06.04.2007

Freitag, 6.04.2007

Rassistische Motive?

IM GESPRÄCH MIT ROLF GÖSSNER *

Der Rechtsanwalt und Menschenrechtsexperte Rolf Gössner über den in Dessau verhandelten Fall des Asylbewerbers Oury Jalloh, der im Januar 2005 in einer Polizeizelle verbrannte.

Seit voriger Woche findet vor dem Landgericht Dessau ein Strafverfahren gegen zwei Polizeibeamte statt, die mutmaßlich für den tragischen Verbrennungstod des Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich sind. Die Anklage lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen und auf fahrlässige Tötung. Der Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone war Anfang 2005 in betrunkenem Zustand in Polizeigewahrsam geraten. Die Polizisten fesselten ihn an Händen und Füßen und ließen ihn an seine Matratze fixiert allein zurück. In dieser Sicherheitszelle verbrannte er am 7. Januar 2005, weil die Beamten trotz Alarmzeichen nicht rechtzeitig reagierten.

Eine internationale Delegation beobachtet diesen Aufsehen erregenden Prozess vor dem Landgericht. Der Rechtsanwalt Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, ist für die Liga und für die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL Mitglied der Delegation.

FREITAG: Was wäre ohne den öffentlichen Druck aus dem Vorfall geworden?

ROLF GÖSSNER: Eine hypothetische Frage - aber es ist schon als Erfolg zu werten, dass das Verfahren nicht sang- und klanglos eingestellt worden ist, wie so häufig bei Todesfällen auf Polizeirevieren und durch Polizeigewalt.

Halten Sie das Gericht für befangen?

Mitunter kommen Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters auf, wenn er einen afrikanischen Zeugen herablassend behandelt, während er Polizeizeugen, und seien sie noch so dreist, öfter hilfreich zur Seite springt. Hier scheint das notorische Muster auf, demzufolge Beamte vor Gericht oft anders behandelt werden als Normalbürger und anders als Migranten ohnehin.

Ist in dem Fall besonders schlampig ermittelt worden?

Bisher kann meines Erachtens nicht davon gesprochen werden - abgesehen von der mutmaßlichen Verschleppung des Verfahrens, das sich schon über zwei Jahre hinzieht. Die Staatsanwaltschaft hat aber gravierende Widersprüche des Geschehens ignoriert und frühzeitig die Version der angeklagten Polizeibeamten übernommen. Danach habe das Opfer die schwer entflammbare Matratze, trotz Fesselung an allen Gliedmaßen, selbst angezündet - mit einem Feuerzeug, das bei der intensiven Personenkontrolle übersehen worden sein soll und nach dem Brand erst bei einer zweiten Zellen-Durchsuchung gefunden wurde. Es sind auch gänzlich andere Geschehensabläufe denkbar, die im Laufe des Prozesses untersucht werden müssen.

Halten Sie die These, es handele sich um einen Mord zur Vertuschung von Misshandlungen auf der Polizeiwache, für wahrscheinlich?

 

Nach dem bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung gibt es hierfür keine Anhaltspunkte. Es ist zwar richtig, dass Oury Jalloh vor seinem Tod Verletzungen erlitten haben muss - etwa einen Nasenbeinbruch, der erst in einer zweiten, von seinen Freunden initiierten Obduktion zu Tage getreten ist. Doch ein Kausalzusammenhang zwischen diesen Vorverletzungen und dem gewaltsamen Tod lässt sich bislang nicht nachweisen. Allerdings muss im Prozess mit Nachdruck dieser Möglichkeit nachgegangen werden, auch wenn sie noch so unglaublich scheint.

Wie schätzen Sie den Prozessverlauf ein?

Die Nebenklage kann bereits einen wichtigen Erfolg verbuchen: Gegen den ursprünglichen Willen des Vorsitzenden Richters wird künftig auch jener Todesfall in dem Prozess verhandelt, der sich bereits 2002 in derselben Zelle des Dessauer Polizeireviers ereignete. Damals starb ein 36-jähriger Obdachloser im Gewahrsam - und Dienst tat einer der jetzt anklagten Polizeibeamten, dem schon damals Pflichtwidrigkeit vorgeworfen wurde. Die bisherigen Zeugenvernehmungen ergeben im Übrigen ein teilweise erschreckendes Bild von einer Sicherheitsbehörde, in der "Sicherheit" offenbar über Menschenwürde und Bürgerrecht gestellt wird, in der Kontrollgänge nachlässig absolviert werden, in der es kaum Schulungen gibt, geschweige denn ausreichende Brandschutzmaßnahmen. Am Ende verwandelte sich der Sicherheitsgewahrsam in eine Todes­falle.

Spüren Sie eine Auswirkung der internationalen Beobachtung auf den Prozessverlauf?

Das ist schwer zu sagen. Es ist sicherlich wichtig, dass diese internationale Prozessbeobachtergruppe vor Ort ist. Sie drängt auf eine rückhaltlose Aufklärung des Falles und auf Entschädigung der Familie des Toten.

Wie begründet die Beobachtergruppe ihren Rassismusvorwurf?

Noch ist der Rassismusvorwurf nicht zu beweisen, auch wenn manche schon heute von "Mord aus rassistischen Motiven" sprechen. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass das Verhalten der Angeklagten rassistisch geprägt sein könnte. Das betrifft bereits die Personenkontrolle, die zur Festnahme führte. Jalloh hatte einen gültigen Ausweis bei sich und erst wenige Monate zuvor war auf demselben Revier seine Identität überprüft worden, was einer der Angeklagten wusste. Solche wiederholten, oft schikanösen Prozeduren erleben Flüchtlinge und besonders Schwarzafrikaner hierzulande täglich. Man hat es im Gerichtssaal, wo viele Schwarze dem Prozess folgen, förmlich gespürt, dass in diesem Verfahren auch ihre demütigenden Alltagserfahrungen Thema sind. Verlauf und Ausgang des Verfahrens haben deshalb für alle davon Betroffenen eine große Bedeutung. Die verzögerte Reaktion auf die Alarmzeichen aus der Gewahrsamszelle, wie sie einem der Angeklagten zum Vorwurf gemacht wird, könnte auch rassistisch motiviert sein - wenn man etwa die zynischen Redensarten über den Gefangenen bei den beiden Telefongesprächen entsprechend deutet, die der Angeklagte mit dem Arzt führte, der Jahllos Gewahrsamstauglichkeit festgestellt hatte.

Die internationale Beobachtergruppe fordert, den gesellschaftlichen Kontext zu berücksichtigen. Wie realistisch ist das im laufenden Verfahren?

Das ist ein schwieriges Unterfangen, denn in Strafprozessen werden die gesellschaftlichen Implikationen und Hintergründe solcher Fälle systematisch "kleingearbeitet". Hier prozessual gegenzusteuern, ist die schwierige Aufgabe der Nebenklage. Zu den Aufgaben der Prozessbeobachter gehört es, diesen Kontext in der Öffentlichkeit deutlich zu machen.

Das Gespräch führte Beate Selders

Spendenkonto für Prozesskosten: Antirassistische Initiative e.V. Kto. 3039600, BLZ: 10020500, Bank für Sozialwirtschaft, Stichwort: Dessau