Der Big
Brother Award im Bereich Politik und zugleich der Hauptpreis wird im Jahr 2001
dem Bundesminister des Innern, Otto Schily, wegen seines Eintretens für den
Abbau des Datenschutzes in Deutschland und Europa verliehen.
„Laudatio“: Rechtsanwalt
Dr. Rolf Gössner (Bremen)
Otto Schily erhielt mit
Abstand am meisten Nominierungen für die diesjährige Preisverleihung. In der
Jury bestand Einigkeit, dass Schily der Hauptpreis gebührt.
Otto Schily ist derjenige Politiker in
Deutschland, der seit den terroristischen Anschlägen auf das World Trade Center
und das Pentagon in den USA am 11.09. am intensivsten dazu beiträgt, den
Datenschutz in Frage zu stellen. Dies erfolgt einerseits durch immer wieder
neue Vorschläge von Überwachungsmaßnahmen, andererseits durch die pauschale
Diskreditierung des Datenschutzgedankens.
So plädierte er dafür,
dass der Datenschutz „neu definiert“ werden müsse, dass „Sicherheitsinteressen
nicht durch Datenschutzbestimmungen behindert werden dürfen“ und er stellte die
Frage, ob der Datenschutz nicht oft „übertrieben“ worden sei. Sein Sprecher
warnte fünf Tage nach den Anschlägen gar davor, dass der „Datenschutz sich
nicht als Terroristenschutz auswirkt“.
Im Windschatten dieser
öffentlichen Herabwürdigung des von der bundesdeutschen Verfassung und vom
Europarecht gewährleisteten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung
trauen sich auch Politiker der CDU/CSU, das Zurückdrängen des Datenschutzes zu
fordern oder gar Datenschutz als Widerspruch zum „Menschenschutz“ darzustellen.
Es
war und ist Innenminister Schily, der mit immer neuen Vorschlägen fälschlich
den Eindruck zu vermitteln versucht, durch zusätzliche staatliche
Überwachungsmaßnahmen, die große Bevölkerungsgruppen erfassen, könne ein mehr
an Sicherheit für die Bevölkerung gegen den Terrorismus erreicht werden. Er
steht an erster Stelle jener Politiker in Deutschland, die die schrecklichen
Terroranschläge in den USA als Anlass und Legitimation zur Durchsetzung
freiheitsbeschneidender Gesetze instrumentalisieren. Er unterscheidet sich zwar
von manchen Oppositionspolitikern, wenn er formelhaft von übertriebenen
Reaktionen auf die Terroranschläge warnt und die Wahrung rechtsstaatlicher
Errungenschaften verspricht. Aber bei der Durchsetzung konkreter Maßnahmen und
Befugnisse handelt er dann seinen eigenen Warnungen krass zuwider.
Schily ist nicht irgendein Politiker. Er
ist der Minister, der für die Bundesregierung die Vorschläge zur öffentlichen
Sicherheit ausarbeitet, dessen nachgeordnete Behörden diese Vorschläge umsetzen
und der für den Schutz der Verfassung, zu der vorrangig die Bürgerrechte
gehören, verantwortlich zeichnet.
Schon wenige Tage nach den Anschlägen tat
sich Schily mit der Forderung der Einführung von Fingerabdrücken auf deutschen
Ausweispapieren hervor, was wohl zwangsläufig eine bundesweite daktyloskopische
Erfassung der deutschen Bevölkerung zur Folge hätte. Die Erstellung eines
bundesweiten Verzeichnisses aller in Deutschland geführten Bankkonten wird von
ihm mitgetragen. Schily will, dass Telekommunikationsunternehmen und
Internet-Provider verpflichtet werden, Nutzungs- und Verbindungsdaten
mindestens sechs Monate lang zu speichern. Diese ausschließlich für Zwecke der
Strafverfolgung initiierten Maßnahmen unterwerfen die gesamte Bevölkerung
pauschal einem Kriminalitätsverdacht. Sie hätten eine verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung
zur Folge. Schily setzt sich außerdem ein für die Schaffung eines Datenverbundes
aller deutschen Geheimdienste und des Bundeskriminalamtes sowie für eine
umfassende Kronzeugenregelung, die selbst dann Strafmilderung verspricht, wenn
andere fälschlich beschuldigt werden.
Das
Hauptgewicht der vorgeschlagenen Überwachungsmaßnahmen richtet sich aber nicht
gegen die deutsche Bevölkerungsmehrheit, sondern gegen Ausländerinnen und
Ausländer, die ohnehin schon zu der am meisten überwachten Bevölkerungsgruppe
gehören. Damit schürt Schily Angst, Abwehr und Aggressionen gegen Fremde.
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Mit der
Einführung eines neuen § 129b ins Strafgesetzbuch, der die Mitgliedschaft auch
in internationalen „terroristischen Vereinigungen“ unter Strafe stellen soll,
wird nicht etwa ein wirksames Instrument zur Zerschlagung derartiger
Organisationen geschaffen, sondern vor allem ein Ermittlungsparagraf, der eben
auch zur strafrechtlichen Verfolgung legitimen politischen Widerstands gegen
Unterdrückung und Ungerechtigkeit in armen und diktatorischen Ländern genutzt
werden kann.
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Anstatt das
Ausländerzentralregister (AZR) auf ein verfassungskonformes Maß zurecht zu
stutzen, sollen nach dem Wunsch von Schily die Kontroll- und
Überwachungsmöglichkeiten des AZR noch ausgebaut werden durch
zusätzliche Speicherung personenbezogener Merkmale (z.B.
Religionszugehörigkeit), durch erweiterte Online-Zugriffsmöglichkeiten oder
durch die Neueinführung einer Nutzungsbefugnis für Sozialbehörden. Schon im
vorigen Jahr hat das Ausländerzentralregister wegen seiner jahrzehntelangen Förderung
der Diskriminierung von Ausländern, wegen seines Beitrags zur Schwächung der
Grundrechte einen Big Brother Award erhalten.
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Durch
zusätzliche Maßnahmen soll der Überwachungsdruck auf Ausländerinnen und Ausländer
weiter erhöht werden, z.B. durch das Erfassen von Fingerabdrücken bei der
Visa-Beantragung, durch die Einführung der Regelanfrage bei Geheimdiensten im
Fall von Einbürgerungen und der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen, durch
die Durchführung von Rasterfahndungsmaßnahmen, durch die Einführung
bundesweiter Islamismusdateien oder einer Warndatei zur Bekämpfung von
Visa-Erschleichung und Schlepperkriminalität.
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Mit der
Forderung nach einem verstärkten Austausch zwischen Asylbehörden und Geheimdiensten,
die ihrerseits einen Datenaustausch mit Geheimdiensten in den Herkunfts- bzw.
Verfolgerstaaten pflegen, würde faktisch das im Asylrecht zugestandene Recht
auf Schutz vor Verfolgung untergraben.
All
diesen Maßnahmen ist gemein, dass sie nicht geeignet sind, terroristische
Gefahren abzuwehren oder terroristische Taten aufzuklären, dass sie aber dazu
beitragen, ein Klima der Intoleranz zu fördern, in dem Fremdenfeindlichkeit und
Hass gedeihen. Dieses Klima könnte den Nährboden für weitere terroristische
Aktionen bilden. Teilweise haben die Vorschläge nicht einmal im Ansatz einen
Bezug zur Terrorismusbekämpfung. Vieles ist nichts anderes als das Wiederaufkochen
von datenschutzfeindlichen Ladenhütern, die bisher selbst unter einer
schwarz-gelben Regierung aus guten Gründen nicht realisiert worden sind.
Schilys Vorschläge ignorieren, dass die
bestehenden Regelungen bereits ein umfassendes Instrumentarium zur effektiven
Bekämpfung terroristischer Straftaten zur Verfügung stellen. Sie lenken von
Vollzugsdefiziten bei den Sicherheitsbehörden, von irrigen Lagebeurteilungen
und von der Tatsache ab, dass es keinen sicheren Schutz vor Terrorismus geben
kann, schon gar nicht in einer hochtechnisierten Risikogesellschaft und einer
offenen, liberal-rechtsstaatlichen Demokratie. Terrorismusrisiken lassen sich
nicht mit der technischen Überwachung ganzer Bevölkerungsteile minimieren,
sondern durch die minutiöse Aufklärung der Taten und der sich dabei zeigenden
terroristischen Strukturen sowie durch Prävention, sowohl durch
gesellschaftliche Prävention über einen interkulturellen Austausch als auch
durch den technischen Schutz potenzieller Angriffsziele.
Otto Schily treibt im übrigen - trotzt
Bedenken auch in der Bundesregierung - den weiteren Ausbau von Europol voran,
etwa durch die Zulassung neuer operativer, „exekutiver“ und informationeller
Befugnisse, die Festlegung neuer Zuständigkeiten oder den Aufbau neuer
Ermittlungseinheiten und Dateien – ohne auch nur eine Maßnahme zu initiieren,
mit der die demokratischen und rechtsstaatlichen Defizite dieser europäischen
Polizeibehörde abgebaut werden könnten. Bis heute agiert Europol ohne jegliche
parlamentarische Verantwortlichkeit und Kontrolle, und ohne dass betroffene
Bürger gerichtlichen Rechtsschutz erlangen können. Damit ist Schily einer der
Hauptverantwortlichen für die Weiterentwicklung von Europol zu einer
gesamteuropäischen Überwachungsstruktur mit erheblichem Missbrauchspotential.
Der
sicherheitspolitische Aktionismus Schilys nach den Terroranschlägen ist die
Zuspitzung einer von ihm seit drei Jahren forcierten bürgerrechtsfeindlichen
Sicherheitspolitik. Er zeichnet dafür verantwortlich, dass im Bundeskriminalamt
sogenannte Gewalttäterdateien mit verharmlosenden Namen wie „Remo“, „Aumo“ oder
„Limo“ eingerichtet wurden, deren Speicherungen u.a. dazu führten, dass nicht
vorbestrafte Demonstranten gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Genua an der
Ausreise aus der Bundesrepublik gehindert wurden oder über lange Zeit ohne Nachweis
eines strafbaren Tuns in Italien inhaftiert wurden.
Dass Schilys Grenzen der
Sicherheitspolitik sich nicht an Bürgerrechten und liberal-rechtsstaatlichen
Standards orientieren, wird von ihm u.a. dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er
lediglich Folter im eigenen Land ausschließen möchte und dass er es akzeptiert,
dass Menschen in Länder abgeschoben werden sollen, in denen ihnen die
Todesstrafe droht. Die Vorverlegung polizeilicher Maßnahmen ins weite Vorfeld
von Straftaten oder konkreten Gefahren sowie die Aufhebung der Trennung
zwischen Polizei und Geheimdiensten sind Merkmale, welche die
nationalsozialistische Geheime Staatspolizei und die Stasi kennzeichneten.
Eine solch ausufernde Sicherheitspolitik und eine demokratisch kaum zu
kontrollierende Machtkonzentration sollten nach diesen Erfahrungen in
Deutschland von Anfang an unterbunden werden.
Otto Schily und sein
Ministerium sind bis heute den Nachweis schuldig geblieben, dass „der Datenschutz“
zu relevanten Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen in der Kriminalitäts- und
vor allem der Terrorismusbekämpfung geführt hätte. Er ignoriert, dass datenschutzrechtliche
Regelungen und ihre Beachtung Grundvoraussetzungen dafür sind, dass die Bevölkerung
der Arbeit der Sicherheitsbehörden gegen die bestehenden terroristischen
Bedrohungen Vertrauen entgegenbringt. Mit seiner Kampagne trägt er dazu bei,
dass die Grundlagen unseres demokratischen und freiheitlichen Systems, die es
gegen den Terrorismus zu verteidigen gilt, untergraben werden.
Jury 2001: VertreterInnen aus fünf
Datenschutzorganisationen (DVD-Deutsche Vereinigung für Datenschutz;
FoeBuD-Verein zur Förderung der öffentlichen Datenverkehrs e.V., ChaosComputerClub,
FifF-Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung,
Fitug e.V.) sowie Dr. Thilo Weichert (DVD) und Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner
(Bremen).
Achtung. Alle hier aufgeführten gelten
als NOMINIERTE! Nur Sie und wir wissen vor dem 26.10. , dass es sich hier um
die Preisträger handelt. Bitte bedenken Sie das bei Ihren Recherchen!
Die nachfolgenden Begründungen sind so
wie hier aufgeführt den Nominierten zugestellt worden.
Bundesministerium des Innern,
Bundesminister Otto Schily
Alt-Moabit 101 D, 10559 Berlin
"Unter
dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung
treten Sie für den Abbau von Bürgerrechten, Datenschutz und Informationeller Selbstbestimmung ein.
Insbesondere
wurden sie nominiert:
1.)
weil Sie sich dauerhaft (und seit dem 11. September 2001 nochmals
verstärkt) für neue Ermittlungsbefugnisse
für die Polizei und Geheimdienste einsetzen, ohne die verfassungsmäßig garantierten
Bürgerrechte zu berücksichtigen;
2.)
weil Sie Datenschutz als Täterschutz diffamieren,
3.)
Weil Sie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung insbesondere von
ausländischen Bürgerinnen und Bürgern mißachten."
Informa Unternehmensberatung GmbH,
Geschäftsführung, Dr. Paul Triggs
Freiburger Str. 7, 75179 Pforzheim
"Sie
wurden in der Kategorie ""Business & Finanzen"" der
BigBrotherAwards nominiert:
1.)
wegen der Anwendung des Scoring-Verfahrens auf Verbraucherinnen und
Verbraucher,
2.)
wegen der umfassenden Automatisierung dieses Scorings z.B. für WebShops,
3.)
wegen der Zusammenführung der Daten aus den unterschiedlichsten Quellen, die
ohne ausreichende Information der Verbraucherinnen und Verbraucher gewonnen
werden."
Kategorie: Kommunikation
(Telekomüberwachungsverordnung)
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Dr. Werner Müller, Bundesminister, 10109 Berlin
"1.)
Mit der TKÜV würde eine technische Infrastruktur geschaffen, die durch fest
installierte bei Geräte bei Telekommunikationsanbietern eine Überwachung quasi
per Knopfdruck ermöglicht.
2.)
Handyortung und Erstellung von Bewegungsprofilen würde erlaubt werden.
3.)
Verschlüsselung beim Netzbetreiber muß entweder eine unverschlüsselte
Schnittstelle oder einen "Nachschlüssel" haben.
Dies
ist in der Praxis unsicher und unterminiert das Vertrauen von Bürgerinnen und
Bürgern in die Telekommunikation."
Die nachfolgenden beiden
Preise haben weniger Bedeutung für die breiten Publikumsmedien. Der eine Preis
ist eher für Medien für Technikinteressierte (RealNetworks) und der letzte
Preis für die Regionalpresse vor Ort (und Medien, die sich mit Schule und Pädagogik
beschäftigen).
Kategorie: Technik-Award (Spyware)
RealNetworks GmbH
Günther Schmedding, Geschäftsführer
Rothenbaumchaussee 133, 20149 Hamburg
Sie
werden nominiert, da Sie mit Produkten wie RealPlayer eine führende Rolle im
Bereich Streaming Media einnehmen. Kaum ein Besucher im Web, der nicht schon
der Aufforderung nachgekommen ist, die kostenlosen Abspielprogramme für Musik-
und Bilderstörme downzuloaden. Der Trick liegt hier im Detail: Die
Standardeinstellungen lassen den Benutzer viel mehr über Seh- und Hörgewohnheiten
verraten, als ihm lieb sein. Bis zur eindeutigen Identifizierung des Benutzers
gehen die Spyware-Einstellung dieser geschenkten Software. Ein Geschenk, bei
dem man die Bedrohung (für die Privatsphäre) erst mit viel Mühe selbst
abstellen muss.
Kategorie: Regionalpreis (School-Card mit
Fingerabdruck)
Hans-Ehrenberg-Gymnasium
Josef Jürgens
Elbeallee 75, 33689 Bielefeld
Sie
wurden für Ihr School-Card-Projekt nominiert. In vielerlei Hinsicht vereint
dieses Projekt Trends im Bereich Abbau der Privatsphäre. Nicht nur, dass die
durchaus umstrittene Authentifizierung mittels Biometrie (in diesem Fall per
Fingerabdruck) als sicherste aller möglichen Methoden angepriesen wird und eine
eindeutig zuzuordnende Bezahlung dem weitaus anonymeren Bargeld vorgezogen wird
-- diese Anpassung an den Trend zum Abbau der Privatheit wird zusätzlich im
Unterricht als Wissen vermittelt. Ein bedenklicher Lerneffekt, der sich hier
einstellen soll. Abbau der Privatsphäre
unter dem Deckmantel der Innovation wird
Normalität; ein Beispiel, das eben *nicht* Schule machen sollte.