IM GESPRÄCH MIT ROLF GÖSSNER
Der Rechtsanwalt und Menschenrechtsexperte Rolf
Gössner über den in Dessau verhandelten Fall des Asylbewerbers Oury Jalloh, der
im Januar 2005 in einer Polizeizelle verbrannte.
Seit voriger Woche findet vor dem Landgericht Dessau ein
Strafverfahren gegen zwei Polizeibeamte statt, die mutmaßlich für den
tragischen Verbrennungstod des Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich sind.
Die Anklage lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen und
auf fahrlässige Tötung. Der Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone war Anfang
2005 in betrunkenem Zustand in Polizeigewahrsam geraten. Die Polizisten
fesselten ihn an Händen und Füßen und ließen ihn an seine Matratze fixiert
allein zurück. In dieser Sicherheitszelle verbrannte er am 7. Januar 2005, weil
die Beamten trotz Alarmzeichen nicht rechtzeitig reagierten.
Eine internationale Delegation beobachtet diesen Aufsehen
erregenden Prozess vor dem Landgericht. Der Rechtsanwalt Rolf Gössner,
Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, ist für die Liga und für
die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL Mitglied der Delegation.
FREITAG: Was
wäre ohne den öffentlichen Druck aus dem Vorfall geworden?
ROLF GÖSSNER:
Eine hypothetische Frage - aber es ist schon als Erfolg zu werten, dass das
Verfahren nicht sang- und klanglos eingestellt worden ist, wie so häufig bei
Todesfällen auf Polizeirevieren und durch Polizeigewalt.
Halten
Sie das Gericht für befangen?
Mitunter
kommen Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters auf, wenn
er einen afrikanischen Zeugen herablassend behandelt, während er Polizeizeugen,
und seien sie noch so dreist, öfter hilfreich zur Seite springt. Hier scheint
das notorische Muster auf, demzufolge Beamte vor Gericht oft anders behandelt
werden als Normalbürger und anders als Migranten ohnehin.
Ist in
dem Fall besonders schlampig ermittelt worden?
Bisher kann
meines Erachtens nicht davon gesprochen werden - abgesehen von der mutmaßlichen
Verschleppung des Verfahrens, das sich schon über zwei Jahre hinzieht. Die
Staatsanwaltschaft hat aber gravierende Widersprüche des Geschehens ignoriert
und frühzeitig die Version der angeklagten Polizeibeamten übernommen. Danach
habe das Opfer die schwer entflammbare Matratze, trotz Fesselung an allen
Gliedmaßen, selbst angezündet - mit einem Feuerzeug, das bei der intensiven
Personenkontrolle übersehen worden sein soll und nach dem Brand erst bei einer
zweiten Zellen-Durchsuchung gefunden wurde. Es sind auch gänzlich andere
Geschehensabläufe denkbar, die im Laufe des Prozesses untersucht werden müssen.
Halten
Sie die These, es handele sich um einen Mord zur Vertuschung von Misshandlungen
auf der Polizeiwache, für wahrscheinlich?
Nach dem bisherigen
Verlauf der Hauptverhandlung gibt es hierfür keine Anhaltspunkte. Es ist zwar
richtig, dass Oury Jalloh vor seinem Tod Verletzungen erlitten haben muss -
etwa einen Nasenbeinbruch, der erst in einer zweiten, von seinen Freunden
initiierten Obduktion zu Tage getreten ist. Doch ein Kausalzusammenhang
zwischen diesen Vorverletzungen und dem gewaltsamen Tod lässt sich bislang
nicht nachweisen. Allerdings muss im Prozess mit Nachdruck dieser Möglichkeit
nachgegangen werden, auch wenn sie noch so unglaublich scheint.
Wie
schätzen Sie den Prozessverlauf ein?
Die
Nebenklage kann bereits einen wichtigen Erfolg verbuchen: Gegen den
ursprünglichen Willen des Vorsitzenden Richters wird künftig auch jener
Todesfall in dem Prozess verhandelt, der sich bereits 2002 in derselben Zelle
des Dessauer Polizeireviers ereignete. Damals starb ein 36-jähriger Obdachloser
im Gewahrsam - und Dienst tat einer der jetzt anklagten Polizeibeamten, dem
schon damals Pflichtwidrigkeit vorgeworfen wurde. Die bisherigen Zeugenvernehmungen
ergeben im Übrigen ein teilweise erschreckendes Bild von einer Sicherheitsbehörde,
in der "Sicherheit" offenbar über Menschenwürde und Bürgerrecht
gestellt wird, in der Kontrollgänge nachlässig absolviert werden, in der es
kaum Schulungen gibt, geschweige denn ausreichende Brandschutzmaßnahmen. Am
Ende verwandelte sich der Sicherheitsgewahrsam in eine Todesfalle.
Spüren
Sie eine Auswirkung der internationalen Beobachtung auf den Prozessverlauf?
Das ist
schwer zu sagen. Es ist sicherlich wichtig, dass diese internationale
Prozessbeobachtergruppe vor Ort ist. Sie drängt auf eine rückhaltlose
Aufklärung des Falles und auf Entschädigung der Familie des Toten.
Wie
begründet die Beobachtergruppe ihren Rassismusvorwurf?
Noch ist der
Rassismusvorwurf nicht zu beweisen, auch wenn manche schon heute von "Mord
aus rassistischen Motiven" sprechen. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass
das Verhalten der Angeklagten rassistisch geprägt sein könnte. Das betrifft
bereits die Personenkontrolle, die zur Festnahme führte. Jalloh hatte einen gültigen
Ausweis bei sich und erst wenige Monate zuvor war auf demselben Revier seine
Identität überprüft worden, was einer der Angeklagten wusste. Solche
wiederholten, oft schikanösen Prozeduren erleben Flüchtlinge und besonders
Schwarzafrikaner hierzulande täglich. Man hat es im Gerichtssaal, wo viele
Schwarze dem Prozess folgen, förmlich gespürt, dass in diesem Verfahren auch
ihre demütigenden Alltagserfahrungen Thema sind. Verlauf und Ausgang des
Verfahrens haben deshalb für alle davon Betroffenen eine große Bedeutung. Die
verzögerte Reaktion auf die Alarmzeichen aus der Gewahrsamszelle, wie sie einem
der Angeklagten zum Vorwurf gemacht wird, könnte auch rassistisch motiviert
sein - wenn man etwa die zynischen Redensarten über den Gefangenen bei den
beiden Telefongesprächen entsprechend deutet, die der Angeklagte mit dem Arzt
führte, der Jahllos Gewahrsamstauglichkeit festgestellt hatte.
Die
internationale Beobachtergruppe fordert, den gesellschaftlichen Kontext zu
berücksichtigen. Wie realistisch ist das im laufenden Verfahren?
Das ist ein
schwieriges Unterfangen, denn in Strafprozessen werden die gesellschaftlichen
Implikationen und Hintergründe solcher Fälle systematisch
"kleingearbeitet". Hier prozessual gegenzusteuern, ist die schwierige
Aufgabe der Nebenklage. Zu den Aufgaben der Prozessbeobachter gehört es, diesen
Kontext in der Öffentlichkeit deutlich zu machen.
Das
Gespräch führte Beate Selders
Spendenkonto für Prozesskosten: Antirassistische Initiative e.V. Kto. 3039600, BLZ: 10020500, Bank für Sozialwirtschaft, Stichwort: Dessau