Frankfurter Rundschau

Erosion der Freiheit

Neuer Grundrechte-Report

VON URSULA KNAPP

      Der frühere Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling hat die Einschränkung von Grundrechten durch Polizei und Behörden kritisiert. Diese würden die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreichend ernst nehmen. Kühling, von 1989 bis 2001 Verfassungsrichter im Ersten Senat, stellte am Montag in Karlsruhe den neuen Grundrechte-Report vor. Obwohl Durchsuchungsaktionen und Einkesselungen von Demonstranten für rechtswidrig erklärt würden, gingen die unverhältnismäßigen Übergriffe weiter, sagte Kühling. Ohne auf die aktuellen Razzien vor dem G8-Gipfel einzugehen, forderte er, den Staat bei Übergriffen zu Schadenersatzzahlungen zu verpflichten. Nur durch Entschädigungen in spürbarer Höhe könne in der Praxis die Beachtung der Verhältnismäßigkeit durchgesetzt werden. Kühling warnte vor einer "stillen Erosion" der Grundrechte.

Der von zehn Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen herausgegebene Report, der in diesem Jahr bereits zum elften Mal erscheint (Fischer Verlag), versteht sich als alternativer Verfassungsschutzbericht. Darin wird unter anderem das Schicksal einer Hamburger Rechtsanwältin beschrieben, die während des Weihnachtseinkaufs in einen Polizeikessel geriet. Obwohl sie ihre Einkäufe mit Einkaufszettel vorlegte, wurde sie festgenommen, durchsucht und in Handschellen abgeführt. Erst nach Stunden kam sie wieder nach Hause. Ihre Festnahme wurde später für rechtswidrig erklärt, aber das Strafverfahren gegen die Beteiligten eingestellt. Im konkreten Fall wurden der Frau nach längerem Rechtsstreit 250 Euro Schadensersatz zugesprochen. Kühling monierte, dass Prominente bei der Verletzung ihrer Bildrechte sehr viel mehr Geld bekommen.

Der Berliner Politologie-Professor Peter Grottian nannte die von der Bundesanwaltschaft veranlassten Großrazzien gegen G8-Gegner in der vergangenen Woche "verfassungswidrig". Dass der Verdacht, linksautonome Globalisierungsgegner hätten eine terroristische Vereinigung gebildet, keinen Bestand habe, zeigt sich für Grottian daran, dass trotz der Durchsuchungsaktion mit 900 Beamten bis heute kein Beleg für die Vorbereitung von Terroranschlägen vorgelegt wurde. Durch Dämonisierung werde ein "Staatsfeind herbeikonstruiert".

Der neue Grundrechte-Report schildert auch die Aushöhlung des Bankgeheimnisses durch das belgische Privatunternehmen Swift, das Überweisungen ins Ausland erfasst und Kontodaten an ein Unternehmen in die USA weiterleitet. Dort gleicht das CIA regelmäßig die Kontodaten ab, die unverschlüsselt weitergegeben werden.

Moniert wird auch die Missachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Novellierung von Polizeigesetzen. Trotz der vom Verfassungsgericht festgelegten hohen Hürden für eine vorbeugende Telefonüberwachung und für Eingriffe in die Privatsphäre hätten mehrere Länder polizeiliche Eingriffsbefugnisse geschaffen, die diese Vorgaben ignorierten, darunter Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hessen.
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taz

"Grundrechtsverstöße müssen teuer werden"

Der Ex-Verfassungsrichter Kühling fordert, dass Opfer von Grundrechtsverletzungen auf hohe Schmerzensgelder klagen

KARLSRUHE taz "Die Kooperation der staatlichen Stellen mit dem Bundesverfassungsgericht lässt zu wünschen übrig", klagte gestern der ehemalige Verfassungsrichter Jürgen Kühling. Immer wieder missachte die Polizei, aber auch der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Gerichts, sagte er bei der Vorstellung des Grundrechtereports 2007.

So müsse Karlsruhe immer wieder rechtswidrige polizeiliche Hausdurchsuchungen beanstanden. "Man hat den Eindruck, die Arbeit des Verfassungsgerichts verhallt", kritisierte Kühling. Der frühere Richter schlug deshalb eine neue bürgerrechtliche Strategie vor. Bei Grundrechtsverletzungen sollten hohe Schmerzensgelder eingeklagt werden. "Wenn eine Maßnahme für rechtswidrig erklärt wird, ist das der Polizei egal, aber wenn es für den Staat richtig teuer wird, dann wird die Polizei vielleicht vorsichtiger."

Kühling beschrieb den Fall einer Rechtsanwältin, die als unbeteiligte Passantin auf einer Hamburger Einkaufsstraße in einen Polizeikessel geriet und anschließend mehrere Stunden gefesselt durch die Stadt gefahren wurde. Ein Verwaltungsgericht stellte die Rechtswidrigkeit der Maßnahme fest, doch das Landgericht billigte nur 150 Euro Schmerzensgeld zu. Vor dem Oberlandesgericht erstritt die Anwältin immerhin 500 Euro Entschädigung, doch Kühling hält auch das für lächerlich gering. Für solche demütigenden Exzesse müssten mehrere tausend Euro eingeklagt werden können, "dann klagen auch mehr Betroffene, und dann wird es richtig teuer für den Staat".

Der Grundrechtereport ist ein Gemeinschaftswerk von neun Bürgerrechtsorganisationen, von der Humanistischen Union (HU) bis zu Pro Asyl. Zum elften Mal haben die Herausgeber dieses auch im Buchhandel erhältlichen Taschenbuch zu einen alternativen Verfassungsschutzbericht zusammengestellt. Darin werden nicht extremistische Bürger, sondern die Fehler des Staates angeprangert.

Der Sozialwissenschaftler Peter Grottian kritisierte gestern den Verfassungsschutz, der jahrelang das Berliner Sozialforum bespitzelte. Auch über ihn als Professor sei eine 80 Seiten dicke Akte angelegt worden, weil er Kontakt zu Autonomen hatte. "Ähnlich funktioniert heute die Stigmatisierung der G-8-Gegner", sagte Grottian. Wer irgendeinen Kontakt zu radikalen Kreisen habe - "beim Mittagessen, im Bett oder bei strategischen Diskussionen" -, müsse mit Bespitzelung rechnen. "Das Selbstvertrauen der Herrschenden ist jämmerlich", stellte Grottian fest und forderte die Abschaffung des Verfassungsschutzes oder zumindest seine finanzielle Austrocknung.

Geschildert wird im Grundrechtereport auch der heikle Fall einer Berliner Muslimin, die im Internet ein Selbstmordattentat diskutiert haben soll. Sie wurde fortan von Polizisten beschattet, die ihr teilweise in einem Meter Entfernung folgten. Ständig wurde sie intensiven Leibesvisitationen unterzogen. "Polizei-Stalking" nennt dies Jürgen Kühling, der heute als Anwalt arbeitet. "Eine Beschattung darf nicht wie eine bloße Einschüchterung wirken." CHRISTIAN RATH

taz vom 22.5.2007, S. 7, 102 Z. (TAZ-Bericht), CHRISTIAN RATH

Neues Deutschland

 

 

22.05.07
Grundrechte »insgesamt beunruhigend«
»Verfassungsschutzbericht von unten« kritisiert Sicherheitshysterie auch gegen G8-Kritiker 
 
Von Claus Dümde 
 
Den Grundrechte-Report 2007 zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland stellten neun dafür engagierte Organisationen gestern vor. »Der Befund ist insgesamt beunruhigend«, konstatierte Bundesverfassungsrichter a. D. Jürgen Kühling.


Einerseits setze sich »Trend fort, Freiheitsrechte einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis zu opfern, den Armen mit sozialer Kälte zu begegnen«, sagte Kühling. Andererseits habe das Bundesverfassungsgericht auch 2006 »der Ausweitung von Eingriffsbefugnissen deutliche Grenzen gesetzt«, sei »einem nachlässigen Umgang der Behörden und Gerichte mit den Grundrechten in zahlreichen Entscheidungen entgegengetreten«.
Grund genug für die Herausgeber, auch den elften Jahrgang dieses »Verfassungsschutzberichts von unten« in Karlsruhe vorzustellen. Bei der Arbeit daran, schreiben die Herausgeber im Vorwort, »sind wir in einem unerwarteten Ausmaß auf Übergriffe von Legislative und Exekutive gestoßen, die selbst Entscheidungen der höchsten Gerichte nicht beachten«. Sie würden sogar »vorsätzlich missachtet«, in Justizvollzugsanstalten, bei Polizeieinsätzen und in Ausländerbehörden, beim Kopftuchverbot für Lehrerinnen und bei sozialen Verpflichtungen. »Dass darunter einerseits besonders ausländische Mitmenschen leiden, andererseits zunehmend Bespitzelung und Überwachung Grundrechte beeinträchtigen, wird auch in diesem Jahr deutlich.« Und zwar sowohl im einleitenden Beitrag von Mitherausgeber Ulrich Finckh, in dem er analysiert, wie »›Werte‹ und Ängste gegen Grundrechte« mobilisiert werden, als auch in den 41 Artikeln, deren Autoren sich mit konkreten Grundrechtsverletzungen auseinandersetzen. Dass dies keineswegs Einzelfälle sind, macht auch die 24-seitige Chronologie im Anhang sichtbar.
So resümiert der langjährige Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch die auch von ihm angestrengte erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die von Rot-Grün im »Luftsicherheitsgesetz« vorgesehene Ermächtigung, mutmaßlich von Terroristen entführte Passagierflugzeuge abschießen zu lassen. Er zitiert die Urteilspassage, dass es »schlechterdings unvorstellbar« ist, »unschuldige Menschen ... vorsätzlich zu töten«, und verweist darauf, dass die jetzige Regierung ein Gesetz erwägt, »in dem die Bundeswehr zu Einsätzen mit militärischen Mitteln im Inland ermächtigt werden soll«. Da dränge sich der Gedanke auf, dass dann unter »Kriegsrecht« als »Kollateralschäden« auch die Tötung Unschuldiger hingenommen werden soll.
Die Rechtsprofessorin und Verfassungsrichterin a. D. Rosemarie Will schildert, wie die Bundesregierung 2001 erfuhr, dass die USA bei Verhören vermeintlicher Terroristen Folter anwenden. Dennoch habe sie »eine Zusammenarbeit praktiziert, die unter ihrem Schutz stehende Menschen diesen Praktiken auslieferte«.
Ein anderer Beitrag befasst sich mit der Überwachung des Berliner Sozialforums durch den Verfassungsschutz. Der dabei ins Visier geratene Politologe Peter Grottian sieht Parallelen zur kürzlichen bundesweiten Razzia gegen G8-Kritiker: »Hier wird aufgrund fadenscheiniger Vermutungen eine Kontaktschuld konstruiert, die dann zur Basis unverhältnismäßiger staatlicher Überwachung herangezogen wird«, sagte er gestern in Karlsruhe.
Um auch im Grundrechte-Report geschilderten Fällen von Justiz- und Polizeiwillkür bei Hausdurchsuchungen oder Festnahmen vorzubeugen, zitierte Bundesverfassungsrichter a. D. Kühling folgenden Vorschlag des Bundesvorsitzenden der Humanistischen Union, Till Müller-Heidelberg: »Nur durch fühlbare Entschädigungen für die Betroffenen könnten die Behörden zu einem sorgsamen Umgang mit den Grundrechten der Bürger angehalten werden.«

 

 

Junge Welt

»Flagrante Rechtsverletzungen«

Grundrechte-Report 2007 vorgestellt. Bürgerrechtsorganisationen kritisieren staatliche Überwachung

Bürgerrechtler beklagen eine zunehmende Mißachtung höchstrichterlicher Urteile gegen Grundrechtsübergriffe durch Gesetzgeber und Polizei. Dies geht aus dem Grundrechte-Report 2007 hervor, den neun deutsche Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen am Montag in Karlsruhe vorstellten.

Darin üben die Verfasser unter anderem Kritik an den novellierten Polizeigesetzen der Länder, die insbesondere den strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Telekommunikationsüberwachung nicht gerecht würden. Auch seien Gefangenen gerichtlich zugesprochene Haft­erleichterungen durch die jeweilige Anstaltsleitung verweigert worden.
Der Grundrechte-Report kommt nach Angaben der Autoren zu dem Ergebnis, daß staatliche Überwachung, Übergriffe und Ungleichbehandlung weiter für eine deutliche Kluft zwischen den Ansprüchen des Grundgesetzes und dem tatsächlichen Umgang mit Grundrechten in Deutschland sorgen. Bundesverfassungsrichter a.D. Jürgen Kühling bezeichnete den Befund bei der Vorstellung des Berichts als »insgesamt beunruhigend«. Als Beispiel nannte er den staatlichen Umgang mit Ausländern und hier insbesondere illegal eingereisten Migranten. Auch diese hätten Anspruch auf Wahrung ihrer Menschenwürde und staatlichen Schutz ihrer Grund- und Menschenrechte, betonte Kühling.

Zugleich verwies der ehemalige Verfassungsrichter auf eine Reihe »flagranter Rechtsverletzungen« durch die Polizei, darunter Durchsuchungsaktionen, die vom Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig verworfen worden seien. Es gebe allerdings »auch gute Nachrichten«, hob Kühling hervor. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht habe »der Ausweitung von Eingriffsbefugnissen deutliche Grenzen gesetzt« und sei zugleich »einem nachlässigen Umgang der Behörden und Gerichte mit den Grundrechten in zahlreichen Entscheidungen entgegengetreten«. Gleiches gelte für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Kritik üben die Autoren des Reports an einer im Namen des »Krieges gegen den Terror« geschürten Sicherheitshysterie, in deren Sog unterdessen auch friedliche Globalisierungskritiker geraten seien.

So berichtete der Politikwissenschaftler Peter Grottian bei der Vorstellung des Buches, daß ihn der Verfassungsschutz wegen seines Engagements im Berliner Sozialforum ausgespäht habe. Der Politologe sprach in diesem Zusammenhang von Parallelen zur jüngsten Großrazzia gegen Gegner des G-8-Gipfels. »Hier wird aufgrund fadenscheiniger Vermutungen eine Kontaktschuld konstruiert, die dann zur Basis unverhältnismäßiger staatlicher Überwachung herangezogen wird«, kritisierte Grottian.

Der Grundrechte-Report erscheint seit 1997 jährlich zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai und greift Beeinträchtigungen von Grund- und Menschenrechten durch staatliche Gewalt auf. Herausgegeben wird das Buch von der Humanistischen Union, der Gustav-Heinemann-Initiative, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, dem Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, Pro Asyl, dem Republikanischen Anwälte-Verein, der Vereinigung demokratischer Juristen, der Neuen Richtervereinigung und der Internationalen Liga für Menschenrechte. (AFP/jW)

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Der Tagesspiegel

500 Euro Schadenersatz für ungerechtfertigte Festnahme?

 

Der Bürger muss bei Rechtsverstößen mit empfindlichen Geldstrafen rechnen - dem Staat sollte es nach Ansicht von Ex-Verfassungsrichter Kühling nicht anders ergehen. Ein illegal Festgenommener könnte dann Schadenersatz einklagen. (21.05.2007, 16:09 Uhr)

Karlsruhe - Bei illegalen Polizeiaktionen soll der Staat nach Ansicht des früheren Verfassungsrichters Jürgen Kühling den Betroffenen künftig Schadenersatz zahlen. Wiederholt habe das Bundesverfassungsgericht die Justiz wegen rechtswidriger Hausdurchsuchungen gerügt, trotzdem komme es nach wie vor zu solchen Aktionen, sagte Kühling bei der Vorstellung des "Grundrechte-Reports 2007" in Karlsruhe. Ein wirksames Gegenmittel wäre eine "anständige Entschädigung", denn eine Durchsuchung sei eine "ungeheure Demütigung" und ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre.

Zum Thema

Grundrechte-Report:

Bürgerrechtler kritisieren "Sicherheitshysterie"

Der Report gilt als "alternativer Verfassungsschutzbericht". Mit ihm warnen Menschenrechtsgruppen vor einem Grundrechte-Abbau durch Ausweitung von Polizeibefugnissen und unzureichenden Rechtsschutz. Kühling nannte den Befund "insgesamt beunruhigend". Der Trend setze sich fort, "Freiheitsrechte einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis zu opfern und den Armen mit sozialer Kälte zu begegnen".

In eingekesselter Demonstration wiedergefunden

Kühling verwies auf einen eklatanten Fall missbräuchlicher Polizeigewalt 2002 in Hamburg, bei dem sich eine Rechtsanwältin auf dem Rückweg vom Weihnachtseinkauf unversehens in einer eingekesselten Demonstration wiederfand. Sie sei durchsucht, gefesselt und stundenlang im Polizeibus durch die Stadt gefahren worden. Vor Gericht habe sie 500 Euro Schadensersatz erstritten. "Gegen solche Übergriffe der Polizei ist kein Kraut gewachsen", sagte Kühling - es sei denn, der Staat müsse mit empfindlichen Entschädigungen rechnen.

Ein Autor des Reports moniert die Missachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Novellierung von Polizeigesetzen. Trotz der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten hohen Hürden für eine vorbeugende Telefonüberwachung und für Eingriffe in die Privatsphäre hätten mehrere Länder polizeiliche Eingriffsbefugnisse geschaffen, die diese Vorgaben ignorierten, unter anderem Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Schleswig-Holstein.

Herausgeber des Grundrechte-Reports sind unter anderem die Humanistische Union, Pro Asyl und mehrere Juristenvereinigungen. Er erscheint seit 1997 jeweils zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai. (tso/dpa)

 

Lausitzer Rundschau

21.05.2007

Menschenrechtsgruppen warnen vor Abbau der Grundrechte

Karlsruhe (dpa) - Bei illegalen Polizeiaktionen soll der Staat nach Ansicht des früheren Verfassungsrichters Jürgen Kühling den Betroffenen künftig Schadenersatz zahlen.

 

 

 

Wiederholt habe das Bundesverfassungsgericht die Justiz wegen rechtswidriger Hausdurchsuchungen gerügt, trotzdem komme es nach wie vor zu solchen Aktionen, sagte Kühling bei der Vorstellung des «Grundrechte-Reports 2007» am Montag in Karlsruhe. Ein wirksames Gegenmittel wäre eine «anständige Entschädigung», denn eine Durchsuchung sei eine «ungeheure Demütigung» und ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre.

Der Report gilt als «alternativer Verfassungsschutzbericht». Mit ihm warnen Menschenrechtsgruppen vor einem Grundrechte-Abbau durch Ausweitung von Polizeibefugnissen und unzureichenden Rechtsschutz. Kühling nannte den Befund «insgesamt beunruhigend». Der Trend setze sich fort, «Freiheitsrechte einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis zu opfern und den Armen mit sozialer Kälte zu begegnen».

Kühling verwies auf einen eklatanten Fall missbräuchlicher Polizeigewalt 2002 in Hamburg, bei dem sich eine Rechtsanwältin auf dem Rückweg vom Weihnachtseinkauf unversehens in einer eingekesselten Demonstration wiederfand. Sie sei durchsucht, gefesselt und stundenlang im Polizeibus durch die Stadt gefahren worden. Vor Gericht habe sie 500 Euro Schadenersatz erstritten. «Gegen solche Übergriffe der Polizei ist kein Kraut gewachsen», sagte Kühling - es sei denn, der Staat müsse mit empfindlichen Entschädigungen rechnen.

Ein Autor des Reports moniert die Missachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Novellierung von Polizeigesetzen. Trotz der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten hohen Hürden für eine vorbeugende Telefonüberwachung und für Eingriffe in die Privatsphäre hätten mehrere Länder polizeiliche Eingriffsbefugnisse geschaffen, die diese Vorgaben ignorierten, unter anderem Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Schleswig-Holstein.

Herausgeber des Grundrechte-Reports sind unter anderem die Humanistische Union, Pro Asyl und mehrere Juristenvereinigungen. Er erscheint seit 1997 jeweils zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai.

ZDF

1.05.2007

http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/10/0,3672,5526858,00.html

Bürgerrechtler: Grundrechte werden zu oft missachtet

Staat soll für illegale Razzien zahlen - Kritik an Demoverbot

Die Grundrechte werden zunehmend missachtet. Vor allem Polizei und Gesetzgeber ignorieren die Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Zu diesem Schluss kommt der Grundrechte-Report, den Bürgerrechtler am Montag vorgelegt haben. Ihr Fazit: Staatliche Überwachung, Übergriffe und Ungleichbehandlung sorgen für eine Kluft zwischen den Ansprüchen des Grundgesetzes und der Praxis.

In dem Report üben die Verfasser unter anderem Kritik an den novellierten Polizeigesetzen der Länder, die insbesondere den strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Telekommunikationsüberwachung nicht gerecht würden. Auch seien Gefangenen gerichtlich zugesprochene Hafterleichterungen durch die jeweilige Anstaltsleitung verweigert worden.

 

Infobox

Der Grundrechte-Report

Der Grundrechte-Report erscheint seit 1997 jährlich zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai und greift Beeinträchtigungen von Grund- und Menschenrechten durch staatliche Gewalt auf.
Herausgegeben wird das Buch von der Humanistischen Union, der Gustav-Heinemann-Initiative, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, dem Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, Pro Asyl, dem Republikanischen Anwälte-Verein, der Vereinigung demokratischer Juristen, der Neuen Richtervereinigung und der Internationalen Liga für Menschenrechte.
Der Grundrechte-Report versteht sich als alternativer Verfassungsschutzbericht.

Der Grundrechte-Report kommt nach Angaben der Autoren zu dem Ergebnis, dass staatliche Überwachung, Übergriffe und Ungleichbehandlung weiter für eine deutliche Kluft zwischen den Ansprüchen des Grundgesetzes und dem tatsächlichen Umgang mit Grundrechten in Deutschland sorgen.

MEDIATHEK

Richter: Insgesamt beunruhigend

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling bezeichnete den Befund bei der Vorstellung des Berichts als "insgesamt beunruhigend". Als Beispiel nannte er den staatlichen Umgang mit Ausländern und hier insbesondere illegal eingereisten Migranten. Auch diese hätten Anspruch auf Wahrung ihrer Menschenwürde und staatlichen Schutz ihrer Grund- und Menschenrechte, betonte Kühling.

Kühling nannte das Beispiel einer Rechtsanwältin, die zufällig in einen Polizeikessel bei einer Demonstration in Hamburg geraten sei, von der Polizei mehrere Stunden in Gewahrsam genommen und auf dem Rücken gefesselt wurde. Die Rechtsanwältin erstritt in mehreren Instanzen 500 Euro Schmerzensgeld von der Hamburger Polizei. Für widerrechtliche Übergriffe solle gezahlt werden, dann würden die Bürger auch ihr Recht einklagen, forderte Kühling.

Zugleich verwies der ehemalige Verfassungsrichter auf eine Reihe "flagranter Rechtsverletzungen" durch die Polizei, darunter Durchsuchungsaktionen, die vom Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig verworfen worden seien. Es gebe allerdings "auch gute Nachrichten", hob Kühling hervor. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht habe "der Ausweitung von Eingriffsbefugnissen deutliche Grenzen gesetzt" und sei zugleich "einem nachlässigen Umgang der Behörden und Gerichte mit den Grundrechten in zahlreichen Entscheidungen entgegengetreten". Gleiches gelte für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

LINKS

Kritik "Sicherheitshysterie"

Kritik üben die Autoren des Reports an einer im Namen des "Krieges gegen den Terror" geschürte Sicherheitshysterie, in deren Sog unterdessen auch friedliche Globalisierungskritiker geraten seien. So berichtete der Politikwissenschaftler Peter Grottian bei der Vorstellung des Buches, dass ihn der Verfassungsschutz wegen seines Engagements im Berliner Sozialforum ausgespäht habe.

Der Politologe sprach in diesem Zusammenhang von Parallelen zur jüngsten Großrazzia gegen Gegner des G-8-Gipfels. "Hier wird aufgrund fadenscheiniger Vermutungen eine Kontaktschuld konstruiert, die dann zur Basis unverhältnismäßiger staatlicher Überwachung herangezogen wird", kritisierte Grottian.

Frankfurter Neue Presse

21.05.2007

Menschenrechtsgruppen warnen vor Abbau der Grundrechte

 

 

Karlsruhe (dpa) Bei illegalen Polizeiaktionen soll der Staat nach Ansicht des früheren Verfassungsrichters Jürgen Kühling den Betroffenen künftig Schadenersatz zahlen.

Wiederholt habe das Bundesverfassungsgericht die Justiz wegen rechtswidriger Hausdurchsuchungen gerügt, trotzdem komme es nach wie vor zu solchen Aktionen, sagte Kühling bei der Vorstellung des «Grundrechte-Reports 2007» am Montag in Karlsruhe. Ein wirksames Gegenmittel wäre eine «anständige Entschädigung», denn eine Durchsuchung sei eine «ungeheure Demütigung» und ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre.

Der Report gilt als «alternativer Verfassungsschutzbericht». Mit ihm warnen Menschenrechtsgruppen vor einem Grundrechte-Abbau durch Ausweitung von Polizeibefugnissen und unzureichenden Rechtsschutz. Kühling nannte den Befund «insgesamt beunruhigend». Der Trend setze sich fort, «Freiheitsrechte einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis zu opfern und den Armen mit sozialer Kälte zu begegnen».

Kühling verwies auf einen eklatanten Fall missbräuchlicher Polizeigewalt 2002 in Hamburg, bei dem sich eine Rechtsanwältin auf dem Rückweg vom Weihnachtseinkauf unversehens in einer eingekesselten Demonstration wiederfand. Sie sei durchsucht, gefesselt und stundenlang im Polizeibus durch die Stadt gefahren worden. Vor Gericht habe sie 500 Euro Schadenersatz erstritten. «Gegen solche Übergriffe der Polizei ist kein Kraut gewachsen», sagte Kühling - es sei denn, der Staat müsse mit empfindlichen Entschädigungen rechnen.

Ein Autor des Reports moniert die Missachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Novellierung von Polizeigesetzen. Trotz der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten hohen Hürden für eine vorbeugende Telefonüberwachung und für Eingriffe in die Privatsphäre hätten mehrere Länder polizeiliche Eingriffsbefugnisse geschaffen, die diese Vorgaben ignorierten, unter anderem Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Schleswig-Holstein.

Herausgeber des Grundrechte-Reports sind unter anderem die Humanistische Union, Pro Asyl und mehrere Juristenvereinigungen. Er erscheint seit 1997 jeweils zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai.

 

Welt online

21. Mai 2007, 18:13 Uhr

Von Thorsten Jungholt

Grundrechte

Richter wirft Polizei "Sicherheitshysterie" vor

Verletzt die Polizei in Deutschland das Grundgesetz? Ja, sagten Bürgerrechtler und verweisen auf den Grundrechte-Report. Aus Angst vor dem Terror ignorieren Polizisten demnach immer wieder Urteile, die die Grundrechte der Bürger schützen sollen.

Aus Angst vor dem Teror wird in Deutschland mehr gespäht, als das Bundesverfassungsgericht es für rechtens hält Bürgerrechtler beklagen eine zunehmende Missachtung höchstrichterlicher Urteile gegen Grundrechtsübergriffe durch Gesetzgeber und Polizei. Im Grundrechte-Report 2007, den neun deutsche Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen heute in Karlsruhe vorstellten, üben die Verfasser insbesondere Kritik an neuen Landespolizeigesetzen, die den strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Telekommunikationsüberwachung nicht gerecht würden.

Der ehemalige Verfassungsrichter Jürgen Kühling nannte den Report „insgesamt beunruhigend“. Der Trend setze sich fort, „Freiheitsrechte einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis zu opfern“. Kühling warnte vor einer stillen Erosion von Grundrechten durch immer neue Eingriffsbefugnisse für die Polizei. Obwohl die Karlsruher Richter dieser Ausweitung in zahlreichen Urteilen deutliche Grenzen gezogen hätten, setzten sich staatliche Stellen im Zuge der „Sicherheitshysterie im Namen des Kriegs gegen den Terrorismus“ immer wieder über höchstrichterliche Entscheidungen hinweg.

Kühling, von 1989 bis 2001 Verfassungsrichter im Ersten Senat, wies auf eine Reihe „flagranter Rechtsverletzungen“ durch die Polizei hin, darunter Durchsuchungs- und Festnahmeaktionen. Betroffene rief er zu Schadenersatzklagen bei rechtswidrigen Hoheitsakten auf. Nur durch spürbare Strafzahlungen könne in der Praxis die Beachtung der Rechtsprechung durchgesetzt werden.

Die stellvertretende Parteivorsitzende der FDP, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, mahnte auch die Politik zu einer aufmerksamen Lektüre des Grundrechte-Reports. „Die Politik schleift seit Jahren systematisch und in einer geradezu exzessiven Weise die grundgesetzlichen Barrieren gegen Grundrechtseingriffe“, sagte die ehemalige Justizministerin WELT ONLINE. „Mancher Politiker scheint die Verfassung nur noch als Gefängnis zu begreifen, das einer beanspruchten Allmacht des Staates entgegensteht und aus dem es nun auszubrechen gilt.“ Herausgeber des Grundrechte-Reports sind unter anderem die Humanistische Union, Pro Asyl und mehrere Juristenvereinigungen.

SZ online

21.05.2007    13:02 Uhr

 

Trennlinie

Vorstellung des Grundrechte-Reports

Bürgerrechtler kritisieren Missachtung höchstrichterlicher Urteile

Die Autoren des Grundrechte-Reports haben vor einem Abbau der Grundrechte durch erweiterte Polizeibefugnissen gewarnt. Ein ehemaliger Verfassungsrichter wertete den Befund als "insgesamt beunruhigend".

Bürgerrechtler beklagen eine zunehmende Missachtung höchstrichterlicher Urteile gegen Grundrechtsübergriffe durch Gesetzgeber und Polizei. Dies geht aus dem Grundrechte-Report 2007 hervor, den neun deutsche Menschen- und
Bürgerrechtsorganisationen am Montag in Karlsruhe vorstellten.

Darin üben die Verfasser unter anderem Kritik an den novellierten Polizeigesetzen der Länder, die insbesondere den strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Telekommunikationsüberwachung nicht gerecht würden. Auch seien Gefangenen gerichtlich zugesprochene Hafterleichterungen durch die jeweilige Anstaltsleitung verweigert worden.

Der Grundrechte-Report kommt nach Angaben der Autoren zu dem Ergebnis, dass staatliche Überwachung, Übergriffe und Ungleichbehandlung weiter für eine deutliche Kluft zwischen den Ansprüchen des Grundgesetzes und dem tatsächlichen Umgang mit Grundrechten in Deutschland sorgen.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling bezeichnete den Befund bei der Vorstellung des Berichts als "insgesamt beunruhigend". Als Beispiel nannte er den staatlichen Umgang mit Ausländern und hier insbesondere illegal eingereisten Migranten. Auch diese hätten Anspruch auf Wahrung ihrer Menschenwürde und staatlichen Schutz ihrer Grund- und Menschenrechte, betonte Kühling.

Zugleich verwies der ehemalige Verfassungsrichter auf eine Reihe "flagranter Rechtsverletzungen" durch die Polizei, darunter Durchsuchungsaktionen, die vom Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig verworfen worden seien.

Es gebe allerdings "auch gute Nachrichten", hob Kühling hervor. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht habe "der Ausweitung von Eingriffsbefugnissen deutliche Grenzen gesetzt" und sei zugleich "einem nachlässigen Umgang der Behörden und Gerichte mit den Grundrechten in zahlreichen Entscheidungen entgegengetreten". Gleiches gelte für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Kritik üben die Autoren des Reports an einer im Namen des "Krieges gegen den Terror" geschürte Sicherheitshysterie, in deren Sog unterdessen auch friedliche Globalisierungskritiker geraten seien.

So berichtete der Politikwissenschaftler Peter Grottian bei der Vorstellung des Buches, dass ihn der Verfassungsschutz wegen seines Engagements im Berliner Sozialforum ausgespäht habe. Der Politologe sprach in diesem Zusammenhang von Parallelen zur jüngsten Großrazzia gegen Gegner des G-8-Gipfels. "Hier wird aufgrund fadenscheiniger Vermutungen eine Kontaktschuld konstruiert, die dann zur Basis unverhältnismäßiger staatlicher Überwachung
herangezogen wird", kritisierte Grottian.

Der Grundrechte-Report erscheint seit 1997 jährlich zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai und greift Beeinträchtigungen von Grund-
und Menschenrechten durch staatliche Gewalt auf. Herausgegeben wird das Buch von der Humanistischen Union, der Gustav-Heinemann-Initiative, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, dem Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, Pro Asyl, dem Republikanischen Anwälte-Verein, der Vereinigung
demokratischer Juristen, der Neuen Richtervereinigung und der Internationalen Liga für Menschenrechte.

(AFP)

N 24 online

21. Mai 2007

Ex-Richter fordert Strafe für illegale Razzien

Bei illegalen Polizeiaktionen soll der Staat nach Ansicht des früheren Verfassungsrichters Jürgen Kühling den Betroffenen künftig Schadenersatz zahlen. Wiederholt habe das Bundesverfassungsgericht die Justiz wegen rechtswidriger Hausdurchsuchungen gerügt, trotzdem komme es nach wie vor zu solchen Aktionen, sagte Kühling bei der Vorstellung des "Grundrechte-Reports 2007" am Montag in Karlsruhe. Ein wirksames Gegenmittel wäre eine "anständige Entschädigung", denn eine Durchsuchung sei eine "ungeheure Demütigung" und ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre.

Der Report gilt als "alternativer Verfassungsschutzbericht". Mit ihm warnen Menschenrechtsgruppen vor einem Grundrechte-Abbau durch Ausweitung von Polizeibefugnissen und unzureichenden Rechtsschutz. Kühling nannte den Befund "insgesamt beunruhigend". Der Trend setze sich fort, "Freiheitsrechte einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis zu opfern und den Armen mit sozialer Kälte zu begegnen".
Kühling verwies auf einen eklatanten Fall missbräuchlicher Polizeigewalt 2002 in Hamburg, bei dem sich eine Rechtsanwältin auf dem Rückweg vom Weihnachtseinkauf unversehens in einer eingekesselten Demonstration wiederfand. Sie sei durchsucht, gefesselt und stundenlang im Polizeibus durch die Stadt gefahren worden. Vor Gericht habe sie 500 Euro Schadenersatz erstritten. "Gegen solche Übergriffe der Polizei ist kein Kraut gewachsen", sagte Kühling - es sei denn, der Staat müsse mit empfindlichen Entschädigungen rechnen.
Ein Autor des Reports moniert die Missachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Novellierung von Polizeigesetzen. Trotz der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten hohen Hürden für eine vorbeugende Telefonüberwachung und für Eingriffe in die Privatsphäre hätten mehrere Länder polizeiliche Eingriffsbefugnisse geschaffen, die diese Vorgaben ignorierten, unter anderem Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Schleswig-Holstein.
Herausgeber des Grundrechte-Reports sind unter anderem die Humanistische Union, Pro Asyl und mehrere Juristenvereinigungen. Er erscheint seit 1997 jeweils zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai. (dpa)

Heise online

Bürgerrechtler warnen vor "Guantanamoisierung des Rechts"

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling hat bei der Vorstellung des Grundrechte-Reports 2007 am heutigen Montag in Karlsruhe den Befund als "insgesamt beunruhigend" bezeichnet. Als kritischen Punkt hob der Jurist unter anderem die Arbeit der Polizei hervor. Er nannte zahlreiche Beispiele flagranter Rechtsverletzungen, etwa eine Reihe als rechtswidrig verworfener Durchsuchungsaktionen. Die neun herausgebenden Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen zeigen sich in dem Bericht generell besorgt über eine zunehmende Missachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung durch die gesetzgebende und vollziehende Gewalt. Die novellierten Polizeigesetze der Länder etwa würden den strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Telekommunikationsüberwachung nicht gerecht. Eine Entwicklung, die sich auch in der aktuellen Diskussion um verdeckte Online-Durchsuchungen spiegele.

 

 

Kühling bezeichnete den Report als "alternativen Verfassungsschutzbericht". Von dem offiziellen unterscheide er sich vor allem durch die Blickrichtung. "Bedroht ist unsere Verfassung eben nicht allein durch Anarchisten, Kommunisten, Neonazis, Islamisten und Fundamentalisten verschiedener Couleur, sondern auch durch die Mächtigen im Lande, durch Behörden, Regierungen und sogar durch die Gesetzgeber in Bund und Ländern", sagte der Anwalt. So warne die Bestandsaufnahme "vor der stillen Erosion von Grundrechten durch fortschreitende Eingriffsbefugnisse der Polizei, durch unzureichenden Rechtsschutz vor Behördenwillkür, durch mangelnde Verteilungsgerechtigkeit im Sozialrecht."

Konkret beschreibt der Report in einer Analyse der kürzlich freigeschalteten Anti-Terrordatei eine damit einhergehende "Guantanamoisierung des Rechts". Das IT-System führe die polizeilichen und geheimdienstlichen Datenbestände zusammen und gewähre damit sowohl den Geheimdiensten als auch Polizeidienststellen entgegen dem Trennungsgebot im Grundgesetz "unbeschränkten Zugriff". So seien die Voraussetzungen für eine Aufnahme bestimmter Informationen in die Datei überaus weit geschnitten und die Anforderungen zur Löschung von Daten recht vage geregelt. Unschuldige Opfer seien damit vorprogrammiert. Insgesamt ergibt sich für Kühling aus dem Report vielfach "das Bild einer Polizei, die in zunehmendem Maße aus präventiven Gründen in Grundrechte eingreift."

Als "Eigentor für Grundrechte" skizziert der Bericht die Fußball-WM 2006. Dabei sei es zu einem "polizeilichen Übereifer" bei der Speicherung von Daten in einer zentralen Datei "Gewalttäter Sport" und vor allem bei der Sicherungsüberprüfung von Personen gekommen, die beruflich mit der WM zu tun hatten. Insgesamt seien rund eine Viertelmillion Personen von den Sicherheitsbehörden durchleuchtet worden. Als "Datenzugriff von geradezu atemberaubendem Ausmaß" bezeichnete Kühling die Weitergabe persönlicher Daten etwa an die CIA durch das Finanznetzwerk SWIFT. Die Reaktion von Politik und Wirtschaft nach dem Bekanntwerden dieser umfassenden und unkontrollierbaren Preisgabe des Bankengeheimnisses führe zu dem Schluss, dass sich SWIFT, die Banken und Bankenverbände, die Politik wie auch Behörden in Europa und im Rest der Welt von den USA bei der Datenbeschaffung erpressen lassen würden.

Für Kühling gibt es aber auch gute Nachrichten jenseits des Trends, Freiheitsrechte einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis zu opfern. So hätten insbesondere das Bundesverfassungsgericht sowie verstärkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Berichtszeitraum der Ausweitung von Eingriffsbefugnissen deutliche Grenzen gesetzt und seien so einem nachlässigen Umgang der Behörden und Gerichte mit den Grundrechten in zahlreichen Entscheidungen entgegengetreten. Der Grundrechte-Report erscheint seit 1997 jährlich zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai. Zu den herausgebenden Organisationen gehören etwa die Humanistische Union, die Gustav-Heinemann-Initiative, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen sowie die Internationale Liga für Menschenrechte. (Stefan Krempl) / (vbr/c't)