„OSSIETZKY“ Nr. 6/2007 - 23.03.2007
In vielen Gerichtsverfahren geht es um die
Existenz: die berufliche, die soziale Existenz, die durch Verfolgung bedrohte
physische Existenz. Solche Verfahren können über den Einzelfall hinaus rechtspolitische
oder menschenrechtliche Bedeutung haben. Dann interessieren sich auch
Bürgerrechtsgruppen dafür und beobachten die Prozesse – häufig deshalb, weil zu
befürchten ist, daß Verfahren verschleppt, Prozesse unfair geführt oder
Menschenrechte verletzt werden könnten. Prozeßbeobachtung soll der Justiz
besondere Aufmerksamkeit signalisieren und dazu beitragen, daß die
gerichtlichen Vorgänge in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert werden.
Über drei Gerichtsverfahren, an denen der Autor
als Prozeßbeobachter für drei Bürgerrechtsorganisationen teilgenommen hat oder
noch teilnimmt, soll hier berichtet werden.
*
Europäischer
Gerichtshof, Luxemburg: Das Gericht beschäftigte sich 2006 mit der Terrorliste
der Europäischen Union. Auf dieser Liste sind Einzelpersonen und Organisationen
aufgeführt, die als „terroristisch“ gelten. Dazu gehören neben der baskischen
ETA und der irischen IRA auch die kurdische Arbeiterpartei PKK und ihre
Nachfolgeorganisation sowie die iranische Widerstandsorganisation der Volksmudjahedin,
die gegen das Mullah-Regime kämpft, ohne in Europa Gewalttaten zu verüben. Die
Listung hat für die betroffenen Personen und Gruppen existentielle Folgen: Ihre
Konten werden gesperrt, Vereinsvermögen eingezogen, alle Sozialleistungen
eingestellt – mit dem Effekt, ihre soziale Existenz zu vernichten. Hinzu kommen
staatliche Überwachungsmaßnahmen, Paßentzug, Reiseverbote; den Anhängern
gelisteter Gruppen droht der Widerruf ihres Asylstatus sowie die Verweigerung
von Einbürgerungen.
Mehrere
Betroffene klagten gegen ihre „Listung“ – unter ihnen die Volksmudjahedin. Ende
2006 erklärte das Europäische Gericht den Beschluß des EU-Rates aus dem Jahre
2002, die iranische Oppositionsgruppe auf die Liste zu setzen und ihre Gelder
einzufrieren, für rechtswidrig und nichtig. Der Organisation sei keinerlei
Rechtsschutz gewährt worden; sie hätte aber über die Grundlagen eines solch
gravierenden Ratsbeschlusses informiert werden müssen. Diese Unterlassung sei
eine schwerwiegende Verletzung garantierter Verteidigungsrechte.
Folge
dieses Richterspruchs: Die Volksmudjahedin müßten unverzüglich von der Liste gestrichen,
die eingefrorenen Gelder freigegeben und sämtliche Sanktionen und Restriktionen
aufgehoben werden. Doch am 30. Januar hat der EU-Ministerrat verkündet, die
Volksmudjahedin würden „nach wie vor in der EU-Liste“ geführt. Vor einer
endgültigen Entscheidung werde der Rat die nunmehr angeforderte Stellungnahme
der Organisation prüfen.
Die
weitere Listung – und damit die Aufrechterhaltung der Sanktionen und
Restriktionen – während der Prüfphase ist ein schwerer Verstoß gegen das
Gerichtsurteil.
Der Fall hat
weitergehende Bedeutung. Denn mit ihrer Terrorliste greift die EU im „Kampf
gegen den Terror“ zu einem Mittel, das rechtstaatlichen, menschenrechtlichen
und demokratischen Standards Hohn spricht: Die Liste beruht auf einer rein
politisch-exekutiven, nicht auf einer parlamentarischen Entscheidung. Zumeist
gründet sich die Entscheidung auf dubiose Geheimdienstinformationen, wobei
sachfremde Interessen und Willkür den Ausschlag geben können. Das
Zustandekommen der Liste und ihr Inhalt unterliegen keiner demokratischen
Kontrolle. Die gesamte Liste gehört folglich auf den Prüfstand.
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Verwaltungsgerichtshof
Baden-Württemberg, Mannheim: Am 13. März 2007 fand die Berufungsverhandlung
um das Berufsverbot gegen den Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy
statt. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hatte seine Klage in erster Instanz abgewiesen.
Dem Lehrer war vom Land Baden-Württemberg 2004 die Einstellung in den staatlichen
Schuldienst hauptsächlich mit der Begründung verweigert worden, er habe sich in
der „Antifaschistischen Initiative Heidelberg“ politisch betätigt – einer
legalen Initiative, die sich gegen fremdenfeindliche und neonazistische
Bestrebungen engagiert (s. „Ossietzky“ 19/04).
Schon einen Tag nach der
Hauptverhandlung hob der VGH den Bescheid des Oberschulamtes aus dem Jahre 2004
auf, und damit hat auch das in einer
illiberalen und staatsautoritären Diktion verfasste erstinstanzliche Urteil des
Verwaltungsgerichts Karlsruhe keinen Bestand – ein klares Signal gegen
regierungsamtliche Versuche, die Berufsverbotspraxis vergangener Jahrzehnte
wiederzubeleben.
Der VGH als höchstes
Verwaltungsgericht Baden-Württembergs hält dem Oberschulamt in wünschenswerter
Deutlichkeit vor, Csaszkóczy zu Unrecht die Einstellung in den Schuldienst des
Landes wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue verweigert zu haben. Das Berufungsgericht
wirft der Behörde letztlich Einseitigkeit und Unfähigkeit vor: So habe das Oberschulamt
wesentliche Beurteilungselemente, etwa das tadellose Verhalten des Klägers im
Vorbereitungsdienst, nicht hinreichend berücksichtigt. Damit sei das Amt „den
Anforderungen an eine sorgfältige und vollständige Würdigung des Sachverhalts
und der Person des Klägers nicht gerecht geworden“. Die dem engagierten
Antifaschisten vom Schulamt vorgehaltene „Sündenliste“, die vom Verfassungsschutz
zusammengestellt worden war, sei im übrigen „nicht geeignet, die Annahme
mangelnder Verfassungstreue zu rechtfertigen“ – schließlich hatte Csaszkóczy
allemal nur verfassungsrechtlich verbriefte Grundrechte wahrgenommen, so etwa
der Meinungs-, Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit. Die Lauscher des
Verfassungsschutzes, der den Kläger schon über zehn Jahre lang überwacht,
erhielten damit eine schallende richterliche Ohrfeige.
Jetzt ist das Land Baden-Württemberg am Zug, das
dazu verurteilt wurde, den Antrag des Klägers auf Einstellung in den
öffentlichen Schuldienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut
zu bescheiden. Auch wenn damit noch keine unmittelbare Einstellung verbunden
ist, so doch die Hoffnung, daß die Schulbehörde nicht noch einmal aus Gesinnungsgründen
so schamlos mit Michael Csaszkóczys Lebenszeit spielt.
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Landgericht Dessau
(Schwurgericht): Hier
findet ab 27.03.2007 ein Strafverfahren gegen zwei Polizeibeamte statt, die
mutmaßlich für den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich sind. Der
21jährige Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone war Anfang 2005 in
angetrunkenem Zustand in Polizeigewahrsam geraten. Die Polizisten fesselten ihn
an Händen und Füßen, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf
einem Bett in der Arrestzelle Nr. 5 und ließen ihn allein zurück.
„Verhinderungsgewahrsam“ zur „Eigensicherung“ hieß das. In dieser rundherum
gekachelten Sicherheitszelle verbrannte er am 7.1.2005 bei lebendigem Leib.
Todesursache: Hitzeschock. Trotz Hilferufen und Todesschreien, die über eine
Gegensprechanlage vernehmbar waren, trotz Alarmzeichen des Feuermelders
reagierten die wachhabenden Beamten nicht rechtzeitig. Erst als die Leiche des
qualvoll Verbrannten fast schon verkohlt war, bequemte sich einer der Polizisten,
wie es in der Anklage heißt, nach dem „Rechten“ zu sehen und schließlich die
Feuerwehr zu alarmieren.
Die Aufklärung dieses
Todesfalles wurde mehr als zwei Jahre lang verschleppt. Zwar hatte die Dessauer
Staatsanwaltschaft gegen die beiden Polizeibeamten Anklage wegen Körperverletzung
mit Todesfolge (durch Unterlassen) und fahrlässiger Tötung erhoben – aber das
Landgericht ließ die Anklage lange nicht zu und stellte das Strafverfahren
zwischenzeitlich gegen einen der Beamten wieder ein. Bei ihren Ermittlungen
hatte die Staatsanwaltschaft bereits gravierende Widersprüche ignoriert, sich
schon frühzeitig auf die Version einer Selbstanzündung festgelegt und damit die
Einlassung der Angeklagten übernommen: Das Opfer habe die schwer entflammbare
Matratze, trotz vorheriger Durchsuchung und Fesselung, selbst angezündet - mit
einem Feuerzeug, das bei der Personenkontrolle übersehen worden sein soll und
das nach dem Brand erst bei einer zweiten Zellen-Durchsuchung gefunden wurde.
Erst auf Veranlassung von Freunden konnte eine zweite Obduktion durchgeführt
worden, die einen Nasenbeinbruch und eine Verletzung des Mittelohrs zu Tage
brachte, Verletzungen, die Jalloh vor seinem Feuertod erlitten haben mußte.
Das Landgericht wird
drängende Fragen klären müssen: Ist Oury Jalloh vor seinem Tod mißhandelt
worden? Darf die Polizei einen Betrunkenen mit fast drei Promille in einer
Zelle an allen Gliedmaßen fixieren, ohne ihn zu beaufsichtigen? Wie gelangte
ein Feuerzeug, trotz intensiver Durchsuchung, in die Zelle und warum wurde es
erst so spät gefunden? Wie kann ein stark alkoholisierter Mensch, der an Händen
und Füßen fixiert worden ist, ein Feuerzeug aus der Hosentasche fingern und
dann eine feuerfeste Matratze anzünden? Weshalb haben die Angeklagten angeblich
die Todesschreie nicht gehört und warum nicht auf den Rauchmelder reagiert? War
die Gegensprechanlage tatsächlich extra leise gestellt und der Feuermelder
zweimal ausgeschaltet worden? War es
Selbsttötung, die durch rechtzeitiges Reagieren hätte verhindert werden können,
war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder gar Mord aus
rassistischer Motivation, worauf einige Umstände hindeuten könnten? Ein
Gutachten bestätigt jedenfalls: Hätten die Polizeibeamten sofort reagiert,
hätte Jalloh gerettet werden können.
Dieser Prozeß hat auch
deshalb große Bedeutung, weil es immer wieder vorkommt, daß Angehörige sozialer
Randgruppen wie Obdachlose, Junkies, Flüchtlinge und Schwarze in Polizeigewahrsam
schwer verletzt werden oder gar ums Leben kommen; häufig bleiben solche Fälle
unaufgeklärt und ungesühnt. Nach einer Studie der Universität Halle haben
zwischen 1993 und 2003 bundesweit 123 Menschen den Polizeigewahrsam nicht lebend
verlassen; dabei hätte jeder zweite Todesfall verhindert werden können.
Rolf Gössner ist für die
Internationale Liga für Menschenrechte, den Republikanischen Anwältinnen- und
Anwaltsverein und das Komitee für Grundrechte und Demokratie als Prozeßbeobachter
tätig. Der Prozeß um Jallohs Feuertod wird von einer internationalen Beobachterdelegation
begleitet, an der auch der Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr, Anwälte und
Schriftsteller aus Frankreich, Großbritannien und Südafrika teilnehmen werden (http://oury-jalloh.so36.net)