FREITAG, 26. Okt. 2001, 18 Uhr

Verleihung des Big Brother Award 2001 in der Kategorie Politik

(Hauptpreis)

an Bundesinnenminister Otto Schily (SPD)

Der Big Brother Award im Bereich Politik und zugleich der Hauptpreis wird im Jahr 2001 dem Bundesminister des Innern, Otto Schily, wegen seines Eintretens für den Abbau des Datenschutzes in Deutschland und Europa verliehen.

„Laudatio“: Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner (Bremen)

Otto Schily erhielt mit Abstand am meisten Nominierungen für die diesjährige Preisverleihung. In der Jury bestand Einigkeit, dass Schily der Hauptpreis gebührt.

Otto Schily ist derjenige Politiker in Deutschland, der seit den terroristischen Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon in den USA am 11.09. am intensivsten dazu beiträgt, den Datenschutz in Frage zu stellen. Dies erfolgt einerseits durch immer wieder neue Vorschläge von Überwachungsmaßnahmen, andererseits durch die pauschale Diskreditierung des Datenschutzgedankens.

So plädierte er dafür, dass der Datenschutz „neu definiert“ werden müsse, dass „Sicherheitsinteressen nicht durch Datenschutzbestimmungen behindert werden dürfen“ und er stellte die Frage, ob der Datenschutz nicht oft „übertrieben“ worden sei. Sein Sprecher warnte fünf Tage nach den Anschlägen gar davor, dass der „Datenschutz sich nicht als Terroristenschutz auswirkt“.

Im Windschatten dieser öffentlichen Herabwürdigung des von der bundesdeutschen Verfassung und vom Europarecht gewährleisteten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung trauen sich auch Politiker der CDU/CSU, das Zurückdrängen des Datenschutzes zu fordern oder gar Datenschutz als Widerspruch zum „Menschenschutz“ darzustellen.

Es war und ist Innenminister Schily, der mit immer neuen Vorschlägen fälschlich den Eindruck zu vermitteln versucht, durch zusätzliche staatliche Überwachungsmaßnahmen, die große Bevölkerungsgruppen erfassen, könne ein mehr an Sicherheit für die Bevölkerung gegen den Terrorismus erreicht werden. Er steht an erster Stelle jener Politiker in Deutschland, die die schrecklichen Terroranschläge in den USA als Anlass und Legitimation zur Durchsetzung freiheitsbeschneidender Gesetze instrumentalisieren. Er unterscheidet sich zwar von manchen Oppositionspolitikern, wenn er formelhaft von übertriebenen Reaktionen auf die Terroranschläge warnt und die Wahrung rechtsstaatlicher Errungenschaften verspricht. Aber bei der Durchsetzung konkreter Maßnahmen und Befugnisse handelt er dann seinen eigenen Warnungen krass zuwider.

Schily ist nicht irgendein Politiker. Er ist der Minister, der für die Bundesregierung die Vorschläge zur öffentlichen Sicherheit ausarbeitet, dessen nachgeordnete Behörden diese Vorschläge umsetzen und der für den Schutz der Verfassung, zu der vorrangig die Bürgerrechte gehören, verantwortlich zeichnet.

Schon wenige Tage nach den Anschlägen tat sich Schily mit der Forderung der Einführung von Fingerabdrücken auf deutschen Ausweispapieren hervor, was wohl zwangsläufig eine bundesweite daktyloskopische Erfassung der deutschen Bevölkerung zur Folge hätte. Die Erstellung eines bundesweiten Verzeichnisses aller in Deutschland geführten Bankkonten wird von ihm mitgetragen. Schily will, dass Telekommunikationsunternehmen und Internet-Provider verpflichtet werden, Nutzungs- und Verbindungsdaten mindestens sechs Monate lang zu speichern. Diese ausschließlich für Zwecke der Strafverfolgung initiierten Maßnahmen unterwerfen die gesamte Bevölkerung pauschal einem Kriminalitätsverdacht. Sie hätten eine verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung zur Folge. Schily setzt sich außerdem ein für die Schaffung eines Datenverbundes aller deutschen Geheimdienste und des Bundeskriminalamtes sowie für eine umfassende Kronzeugenregelung, die selbst dann Strafmilderung verspricht, wenn andere fälschlich beschuldigt werden.

Das Hauptgewicht der vorgeschlagenen Überwachungsmaßnahmen richtet sich aber nicht gegen die deutsche Bevölkerungsmehrheit, sondern gegen Ausländerinnen und Ausländer, die ohnehin schon zu der am meisten überwachten Bevölkerungsgruppe gehören. Damit schürt Schily Angst, Abwehr und Aggressionen gegen Fremde.

-     Mit der Einführung eines neuen § 129b ins Strafgesetzbuch, der die Mitgliedschaft auch in internationalen „terroristischen Vereinigungen“ unter Strafe stellen soll, wird nicht etwa ein wirksames Instrument zur Zerschlagung derartiger Organisationen geschaffen, sondern vor allem ein Ermittlungsparagraf, der eben auch zur strafrechtlichen Verfolgung legitimen politischen Widerstands gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit in armen und diktatorischen Ländern genutzt werden kann.

-     Anstatt das Ausländerzentralregister (AZR) auf ein verfassungskonformes Maß zurecht zu stutzen, sollen nach dem Wunsch von Schily die Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten des AZR noch ausgebaut werden durch zusätzliche Speicherung personenbezogener Merkmale (z.B. Religionszugehörigkeit), durch erweiterte Online-Zugriffsmöglichkeiten oder durch die Neueinführung einer Nutzungsbefugnis für Sozialbehörden. Schon im vorigen Jahr hat das Ausländerzentralregister wegen seiner jahrzehntelangen Förderung der Diskriminierung von Ausländern, wegen seines Beitrags zur Schwächung der Grundrechte einen Big Brother Award erhalten.

-     Durch zusätzliche Maßnahmen soll der Überwachungsdruck auf Ausländerinnen und Ausländer weiter erhöht werden, z.B. durch das Erfassen von Fingerabdrücken bei der Visa-Beantragung, durch die Einführung der Regelanfrage bei Geheimdiensten im Fall von Einbürgerungen und der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen, durch die Durchführung von Rasterfahndungsmaßnahmen, durch die Einführung bundesweiter Islamismusdateien oder einer Warndatei zur Bekämpfung von Visa-Erschlei­chung und Schlepperkriminalität.

-     Mit der Forderung nach einem verstärkten Austausch zwischen Asylbehörden und Geheimdiensten, die ihrerseits einen Datenaustausch mit Geheimdiensten in den Herkunfts- bzw. Verfolgerstaaten pflegen, würde faktisch das im Asylrecht zugestandene Recht auf Schutz vor Verfolgung untergraben.

All diesen Maßnahmen ist gemein, dass sie nicht geeignet sind, terroristische Gefahren abzuwehren oder terroristische Taten aufzuklären, dass sie aber dazu beitragen, ein Klima der Intoleranz zu fördern, in dem Fremdenfeindlichkeit und Hass gedeihen. Dieses Klima könnte den Nährboden für weitere terroristische Aktionen bilden. Teilweise haben die Vorschläge nicht einmal im Ansatz einen Bezug zur Terrorismusbekämpfung. Vieles ist nichts anderes als das Wiederaufkochen von datenschutzfeindlichen Ladenhütern, die bisher selbst unter einer schwarz-gelben Regierung aus guten Gründen nicht realisiert worden sind.

Schilys Vorschläge ignorieren, dass die bestehenden Regelungen bereits ein umfassendes Instrumentarium zur effektiven Bekämpfung terroristischer Straftaten zur Verfügung stellen. Sie lenken von Vollzugsdefiziten bei den Sicherheitsbehörden, von irrigen Lagebeurteilungen und von der Tatsache ab, dass es keinen sicheren Schutz vor Terrorismus geben kann, schon gar nicht in einer hochtechnisierten Risikogesellschaft und einer offenen, liberal-rechtsstaatlichen Demokratie. Terrorismusrisiken lassen sich nicht mit der technischen Überwachung ganzer Bevölkerungsteile minimieren, sondern durch die minutiöse Aufklärung der Taten und der sich dabei zeigenden terroristischen Strukturen sowie durch Prävention, sowohl durch gesellschaftliche Prävention über einen interkulturellen Austausch als auch durch den technischen Schutz potenzieller Angriffsziele.

Otto Schily treibt im übrigen - trotzt Bedenken auch in der Bundesregierung - den weiteren Ausbau von Europol voran, etwa durch die Zulassung neuer operativer, „exekutiver“ und informationeller Befugnisse, die Festlegung neuer Zuständigkeiten oder den Aufbau neuer Ermittlungseinheiten und Dateien – ohne auch nur eine Maßnahme zu initiieren, mit der die demokratischen und rechtsstaatlichen Defizite dieser europäischen Polizeibehörde abgebaut werden könnten. Bis heute agiert Europol ohne jegliche parlamentarische Verantwortlichkeit und Kontrolle, und ohne dass betroffene Bürger gerichtlichen Rechtsschutz erlangen können. Damit ist Schily einer der Hauptverantwortlichen für die Weiterentwicklung von Europol zu einer gesamteuropäischen Überwachungsstruktur mit erheblichem Missbrauchspotential.

Der sicherheitspolitische Aktionismus Schilys nach den Terroranschlägen ist die Zuspitzung einer von ihm seit drei Jahren forcierten bürgerrechtsfeindlichen Sicherheitspolitik. Er zeichnet dafür verantwortlich, dass im Bundeskriminalamt sogenannte Gewalttäterdateien mit verharmlosenden Namen wie „Remo“, „Aumo“ oder „Limo“ eingerichtet wurden, deren Speicherungen u.a. dazu führten, dass nicht vorbestrafte Demonstranten gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Genua an der Ausreise aus der Bundesrepublik gehindert wurden oder über lange Zeit ohne Nachweis eines strafbaren Tuns in Italien inhaftiert wurden.

Dass Schilys Grenzen der Sicherheitspolitik sich nicht an Bürgerrechten und liberal-rechtsstaatlichen Standards orientieren, wird von ihm u.a. dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er lediglich Folter im eigenen Land ausschließen möchte und dass er es akzeptiert, dass Menschen in Länder abgeschoben werden sollen, in denen ihnen die Todesstrafe droht. Die Vorverlegung polizeilicher Maßnahmen ins weite Vorfeld von Straftaten oder konkreten Gefahren sowie die Aufhebung der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten sind Merkmale, welche die nationalsozialistische Geheime Staatspolizei und die Stasi kennzeichneten. Eine solch ausufernde Sicherheitspolitik und eine demokratisch kaum zu kontrollierende Machtkonzentration sollten nach diesen Erfahrungen in Deutschland von Anfang an unterbunden werden.

Otto Schily und sein Ministerium sind bis heute den Nachweis schuldig geblieben, dass „der Datenschutz“ zu relevanten Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen in der Kriminalitäts- und vor allem der Terrorismusbekämpfung geführt hätte. Er ignoriert, dass datenschutzrechtliche Regelungen und ihre Beachtung Grundvoraussetzungen dafür sind, dass die Bevölkerung der Arbeit der Sicherheitsbehörden gegen die bestehenden terroristischen Bedrohungen Vertrauen entgegenbringt. Mit seiner Kampagne trägt er dazu bei, dass die Grundlagen unseres demokratischen und freiheitlichen Systems, die es gegen den Terrorismus zu verteidigen gilt, untergraben werden.

Jury 2001: VertreterInnen aus fünf Datenschutzorganisationen (DVD-Deutsche Vereinigung für Datenschutz; FoeBuD-Verein zur Förderung der öffentlichen Datenverkehrs e.V., ChaosComputerClub, FifF-Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, Fitug e.V.) sowie Dr. Thilo Weichert (DVD) und Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner (Bremen).


 

 

Preisträger der BigBrotherAwards 2001

Achtung. Alle hier aufgeführten gelten als NOMINIERTE! Nur Sie und wir wissen vor dem 26.10. , dass es sich hier um die Preisträger handelt. Bitte bedenken Sie das bei Ihren Recherchen!

Die nachfolgenden Begründungen sind so wie hier aufgeführt den Nominierten zugestellt worden.

 

Kategorie: Politik (Abbau von Bürgerrechten etc.)
Dies wird der der Hauptpreis sein

Bundesministerium des Innern, Bundesminister Otto Schily
Alt-Moabit 101 D, 10559 Berlin

"Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung  treten Sie für den Abbau von Bürgerrechten,  Datenschutz und Informationeller Selbstbestimmung ein.

Insbesondere wurden sie nominiert:

1.) weil Sie sich dauerhaft (und seit dem 11. September 2001 nochmals verstärkt)  für neue Ermittlungsbefugnisse für die Polizei und Geheimdienste einsetzen, ohne die verfassungsmäßig garantierten Bürgerrechte zu berücksichtigen;

2.) weil Sie Datenschutz als Täterschutz diffamieren,

3.) Weil Sie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung insbesondere von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern mißachten."

 

Kategorie: Business und Finanzen (Scoring)

Informa Unternehmensberatung GmbH, Geschäftsführung, Dr. Paul Triggs
Freiburger Str. 7, 75179 Pforzheim

"Sie wurden in der Kategorie ""Business & Finanzen"" der BigBrotherAwards nominiert:

1.) wegen der Anwendung des Scoring-Verfahrens auf Verbraucherinnen und Verbraucher,

2.) wegen der umfassenden Automatisierung dieses Scorings z.B. für WebShops,

3.) wegen der Zusammenführung der Daten aus den unterschiedlichsten Quellen, die ohne ausreichende Information der Verbraucherinnen und Verbraucher gewonnen werden."

 

Kategorie: Kommunikation (Telekomüberwachungsverordnung)
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Dr. Werner Müller, Bundesminister, 10109 Berlin

"1.) Mit der TKÜV würde eine technische Infrastruktur geschaffen, die durch fest installierte bei Geräte bei Telekommunikationsanbietern eine Überwachung quasi per Knopfdruck ermöglicht.

2.) Handyortung und Erstellung von Bewegungsprofilen würde erlaubt werden.

3.) Verschlüsselung beim Netzbetreiber muß entweder eine unverschlüsselte Schnittstelle oder einen "Nachschlüssel" haben.

Dies ist in der Praxis unsicher und unterminiert das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in die Telekommunikation."

Die nachfolgenden beiden Preise haben weniger Bedeutung für die breiten Publikumsmedien. Der eine Preis ist eher für Medien für Technikinteressierte (RealNetworks) und der letzte Preis für die Regionalpresse vor Ort (und Medien, die sich mit Schule und Pädagogik beschäftigen).

 

Kategorie: Technik-Award (Spyware)

RealNetworks GmbH
Günther Schmedding, Geschäftsführer
Rothenbaumchaussee 133, 20149 Hamburg

Sie werden nominiert, da Sie mit Produkten wie RealPlayer eine führende Rolle im Bereich Streaming Media einnehmen. Kaum ein Besucher im Web, der nicht schon der Aufforderung nachgekommen ist, die kostenlosen Abspielprogramme für Musik- und Bilderstörme downzuloaden. Der Trick liegt hier im Detail: Die Standardeinstellungen lassen den Benutzer viel mehr über Seh- und Hörgewohnheiten verraten, als ihm lieb sein. Bis zur eindeutigen Identifizierung des Benutzers gehen die Spyware-Einstellung dieser geschenkten Software. Ein Geschenk, bei dem man die Bedrohung (für die Privatsphäre) erst mit viel Mühe selbst abstellen muss.

 

Kategorie: Regionalpreis (School-Card mit Fingerabdruck)

Hans-Ehrenberg-Gymnasium
Josef Jürgens
Elbeallee 75, 33689 Bielefeld

Sie wurden für Ihr School-Card-Projekt nominiert. In vielerlei Hinsicht vereint dieses Projekt Trends im Bereich Abbau der Privatsphäre. Nicht nur, dass die durchaus umstrittene Authentifizierung mittels Biometrie (in diesem Fall per Fingerabdruck) als sicherste aller möglichen Methoden angepriesen wird und eine eindeutig zuzuordnende Bezahlung dem weitaus anonymeren Bargeld vorgezogen wird -- diese Anpassung an den Trend zum Abbau der Privatheit wird zusätzlich im Unterricht als Wissen vermittelt. Ein bedenklicher Lerneffekt, der sich hier einstellen soll.  Abbau der Privatsphäre unter dem Deckmantel der Innovation wird  Normalität; ein Beispiel, das eben *nicht* Schule machen sollte.

 

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