mehr als zwei Jahre lang verschleppt. Bei ihren Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft bereits gravierende Widersprüche ignoriert, sich schon frühzeitig auf die Version einer Selbstanzündung festgelegt und damit die Einlassung der Angeklagten übernommen“. Nach dieser Version habe das Opfer die schwer entflammbare Matratze, trotz Fesselung, selbst angezündet - mit einem Feuerzeug, das bei der intensiven Personenkontrolle übersehen worden sein soll und das nach dem Brand erst bei einer zweiten Zellen-Durchsuchung gefunden wurde.

Das Landgericht wird drängende Fragen klären müssen:

·      Darf die Polizei einen Betrunkenen mit fast drei Promille Blutalkohol in einer Zelle an allen Gliedmaßen fesseln und fixieren, ohne ihn ständig zu beaufsichtigen oder wäre es seinem Zustand entsprechend nicht angebracht gewesen, ihn in ein Krankenhaus zu bringen?

·      Wie sind die Verletzungen zu erklären, die bei den Obduktionen zu Tage getreten sind?

·      Wie konnte ein Feuerzeug, trotz intensiver Personendurchsuchung, in die Zelle gelangen und warum wurde es erst so spät gefunden?

·      Wie kann ein stark alkoholisierter Mensch, der an Händen und Füßen fixiert worden ist, ein Feuerzeug aus der Hosentasche fingern und dann eine feuerfest ummantelte Matratze anzünden?

·      Weshalb haben die Angeklagten angeblich die Todesschreie nicht gehört und warum nicht auf den Alarm des Feuermelders reagiert; war die Gegensprechanlage tatsächlich extra leise gestellt und der Rauchmelder zweimal ausgeschaltet worden?

·      War es Selbsttötung, die durch rechtzeitiges Reagieren hätte verhindert werden können, war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder etwa Mord aus rassistischer Motivation, für die manche Anzeichen sehen?

Die prozessbeobachtenden Organisationen messen diesem Prozess auch deshalb große Bedeutung zu, weil es immer wieder vorkommt, dass Angehörige sozialer Randgruppen, darunter zahlreiche Migranten, Flüchtlinge und Schwarze, in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder gar ums Leben kommen; häufig bleiben solche Fälle unaufgeklärt und ungesühnt. Nach einer Studie der
Universität Halle haben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 128 Menschen den Polizeigewahrsam nicht lebend verlassen; dabei hätte jeder zweite Todesfall verhindert werden können.

Prozessbeobachtungen sollen der Justiz besondere Aufmerksamkeit signalisieren und dazu beitragen, dass die gerichtlichen Vorgänge in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert werden. Die Internationale Liga für Menschenrechte und PRO ASYL haben sich - zusammen mit einer internationalen Delegation von Teilnehmern aus Frankreich, Großbritannien, Südafrika und der Bundesrepublik - zur Aufgabe gemacht, auf eine rückhaltlose Klärung der polizeilichen Verantwortung zu drängen und eine Entschädigung der Familie des Todesopfers anzumahnen.

*Pressekonferenz*

Mitglieder der Internationalen Prozessbeobachtung beim Oury-Jalloh-Prozess
werden sich vor Prozessbeginn äußern

Am Montag, 26. März 2007, 10.00 Uhr

Im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Robert-Havemann-Saal

Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

 

Kontakte


Internationale Liga für Menschenrechte
Dr. Rolf G
össner

Freitag,  23. März 2007, bis 13 Uhr
Montag, 26. M
ärz 2007, 10 bis 14 Uhr

E-mail: goessner@uni-bremen.de

PRO ASYL
Postfach 160 624
60069 Frankfurt/M.
 

Telefon (+49) 069 - 23 06 88
Fax (+49) 069 - 23 06 50
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