Aus: Informationsbrief des Republikanischen Anwältinnen-
und Anwaltsvereins (RAV) Nr. 96 (April 2006)
Frage:
Kollege Gössner, Sie stehen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Der Erklärung der Internationalen Liga für Menschenrechte können wir entnehmen,
dass sie weiterhin unter dieser Beobachtung stehen. Seit wann läuft denn das
und weswegen werden Sie beobachtet?
Rolf Gössner: Das Bundesamt für
Verfassungsschutz (BfV) beobachtet mich nachweislich schon seit 1970, just als
ich begonnen hatte, mein Jura-Studium an der Universität Freiburg aufzunehmen
und innerhalb der Studentenschaft politisch aktiv zu werden – also seit nunmehr
über 35 Jahren. Grund der Überwachung ist laut BfV, dass ich Kontakte zu
Gruppen und Personen habe, die ihrerseits unter Beobachtung des
Verfassungsschutzes (VS) stehen, weil er diese als „linksextremistisch“ oder
„linksextremistisch beeinflusst“ einstuft – ohne jedoch Kriterien für diese
Einstufung zu benennen. Dazu zählen etwa die „Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes“ (VVN) und die Rechtshilfegruppe „Rote Hilfe e.V.“. Bei den über
mich gesammelten „Sünden“ handelt es sich insbesondere um meine Artikel, Reden
und Interviews, die in bestimmten Publikationen – etwa in den Tageszeitungen
„Junge Welt“ und „Neues Deutschland“ – erschienen sind sowie um Lesungen und
andere Veranstaltungen mit bestimmten Veranstaltern, wie etwa der VVN oder der
„Rosa-Luxemburg-Stiftung“. Letzten Endes wird mir eine Art „Kontaktschuld“ im
Rahmen meiner publizistischen, anwaltlichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten zur
Last gelegt, nicht etwa eigene verfassungswidrige Bestrebungen.
Frage: Wie haben Sie von der Beobachtung erfahren und was
haben Sie in Erfahrung bringen können? Es liegt ja in der Logik der
geheimdienstlichen Tätigkeit, dass man allenfalls auf Umwegen überhaupt von
diesen Tätigkeiten erfährt und dann aber nichts weiter in Erfahrung bringen
kann.
R.G.: Im Jahr 1996 habe ich von der
Beobachtung erfahren, nachdem ich wegen gewisser „Ungereimtheiten“ und Hinweise
beim BfV einen Antrag auf Auskunft über die zu meiner Person gespeicherten
Daten gestellt hatte. Daraufhin präsentierte mir das BfV ein mehrseitiges
Dossiers, in dem bis zurück ins Jahr 1970 in erster Linie meine publizistischen
Aktivitäten aufgelistet waren. Genannt wurden meine Publikationen in angeblich
„linksextremistischen“ bzw. „linksextremistisch beeinflussten“ Presseorganen:
Aufsätze, Artikel, Reden und Interviews etwa in „Deutsche Volkszeitung“,
„Blätter für deutsche und internationale Politik“, „Demokratie und Recht“ (alle
damals noch als „DKP-beeinflusst oder -gesteuert“ eingestuft), „Arbeiterkampf“
(KB), „Sozialistische Zeitung“, in dem geheimdienstkritischen Magazin „Geheim“
(Köln) oder in Publikationen der VVN. Nicht erfasst wurden hingegen meine
Buchpublikationen sowie zahlreichen Aufsätze in der „Frankfurter Rundschau“,
der „Berliner Zeitung“, in „die tageszeitung“, im „Freitag“ sowie in den
Fachzeitschriften „Polizei - heute“, „Neue Kriminalpolitik“, „Kritische Justiz“
oder „Ansprüche“.
Frage: War das wirklich alles an „Erkenntnissen“ des
Verfassungsschutzes?
Nein, in seiner damaligen Antwort
listete das Amt nicht nur meine publizistischen „Fehltritte“ auf, sondern wies
noch darauf hin, dass auch personenbezogene Daten über meine angeblichen
„Kontakte zu und Zusammenarbeit mit linksextremistischen bzw. linksextremistisch
beeinflussten Personenzusammenhängen“ gespeichert seien. Um welche es sich
dabei handelt, darüber schwieg sich das Amt zunächst aus. Erst auf dringliche
Nachfrage hat es dann in einer zweiten Auskunft mitgeteilt, dass auch meine
politischen Veranstaltungen und Buch-Lesungen überwacht und dateimäßig erfasst
werden. Eine Liste von Veranstaltungen aus den 80er und 90er Jahren mit genauen
Zeiten und Orten dokumentieren einen gewissen Ausschnitt meiner
Vortragstätigkeit - so etwa eine Lesung zu meinem Buch „Die vergessenen
Justizopfer des kalten Kriegs. Über den unterschiedlichen Umgang mit der
deutschen Geschichte in Ost und West“ (Hamburg 1994), die die Stadtbibliothek
Bremen zusammen mit der VVN 1994 in den Räumen der Stadtbibliothek veranstaltet
hatte. Nicht erfasst wurde hingegen meine parlamentarische Gutachtertätigkeit
für die Innen- und Rechtsausschüsse des Bundestages und zahlreicher Landtage.
Nicht erfasst wurden auch Veranstaltungen etwa von SPD, Grünen, PDS-Fraktionen
sowie der Polizeiführungsakademie, des Bundesgrenzschutzes, von
Polizeifachhochschulen sowie des Verfassungsschutzes selbst (Thema:
„Verfassungsschutz - eine Behörde ohne Zukunft?“), die mich als Referenten
oder Experten eingeladen hatten.
Seit der ersten Auskunft stelle
ich in unregelmäßigen Abständen neue Anträge und erhalte jedes Mal wieder
seitenlange Auflistungen der mir zur Last gelegten Aktivitäten. Die letzte
stammt aus 2005 und umfasst die Jahre seit 2000.
Frage: Was wird Ihnen darin vorgeworfen?
Im letzten BfV-Dossier werden
wieder einige meiner publizistischen Beiträge als verfassungsschutzrelevant
aufgezählt, so u.a. in „Junge Welt“ (z.B. Interview zum BigBrother
Award), in „Neues Deutschland“ (u.a. Beitrag über meine Wahl zum
Liga-Präsidenten), in „antifa“ (VVN-Interview „Verfassungsschutz gehört
aufgelöst“); in der kurdischen Zeitung „Özgür Genclik“ (Interview zur
Lage der Menschenrechte in der Türkei und zur ungelösten Kurdenfrage); in „Die
Woche“ (Titel: „Unter Schlapphüten. 50 Jahre Verfassungsschutz: Der
Rechtsanwalt und Buchautor Rolf Gössner kann dem Amt, das ihn seit mehr als 30
Jahren überwachen lässt, nicht zum Jubiläum gratulieren“); „Frankfurter Rundschau“
(„Über die NPD sollen die Wähler, nicht Richter entscheiden“; „Das
V-Mann-Unwesen muss unterbunden werden“); in „Gegenwind“ (Dokumentation
der Laudatio, die ich anlässlich der BigBrotherAward-Verleihung 2005 an BMI
Otto Schily gehalten habe); „Weser-Kurier“ (Interview “Geheimdienste
sind Fremdkörper in einer Demokratie“) – in etlichen dieser Beiträge geht es,
wie man sieht, auch um das Thema „Verfassungsschutz“.
Aufgelistet werden auch ein paar Aufrufe, wie jener „zur
Unterstützung antirassistischen und antifaschistischen Engagements vor Ort“ der
VVN-BdA, ein Aufruf der „Roten Hilfe“ („Die Archive öffnen!“) sowie ein
kurdischer Aufruf „Verboten ist, den Frieden zu verbieten!“. Alle drei Aufrufe,
so auch der "Vorwurf" des BfV, habe ich als (Erst-) Unterzeichner
unterstützt.
Darüber hinaus finden sich in der
BfV-Liste auch noch meine Referate auf einer Tagung im Rahmen der
„Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Kriegs“ (zur
politischen Justiz der 50er und 60er Jahre) sowie der
„Peter-Immandt-Gesellschaft e.V.“ und der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ (zu den
sog. Sicherheitsgesetzen).
Frage: Nun sind Sie über Ihre Publikationen gerade dem
Verfassungsschutz sicherlich auch ein Dorn im Auge. Sie sind Autor des Buchs
„Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienste
des Staates“, erschienen 2003, und Sie haben sich mit der Frage
auseinandergesetzt, welche unrühmliche Rolle der Verfassungsschutz im ja
letztlich gescheiterten NPD-Verbotsverfahren gespielt hat. Man kann also ohne
viel Federlesen sagen, dass Sie seit geraumer Zeit den Verfassungsschutz beobachten.
Beobachtet nun der Verfassungsschutz vielleicht doch auch Sie? Ich meine zielgerichtet
Sie und vielleicht auch gerade wegen Ihrer publizistischen Tätigkeit?
Nun, ja – dass der Verfassungsschutz an den Resultaten meiner geheimdienstkritischen Arbeiten Interesse zeigt, ist ja nicht verwerflich und von mir durchaus intendiert; die entsprechenden Aufsätze, Interviews und Bücher soll er durchaus zur Kenntnis nehmen und möglichst gründlich lesen. Insoweit fühle ich mich wirklich nicht beobachtet. Kann aber sein, dass sich der VS dadurch von mir beobachtet, ja ausgekundschaftet fühlt. Problematisch wird es besonders dann, wenn sich der VS in meine Recherchen einmischen sollte, diese beobachtet und registriert – selbst dann, wenn das etwa ganz ungezielt „nur“ anlässlich von bestimmten Kontakten geschehen sollte, die ich zur Informationsbeschaffung knüpfe und oft über Jahre aufrecht erhalte. Das wäre ein schwerer Eingriff in das Berufsgeheimnis und den Informantenschutz, zumal wenn dabei nachrichtendienstliche Mittel wie etwa V-Leute zum Einsatz kommen.
Frage: Klagen Sie? Und welche Chancen sehen Sie
herauszufinden, wie und warum Sie observiert wurden?
Ich habe gegen die Bundesrepublik
Deutschland Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben. Die Klage ist zunächst
auf eine vollständige Auskunft des BfV über alle zu meiner Person gespeicherten
Daten gerichtet, da das Amt weitergehende Auskünfte wegen „Geheimhaltungsbedürftigkeit“
und „Ausforschungsgefahr“ sowie zum Schutz von „Quellen“ verweigert hat; in
einem weiteren Schritt soll die Rechtmäßigkeit der Erfassung gerichtlich
überprüft und eine Löschung der Daten erstritten werden.
Über die Erfolgsaussichten ließe
sich nur spekulieren – dass ich im Verlauf des Verfahrens mehr erfahren werde,
als ich bislang weiß, davon gehe ich allerdings aus, sonst hätte ich nicht zu
klagen brauchen. Doch dieses Verfahren hat, so denke ich, über den Einzelfall
hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein brisantes Problem, das
auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche
Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen
Aktivitäten gezogen – besonders im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und ihm
Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen?
Denn die Maßnahmen einer solchen geheimdienstlichen Langzeitüberwachung eines Rechtsanwalts, Publizisten und Menschenrechtlers verletzen die Persönlichkeitsrechte, den Informantenschutz, das Mandatsgeheimnis und die ausforschungsfreie Sphäre, die für unabhängige Menschenrechtsgruppen unabdingbar ist.
Dr.
Rolf Gössner
ist Rechtsanwalt und Publizist. Seit 2003 Präsident der „Internationalen
Liga für Menschenrechte“ (Berlin; www.ilmr.de),
Mitherausgeber des „Grundrechte-Reports“, Autor zahlreicher Bücher zu „Innerer
Sicherheit“ und Bürgerrechten, zuletzt: >Geheime Informanten. V-Leute des
Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates.< (Knaur, München
2003). Internet: www.rolf-goessner.de.