“OSSIETZKY“ Nr. 25/2006 - 16.12.2006
Rolf Gössner
Heinz Fromm ist Präsident des Bundesamtes
für Verfassungsschutz und als solcher von Amts wegen gehalten, die Verfassung
zu schützen – allerdings darf der Inlandsgeheimdienst zu diesem Zweck auch so
fragwürdige Geheimmittel einsetzen wie Wanzen, Spitzel und agents provocateurs.
Nach Fromms neuester Ankündigung soll das Repertoire noch erweitert werden –
und wir können davon ausgehen, daß diese Erweiterung längst praktiziert wird:
Auch durch Folter erpreßte Informationen ausländischer Geheimdienste sollen im
sogenannten Antiterrorkampf genutzt werden dürfen. Fromm hält es – übrigens in Übereinstimmung
mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) – für vereinbar mit
menschenrechtlichen Grundsätzen, wenn deutsche Sicherheitsbehörden solche
„Erkenntnisse“ für die Gefahrenabwehr verwenden. Die Folterdebatte ist wieder
eröffnet.
„Verfassungsschutz“ – das klingt nach Schutz der Verfassung, also der Demokratie und der Menschenrechte. Doch hinter diesem Tarnnamen verbirgt sich schon immer ein Geheimdienst – mit konspirativen Strukturen und nachrichtendienstlichen Mitteln und Methoden, die gemeinhin als „schmutzig“ gelten. Von unmenschlichen Haftbedingungen und Verhörsituationen versucht der Verfassungsschutz längst schon zu profitieren – unter Bruch der Verfassung und des Völkerrechts. So verhörten seine Spezialisten den von US-Streitkräften aus Afghanistan verschleppten „Terrorverdächtigen“ Murat Kurnaz unter den unsäglichen Bedingungen des Gefangenen-Lagers Guantànamo. Kurnaz erlitt in Afghanistan und Guantànamo fast fünf Jahre Haft ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren, ohne Verteidigung. Während dieser Zeit war er schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, wurde mißhandelt, gefoltert, gedemütigt und entwürdigt. Nach den Worten seines Anwalts Bernhard Docke, der am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, die Carl-von-Ossietzky-Medaille für sein menschenrechtliches Engagement erhalten hat, ist Murat Kurnaz „durch die Hölle gegangen“. Die „Verfassungsschützer“ haben Kurnaz in dieser Hölle aufgesucht, nicht um ihn schnellstens daraus zu befreien, sondern um ihn zu verhören; dabei machten sie sich diese extreme Zwangslage zu nutze, um ihn als V-Mann zu verpflichten. Auch in anderen menschenrechtsfreien Räumen, wie etwa in Foltergefängnissen Syriens, haben deutsche Geheimdienstler Gefangene verhört.
Nachdem die Bundesregierung dann endlich klargestellt hatte, daß deutsche Ermittler niemanden mehr vernehmen dürften, der anscheinend gefoltert werde, bestanden sowohl Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble als auch jüngst Verfassungsschutzchef Fromm darauf, wenigstens Erkenntnisse nutzen zu dürfen, die durch Folter im Ausland gewonnenen worden sind. „Man sieht den Informationen nicht an, woher sie stammen und wie sie gewonnen wurden“, so Fromm. „Die Möglichkeit, daß sie nicht nach unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen erlangt worden sein könnten, darf nicht dazu führen, daß wir sie ignorieren.“ Schließlich gehe es darum, Terroranschläge mit vielen zivilen Opfern zu verhindern.
Abgesehen davon, daß die Gefahrenabwehr –
und dazu gehört die Verhinderung von Terroranschlägen – nach geltender Rechtslage
Sache der Polizei und nicht des kaum kontrollierbaren Inlandsgeheimdienstes
ist, abgesehen auch davon, daß erfolterte Angaben selten der Wahrheit oder
Wirklichkeit entsprechen: Die Verwertung von Informationen, die mit Wahrscheinlichkeit
oder – wie im Fall Guantànamo – mit Gewißheit unter Folter zustande gekommen
sind, ist und bleibt unvereinbar mit dem absolut und universell geltenden
Folterverbot der internationalen Menschenrechtskonventionen. Dieses unbedingte
Verbot ist Ausdruck der Achtung der Menschenwürde, bindet alle staatliche
Gewalt und gilt auch in Notstandsfällen. Wegen seiner Absolutheit kann und darf
es nicht mit anderen Rechtsgütern abgewogen werden – das gilt prinzipiell für
Strafverfolgung und Gefahrenabwehr gleichermaßen.
Für mutmaßlich erfolterte Informationen muß schon deshalb ein umfassendes Verwertungsverbot gelten, weil Folter sonst nachträglich legitimiert und das Verbot relativiert würde. Außerdem ergäbe sich daraus mittelbar eine Rechtfertigung für zukünftige Folter – als Ausnahmefolter zur Rettung von Leben. Im übrigen ist die Gefahrenabwehr bekanntlich ein weites Feld und im Fall des Verfassungsschutzes gar ein uferloses Vorfeld. Das heißt: Dürften erfolterte Informationen verwertet werden, dann fänden sie auch rasch Eingang in Präventivdateien und in die gerade beschlossene „Antiterrordatei“, wo sie im Netzwerk von Geheimdiensten und Polizei eine Eigendynamik entfalten könnten – mit weiteren Eingriffen in die Grundrechte.
Das denkbar milde Urteil gegen den
Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner, der einem Inhaftierten
zur Gefahrenabwehr Folter androhen ließ, deutet bereits in diese Richtung:
Folter ist danach zwar prinzipiell nicht erlaubt, aber bei edler Motivlage
legitim und faktisch straffrei. Dieses Urteil paßt in eine Zeit, in der so
mancher politische Verantwortungsträger vom absoluten Folterverbot abrückt –
nach dem Motto: Wo gekämpft wird, da rinnt Blut. Die Bereitschaft zur
Brutalität wächst auch in der Bevölkerung mit der Größe des Feindbildes, die
unablässig beschworen wird – denn im Kampf gegen das Böse, gegen Schurken,
Terroristen und Kinderschänder gibt es offenbar keine Tabus.
Die Folterszenen von Abu Ghraib und
Guantànamo strahlen längst weit hinein nach Europa, in die Bundesrepublik, auf
ihre Polizei und Bundeswehr. Das zeigte die öffentliche Debatte um Daschner,
das zeigen auch die erschreckenden Folterübungen und makabren Totenkopforgien
bei der Bundeswehr, die sich für Militäreinsätze in aller Welt stählt.
Kriegsbeteiligung führt unweigerlich zu menschlicher Verrohung. Und
Verfassungsschützer wollen nun dafür sorgen, daß deren giftige Früchte
hierzulande genutzt werden können – angeblich zur Stärkung der „inneren
Sicherheit“. Das ist letztlich Billigung von Folter – eigentlich ein Fall für
den „Verfassungsschutz“, wenn er wirklich die Verfassung schützen würde. Denn
ihr erster Satz lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, und in ihrem
zweiten Artikel steht: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit.“