WDR-Tageszeichen

26. März 2007, 19:45 Uhr

Verbrennungstod im Polizeigewahrsam

Prozessauftakt vor dem Landgericht Dessau

Autor: Rolf Gössner

Redaktion: Gabriele Gillen

 

Moderation:

Für diese Woche hat sich in Dessau in Sachsen-Anhalt  eine internationale Delegation angekündigt. Menschenrechtler, Anwälte, Wissenschaftler und Schriftsteller aus Frankreich, Großbritannien, Südafrika und Deutschland haben sich zusammengefunden, um einen Prozess vor dem Landgericht zu beobachten. Ab morgen wird in einem Strafverfahren gegen zwei Polizeibeamte ein Fall verhandelt, der internationales Aufsehen erregt. Es geht um den tragischen Verbrennungstod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Polizeizelle im Januar 2005. Es geht um die Verantwortung der zwei Polizeibeamten für diesen Tod, der sich in ihrem Sicherheitsgewahrsam ereignete. Es geht um die Klärung zahlreicher Widersprüche und Theorien. Und es geht auch um die Frage, warum dieses Verfahren erst nach über zwei Jahren gerichtlich verhandelt wird und ob mit einer rückhaltlosen Aufklärung noch gerechnet werden kann. Gründe genug, diesen Prozess kritisch zu begleiten.

Ein Beitrag von Rolf Gössner:

Oury Jalloh, Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone, war Anfang 2005 in betrunkenem Zustand in Polizeigewahrsam geraten. Die Polizisten fesselten ihn an Händen und Füßen, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf einem Bett in der Arrestzelle Nr. 5 und ließen ihn allein und vollkommen unbeaufsichtigt im Zellentrakt des Polizeikellers zurück. „Verhinderungsgewahrsam“ zur „Eigensicherung“ heißt diese Prozedur, die die körperliche Unversehrtheit des gefangenen Genommenen jedoch nicht sicherte. Im Gegenteil. Am 7. Januar 2005 verbrannte der Gefesselte in der rundherum gekachelten Sicherheitszelle bei lebendigem Leib. Todesursache: Hitzeschock. Die wachhabenden Beamten reagierten nicht rechtzeitig - trotz Hilferufen und Todesschreien, die über eine Gegensprechanlage vernehmbar waren. Trotz der Alarmzeichen des Feuermelders. Erst als die Leiche des qualvoll Verbrannten fast schon verkohlt war, bequemte sich einer der Polizisten, wie es in der Anklageschrift heißt, nach dem „Rechten“ zu sehen und schließlich die Feuerwehr zu alarmieren.

Die Aufklärung dieses Todesfalles wurde anschließend mehr als zwei Jahre lang verschleppt. Zwar hatte die Dessauer Staatsanwaltschaft gegen die beiden Polizeibeamten Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen und wegen fahrlässiger Tötung erhoben – aber das Landgericht ließ die Anklage lange nicht zu und stellte zwischenzeitlich das Strafverfahren gegen einen der Beamten wieder ein. Bei ihren Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft gravierende Widersprüche ignoriert und sich schon frühzeitig auf die Version einer Selbstanzündung festgelegt, womit die Einlassung der Angeklagten weitgehend übernommen wurde: Das Opfer habe die schwer entflammbare Matratze wohl selbst angezündet – trotz Fesselung und vorheriger Durchsuchung - mit einem Feuerzeug, das bei der Personenkontrolle übersehen worden sein soll und das nach dem Brand auch erst bei einer zweiten Zellen-Durchsuchung gefunden wurde. Auf Initiative von Freunden konnte jedoch eine zweite Obduktion durchgeführt worden, die einen Nasenbeinbruch und eine Verletzung des Mittelohrs zu Tage brachte, Verletzungen, die Jalloh vor seinem Feuertod erlitten haben musste.

Das Landgericht wird in dem anstehenden Prozess, der unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden wird, drängende Fragen klären müssen:

Ist Oury Jalloh vor seinem Tod misshandelt worden?

Darf die Polizei einen Betrunkenen mit einem Blutalkohol von fast drei Promille ohne ihn zu beaufsichtigen in einer Zelle an allen Gliedmaßen fixieren?

Wie hätte Oury Jalloh trotz intensiver Personendurchsuchung überhaupt ein Feuerzeug in der Zelle haben können und warum wurde es erst so spät gefunden?

Wie kann ein stark alkoholisierter Mensch, der an Händen und Füßen fixiert worden ist, ein Feuerzeug aus der Hosentasche fingern und dann eine feuerfest ummantelte Matratze anzünden?

Weshalb haben die Angeklagten die Todesschreie angeblich nicht gehört und warum haben sie außerdem nicht auf den Feuermelder reagiert? War die Gegensprechanlage, wie vermutet, tatsächlich extra leise gestellt und das Alarmsignal des Rauchmelders zweimal ausgeschaltet worden?

War es also Selbsttötung, die durch rechtzeitiges Reagieren hätte verhindert werden können, war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder gar Mord aus rassistischer Motivation, wie manche argwöhnen?

Ein Gutachten bestätigt jedenfalls: Hätten die Polizeibeamten sofort reagiert, hätte Oury Jalloh mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet werden können.

Dieser Prozess hat große Bedeutung, weil all diese Fragen mehr als zwei Jahre nach dem Tod des Flüchtlings in einer deutschen Arrestzelle immer noch nicht geklärt sind, aber auch, weil es immer wieder vorkommt, dass Angehörige sozialer Randgruppen wie Obdachlose, Junkies, Flüchtlinge und Schwarze in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder gar ums Leben kommen; häufig bleiben solche Fälle unaufgeklärt und ungesühnt. Nach einer Studie der Universität Halle haben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 128 Menschen den Polizeigewahrsam nicht lebend verlassen; dabei hätte jeder zweite Todesfall verhindert werden können. In der Zelle 5 des Dessauer Polizeireviers gab es im November 2002 übrigens schon einmal einen Toten: Einen 36jährigen Obdachlosen, der an einem Schädeldachbruch starb. Dienst hatten seinerzeit einer der Anklagten und derselbe Arzt, der auch die „Gewahrsamstauglichkeit“ von Oury Jalloh fest­stellte. Das Ermittlungsverfahren wurde damals eingestellt.

Prozessbeobachtungen sollen der Justiz besondere Aufmerksamkeit signalisieren und dazu beitragen, dass die gerichtlichen Vorgänge in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert werden. Die Internationale Delegation zur Beobachtung des morgen beginnenden Jalloh-Prozesses hat sich zur Aufgabe gemacht, auf eine rückhaltlose Aufklärung des Falles zu drängen und eine Entschädigung der Familie des Toten anzumahnen.

Moderation:

Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, der diesen Beitrag verfasst hat, ist gleich in doppelter Funktion Mitglied der internationalen Prozessbeobachtergruppe: Als Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ sowie im Auftrag der Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“.