REVUE Luxembourg 5 / 2013
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I n t e r v i e
w der
W o c h e mit R o l f G ö s s n e r
Abgeschotteter Bereich
Der parlamentarische Geheimdienstausschuss der
Luxemburger
Abgeordnetenkammer hat den deutschen Experten Rolf Gössner nach seiner Meinung
über Nachrichtendienste befragt. Der Rechtsanwalt und Publizist hält diese für
überflüssig und nicht vereinbar
mit Demokratie und Rechtsstaat.
„Ein
Geheimdienst wird sich nie voll kontrollieren lassen“ (Rolf Gössner)
Text: Stefan Kunzmann
(stefan.kunzmann@revue.lu) / Foto: Anje Kirsch
REVUE: Wie ist Ihr Eindruck von der
Geheimdienstaffäre und ihrer Aufarbeitung in Luxemburg?
ROLF
GÖSSNER: Offenbar gibt es gewaltige Probleme - kein Wunder also, dass ein parlamentarischer
Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Während meiner Anhörung in der
Abgeordnetenkammer hatte ich den Eindruck, dass die Ausschussmitglieder meine
Argumente sehr ernsthaft und interessiert aufnehmen. Es ging dabei um grundsätzliche
Fragen: ob Geheimdienste überhaupt in eine Demokratie passen und ob sie
kontrollierbar sind.
Sie haben Geheimdienste als Fremdkörper in einer
Demokratie bezeichnet. Warum?
Weil
sie mit ihren heimlichen Methoden und Strukturen den Prinzipien der Transparenz
und der Kontrollierbarkeit widersprechen. Diese Prinzipien sind für einen
demokratischen Rechtsstaat konstitutiv. Geheimdienste hingegen agieren in einem
abgeschotteten Bereich, neigen zu Verselbständigung und Machtmissbrauch.
Inwiefern haben sich die Aufgaben mit dem Ende
des Kalten Krieges verändert?
Die
Branche gehört zum zweitältesten Gewerbe der Welt, hat also eine lange
Tradition. Sie ist immer noch geprägt durch den Kalten Krieg, nicht zuletzt
durch ein ausgeprägtes Freund -Feind-Denken. Der eigentliche Feind, der
Kommunismus, ist durch den Zusammenbruch des Ostblocks weggefallen. In der
Bundesrepublik etwa hatte der
Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ eine tiefe Sinnkrise erlebt und
brauchte eine Weile, bis er sich wieder gefangen und neue „Legitimationen“
gefunden hatte. Neben „Links- und Ausländerextremismus“ wurde nun der
„Rechtsextremismus“ intensiver beackert; auch die Linkspartei und die
Scientologen. Dann nach 9/11 verstärkt der „extremistische Islamismus“.
Sind Geheimdienste nicht vor allem auf dem
rechten Auge blind?
Man
kann sagen, dass es in Bezug auf
neonazistische Gefahren und rechte Gewalt ideologische Scheuklappen gab, die
zu Verharmlosung und Verdrängung führten – möglicherweise Nachwirkungen des
Kalten Kriegs,. Das hat sich im Fall der NSU-Mordserie deutlich gezeigt.
Obwohl der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten sehr nah an den mutmaßlichen
Mördern und ihrem Umfeld dran war, will er nichts davon mitbekommen haben, was
sehr unwahrscheinlich ist.
Waren nicht gerade die V-Leute das Problem?
Ja,
dieses System vielfach krimineller V-Leute ist prinzipiell unkontrollierbar
und stellt ein erhebliches Gefahrenpotenzial für die Demokratie dar. Die
V-Leute stammen aus der jeweiligen Szene. Dabei handelt es sich um staatlich
alimentierte Gewalttäter und Rassisten, über die sich der Verfassungsschutz
heillos in kriminelle Machenschaften verstrickt. Eigentlich wäre er verpflichtet,
solche V-Leute abzuschalten. Doch er schirmt sie sogar gegen polizeiliche Ermittlungen
ab - so auch in Zusammenhang mit dem
NSU.
In Luxemburg fand 2004 eine Reform des Geheimdienstes
statt. Sind diese überhaupt reformierbar?
Diese
Reform war das allermindeste. So gibt es seitdem wenigstens ein parlamentarisches
Kontrollgremium. Eine wirkliche demokratische Kontrolle der Geheimdienste ist
jedoch auch so nicht möglich, weil das Geheimhaltungssystem der Dienste zum
Schutz der eigenen Arbeit und der V-Leute letzten Endes auch die
parlamentarische und justizielle Kontrolle umschlingt. Die Kontrolle ist
zumeist selbst geheim. Dabei hat Kontrolle etwas mit Öffentlichkeit zu tun.
Geheimdienst und Transparenz – das passt nicht zusammen. Es ist ein Widerspruch
in sich. Auch Gerichtsprozesse, in denen etwa V-Leute eine Rolle spielen,
werden tendenziell zu Geheimverfahren, in denen Akten manipuliert oder geschwärzt
werden oder Zeugen nicht oder nur beschränkt aussagen dürfen. All das ist mit
rechtstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. Zwar ist es möglich, die
Kontrolle zu verbessern und den Kontrolleuren mehr Befugnisse zu geben. Das
rührt aber nicht an die problematischen Geheimstrukturen, sondern legitimiert
sie zusätzlich. Geheimdienste werden sich jedenfalls nie voll kontrollieren
lassen, weshalb sie insoweit demokratiewidrig sind.
Braucht man denn überhaupt Geheimdienste?
Gute
Frage. Ich gehe davon aus, und viele Bürgerrechtsorganisationen sind derselben
Auffassung, dass eine demokratische Gesellschaftsordnung keinen ideologisch
orientierten Geheimdienst braucht, der bereits im Vorfeld eines Verdachts
tätig wird. Eine Demokratie – zu der kontroverse Meinungen gehören - verträgt
es nicht, dass Leute oder Gruppen wegen angeblich „extremistischer“ oder
radikaler Meinungsäußerungen unter geheimdienstliche Beobachtung gestellt
werden, denn diese sind von der verfassungsrechtlichen Meinungsfreiheit geschützt.
Wenn es um Gewaltorientierung oder Straftaten geht, dann ist das Sache von
Polizei und Justiz. Es gibt also keine Sicherheitslücken, wie oft behauptet
wird, jedenfalls halte ich solche für nicht plausibel und belegbar. Im Zweifel
ließe sich aber an öffentliche und unabhängige Forschungszentren denken, die
ohne ideologische Scheuklappen und gefährliche Methoden Gefahren für die
Demokratie erforschen könnten – mit weitaus besseren diagnostisch-analytischen
Fähigkeiten als ein Geheimdienst. Alles andere ist Sache von Politik und
Zivilgesellschaft oder von Polizei und Justiz.
Sie sind selbst 38 Jahre lang vom deutschen
Verfassungsschutz beobachtet worden, weil Sie angeblich berufliche Kontakte zu
Bürgerrechtlern, Linksextremisten und Islamisten hatten.
Richtig,
mir wurde eine Art Kontaktschuld zum Vorwurf gemacht, nicht eigenes Tun.
Wenn ich etwa als Referent bei bestimmten Veranstaltern aufgetreten bin, wurde
dies genauso registriert wie meine Interviews und Artikel in bestimmten
linken Zeitungen. Erst als ich vor dem Verwaltungsgericht Köln einen Prozess
gegen den Verfassungsschutz angestrengt hatte, wurden auch meine eigenen
Texte der „Verfassungsfeindlichkeit“ verdächtigt. Das Gericht stufte
allerdings die ganze Überwachung von Anfang an als rechtswidrig und nicht
verhältnismäßig ein.
Welche Konsequenzen hatte die Überwachung für
Sie?
In
meinen Berufen als Anwalt und Journalist war es ein großes Problem, unter der
Dauerbeobachtung noch das Mandatsgeheimnis und den Informantenschutz zu
wahren. Man kann allerdings nicht durchgängig von Beschattung oder Observation
reden. Das mag zeitweise der Fall gewesen sein, aber nicht 38 Jahre lang.
Registriert wurde all das, was ich von mir gab und mit wem ich Kontakt hatte,
und darüber gibt es eine 2.000-seitige Personenakte. Als diese vorgelegt werden
musste, war sie zu 80 Prozent geschwärzt, weil das Bundesinnenministerium eine
Sperrverfügung auferlegt hatte. Ich – wie auch das Gericht - hatte also in
meine Akte nur einen sehr geringen Einblick. Aus Gründen des Quellenschutzes
und des Staatswohls blieb das meiste bis heute geheim. Von wegen Kontrolle…
Rolf Gössner
Der 1948 in Tübingen
geborene Rechtsanwalt und Publizist sowie Bürgerrechtler ist unter anderem Mitherausgeber
der Zeitschrift Ossietzky, Jury-Mitglied des deutschen Big-Brother-Awards,
Mitherausgeber des Grundrechte-Reports, Vizepräsident der Berliner
Internationalen Liga für Menschenrechte sowie stellvertretender Richter des
Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen.
revue 18/2013