Rolf Gössner  

 

Die Berufsverbote kehren zurück

Zwei neue Fälle aus Ost und West

 

Wer glaubt, in der Bundesrepublik gehörten Berufsverbote aus politischen Gründen der Vergangenheit an, irrt sich gewaltig. Es gibt sie noch - oder wieder, in West wie in Ost. Kürzlich sind gleich zwei gefällt worden: In Baden-Württemberg traf es den 34jährigen Realschullehrer Michael Csaszkóczy, dem von der baden-württembergi­schen Kultusministerin Annette Schavan (CDU) die Einstellung in den staatlichen Schuldienst verweigert worden ist. In Sachsen entließ der CDU-Wissenschafts­minister Matthias Rößler fristlos den 59jährigen PDS-Spitzenkandidaten Peter Porsch als Germanistik-Professor an der Universität Leipzig.

Das Berufsverbot gegen Michael Csaszkóczy begründet die Kultusministerin damit, dass sich der angehende Lehrer in der „Antifaschistischen Initiative Heidelberg“ politisch betätige. Diese Initiative engagiert sich gegen fremdenfeindliche und neonazistische Bestrebungen aller Art. Eigentlich eine anerkannt löbliche Angelegenheit, markieren doch selbst Politiker zuweilen einen „Aufstand der Anständigen“. Doch die Antifa-Initiative des Lehramtskandidaten, die tatkräftig ernst mit ihrem Anliegen macht, zählt nicht zu den selbsternannten „Anständigen“: Denn sie sei „linksextremistisch“ und befürworte auch noch Militanz gegen Neonazis und Rassisten, so der Verfassungsschutz, der Csaszkóczy schon seit mehr als einem Jahrzehnt hinterher schnüffelt.

Ausgerechnet diese zweifelhaften Quellen und Bewertungen des Geheimdienstes nähren die Zweifel der Kultusministerin an der Verfassungstreue des Bewerbers. Wer Mitglied einer „extremistischen Vereinigung“ sei, könne nicht Lehrer an einer öffentlichen Schule werden. Schließlich habe der Betroffene sich nicht von der Antifa-Initiative und ihren Zielen distanziert, obwohl das Ministerium gerade dies von ihm verlangt hatte. Mit ihrer Entscheidung hält die Ministerin einen engagierten und unbeugsamen Antifaschisten aus Gesinnungsgründen vom Schuldienst fern­, dem persönlich keinerlei Fehlverhalten vorgeworfen werden kann – ein ziemlich klarer Verstoß gegen die Grundrechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Berufsfreiheit. Viele Organisationen und Einzelpersonen, auch Schülerinnen und Schüler, hatten sich vergeblich für den bestens qualifizierten Lehramtsanwärter eingesetzt – denn gerade solche Lehrer braucht das Land.

Seit diesem Vorfall fühlt man sich zurückversetzt in jene Zeiten der 70er und 80er Jahre, als der Verfas­­sungs­­­­­­schutz auf Grundlage des „Radikalenerlasses“ Hunderttausende Stelleninhaber und Bewerber für den Öffentlichen Dienst systematisch überprüfte. Etwa zehntausend Berufsverbotsverfahren und über tausend Berufsverbotsmaßnahmen resultierten aus dieser Praxis, die das politisch-kulturelle Klima der damaligen Bundesrepublik erheblich vergiftete. Betroffen war die gesamte Linke, waren Intellektuelle und politisch engagierte Angehörige des liberalen Bürgertums, die eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst suchten oder aber dort bereits tätig waren, ob als Lehrer, Postboten, Bahnschaffner oder als sonstige Beamte.

Für diese Berufsverbotspraxis ist die Bundesrepublik Deutschland schon einmal vom Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt worden – wegen Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und damit wegen Verletzung von Menschenrechten. Zuvor hatten sämtliche bundesdeutschen Gerichte, auch das Bundesverfassungsgericht, diese Praxis im Einzelfall als grundrechtskonform abgesegnet. Mit dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs hoffte man, dass diese verhängnisvolle Politik nun endlich auf dem „Müllhaufen der Geschichte“  (Egon Bahr) landen würde.

Doch mit dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik Anfang der 90er Jahre zeichnete sich schon wieder die Gefahr einer neuen Berufsverbotspraxis ab. Auf Grundlage des Einigungsvertrags und des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wurden Stellenbewerber aus der ehemaligen DDR praktisch einer Art Regelanfrage unterzogen. Es ging um die Feststellung von Stasi-Kontakten und SED-Mitgliedschaften. Selbst bloße „Staatsnähe“ konnte zum Ausschluss aus dem Öffentlichen Dienst führen. So hatte etwa die bayerische Staatsregierung, wie auch andere Landesregierungen, seinerzeit angeordnet, dass jeder Bewerber für den öffentlichen Dienst einen „Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue“ ausfüllen muss. Darin mussten die Aspiranten angeben, ob sie „extremistische Organisationen“ unterstützen (etwa die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ oder die PDS – nicht aber „die Republikaner“ oder DVU), ob sie Mitglied einer DDR-Massenorganisation waren (z.B. „Freie Deutsche Jugend“ oder „Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter“), für die Stasi spioniert hatten oder als inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (nicht des Verfassungsschutzes oder anderer westlicher Geheimdienste) geführt worden waren. Tatsächlich sind nach der „Wende“ über eine Million Menschen aufgrund ihrer ehemaligen beruflichen Stellung oder politischen Betätigung überprüft und weit mehr als 10.000 Sonderkündigungen im öffentlichen Dienst ausgesprochen worden. In erster Linie hat es Lehrer getroffen, aber auch Ärzte, Juristen, Wissenschaftler und Künstler.

Vierzehn Jahre nach der Vereinigung sind nun die aufbereiteten Stasi-Unterlagen auch dem Germanistikprofessor und PDS-Politiker Peter Porsch zum Verhängnis geworden. Just drei Wochen vor der Sächsischen Landtagswahl – die PDS ist in den Umfragen zweitstärkste Partei in Sachsen - wurden belastende Dossiers über den Spitzenkandidaten der PDS an die Presse lanciert. Die Birthler-Behörde, von der das Material stammt, hatte ihm weder Akteneinsicht noch die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. In der entscheidenden Phase des Wahlkampfs wurde ihm öffentlich zum Vorwurf gemacht, 1984 als „IM Christoph“ der Stasi Bericht erstattet haben – etwa über einen privaten Literatur-Zirkel, dem auch seine spätere Frau angehört hatte. Porsch bestreitet diesen Vorwurf. Er könne sich allenfalls vorstellen, ohne sein Wissen „abgeschöpft“ worden zu sein. Trotz dieser widersprüchlichen und ungeklärten Situation ist er – ohne vorherige Anhörung – vom Wissenschaftsminister in aller Eile fristlos als Professor an der Universität Leipzig entlassen worden. Porsch erfährt von dieser Entscheidung der Personalkommission aus dem Radio.

Eine fristlose Kündigung ist nach dem Einigungsvertrag möglich, wenn der Mitarbeiter gegen „Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit“ verstoßen hat oder wenn er für die frühere Staatssicherheit der DDR tätig war und die Weiterbeschäftigung „unzumutbar“ ist. Auf dieser Rechtsgrundlage kam es in der Vergangenheit immer wieder zu einer rigiden Handhabung, bei der nicht der konkrete Einzelfall geprüft, sondern eher schematisch entschieden wurde. Zwar stand dieses Sonderkündigungsrecht des Einigungsvertrages schon einmal auf dem gerichtlichen Prüfstand, ist aber nicht als verfassungswidrig eingestuft worden. Denn mit diesen Regelungen werde, so das Bundesverfassungsgericht, dem Umstand Rechnung getragen, „daß durch eine solche Tätigkeit (für die Stasi; R.G.) die Integrität des Betroffenen sowie seine innere Bereitschaft, Bürgerrechte zu respektieren und sich rechtsstaatlichen Regeln zu unterwerfen, nachhaltig infrage gestellt wird. Die systematische Ausforschung der eigenen Bevölkerung mit nachrichtendienstlichen Mitteln war ein besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument“, argumentierte das Gericht. Doch im Fall Porsch ist noch längst nicht bewiesen, dass der Verdächtigte an systematischer Ausforschung beteiligt war – deshalb hätte sich eine Entlassung schon aus Gründen der Unschuldsvermutung verbieten müssen.

Michael Csaszkóczy und Peter Porsch - zwei Menschen, zwei Berufsverbotsfälle, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Porsch, der erfolgreich parteipolitisch arbeitet, als Landtagsabgeordneter abgesichert ist (und bleibt) und dessen Ruf als Wissenschaftler und Politiker nun auf dem Spiel steht, weil ihm Stasi-Vorwürfe aus grauer DDR-Vorzeit gemacht werden. Csaszkóczy, ein junger Antifaschist jenseits des Parteienspektrums, der am Anfang seiner Berufslaufbahn steht – ein qualifizierter und politisch unbequemer Lehrer, dessen Auskommen und Lebensperspektive auf dem Spiel stehen.

 

Aus: „Ossietzky“ – Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft, Hannover/Berlin (www.sopos/org/ossietzky  und www.linksnet.de)

 

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, ist Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte" (Berlin; www.ilmr.de), Autor zahlreicher Sachbücher zu Bürgerrechtsthemen, zuletzt: "Geheime Informanten: V-Leute des Verfassungsschutzes - Kriminelle im Dienst des Staates", Knaur-Verlag München 2003. Internet: www.rolf-goessner.de.