von Dr. Rolf Gössner
Präsident
der Internationalen Liga für Menschenrechte
Verehrte Damen und
Herren, liebe Freundinnen und Freunde!
Seit über 40 Jahren
verleiht die Internationale Liga für Menschenrechte die Carl-von-Ossietzky-Medaille
an Frauen, Männer und Gruppen, die sich um die Menschenrechte und den Frieden
besonders verdient gemacht haben. In diesem Jahr hat das Kuratorium der Liga
diese Ehrung Esther Bejarano, Peter Gingold, Martin Löwenberg und Percy
MacLean zuerkannt. Percy MacLean wird für sein aufklärerisches
Wirken und seine dem Antidiskriminierungsgebot verpflichtete justizielle
Tätigkeit gewürdigt. Oft gegen starke Widerstände aus Behörden und Politik hat
er vor allem in Flüchtlingsfragen klare menschenrechtliche Akzente gesetzt. Als
erster Direktor des „Deutschen Instituts für Menschenrechte“ hat er sich
dafür stark gemacht, nicht allein Menschenrechtsverletzungen in fernen Ländern
zu thematisieren, sondern auch die Menschenrechtslage in Deutschland zu
beleuchten – etwa den Umgang mit Flüchtlingen. Diese notwendige Focussierung
hat ihn letztlich seine Stellung gekostet. Schließlich gibt es in Deutschland,
wie wir ja nun alle wissen, keine Menschenrechtsverletzungen, folglich hat
dieses Thema auch nichts auf der Agenda zu suchen - so die Logik...
Esther Bejarano, Peter
Gingold und Martin Löwenberg stehen stellvertretend für viele, die in der
NS-Zeit aus politischen, häufig zugleich aus sog. rassischen Gründen verfolgt
worden waren, aktiv gegen das Naziregime gekämpft hatten und dann in der
Bundesrepublik wegen ihres antifaschistisch-sozialistischen Engagements
kriminalisiert, teils sogar inhaftiert wurden; die sich aber trotz
alledem weiter aktiv gegen Rassismus und Neonazismus engagiert haben und, bis
ins hohe Alter, immer noch so engagieren – unter anderem in der „Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ (VVN-BdA), der
alle drei angehören. Heute noch stellen sie sich Nazi-Aufmärschen in den Weg
und sind als kritische Zeitzeugen gerade für junge Menschen wertvolle
Gesprächspartner.
Indem wir den von allen
vier Preisträgern auf unterschiedliche Weise geführten politischen und rechtlichen
Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und Neonazismus in dieser Gesellschaft
würdigen, wollen wir ein Zeichen setzen gegen den fatalen Rechtsruck
hierzulande, gegen Antisemitismus, Islamophobie und rechte Gewalt.
Die vergessenen
Justizopfer des Kalten Krieges - West[1]
Lassen Sie mich die
heutige Medaillenverleihung zum Anlass nehmen, an ein verdrängtes Kapitel bundesdeutscher
Geschichte zu erinnern – ein Kapitel, von dem drei unserer Medaillenträger mehr
oder weniger stark betroffen waren. Nach dem Anschluss der DDR an die
Bundesrepublik konzentrierten sich bekanntlich alle Anstrengungen darauf, die
Geschichte der DDR zu durchforschen, die Opfer der Stasi und der DDR-Justiz zu
rehabilitieren und zu entschädigen. Diese Aufarbeitung war notwendig und vom
Ansatz her respektabel. Doch streckenweise ist daraus eine westdominierte
Abrechnung geworden – jedenfalls handelte es sich um ein äußerst einseitiges
Unternehmen, dem ich den Anspruch entgegenhalten möchte, dass die Aufarbeitung
der Geschichte in einem ehemals geteilten Land unteilbar sein muss.
Die Konzentration auf
die Geschichte der DDR ließ in Vergessenheit geraten, dass es auch in der westdeutschen
Geschichte überaus dunkle Kapitel gibt. Dazu gehören drei Grundbelastungen, die
die Bundesrepublik von Anfang an prägten: die verschleppte, mangelhafte Aufarbeitung
der NS-Vergangenheit, die systematische Wiedereingliederung von Alt-Nazis in
Staat und Gesellschaft sowie die massive politische Verfolgung in den ersten
beiden Jahrzehnten.
Politische Verfolgung in
Westdeutschland? So mögen sich manche Bundesbürger ungläubig fragen, das kann
doch nicht wahr sein, schließlich war dafür doch die DDR zuständig. Doch
stellen Sie sich vor, mehrere Frauen organisieren preiswerte Ferien für Kinder
aus sozial benachteiligten Familien - und werden dafür mit je einem Jahr
Gefängnis und fünf Jahren Ehrverlust bestraft, nur weil das Reiseziel die DDR
war. Die Ferienvermittlung, so die Richter, sei ”staatsgefährdende nachrichtendienstliche
Tätigkeit” und politische ”Wühlarbeit” in einer ”kommunistischen
Tarnorganisation”. Die Deutsche Bundesbahn hatte jahrelang Sonderzüge für diese
Fahrten zur Verfügung gestellt.
Oder jemand trägt eine
rote Nelke im Knopfloch und verteilt weitere Nelken an Passanten - auch das
wird ihm zum strafrechtlichen Vorwurf gemacht, denn rote Nelken sind Symbole
der Kommunistischen Partei. Eine andere Person mobilisiert gegen die
Wiederbewaffnung des Landes - auch dies reicht aus, sie hinter Gitter zu
bringen.
So unerhört es in
manchen Ohren klingen mag: Auch in der Alt-Bundesrepublik gab es politische
Verfolgung großen Ausmaßes - unter dem Tarnmantel des Rechts und auf dem Boden
der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Betroffen waren in erster Linie
Kommunisten, ihre Unterstützer und »Sympathisanten«; aber auch Menschen, die
weder Kommunisten waren noch ihnen politisch nahe standen. Das gesamte Ausmaß
erscheint heute geradezu unglaublich: In der Zeit von 1951 bis 1968 – also
innerhalb von 17 Jahren - gab es Ermittlungsverfahren gegen mehr als 200.000
Personen, nahezu ausschließlich wegen gewaltfreier linksoppositioneller Arbeit.
Vielfach verfolgt wurden Gegner der Remilitarisierung Westdeutschlands, andere
wurden wegen sog. Geheimbündelei bestraft, weil sie für eine »Wiedervereinigung
Deutschlands in freien Wahlen« oder für ein demokratisches, entmilitarisiertes
und neutrales Gesamtdeutschland eingetreten waren oder weil sie
deutsch-deutsche Kontakte pflegten.
Solche Aktivitäten konnten zu
mehrmonatigen, teilweise auch mehrjährigen Gefängnisstrafen führen. Die
Betroffenen wurden ihrer staatsbürgerlichen Rechte, ihres Passes, ja auch
ihres Führerscheins beraubt, unter langjährige Polizeiaufsicht gestellt und mit
Berufsverboten belegt. Die Ermittlungs- und Strafverfahren waren geeignet, die
betroffenen Personen psychisch zu zermürben und finanziell zu ruinieren.
Wie war es möglich, dass
nach den schlimmen Erfahrungen mit politischer Verfolgung in der Nazi-Zeit eine
so umfassende Kriminalisierung und Ausgrenzung in der jungen Bundesrepublik
wieder Einzug halten konnte - gerichtet nicht etwa gegen Alt- und Neonazis,
sondern gegen Kommunisten und andere Linke, die bereits unter dem Nazi-Regime
politisch Verfolgte waren? Verfolgt nach einem Staatschutz-Strafrecht, das bis
in die Formulierungen an das NS-Recht angelehnt war und nun als „Waffe im
Kalten Krieg“ diente. Unverkennbar zeigte dieses Gesinnungsstrafrecht die
Handschrift „entnazifizierter“ Nazis, die in die Verwaltungen und
Sicherheitsbehörden zurückströmten. Sie wirkten bei der inneren Aufrüstung der
Bundesrepublik als „Bollwerk“ gegen die kommunistische Gefahr aus dem Osten
eifrig mit – auf Grundlage eines neu-alten Feindbildes, eines tiefverankerten
antikommunistischen Grundkonsenses. Viele ehemalige Gestapo-Beamte und
SS-Angehörige erklommen hohe Posten bei Polizei und Geheimdiensten. Und selbst
die furchtbarsten Juristen der NS-Sondergerichte kehrten in Amt und Würden
zurück und besetzten Schlüsselpositionen in der Justiz.
So kam es, dass die
neuen Verfolger nicht selten die Täter von gestern waren und viele der
Bestraften bereits unter den Nazis verfolgt worden waren. So musste sich etwa
eine kommunistische Angeklagte vor dem Landgericht Lüneburg vorhalten lassen,
dass sie »trotz schwerer Bestrafung in den Jahren des Nationalsozialismus
nichts daraus gelernt« habe.
Höhepunkt dieser
Verfolgung war im Jahre 1956 das Verbot der Kommunistischen Partei
Deutschlands. In der Folgezeit wurden zahlreiche weitere Vereinigungen
verboten, Menschen wegen des Verstoßes gegen das Verbot und wegen Beteiligung
an sog. Tarn- oder Ersatzorganisationen bestraft. Kriminalisiert wurden damit Menschen,
die in der Bundesrepublik »keine politischen Morde, keine Aufstandsversuche,
keinerlei Gewalttaten« begingen, wie der in solchen Prozessen verteidigende
Anwalt und spätere nordrhein-westfälische Justizminister, Diether Posser (SPD),
in seinem Buch „Anwalt im Kalten Krieg“ zurecht festgestellt hat. Diese
17jährige Ära einer exzessiven Kommunistenverfolgung fand erst 1968 mit der
Liberalisierung des politischen Strafrechts ein Ende. Einige der schlimmsten
Gesinnungsparagrafen sind damals gestrichen worden - ohne damit allerdings das
politische Strafrecht und die Politische Justiz in ihrer Substanz zu treffen.
Die veränderte
außenpolitische Großwetterlage, die dann auch offizielle Verhandlungen mit der
DDR und eine neue Ostpolitik bzw. Entspannungspolitik zuließ, setzte straffreie
Ostkontakte geradezu voraus; die Kommunistenverfolgung wurde zum
offensichtlichen Anachronismus. Der Antikommunismus hatte seine
Integrationsfunktion eingebüßt, ohne allerdings auf dem Müllhaufen der
Geschichte zu landen.
Schon ab 1972 erfuhr die
Kommunistenverfolgung – als Reaktion auf die Studentenbewegung und ihr Motto:
»Marsch durch die Institutionen« - eine Fortsetzung mit anderen Mitteln. Hunderttausendfache
Überprüfungen durch den »Verfassungsschutz« und tausendfache Berufsverbotsverfahren
auf der Grundlage des sogenannten Radikalenerlasses bedrängten Intellektuelle,
Liberale und die gesamte Linke und vergifteten das politische Klima der
sozialliberalen 70er Jahre. Nur in einem Fall ist ein Gerichtsverfahren bis zum
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte getrieben worden; erst hier ist das
Berufsverbot mit 15jähriger Verspätung für verfassungs- und
menschenrechtswidrig erklärt worden.
Rechtsstaatliches
Unrecht – keine Rehabilitierung
Gewiss dürfen bei
alledem die Konfrontation und Dynamik des Kalten Krieges nicht übersehen
werden. Tatsächlich waren die Funktionäre der KPD stark an der – anfänglich
noch stalinistischen – KP der Sowjetunion und an der SED der DDR orientiert,
bekämpften nicht nur die Restauration alter Verhältnisse, sondern das westliche
System. Das darf uns aber nicht daran hindern, das Unrecht, das hierzulande begangen
wurde, auch Unrecht zu nennen – ein politisch motiviertes Unrecht, das die
politische Kultur in der jungen Bundesrepublik nachhaltig vergiftete.
Jahrzehnte nach dem KPD-Verbot bemängelte die ehemalige Präsidentin des
Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, dieses Urteil sei wahrlich „kein Ausdruck
besonderer demokratischer Souveränität“.
Trotz vielfacher
parlamentarischer Bemühungen sind die Betroffenen bis heute nicht rehabilitiert
worden. Schließlich, so die offizielle Begründung, sei seinerzeit doch alles
ganz rechtsstaatlich gelaufen. Doch schon an der formellen Rechtsstaatlichkeit
vieler Ermittlungs- und Strafverfahren sind Zweifel angebracht, weil die
sonderjustitiellen Bedingungen ein faires Verfahren praktisch unmöglich
machten. Ein anderes Gerechtigkeitsproblem kommt hinzu: Vielen NS-Opfern und
Widerstandskämpfern sind wegen ihrer linksoppositionellen Tätigkeit in Westdeutschland
sämtliche Wiedergutmachungsansprüche wegen „Unwürdigkeit“ verweigert oder
wieder entzogen worden - selbst jene Ansprüche, die ihnen wegen Freiheitsentziehung
in Konzentrationslagern oder wegen der in diesen Lagern erlittenen
Gesundheitsschäden eigentlich zustanden.
Diese systematischen
Ungerechtigkeiten sind mit den Maßstäben einer freiheitlich demokratischen
Grundordnung unvereinbar. Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges müssen
deshalb, so unsere Forderung, schnellstens rehabilitiert und entschädigt
werden.
Überwachung und
Kriminalisierung antifaschistischen Engagements
Dass die Vergangenheit
noch längst nicht abgeschlossen ist, kann man auch an der Tatsache ablesen,
dass die VVN nach wie vor vom Verfassungsschutz beobachtetet wird – von
einem demokratisch kaum zu kontrollierenden Geheimdienst, der schon im Kalten
Krieg und im Zusammenhang mit den Berufsverboten viel Unheil gestiftet hat. Wie
immer man zu der lange Zeit unkritischen Haltung der VVN zur DDR stehen mag –
die aktuelle Beobachtung dieser überparteilichen, dieser
generationenübergreifenden antifaschistischen Organisation ist ein Skandal. Und
die Begründung des Verfassungsschutzes ebenfalls: Die VVN sei „linksextremistisch
beeinflusst“ und huldige einem orthodox-kommunistischen Faschismusbegriff.
Und der Gipfel der Erkenntnis: Die VVN werfe staatlichen Institutionen
regelmäßig vor, Rechtsextremisten zu begünstigen und gleichzeitig repressiv
gegen Antifaschisten vorzugehen.
Hiervon kann unser
Preisträger Martin Löwenberg tatsächlich ein garstig Lied singen: Er, der
bereits in den 50er und 60er Jahren wegen seiner politischen Arbeit zu
insgesamt 20 Monaten Gefängnis verurteilt worden war, stand im Alter von 78
Jahren wiederum vor Gericht. Wegen „Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz“
verurteilte ihn das Amtsgericht München voriges Jahr zu einer Geldstrafe, weil
er öffentlich dazu aufgerufen hatte, sich einem Neonazi-Aufmarsch gegen die
Wehrmachtsausstellung in den Weg zu stellen. Er hielt es für legitim, sich –
wie er formulierte - den „Totengräbern der Demokratie entgegenzustellen“ – für
ihn eine lebensgeschichtliche Verpflichtung. Doch das Gericht sah in seinem
Aufruf eine „öffentliche Aufforderung zu Straftaten“, nämlich die Absicht,
einen nicht verbotenen Aufzug alter und neuer Nazis zu verhindern. Das Urteil
ist seit September 2004 rechtskräftig. Die „Süddeutsche Zeitung“ titelte
daraufhin: „Ex-KZ-Häftling wegen Nazi-Protest verurteilt“. Eine Polizeiangestellte
wusste offenbar mit dem Kürzel KZ nichts anzufangen, weshalb sie in der polizeilichen
Ermittlungsakte aus ihm einen ehemaligen „Kfz-Häftling“ machte.
Löwenberg ist nicht der
einzige, der wegen seines antifaschistischen Engagements verurteilt wurde. Es
mehren sich seit geraumer Zeit die Anklagen gegen Menschen, die zu Antinazi-Protesten
aufriefen oder sich den Nazis in den Weg stellten. Dabei gerät eine früher
seltener angewandte Strafnorm mehr und mehr zu einer juristischen Keule,
nämlich § 21 Versammlungsgesetz. Diese weit gefasste Norm namens
„Versammlungsstörung“ kann von Polizei und Staatsanwaltschaft dazu gebraucht
oder auch missbraucht werden, jeglichen antifaschistischen Protest im Vorfeld
zu kriminalisieren und zu ersticken.[2]
Das beeinträchtigt die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und
Versammlungsfreiheit – nach dem Motto: Nazis darf man sich nicht ungestraft in
den Weg stellen. So wird die geforderte zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung,
der gewaltfreie Protest gegen Neonazismus und Rassismus von Staats wegen
behindert.
Lassen wir das nicht zu,
liebe Freunde und Freundinnen. Am 8. Mai 2005, dem 60. Jahrestag der Befreiung
Deutschlands vom Naziterror, sollen wieder Nazis durch das Brandenburger Tor
marschieren dürfen. Die Jungen Nationaldemokraten (JN) haben ihren Aufmarsch am
4.11.04 angemeldet; er soll von 10 bis 18 Uhr dauern und von Osten kommend am
Platz des 18. März enden. Demgegenüber sollen antifaschistische Aktionen in
örtlicher Nähe das Nachsehen haben, weil nach dem „Prinzip der ersten Anmeldung“
der Neonazi-Aufzug „vorrangig zu betrachten“ sei. So hat das Polizeipräsidium
Berlin die Anmelder des Brecht-Projektes „Das Begräbnis oder Die Himmlischen
Vier“ beschieden, obwohl deren Anmeldung bereits am 4.10.04, also einen Monat
früher, erfolgt war – allerdings noch ohne genaue Streckenplanung. Auch wenn
noch nichts wirklich entschieden ist: Wir müssen uns darauf vorbereiten. Ob wir
uns nun wohl strafbar machen, wenn ich von hier aus dazu ausrufe: Lassen Sie
uns den Alt- und Neonazis am 8. Mai 2005 gemeinsam entgegenstellen!?
In Baden-Württemberg
versucht ein junger Mann seit Jahren, dem rechten Spuk entgegen zu wirken. Die Strafe:
Berufsverbot. Dem Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy hat kürzlich
die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan (CDU) die Einstellung
in den Staatsdienst verweigert. Begründung: Der Lehrer engagiere sich in einer
Antifaschistischen Initiative gegen fremdenfeindliche und neonazistische
Bestrebungen. Eigentlich ja ein anerkannt löbliches Tun, rufen doch auch
Politiker zuweilen einen „Aufstand der Anständigen“ aus. Doch diese legale
Antifa-Initiative zählt nicht zu den offiziell anerkannten
"Anständigen". Denn sie sei linksextremistisch, so der
definitionsmächtige Verfassungsschutz. Mit diesem neuen Berufsverbotsfall wird
ein Antifaschist aus Gesinnungsgründen vom Schuldienst ferngehalten, dem
persönlich kein Fehlverhalten vorzuwerfen und der für den Lehrerberuf bestens
qualifiziert ist. Solche Lehrer braucht das Land! Die Liga hat sich dem Protest
gegen diese Neuauflage der unsäglichen Berufsverbotepolitik angeschlossen.[3]
Institutionalisierter Rassismus
Am 16. November schob
der Bundesgrenzschutz die hochschwangere Jenny S. aus Indonesien, ihren
pakistanischen Lebenspartner Imran F. und ihren Sohn Aman nach Indonesien ab –
ohne eine noch ausstehende Härtefallentscheidung des Petitionsausschusses des
Bundestags abzuwarten. Nach einem 14stündigen Flug um die halbe Erde scheiterte
die Abschiebung letztlich, weil der BGS notwendige Papiere vergessen hatte.
Nach weiteren 14 Stunden Flug – auf dem die Hochschwangere trotz starker
Schmerzen nicht ärztlich versorgt wurde – durften die Flüchtlinge dann aus
„humanitären Gründen“ wieder ins Land. Nun wird der zweite Abschiebeversuch
vorbereitet.
Dies ist die kurze
Geschichte einer versuchten Abschiebung auf Teufel komm’ raus – eine, die
öffentlich geworden ist. In der täglichen Abschiebepraxis werden ständig
Menschenrechte verletzt, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Hier ist
die Würde des Menschen längst zur rhetorischen Formel verkommen – und es sind
viel zu wenige, die sich diesem Tabuthema stellen. Einer davon ist Percy
MacLean. Er engagiert sich für eine menschenrechtsorientierte Flüchtlings- und
Asylpolitik, von der wir meilenweit entfernt sind – ja, von der wir uns immer
weiter entfernen.
So beobachtet die Liga
mit Sorge die gegenwärtige Praxis des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge, vermehrt Asylanerkennungen zu widerrufen. In vielen Fällen
widerruft das Amt seine eigenen Beschlüsse, mit denen es politische Flüchtlinge
wegen Verfolgungsgefahr als asylberechtigt anerkannt hatte. Die seit 2002
geltenden „Anti-Terror“-Gesetze machen’s möglich: Sie erschweren die Anerkennung
von Asylbewerbern und erleichtern ihre Ausweisung. Damit wird ihnen der Schutz
vor Auslieferung an Verfolgerstaaten, der Schutz vor Folter und Mord entzogen.[4]
Nach wie vor weigert
sich die Bundesregierung, langjährig in Deutschland geduldeten Flüchtlingen ein
Bleiberecht einzuräumen, "Menschen ohne Papiere" eine Chance auf
Legalisierung und damit auf Integration zu eröffnen; nach wie vor weigern sich
einzelne Bundesländer, die UN-Kinderrechtskonvention in vollem Umfang zu
ratifizieren, die unter 18jährigen mehr Schutz vor Abschiebung gewähren würde.
Trotz der Zunahme rassistischer Übergriffe ist die Bundesregierung offenbar
nicht in der Lage, effektive Maßnahmen gegen Rassismus, Antisemitismus und
Diskriminierung zu ergreifen. Ein Antidiskriminierungsgesetz ist nach sechs
rot-grünen Regierungsjahren immer noch nicht unter Dach und Fach (erst im
Januar 2005 wird ein Gesetzesentwurf der rot-grünen Regierungsfraktionen in
erster Lesung in den Bundestag eingebracht). Mit diesen Versäumnissen und
Verzögerungen hat die Bundesregierung ihre völkerrechtlichen
Vertragsverpflichtungen eklatant verletzt. Wir fordern die Bundesregierung
deshalb auf, diesen Verpflichtungen endlich nachzukommen.
Mit der ebenfalls noch
ausstehenden Ratifizierung des Zusatzprotokolls der UN-Antifolter-Konvention
(Einigung zwischen Bund und Ländern erfolgte erst nach dieser Rede) würde einem
Sachverständigenausschuss das Recht eingeräumt, unangemeldet Gefängnisse,
Abschiebeknäste oder Polizeistationen zu inspizieren. Damit sollen inhaftierte
Menschen vor Folter und anderen grausamen Maßnahmen geschützt werden. Die
Menschenrechtsgruppen „Aktion Courage“ und „amnesty international“ haben Anfang
des Jahres zahlreiche Fälle von Polizeiübergriffen auf Migranten dokumentiert,
bei denen viele Betroffene zum Teil schwer verletzt worden sind, einige von
ihnen starben.[5]
Angesichts dieser
Übergriffe, angesichts des Machtmissbrauchs gegenüber Migranten ist daran zu
erinnern, dass sich deren bürgerrechtliche Situation mit den neuen
„Anti-Terror“-Gesetzen von 2002 ohnehin gravierend verschlechtert hat: Gehörten
sie schon bislang zu der am intensivsten überwachten Bevölkerungsgruppe, so
werden sie nun unter Generalverdacht gestellt und einem noch rigideren
Überwachungssystem unterworfen, was für viele existentielle Folgen haben kann.
Diese
Gesetzesverschärfungen, die kaum mehr Sicherheit schaffen, erklären Ausländer
zu erhöhten Sicherheitsrisiken, grenzen sie aus und schüren fremdenfeindliche
Ressentiments. Das ist das Gegenteil von Integration. Migranten, unter ihnen
besonders Muslime, gehören zu den eigentlichen Verlierern des staatlichen
„Anti-Terror-Kampfes“.[6]
Nach dem Mord an Theo van Gogh hat die Islamismus-Debatte auch hierzulande
geradezu hysterische Züge angenommen. Nach einer jüngst veröffentlichen
Langzeituntersuchung nimmt die Islam- und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland
ohnehin dramatisch zu. Lassen Sie mich hier ein besonders erschütterndes
Beispiel behördlichen Rassismus’ schildern, das uns authentisch berichtet
worden ist: Die Sachbearbeiterin eines schleswig-holsteinischen Sozialamtes
erteilte einer Sinti-Frau, die händeringend nach einer bezahlbaren Wohnung
suchte, den Rat: „Versuchens Sie’s doch mal in Auschwitz“.
In diesem politischen
Klima, das weit in die Mitte der Gesellschaft reicht, darf auch hierzulande
wieder unbefangen über die Notwendigkeit der Folter debattiert werden. Wir
erleben in diesen Antiterror-Kriegszeiten ein kräftiges Abrücken vom absoluten
Folterverbot der internationalen Menschenrechtskonventionen. Man könnte 2004
zum „Jahr der Folter“ ausrufen – dafür stehen Abu Graib und Guantanomo. Und die
Gefahr ist längst auf die Bundesrepublik übergesprungen:[7]
Das zeigen die Debatte um den Fall Daschner und die erschreckenden Folterübungen
bei der Bundeswehr, die als neue Einsatzarmee die Folterschule der Nation zu
werden droht.
Darum braucht dieses
Land noch viel mehr widerständige Menschen von der Art, wie es unsere diesjährigen
Medaillenträger sind - Menschen, die gegen die Diskriminierung von Migranten,
gegen erleichterte Auslieferungen, inhumane Abschiebehaft und neue
Folterrechtfertigungsversuche opponieren. Dieses Land braucht Menschen, die
sich gegen den bedrohlichen Rechtsruck dieser Gesellschaft und gegen den
institutionalisierten Rassismus engagieren. Menschen, die hellwach reagieren
auf aktuelle Debatten über deutsche Leitkultur und Patriotismus, auf den um
sich greifenden Nationalismus, der nach altem Muster dazu dienen soll,
Sozialabbau und Grundrechtseinschränkungen als Opfer fürs Vaterland zu
verklären. Vielen Dank Ihnen, Esther Bejarano, Peter Gingold, Martin Löwenberg
und Percy MacLean, für das Vorbild, das Sie geben.