Der Senator für Inneres und Sport 30. März 2009 Bearbeiter: Herr Bull
Vorlage für die Sitzung der staatlichen und städtischen Deputation für
Inneres
am
16.04.2009
Zu Punkt 2 der Tagesordnung Vorlage 17/86
Bericht über die
Deputationsreise in die Partnerstadt Izmir
A. Sachdarstellung
Vom 3.
bis zum 6. März 2009 fand eine Deputationsreise nach Izmir statt, an der elf Mitglieder
der staatlichen und städtischen Deputation für Inneres teilgenommen haben.
Bericht der staatlichen und städtischen Deputation für Inneres über die Depu-tationsreise in die Partnerstadt Izmir vom 3.-6. März 2009
Die
staatliche und städtische Deputation für Inneres hat in ihrer Sitzung am
04.12.2008 eine Deputationsreise nach Izmir beschlossen, die der Präsident der
Bremischen Bürgerschaft am 12.12.2008 genehmigt hat.
An der
Reise nahmen folgende Personen teil:
Ulrich
Mäurer Vors. der staatlichen und städtischen Deputation für Inneres
Björn
Fecker Mitglied der staatlichen und
städtischen Deputation für Inneres
Fritz
Gierschewski Mitglied der staatlichen Deputation für Inneres
Dr.
Rolf Gössner Mitglied der staatlichen und städtischen Deputation für Inneres
Wilhelm
Hinners Mitglied der staatlichen und städtischen Deputation für Inneres
Erwin
Knäpper Mitglied der städtischen Deputation für Inneres
Susanne
Kröhl Mitglied der städtischen Deputation für Inneres
Silvia
Neumeyer Mitglied der staatlichen und städtischen Deputation für Inneres
Wolfgang
Schmidt Mitglied der staatlichen Deputation für Inneres
Sükrü
Senkal Mitglied der staatlichen und städtischen Deputation für Kultur
Björn
Tschöpe Mitglied der staatlichen und städtischen Deputation für Inneres
Valentina
Tuchel Mitglied der städtischen Deputation für Inneres
Uwe
Woltemath Mitglied der staatlichen und städtischen Deputation für Inneres
Die
Reisegruppe wurde durch folgende Personen begleitet:
Ingo
Biniok Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Bremen
Olaf
Bull Persönlicher Referent des Senators
für Inneres und Sport
Peter
Czerwinski Polizei Bremen, K 63
Uwe
Hoffmann Referatsleiter beim Senator für Inneres und Sport
Rüdiger
Pervelz Polizei Bremen, K 63
Der
Reiseverlauf stellte sich chronologisch wie folgt dar:
Nach
Ankunft und Begrüßung am Flughafen durch den deutschen Generalkonsul in Izmir,
Herrn Stefan Schneider, waren die Reiseteilnehmer zu einem Abendempfang im
Privatwohnsitz des deutschen Generalkonsuls geladen.
Der
Empfang bot eine erste Gelegenheit zu Gesprächen mit Vertretern aus Politik,
Wirtschaft und Kultur. In einer Ansprache betonte Generalkonsul Schneider die
westliche, sehr europäische Prägung Izmirs und die Bedeutung der
Städtepartnerschaft mit Bremen.
Gespräch
mit Herrn Günhan Sarikaya,
Stellvertretender
Gouverneur, Leiter der Hafenbehörde
Die Delegation hatte am ersten Besuchstag
zunächst Gelegenheit, Izmir als Hafenmetropole kennen zu lernen. In einem
Gespräch mit dem Leiter der Hafenbehörde, Herrn Günhan Sarikaya, wurde den
Deputierten die Bedeutung des Hafens und sei-ne 5.500-jährige Tradition beschrieben.
Die geographisch besonders vorteilhafte Lage
Izmirs habe dazu beigetragen, dass die meisten der türkischen Exporte über die
See von Izmir aus abgewickelt werden. Auch bei den Importen würde Izmir einen
Spitzenplatz belegen. Die türkischen Häfen würden bislang einer staatlichen
Steuerung unterliegen, durch die Konkurrenzsituationen ausgeglichen werden
können.
Für den Hafen von Izmir würde eine
Kapazitätserhöhung angestrebt. Um umfangreiche Investitionen in das Hafenbecken
und die Hafenanlagen finanzieren zu können, würde seit anderthalb Jahren die
Privatisierung des Hafens betrieben. Dieser Prozess sei aber ins Stocken
geraten aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen der Stadt Izmir und des
Investors, aber auch wegen heftiger Proteste der über 600 Beschäftigten.
Im
Gespräch wurde deutlich, dass die Häfen von Izmir und Bremen mit den gleichen
Folgen durch die internationale Wirtschaftskrise umzugehen haben. Insbesondere
der Umschlag von Automobilen habe in beiden Städten nachgelassen.
Auf eine Nachfrage zu den Maßnahmen
hinsichtlich der Hafensicherheit in Izmir wurde entgegnet, dass der ISPS-Code
(International Ship and Port Facility Security Code) eingehalten würde und der
Hafen, für den vier Polizei- und Rettungsboote zur Verfügung stünden, dementsprechend
zertifiziert sei.
Während in Touristenorten wie Antalya zur
Verhinderung von terroristischen Angriffen vom Meer aus Stahlbarrieren auf dem
Meeresgrund platziert worden seien, würden in Izmir andere Probleme mit
Priorität versehen. Die Türkei müsse als klassisches Transitland besondere Anstrengungen
zur Bekämpfung des Schmuggels von Drogen und Menschen leisten. Zu diesem Zwecke
würden alle Warencontainer mit Röntgengeräten untersucht. Mit der Verhinderung
dieser illegalen Geschäfte würde gleichzeitig eine wichtige Geldquelle für den
Terror der PKK zum Versiegen gebracht. Bei der Terrorismusbekämpfung
bescheinigten sich die Gesprächsteilnehmer eine sehr effektive Zusammenarbeit.
Bei
einer abschließenden Rundfahrt auf dem Hafengelände wurden der Delegation die
zum Ausschiffen bereitstehenden Pkws, aber auch große Mengen an Teilen für Windkrafträdern
gezeigt.
Gespräch
mit Herrn Mustafa Aydin,
Stellvertretender
Gouverneur, Leiter des Krisenreaktionszentrums
Durch einen Besuch im regionalen
Krisenreaktionszentrum wollten sich die Teilnehmer mit den möglichen
Krisenfälle für Izmir vertraut machen und zugleich erfahren, wie im Krisenfall
schnelle Hilfe gewährleistet würde.
Der Leiter der Einrichtung, Herr Mustafa
Aydin, informierte die Delegation über seinen Verantwortungsbereich. In einer
Kerneinheit von achtzehn Mitarbeitern würden für ausgewählte Szenarien zivile
Aktionspläne entwickelt, die die gesamte Hilfskette abdecken. Zur wissenschaftlichen
Beratung bei dieser Aufgabe sei ein begleitendes Gremium eingerichtet
worden.
Im
Unglücksfall stünden für die schnelle Rettung vor Ort 525 Personen, aufgeteilt
in sechzehn Gruppen, zur Verfügung. Dazu kämen 425 kurzfristig mobilisierbare
ehrenamtliche Helfer, die entsprechend ausgebildet seien. Eine Gruppe von
weiteren 2.000 Personen seien durch Schulungen für wichtige Rettungsaufgaben
qualifiziert worden. Zum Kreise weiterer Kooperationspartner würde u.a. der
Rote Halbmond zählen, dessen Hilfe im Krisenfall zur Einrichtung von
Unterkünften und Verpflegung sehr geschätzt würde.
Ein
unterstützender Einsatz durch das Militär sei nur zulässig, wenn der Gouverneur
dies im Krisenfall explizit anfordere. Die Möglichkeit für ein solches Ersuchen
habe sich aber bereits mehrfach bewährt angesichts der enormen
Mobilitätsvorteile des Militärs.
Die Organisation der Krisenhilfe ist so
gestaltet, dass sie insbesondere den Folgen eines schweren Erdbebens gerecht
wird. Weitere Krisenfälle natürlichen Ursprungs wie z.B. Überschwemmungen,
Erdrutsche und Waldbrände würden in die Planungen einbezogen.
Der
Leiter des Krisenreaktionszentrums berichtete von einer Krisenreaktionszeit von
höchstens zwei Stunden; diese würde in regelmäßigen Großübungen überprüft.
Die technische Ausstattung sei gut.
Allerdings würde der Digitalfunk im Katastrophenschutz erst im Jahre 2011
flächendeckend eingeführt sein. Auch stünde noch kein Geoinformationssystem zur
Verfügung, das alle Hilfseinheiten nutzen könnten.
Herr Senator Mäurer berichtete von der
Organisation des Katastrophenschutzes in Bremen. Ergänzend plädierte er dafür,
dass sich die Träger des
Katastrophenschutzes in Deutschland künftig mehr der Integration zugewanderter
Menschen annehmen sollten. Insbesondere die Feuerwehren seien gefragt, sich
mehr für ein Engagement junger Migrantinnen und Migranten zu öffnen.
Gespräch
mit Herrn Yener Ülgütol,
Leiter
der Kriminalabteilung der Polizei Izmir
Bei einem Zusammentreffen mit
Herrn Yener Ülgütol, Leiter der Kriminalpolizei Izmir, wurden der Delegation
mehrere Projekte vorgestellt, die aufgrund ihres großen Erfolgs nunmehr
schrittweise auf alle Polizeien der Türkei ausgeweitet werden.
Für die Sicherheit der knapp 3 Mio. Einwohner
Izmirs arbeiten ca. 10.000 Polizisten und 1.000 Polizistinnen (Vergleich
Bremen: ca. 2.500/550.000).
2. und
Verbesserung der Eintreffzeiten.
1. Einrichten von „Teams für die öffentliche
Ordnung“
Nach
einer Zusammenlegung der Einsatzdistrikte wurden 1.326 Mitarbeiter in Teams für
die öffentliche Ordnung organisiert, die fortan im Dreischichtsystem in den
Distrikten eingesetzt wurden. Die Einsatzstreifenwagen wurden mit speziellen
GPS-Ortungsgeräten ausgestattet, um in der Einsatzzentrale mittels einer großen
Leinwand und entsprechender IT-Unterstützung eine moderne Einsatzsteuerung
vornehmen zu können. Die Teams haben die Vorgabe, nicht länger als 20 Minuten
an einem Ort zu verbleiben und ständig nach Vorgaben der Einsatzzentrale im
Einsatzgebiet zu rotieren.
Das
System habe zu einer Verbesserung der Eintreffzeit auf 3-4 Minuten
geführt.
Als
Reaktion auf das erhebliche Aufkommen an Straßenraub, insbesondere im historischen
Basarviertel, wurden zur Ergänzung der Teams für die öffentliche Ordnung 67
sog. Friedensteams mit 134 speziell ausgebildeten Polizistinnen und Polizisten
für den verdeckten Einsatz gebildet. Die an einer Mitarbeit interessierten
Personen müssten eine besondere Kenntnis der Einsatzschwerpunkte vorweisen und
unterliefen nach ihrer Auswahl eine mehrstufige Ausbildung in Theorie und
Praxis. Dazu gehöre der Unterricht in einer personenorientierten Ermittlungsstrategie
und in einer besonderen Kampftechnik.
Den
verdeckten Ermittlern sei es möglich, verkleidet als Gärtner, Bettler,
Straßenverkäufer o.ä., die Täter auf frischer Tat zu erwischen. Der Delegation
wurde berichtet, dass die verdeckten Ermittler bei ihrer Arbeit durch die
Kaufleute unterstützt würden.
Bei
der Strategie, verdeckte Ermittler flächendeckend und sehr offensiv
einzusetzen, würde keine Verunsicherung durch eine womöglich überzogene
Überwachung der Bürgerinnen und Bürger befürchtet. Die Bevölkerung würde
verdeckte Ermittlungen deutlich befürworten.
Auf
Nachfrage wurde versichert, dass ein Agieren als „agent provocateur“, z.B. als
Drogenhändler, nach geltendem Recht hingegen nicht zulässig wäre.
Um den
Mobilitätsgrad der Polizei weiter zu erhöhen und enge und verwinkelte Straßen
besser befahren zu können, wurden als weitere Ergänzung Motorradteams mit insgesamt
124 - ausschließlich männlichen - Polizeikräften eingerichtet, die in
Doppelstreifen im Einsatzgebiet rotieren würden. Diese besonders ausgebildete
Gruppe, die aufgrund ihrer besonderen Wendigkeit „Delfine“ genannt würde, sei
ein wichtiger Imageträger für die Polizei.
Als
besonders wichtiger Teil der Präventionsarbeit wurden den Deputierten die so genannten
Schulteams vorgestellt. Für die mehr als 500.000 Schülerinnen und Schüler in
Izmir seien 80 Mitarbeiter nach einem Auswahlverfahren in Zusammenarbeit mit
der Universität in Kommunikation und Psychologie geschult worden, um in
Zweierteams Kriminalitätsproblemen an Schulen mit ziviler Präsenz vor Ort zu
begegnen. Die Teams würden eng mit den Schulleitungen zusammenarbeiten und suchten
den Kontakt zu gefährdeten Schülerinnen und Schülern. Die Schulen würden für
diese Arbeit vorab kategorisiert und in Handlungskonzepte einbezogen.
Die
vier dargestellten Teams müssten sich regelmäßigen Leistungskontrollen unterziehen.
Für die Messung des Erfolgs sei ein Punktesystem entwickelt worden, auf dessen
Grundlage über Belohnung oder Bestrafung, d.h. Leistungszulagen oder Versetzungen,
entschieden würde. Die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und die besten
Teams - würden jeweils öffentlichkeitswirksam gekürt. Dieses System, so die Antwort
auf eine Nachfrage, fände breite Akzeptanz unter den Mitarbeitern und hätte
erhebliche Leistungsreserven freigesetzt.
Zum Abschluss des Gesprächs lud Herr Senator
Mäurer Herrn Ülgütol zu einem Gegenbesuch nach Bremen ein.
Zur
gezielten Terrorismusbekämpfung wurden im Jahre 1983 in 48 von 81 Regionen der
Türkei innerhalb der Polizeien Sondereinsatzkommandos gebildet. Seit Gründung
der Einheiten waren 280 Opfer in Einsätzen auf Seiten der Polizei zu beklagen.
Den Kommandos stehen für die Bewältigung von Terrorlagen unterschiedlichster
Art besondere Ausstattungen und Waffen zur Verfügung.
Die
Einheit in Izmir besteht aus 130 Kräften (Mindestalter 27 Jahre), die sich
ständig in erhöhter Alarmbereitschaft für einen Spezialeinsatz bereithalten.
Die körperliche und geistige Fitness wird in wöchentlichen Test überprüft. Die
Einsatzkräfte stellten dies mit einer Simulation unterschiedlicher Einsatzsituationen
unter Beweis.
Oberbürgermeister Kocaoglu betonte bei der Begrüßung der
Delegation die Nähe der deutschen und türkischen Bevölkerung zueinander und verband
diese Feststellung mit einem Werben für eine Unterstützung der Aufnahme der
Türkei in die EU.
Die Türkei garantiere als laizistischer Staat
eine klare Trennung von Staat und Religion. Er setze sich persönlich für die
Grundlagen des Staates nach Atatürk ein. Islamistische Strömungen seien als
Nährboden für Terrorismus zu bekämpfen.
Das türkische Parteiensystem habe zwar starke
Fliehkräfte, Herr Kocaoglu zeigte sich aber zuversichtlich, dass er und seine
im Umbruch befindliche Partei, die Republikanische Volkspartei, gestärkt aus
den Kommunalwahlen am 29. März hervorgehen w
Senator Mäurer betonte, wie modern die Türkei
mittlerweile von Deutschland und Bremen aus wahrgenommen würde; die Reise der
Deputation trage hierzu auch bei.
Eine Herausforderung für Izmir wie für Bremen
sei die Integration von Zugewanderten. Der Oberbürgermeister empfahl hierzu ein
früh einsetzendes Patenschaftsmodell, das er in Izmir für die zugewanderten
Menschen aus dem Osten der Türkei ein-gesetzt habe.
Senator Mäurer dankte für die große
Gastfreundschaft und sprach eine Gegeneinladung nach Bremen aus.
Die Deputierten hatten im Vorfeld der Reise
den Wunsch geäußert, nicht nur staatliche Organisationen zu treffen, sondern
auch Menschenrechtsorganisationen nach Ihrer Einschätzung der Entwicklung und
Situation der Bürger- und Menschenrechte zu befragen.
Die Deputierten erhielten eine umfassende
Darstellung von Vertretern unterschiedlicher Organisationen (u.a. Verein für
Menschenrechte), die sich in einem Verbund organisiert haben. Gemeinsame Ziele
sind die Hilfe für Opfer von physischer und psychischer Folter, die Dokumentation
von Menschenrechtsverstößen (u.a. auf Protestkundgebungen) und die
Sensibilisierung der Öffentlichkeit.
Das
Thema Folter könne nicht als abgeschlossen betrachtet werden, wenngleich die
Zahl der Vorfälle deutlich rückläufig seien. Im Jahre 2008 wurden durch
Personen, die bei den Organisationen vorstellig wurden, 269 Fälle von Folter
beklagt. Die Folter bestünde zumeist in exzessiver Gewalt durch Polizistinnen
und Polizisten gegen Demonstranten (u. a. durch den Einsatz von Pfeffersprays
und Plastikgeschossen). Das unverhältnismäßige Einschreiten an Ort und Stelle
würde die bisher ausgeübte Folter im Gewahrsam – ein Teilnehmer beschrieb, dass
er in den 80er Jahren mit
Elektroschock gefoltert wurde - ersetzen. Den Polizistinnen und
Polizisten würde nicht in der Ausbildung beigebracht, wie Gewalt vermieden
werden könne, obgleich es dazu kurzzeitig ein entsprechendes Projekt mit
Unterstützung durch Hamburger Beamte gegeben habe.
Diese Taten würden durchgehend ungesühnt
bleiben. Während Anzeigen gegen Demonstranten regelmäßig zu Verurteilung
führten, würden alle Anzeigen gegen die Polizei schlichtweg ignoriert oder
zumindest eingestellt. Ein Beschwerdemanagement sei bei der Polizei auch nicht
vorhanden. Es wurde auch beklagt, dass die einzelnen Polizistinnen und
Polizisten nicht zu identifizieren seien, so dass individuelle Anzeigen unmöglich
wären.
Schwere Vorwürfe wurden erhoben hinsichtlich
von Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Während die Gesetzeslage
mittlerweile Demonstrationen nach vorheriger Anmeldung ohne Genehmigung
zuließe, würde in der Praxis eine Genehmigung vorausgesetzt, die zumeist
abgelehnt würde. Auch das öffentliche Aufrufen für zugelassene
Protestkundgebungen durch die Versammlungsleitung würden sabotiert. Die Versammlungsleitungen
würden durch fingierte Verhöre und Durchsuchungen ohne richterliche Anordnungen
schikaniert.
Die Vereine beklagten nicht nur, dass ihre
geringen finanziellen Mittel, die sie von privaten Spendern erhalten, einer
unverhältnismäßig strengen staatlichen Kontrolle unterlägen. Sie würden auch
ständig von der Polizei abgehört und beobachtet.
Sie
selbst seien alles andere als Staatsfeinde, sie setzten sich nur für Kontrolle
der Staatsgewalt, eine weitere Demokratisierung und eine neue Verfassung mit
sozialen Rechten ein. Die staatlichen Organe würden eine ideologische
Auseinandersetzung führen.
Der im
Gespräch erhobene Vorwurf, die Aktivisten stünden unter durchgängiger staatlicher
Überwachung, gewann an zusätzlicher Glaubhaftigkeit durch die Anwesenheit
zweier nicht identifizierbarer Personen, die vermutlich im Auftrag staatlicher
Institutionen einen Tonmitschnitt des Treffens machen wollten. Der Vorfall
geschah im Beisein des deutschen Generalkonsuls Stefan Schneider, der den
Vorfall in geeigneter Form rügen wird.
Die
Deputierten brachten in der Diskussion ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass der
Frage der Menschenrechte im Beitrittsprozess zur Europäischen Union eine
besonders wichtige Bedeutung zugemessen werden müsse.
Feierstunde
mit Herrn Ender Yorgancilar, Präsident der Ägäischen Industrie-kammer (EBSO)
und Herrn Sayıl Dincsoy, Vorstand des Verbands der deutsch-türkischen Unternehmer
In einer Videopräsentation wurde der
Delegation zu Beginn ein Eindruck von der Stärke der wachsenden
Wirtschaftsregion Izmir und der Türkei insgesamt vermittelt.
Herr Yorgancilar betonte die Bedeutung der
kommerziellen Beziehungen von Deutschland und der Türkei. Die deutsch-türkische
Beziehung würde als „Prüfstein“ für einen späteren EU-Beitritt angesehen.
Der Präsident der Ägäischen Industriekammer,
die 1927 gegründet wurde und die einzige Regionalkammer der Türkei ist, warb
dafür, dass Bremer Unternehmen Investitionen in die Region Izmir tätigen.
Senator
Mäurer betonte in seiner Ansprache, dass die nach Bremen zugewanderten Türken
ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens seien. Dennoch müssten die
Integrationsbemühungen weiter verstärkt werden.
Senator Mäurer nahm stellvertretend für den
Bremer Senat den Wunsch nach einer intensiveren wirtschaftlichen Kooperation
auf und versprach, dieses Ansinnen dem zuständigen Wirtschaftssenator Nagel zu
übermitteln. In diesem Zusammenhang schlug er auch den Besuch einer
Wirtschaftsdelegation in Bremen vor.
Das Goethe-Institut ist der
zentrale Träger der auswärtigen Kulturpolitik Deutsch-lands mit 138
Niederlassungen in 74 Ländern.
Die Dependance in Izmir ist in vier
Abteilungen gegliedert (Sprachabteilung, Bildungskooperationen, Bibliothek und
Programmabteilung).
In der Sprachabteilung würden nach Angaben
des Leiters jährlich 3.350 Schülerinnen und Schüler in 14.400
Unterrichtseinheiten in deutscher Sprache geschult und 3.400 Prüfungen
abgehalten.
Herr Dr.
Schmidt berichte ausführlich über das seit kurzem für einen Ehegattennachzug
nach Deutschland erforderliche Sprachniveau „A 1“. Die politische Strategie
hinter dieser Anforderung nenne sich „Vorintegration“. Für das als angemessen
zu betrachtende Niveau würden jährlich ca. 1.000 Schülerinnen und Schülern in
160 Unterrichtseinheiten unterrichtet. Zur abschließenden Prüfung käme etwa die
gleiche Anzahl an Probanden hinzu, die den Vorbereitungskurs nicht genutzt
hätten.
In einer Videovorführung von Interviews mit
Schülerinnen und Schülern wurde die persönliche Bedeutung des Kurses für die
Lebensplanung verdeutlicht. Der Zwang, ein gewisses Sprachniveau vor der
Einreise nachzuweisen, führe zu einer besonders hohen Motivation und zu guten
Prüfungsergebnissen – 90% bestehen die Prüfung auf Anhieb. Die erworbenen
Sprachkenntnisse würden den Zuwanderern die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben in Deutschland von Beginn an deutlich erleichtern.
In der Abteilung für Bildungskooperationen
würden die ca. 3.000 Deutschlehrinnen und -lehrer in Izmir und den angrenzenden
Regionen unterstützt. Eine zweite Fremdsprache würde demnächst für verbindlich
erklärt.
Die Programmabteilung des Goethe-Instituts
organisiert zahlreiche kulturelle Veranstaltungen und Ausstellungen (u.a.
Literaturbus).
Der Gouverneur erläuterte der Delegation,
dass er im Auftrag der Zentralregierung die Verantwortung für die Innere
Sicherheit der Region Izmir trüge. Dafür stünden ihm als ausführende Einheiten
die Polizei Izmir, die Jandarmerie im Umland und die Küstenwache zur
Verfügung.
Herr Kirac lobte insbesondere die Arbeit des
neuen Polizeipräsidenten und führte aus, dass die bevorstehenden Wahlen am 29.
März zusätzliche Sicherheitsvorkehrung erforderlich machten, damit die
demokratischen Prinzipien einer Wahl gewährleistet werden können.
Herr
Senator Mäurer sprach dem Gouverneur große Anerkennung für die Erfolge auf dem
Gebiet der Inneren Sicherheit aus und bezeichnete die Teamprojekte der Kriminalpolizei
als interessante Anregung für die Delegation.
Herr Capkin betonte in seinem
Eingangsstatement den Wert des regelmäßigen Polizeiaustausches mit der Partnerstadt
Bremen, die sein Vorgänger Tatas mit dem ehemaligen Polizeipräsidenten Bremens,
Herrn Prof. Mordhorst begründet hatte. Die Fortsetzung dieses Programms sei für
ihn selbstverständlich.
Herr Senator Mäurer schilderte die Eindrücke
der Delegation von der Polizeiarbeit in Izmir und die Anknüpfungspunkte für
Bremen.
Herr Capkin verwies auf das hohe Maß an
Sicherheit in Izmir und die außerordentlichen Erfolge bei der Eindämmung der
Straßenkriminalität, insbesondere im historischen Bazarviertel. Die Erhöhung
der Präsenz, die Einrichtung der Spezialteams, die technische Nachrüstung und
die Leistungsbewertung würde auch eine große Berufszufriedenheit bewirken.
Auf
Nachfrage erklärte der Polizeipräsident, dass Beschwerden über Gewalt durch Polizeibeamte
sehr ernst genommen und zu strengen Konsequenzen für die betroffenen Polizistinnen
und Polizisten führen würden. Für Folter gäbe es „null Toleranz“. Leider sei
die Wahrnehmung ausländischer Medien in dieser Hinsicht sehr überzogen.
Die
Delegation sah davon ab, Herrn Capkin mit den Vorwürfen der am gleichen Tag besuchten
Menschenrechtsorganisationen zu konfrontieren. Der Polizeiaustausch mit Izmir
bietet aber nach Auffassung der Delegation auch die praktische Chance, wichtige
Überzeugungsarbeit zu leisten für die Begrenzung polizeilicher Gewalt.
Frühstück
auf Einladung des Vereins der der Gewerbetreibenden des histori-schen Bazars
Kemeralti und anschließende Bazarführung
Das Reiseprogramm endete mit
einem traditionellen türkischen Frühstück auf dem Bazar mit anschließender
Führung.
Bremen 30. März 2009
Olaf Bull
Es
folgen Protokollnotizen von Dr. Rolf Gössner (parteiloser Vertreter der
Linksfrakti-on in der Deputation für Inneres)
Ergänzung:
Zur regulären Ausstattung des polizeilichen Spezialeinsatzkommandos gehören
auch Kriegswaffen (so das M 16-Sturmgewehr) und es gibt eine enge Ko-operation
mit dem türkischen Militär. Über nichtpolizeiliche (Todes-)Opfer von
SEK-Einsätzen gab es keine Angaben.
Auf die Nachfrage einzelner
Delegationsmitglieder, ob mit den verdeckten Präven-tivmethoden der sog.
Friedensteams, mit denen Teile der Gesellschaft in Alltagssitu-ationen
polizeilich durchdrungen werden, nicht Misstrauen in der Bevölkerung geschürt
und Straßenkriminalität lediglich verdrängt würde und ob diese Methoden
überhaupt demokratisch kontrollierbar seien, erhielten die
Delegationsteilnehmer die Antwort, dass diese Einsatzmittel erfolgreich seien
und von Bevölkerung, Gewerbe-treibenden und Medien begrüßt würden. Auf die
spezifische Problematik solcher Einsatzmethoden und ihrer bürgerrechtlichen
Folgen wurde leider nicht eingegangen.
Seite
9 ff. des Berichts: Gespräch mit Menschenrechtsorganisationen
Um im Rahmen der Delegationsreise in
die Türkei auch das (naheliegende) Thema Menschenrechte zu erörtern, war es
überaus wichtig, nicht nur, wie ursprünglich ge-plant, bei staatlichen Stellen
vorstellig geworden zu sein, sondern auch Nichtregie-rungsorganisationen, die
zu diesem Thema arbeiten und Erfahrungen mit staatlicher Gewalt sammeln,
aufgesucht zu haben. Zu den Gesprächspartnern gehörten Vertreter u.a. der
international bekannten türkischen Menschenrechtsorganisation IHD (Insan
Haklari Dernegi), der Menschenrechtsstiftung TIHV und der Menschenrechtsgruppe
MAZLUM-DER.
Dieses Gespräch über die Erfahrungen
der türkischen Menschenrechtsorganisationen mit Menschenrechtsverletzungen
durch türkische Polizeikräfte fand vor dem Hin-tergrund statt, dass die Türkei
immer wieder vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Folter
und exzessiver Polizeigewalt verurteilt wird. Auch die EU-Fortschrittsberichte
und die Lageberichte des Auswärtigen Amtes konstatieren nach wie vor die
prekäre Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere den mangelnden
Schutz von Minderheiten sowie der Meinungs-, Versammlungs- und
Religionsfreiheit. Kritisiert wird darin das schleppende Tempo der
diesbezüglichen Reformen beziehungsweise ihrer Umsetzung.
Die Vertreter der Menschenrechtsorganisationen
hatten nach Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen ab 2003 bis etwa 2005/06
eine gewisse Euphorie hinsichtlich einer positiven Menschenrechtsentwicklung in
der Türkei registriert. Sie selbst waren der Ansicht, dass der EU-Beitrittsprozess
die Chance eröffnen könne, die Menschen-rechtssituation in der Türkei zu
verbessern und die kurdische Frage friedlich zu lösen. Inzwischen, seit etwa
2005/06, habe sich der Reformprozess allerdings stark verlangsamt und die
Menschenrechtslage habe sich teilweise sogar wieder verschlechtert.
So berichteten die Gruppen der
Delegation von Folterungen und Misshandlungen durch Polizisten, die in den
letzten Jahren wieder zugenommen hätten. Danach komme es gerade in den ersten
Tagen des Polizeigewahrsams zu Misshandlungen durch staatliche
Sicherheitskräfte, aber es gebe einen Trend, die Gewaltanwendungen nicht mehr
im Polizeigewahrsam zu vollziehen, sondern die Opfer würden oft vor Ort, also
außerhalb der Polizeireviere im Freien verprügelt und misshandelt - mit oft
schweren Folgen.
Das
regierungsamtliche Programm Nulltoleranz gegenüber Folter habe am Anfang
noch Wirkung gezeigt, inzwischen aber immer weniger: Es sei in letzter Zeit
(seit 2007 ff.) wieder ein Anstieg der Opferzahlen zu verzeichnen und die Ahndung
der Gewalttaten verlaufe schleppend, wenn überhaupt eine Verfolgung der
Folterer stattfinde (Probleme: Anonymität der Täter mangels Kennzeichnung,
Ermittlungen in eigener Sache; für Beschwerdefälle gebe es keine neutralen
Institutionen, Folge: Sanktionsimmunität der Polizei). Eine der Gruppen betreut
unmittelbar Folteropfer, zum Teil in EU-Projekten und mit EU-Mitteln sowie in
Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung.
Außerdem
beklagten die Menschenrechtsgruppen die Einschränkungen der Meinungsfreiheit
sowie unverhältnismäßige Polizeigewalt etwa gegen Demonstrationsteilnehmer; es
komme immer wieder zu schweren Verletzungen durch Plastikgeschosse und Pfeffergas.
2006 seien die Antiterrorgesetze verschärft worden, was zu einer weiteren Einschränkung
der Bürgerrechte geführt habe; seit 2007 sei auch das Polizeigesetz verschärft,
die Polizeimacht weiter gestärkt und der polizeiliche Waffengebrauch erweitert
worden. Auch über eine relativ hohe Anzahl von Todesfällen durch polizeilichen
Schusswaffengebrauch berichteten die Menschenrechtsgruppen der Delegation.
Innerhalb
der Polizei existiere immer noch eine fatale Subkultur und ein ausgeprägter
Korpsgeist. Aus Polizeisicht seien Polizisten die wahren Retter und Schützer
des türkischen Staates und all jene, die es wagten, staatliches bzw.
polizeiliches Handeln zu kritisieren, würden als Staatsfeinde betrachtet und
entsprechend behandelt; dazu gehörten auch Kurdinnen und Kurden, deren Rechte
und Kultur in der Türkei immer noch missachtet würden – die kurdische Frage
harre noch immer einer friedlichen und gerechten Lösung; auch in dieser Frage
bauten die Menschenrechtsgruppen auf die EU und den Beitrittsprozess.
1.
Angesichts der im vorliegenden Delegationsbericht auf Seite 13 referierten
Äußerung von Herrn Senator Mäurer, der dem Gouverneur von Izmir gegenüber seine
„große Anerkennung für die Erfolge auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit“
aussprach und die Teamprojekte der Kriminalpolizei (S. 6 - 8) als „interessante
Anregung für die Delegation“ bezeichnete, ist Folgendes anzumerken:
Besonders problematische
präventive Polizeimethoden – wie die als Bauarbeiter, Straßenhändler,
Lotterieverkäufer, Gärtner, Drogenabhängige etc. getarnten Polizeiermittler der
sog. Friedensteams in Alltagssituationen – sind von Deputationsmitgliedern vor
Ort vereinzelt kritisch hinterfragt worden. Solche unverhältnismäßig
erscheinenden verdeckten Maßnahmen können und dürfen für das Land Bremen keine
„interessante Anregung“ und kein Vorbild sein.
2. Angesichts der auf Seite 14 des
Berichts geäußerten Auffassung der Delegation, der Polizeiaustausch mit Izmir
biete – in Hinblick auf die massiven Vorwürfe der Menschenrechtsorganisationen
gegen die türkische Polizei – die „praktische Chance, wichtige Überzeugungsarbeit
zu leisten für die Begrenzung polizeilicher Gewalt“, ist Folgendes zu ergänzen
und anzumerken:
Die Bremer Seite sollte im Rahmen eines
Polizeiaustausches die Chance nutzen, Überzeugungsarbeit nicht allein für die
rechtsstaatliche Begrenzung polizeilicher Gewalt und die Beachtung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu leisten, sondern auch für die
demokratische Kontrolle von Polizeihandeln und die strikte Einhaltung von
Bürger- und Menschenrechten. Insoweit ist das Hospitationsprogramm und die
bisherige Kooperation der Polizeien der Partnerstädte Izmir und Bremen speziell
auf dem Hintergrund notorischer rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher
Defizite sowie unterschiedlicher Rechtsgrundlagen zu überdenken und künftig
entsprechend auszugestalten. Rg