7.3.2008 - 12:06 http://www.stern.de/politik/deutschland/612872.html
Ein
absurder Rekord: Seit den 70ern beobachtet der Verfassungsschutz den Bremer
Juristen Rolf Gössner. Er soll mit "linksextremistischen Personen-Zusammenschlüssen"
kooperiert haben. Jetzt wehrt sich Gössner gegen die Bespitzelung vor Gericht.
© Heide Schneider-Sonnemann
Im Visier des Verfassungsschutzes:
Der Bremer Anwalt Rolf Gössner
Steht da
drüben jemand in der dunklen Einfahrt? Peilt der Mann aus dem Dachgeschoss
gegenüber durch das Fenster bis in dieses Zimmer, in dem vertrauliche Notizen
auf dem Tisch liegen? Ist womöglich hinter den Aktenwänden eine Wanze versteckt?
Wer den Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner in dessen Büro im Ostertorviertel
besucht, wird das ungute Gefühl nicht los, dass selbst hinter der Deckenleuchte
ein Mikro kleben könnte. Denn der Bürgerrechtler wird seit 38 Jahren vom Verfassungsschutz
beobachtet - ein besonderer Rekord, so absurd und anachronistisch wie ein
Slapstick aus den Kindertagen des Kinos. Gössner hat dagegen Klage erhoben,
über die demnächst entschieden werden soll.
Die
unendliche Geschichte begann lange im vorigen Jahrtausend, als noch Kalter
Krieg herrschte und widerspenstige Geister in der Bundesrepublik gern als
bolschewistische Schläfer verdächtigt wurden - vom Kölner Bundesamt für
Verfassungsschutz jedenfalls. Klammheimlich sammelte es seit 1970 Aufsätze und
Interviews des Bremer Juristen, die in ganz unterschiedlichen Blättern
erschienen: in der DKP-nahen "Deutschen Volkszeitung", im maoistischen
"Arbeiterkampf" oder in einer Broschüre der "Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes". Der Vorwurf, der ihm allerdings erst 26 Jahre
später mitgeteilt wurde: "Zusammenarbeit mit linksextremistischen bzw.
linksextremistisch beeinflussten Personenzusammenschlüssen". "Dabei
war ich nie Mitglied einer Partei", sagt Gössner, "sondern immer nur
für einen offenen, kritischen Dialog."
Zu
kritisch, fand man in Köln, wo die Hüter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
sich immer wieder über den linken Rechtsanwalt ärgerten: Schließlich wirkte der
auch an der Postille "Geheim" mit, die schon mal einen Schlapphut enttarnte.
Half elf Jahre lang als wissenschaftlicher Berater der Grünen in Hannover, den
dortigen Verfassungsschutz zu stutzen (was bei Bediensteten intern zu
"Motivationsverlusten" führte). Schrieb Bücher über die "Polizei
im Zwielicht" und den "modernen Überwachungsstaat". Da half es
auch nichts, dass er auch bei eher unverdächtigen Personenzusammenschlüssen wie
SPD oder DGB referierte, bei Richtern und Staatsanwälten und sogar beim
Hessischen Verfassungsschutz. "Sobald ich etwas bei den üblichen
Verdächtigen veröffentlichte, wurde das gespeichert und registriert."
Bis
heute haben die Beamten in Köln so viele Artikel und Reden des politischen Publizisten
erfasst, dass sie nach Angaben aus dem Dienst "kaum mehr aufzuzählen"
sind. Selbst Interviews mit dem "Weserkurier" und der
"Frankfurter Rundschau" wurden ausgewertet und archiviert. Die
amtliche Sammelwut konnte weder durch Proteste von Strafverteidigern noch von
Schriftstellern wie Günter Grass oder Gerhard Zwerenz gestoppt werden und auch
nicht durch die Einschaltung des Bundesdatenschutzbeauftragten. Der fand das
alles "nicht zu beanstanden", obwohl er die Akten über Gössner nicht
mal eingesehen hatte. Sie waren einem seiner Mitarbeiter bloß vorgelesen
worden, in Teilen - "zum Schutz der Quellen", wie es aus der Kölner
Behörde hieß.
Die
"geheimhaltungsbedürftigen Daten", die der Dienst unter Verschluss
hält, betreffen nach dessen Eingeständnis "Veranstaltungen, die nicht in
der Öffentlichkeit stattgefunden haben". Im Klartext: Dort müssen neben
Gössner V-Leute gesessen haben, die nicht enttarnt werden sollen. Zwar hat das
Amt inzwischen schriftlich beteuert, dass "keine Quelle gezielt gegen
seine Person eingesetzt" wurde. Aber ob er bei der Observation anderer ins
Visier geriet, ob nicht noch andere nachrichtendienstliche Mittel wie etwa
Wanzen angewandt wurden, weiß Gössner bis heute nicht sicher: "Und wie
viel Vertrauen soll eigentlich ein Mandant in einen Anwalt haben, der über
Jahrzehnte beobachtet wird? Das ist ein massiver Eingriff in das
Berufsgeheimnis, der unbedingt beendet werden muss."
Weil er
endlich aus dem amtlichen NADIS-Computer gelöscht werden will, hat Gössner beim
Verwaltungsgericht Klage gegen die Kölner Verfassungshüter erhoben. Schließlich
hütet er jetzt selbst in Bremen offiziell die Verfassung, nachdem er dort zum
stellvertretenden Richter am Staatsgerichtshof gewählt worden ist. Aber auch
das ficht seine Kölner Erzfeinde nicht an: Sie bescheinigten ihm nun sogar, er
sei zur Tarnung "ganz bewusst nicht Mitglied einer offen extremistischen
Partei oder Organisation" geworden, damit er für diese "unentbehrliche
Agitations- und Propagandadienste" leisten kann.
"Eine Frechheit", sagt Gössner, der im dezent roten Hemd in seinem Büro sitzt - und schmunzelt. Denn manchmal kommt er sich auch wie in einer Farce mit Überlänge vor. Schmunzelnd überlegt der Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte", ob er nicht auch den Bundesrechnungshof wegen jahrzehntelanger Verschwendung öffentlicher Gelder einschalten soll. Vor Gericht hat der 60-jährige Anwalt, der demnächst als Mitherausgeber des "Grundrechte-Reports" wegen "vorbildlichen demokratischen Verhaltens" die Theodor-Heuss-Medaille erhält, jedenfalls ziemlich gute Karten. Kürzlich hat die Kölner Kammer, die bald über seinen Fall entscheidet, schon mal den Übereifer der Schlapphüte gestoppt. Sie entschied, dass die jahrelange Beobachtung des Abgeordneten Bodo Ramelow ("Die Linke") rechtswidrig war.