Das
Berliner Organisationskomitee der Leichtathletik-WM gewinnt den Big Brother Award
für seine Überprüfung von Journalisten. Weitere Preise gehen an Wolfgang
Schäuble und Ursula von der Leyen. VON THOMAS SALTER
BERLIN taz | Ein Preis für sein Lebenswerk,
damit hatte Wolfgang Schäuble wohl noch nicht gerechnet. Freuen wird er sich
kaum, die Auszeichnung ist nicht als Kompliment gemeint: Die Jury der Big
Brother Awards ehrte damit seine "obsessiven Bestrebungen, den demokratischen
Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat zu
verwandeln", wie es in der Begründung heißt.
Am gestrigen Freitag fand zum zehnten Mal die
jährliche Verleihung der Big Brother Awards statt. Die achtköpfige Jury suchte
dafür in fünf Kategorien nach Behörden, Unternehmen und Personen, die sich in
diesem Jahr besonders durch Einschränkung der Freiheit hervorgetan haben.
Hinter der Preisverleihung steckt der Verein zur Förderung des öffentlichen
bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD). Unterstützt wird er von anderen
Bürgerrechtsgruppen, darunter sind die Deutsche Vereinigung für Datenschutz,
die Internationale Liga für Menschenrechte, der Chaos Computer Club und die
Humanistische Union.
In der Kategorie Sport bekam das Berliner
Organisationskomitee (BOC) der Leichtathletik-WM sein Fett weg. Grund war, dass
das BOC für das diesjährige Sportereignis nur Journalisten akkreditierte, die
einwilligten, ihre persönlichen Daten vom Berliner Landeskriminalamt (LKA)
einer Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen zu lassen. Das LKA fragte dafür
mehrere Datenbanken ab, darunter die Datei "Gewalttäter Sport" und
die bundesweite Staatsschutzdatei Inpol-neu.
Außerdem fragte das LKA bei der
Verfassungsschutzbehörde des Landes Berlin an, auch der Bundesnachrichtendienst
war eingebunden. Die zwei Sportredakteure der taz hatten sich geweigert, sich
derart überprüfen zu lassen. Sie erhielten deswegen keine Akkreditierung. Die
taz boykottierte daraufhin die Leichtathletik-WM, um auf die Gefahr für die
Pressefreiheit hinzuweisen.
Bundesinnenminister Schäuble stand 2007 schon
einmal als möglicher Preisträger zur Debatte. Damals hatte die Jury davon
abgesehen, ihm den Preis zu verleihen, um den Blick nicht auf ihn zu beschränken,
erklärt Rolf Gössner, Mitglied der Jury. Der Anwalt und Publizist ist Vertreter
der Internationalen Liga für Menschenrechte. "Tatsächlich sehen wir
,Schäuble' nur als Metapher für die verhängnisvolle Tendenz einer
,Terrorismusbekämpfung' auf Kosten der Bürgerrechte", sagte Rolf Gössner
in seiner Laudatio.
Schäubles Parteikollegin Ursula von der Leyen bekam
für ihre Forderung nach Internetsperren den Preis in der Kategorie Politik. Die
Familienministerin hatte ein entsprechendes Gesetz vorangetrieben mit der
Begründung, Internetseiten mit Kinderpornos sperren zu können.
Die Deutsche Bahn, die Post, Telekom und Lidl
wurden in der Kategorie Arbeitswelt auch in diesem Jahr negativ hervorgehoben.
Der Preis ging jedoch an die Firma Claas Landmaschinen. Die verkauft
Mähdrescher, die per Satellit geortet werden können. Auch andere weniger
prominente Unternehmen fielen den Juroren negativ auf. In der Kategorie
Wirtschaft teilen sich sieben Kommunikationsfirmen den Preis. Darunter ist die
Firma Quante Netzwerke, die den staatlichen Überwachungssektor als Markt
entdeckt hat.
Das Unternehmen bietet Providern an, die technische
Zusammenarbeit mit ermittelnden Behörden zu übernehmen. Die Firma Ultimaco
Safeware hat sich auf Vorratsdatenspeicherung spezialisiert. Sie speichert im
Auftrag von Telekommunikationsunternehmen Daten in sogenannten Data Warehouses
und stellt sie Behörden zur Verfügung. Die Anfragen der Behörden werden von der
Software automatisch via Fax, E-Mail und IP-Schnittstellen bearbeitet.
17.10.2009
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Bürgerrechtsgruppen kritisieren
Sicherheitspolitik von Schäuble / |
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Von Rainer Kabbert Bremen.
Wenn Bundesinnenminister abtreten, ist ihnen besondere Aufmerksamkeit von
Bürgerrechtlern gewiss. Als Otto Schily 2005 sein Ministeramt verlor, bekam
er den "BigBrotherAward" fürs "Lebenswerk". Ebenso
widerfuhr es gestern Wolfgang Schäuble, der wohl auch nicht Minister bleibt:
Ihm wurde der Negativpreis für seine Politik verliehen, "den demokratischen
Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat umzubauen". Zum zehnten Mal in Deutschland
hat eine Jury von Datenschutz- und Bürgerrechtsgruppen in Bielefeld den
BigBrotherAward verliehen. Es ist keine Auszeichnung, auf die Politiker, Firmen
oder Organisationen besonders stolz sein könnten, wird ihnen doch vorgeworfen,
die Privatsphäre und Informationelle Selbstbestimmung der Bürger nachhaltig
zu beeinträchtigen. Neben der Kategorie "Lebenswerk" gibt es auch
Auszeichnungen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Arbeitswelt und
Behörden. Der Preis wird inzwischen in 19 Ländern ausgelobt, zur Aufklärung
über problematische Entwicklungen in der modernen Informationsgesellschaft. Der Laudator Rolf Gössner,
Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, kritisiert das Ziel
von Minister Schäuble, Polizei und Geheimdienste zu zentralisieren und zu
vernetzen. Etwa durch die Antiterrordatei, auf die beide Institutionen
Zugriff haben. Oder durch den "Umbau des Bundeskriminalamts zu einem
zentralen deutschen FBI mit geheimdienstlichen Befugnissen" - inklusive
heimlicher Online-Durchsuchung von Computern. Aber auch durch eine
Bundesabhörzentrale für alle Sicherheitsbehörden beim Kölner Bundesverwaltungsamt.
Damit wachse zusammen, was nicht
zusammengehört. "Das ist ein Verstoß", argumentiert der Bremer Anwalt,
"gegen das machtbegrenzende Gebot der Trennung von Geheimdiensten und
Polizei - eine wichtige Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit der
Gestapo der Nazizeit." Gössner sieht Deutschland "streng auf dem
Weg" zum präventiven Sicherheits- und Überwachungsstaat", ohne dass
der Staat sein Sicherheitsversprechen einlösen könne. Der Preis dafür sei die
Einschränkung von Bürgerrechten. Denn Prävention sei nicht möglich ohne
Speicherung personenbezogener Daten - auch von Bürgern, denen nichts
vorgeworfen wird. Wie wird das Thema innere
Sicherheit in der neuen Bundesregierung behandelt? Bisher haben sich Union
und FDP darauf verständigt, die Nutzung von Informationen aus der
Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten auf schwere Gefahrensituationen zu
beschränken. Für heimliche Online-Durchsuchungen ist künftig eine Anordnung
der Bundesanwaltschaft nötig. Und - als hätten die Koalitionäre in spe die
BigBrotherAward-Liste schon vorab erhalten - vor der Sperrung von Internetseiten
muss das Bundeskriminalamt erst versuchen, diese Web-Seiten zu löschen. Denn in der Kategorie Politik
wurde Familienministerin Ursula von der Leyen für die Sperrung von Web-Seiten
mit Kinderpornographie ausgezeichnet. Sie habe "ein System zur
Inhaltskontrolle im Internet vorangetrieben, das zu einer Technik von
orwellschen Ausmaßen heranwachsen kann." Dazu habe sie sexuell
missbrauchte Kinder benutzt, ohne etwas gegen diesen Missbrauch zu unternehmen. Aber kann es nicht auch Sinn
machen, Bürgerrechte wie den freien Zugang zu Informationen einzuschränken,
wenn es dem Kindeswohl dient? "Eine Abwägungsfrage", meint Gössner.
Ohne Zweifel sei er nicht, doch wäre der bessere Weg als Internetsperren die
Löschung der Kinderporno-Seiten. Was aber, wenn es dem Bundeskriminalamt
nicht gelingt, diese Forderung von FDP und Union zu erfüllen? Andere
Preisträger können mit weniger Widerspruch rechnen. Etwa das Berliner
Organisationskomitee der Leichtathletik-WM (Kategorie: Behörden), das von Journalisten
Zustimmung zur Überprüfung ihrer Daten durch die Sicherheitsbehörden
verlangte: "Ein erhebliches Vergehen an einem Grundwert eines
freiheitlichen Staatswesens, nämlich der Pressefreiheit." Nicht besser weggekommen sind
Deutsche Bahn, Deutsche Post, Lidl und eine Reihe anderer Unternehmen, die
nach Ansicht der siebenköpfigen Jury dem "Wahn erlegen sind, man
erhielte produktive Mitarbeiter... durch umfassende Überwachung und Abbildung
von Leistung in Zahlen". Und Firmen wie Cisco, Utimaco und andere
könnten, wenn sie nach Bielefeld gekommen wären, auch einen Big Brother
abholen: Für das Angebot von Überwachungstechniken für Telefon und Internet.
Was bezweckt die Jury, in der neben der Internationalen Liga für
Menschenrechte unter anderem auch die Vereinigung für Datenschutz, der Chaos
Computer Club und die Humanistische Union mitwirken? "Wir wollen
aufklären", erläutert Gössner. Auch über die Medien. Wobei es nicht
immer so gut läuft wie mit dem niedersächsischen Innenminister Uwe
Schünemann, dem vor laufender Kamera auf Sat1 symbolisch das
BigBrotherAward-Foto überreicht werden konnte - für die Legalisierung der präventiven
Telekommunikationsüberwachung. Das Gesetz wurde später vom
Bundesverfassungsgericht kassiert. |
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© Copyright Bremer Tageszeitungen
AG Ausgabe 17.10.2009
Schäubles Lebenswerk geehrt
Bundesinnenminister erhält »Oscar der Überwachung«.
BigBrotherAwards 2009 auch für Familienministerin
Ursula von der Leyen und Privatfirmen
Claudia
WangerinZum zehnten Mal sind am Freitag
abend in Bielefeld die deutschen »BigBrotherAwards« verliehen worden –
Preisträger sind unter anderem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU)
und Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (ebenfalls CDU). Zudem
wurden für die Bereitstellung von Überwachungstechnik Privatfirmen ausgezeichnet. In bisher 19 Ländern werden
regelmäßig den Datenschutz und die Privatsphäre gefährdende Praktiken und
deren Initiatoren mit den Negativpreisen bedacht. Sinn und Zweck ist die
kritische Aufklärung über die Zunahme der Überwachung durch Staat und
Privatwirtschaft. Seit dem Jahr 2000 werden die BigBrotherAwards in
Deutschland an Firmen, Organisationen, staatliche Institutionen und Personen
verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre und informationelle
Selbstbestimmung von Menschen beeinträchtigen oder datenschutzwidrig persönliche
Informationen Dritten zugänglich machen. Die Preisskulptur ist eine von einer
Glasscheibe durchtrennte, mit Bleiband gefesselte Figur. Bundesinnenminister Schäuble
erhielt in Abwesenheit den Negativpreis in der Kategorie »Lifetime« für den
Umbau des Bundeskriminalamts in ein zentrales »deutsches FBI« mit geheimpolizeilichen
Befugnissen zur »präventiven« Vorfeldausforschung, für die Legalisierung der
heimlichen Online-Durchsuchung von Computern sowie für die Errichtung einer
gemeinsamen sogenannten Antiterrordatei und einer neuen Abhörzentrale für
alle Sicherheitsbehörden. Besonders »preiswürdig« seien
»Schäubles obsessive Bestrebungen, den demokratischen Rechtsstaat in einen
präventiv-autoritären Sicherheitsstaat umzubauen«, so die Jury. Als Laudator
hob Rechtsanwalt Rolf Gössner Schäubles »politische Dramatisierung von
Gefahrenpotentialen und das Schüren von Bedrohungsängsten«, zum Beispiel
durch Warnung vor atomaren Terroranschlägen, und seine
»menschenrechtswidrigen Denkanstöße« hervor. Gemeint war das Ansinnen,
mutmaßliche Terroristen oder Terrorverdächtige als Feinde der Rechtsordnung
rechtlos zu stellen und durch Folter erpreßte Aussagen zu nutzen. Bundesfamilienministerin Ursula
von der Leyen wurde der BigBrotherAward in der Sparte »Politik« zugesprochen.
Sie habe im letzten Jahr ein System zur Inhaltskontrolle im Internet vorangetrieben,
das »zu Orwellschen Ausmaßen heranwachsen« könne. Dazu und für ihren
persönlichen Wahlkampf habe sie sexuell mißbrauchte Kinder benutzt, ohne
tatsächlich etwas gegen Mißbrauch zu unternehmen, so Laudator Alvar Freude
vom Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft e.V. In der Kategorie »Wirtschaft« wurden mehrere Anbieter von Überwachungstechnik für Internet und Telefon »ausgezeichnet« – namentlich Quante Netzwerke GmbH, Utimaco, Datakom/GTenSyborg, Digi-Task, Secunet, Cisco und Trovicor. Organisator der Preisverleihung ist der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. (FoeBuD). In der diesjährigen Jury saßen zudem Vertreter der Internationalen Liga für Menschenrechte, der Humanistischen Union, der Deutschen Vereinigung für Datenschutz und des Chaos Computer Clubs (CCC) sowie des Fördervereins Informationstechnik und Gesellschaft und des Forums Informatikerinnen und Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung.
17.10.2009
/ Inland / Seite 2 Ein »Oscar« für Wolfgang Schäuble
Bundesinnenminister bekommt den Negativ-Preis für
sein Lebenswerk verliehen
Von
Fabian LambeckManche nennen ihn scherzhaft den »Oscar für Überwachung«. Die Rede ist vom »Big Brother Award«, einer Negativ-Auszeichnung für besonders dreiste Datendiebe, Schnüffler und Überwachungsfanatiker. In diesem Jahr erhalten gleich zwei CDU-Politiker diese »Auszeichnung«: Neben Wolfgang Schäuble auch Familienministerin Ursula von der Leyen.
Preisträger Wolfgang Schäuble entwickelte sich in den letzten Jahren
Am Freitag war es wieder einmal so weit: Im
westfälischen Bielefeld wurden die »Big Brother Awards 2009« verliehen. Doch
die Freude der Preisträger in den Kategorien Wirtschaft, Politik, Arbeitswelt
und Sport dürfte sich in Grenzen halten. Denn der Negativ-Preis wird an
Firmen, Personen und Organisationen verliehen, die »in besonderer Weise und
nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen und das Grundrecht
auf informationelle Selbstbestimmung aushöhlen«, wie die Preis-Jury betont.
Dort sitzen neben dem FoeBuD e.V. auch der Chaos Computer Club, die Humanistische
Union und die Internationale Liga für Menschenrechte. In diesem Jahr konnten
die Stifter des »Oscars für Überwachung« bereits das 10-jährige Jubiläum
ihres Preises feiern. Anlässlich dieses runden Geburtstages wurde
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eine ganz besondere Ehrung zuteil. Der
ehemalige CDU-Vorsitzende bekam den Preis für sein Lebenswerk verliehen. Allerdings
verzichtete Schäuble darauf, persönlich in Bielefeld zu erscheinen. Schade eigentlich,
denn die Preisskulptur, eine von einer Glasscheibe durchtrennte und mit
Bleiband gefesselte Figur, hätte eigentlich einen Ehrenplatz auf Schäubles
Schreibtisch verdient. Doch Laudator Rolf Gössner ließ sich vom
Fernbleiben des Ministers nicht beirren. Wie der Präsident der
Internationalen Liga für Menschenrechte betonte, habe vor allem Schäubles
unermüdlicher Einsatz für den »radikalen Umbau des demokratischen
Rechtsstaates« den Ausschlag für die Nominierung gegeben. Mit seinen
Vorschlägen, sogenannte islamistische »Gefährder« zu internieren oder auch
erfolterte Aussagen durch deutsche Sicherheitsbehörden zu nutzen, habe sich
Schäuble den Juroren förmlich aufgedrängt. Seine Versuche, die deutschen
Geheimdienste und Polizeibehörden zu vernetzen, sei »ein Verstoß gegen das
Gebot der Trennung von Geheimdiensten und Polizei«, so Gössner in seiner
Rede. Dieser »Verschmelzungsprozess« ignoriere nicht nur die »bitteren
Erfahrungen mit der Gestapo in der Nazizeit«, sondern lasse auch die staatliche
Machtfülle wachsen und deren Kontrollierbarkeit schwinden«, fürchtet Gössner,
der auch als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof Bremen tätig ist. In der Kategorie Politik gab es ebenfalls einen
Preisträger mit CDU-Parteibuch. Die bisherige Bundesfamilienministerin Ursula
von der Leyen, von Datenschützern auch »Zensursula« genannt, erhielt den
Award für ihre Bemühungen, die Zensur des Internets voranzutreiben. Auch auf
Zensursula wartete man vergebens. Doch es ist längst nicht mehr nur Vater
Staat, der sich für die Daten seiner Bürger interessiert und dabei
fundamentale Grundrechte verletzt. In den vergangenen Jahren waren es vor
allem die großen Konzerne, die immer wieder mit Datenaffären von sich reden
machten. Konzerne werden zu Datenkraken Während staatliche Behörden oftmals noch
demokratisch überwacht werden können, agieren die Privaten in einer Grauzone,
die sich jeder öffentlichen Kontrolle entzieht. Konzernbosse verfügen heutzutage
über eigene »Sicherheitsabteilungen« oder beauftragen externe Detekteien.
Dort arbeiten nicht selten ehemalige Geheimdienstler, die ihr Wissen nutzen,
um Gewerkschafter oder aufmüpfige Angestellte auszuspionieren. Diese
Schnüffelei reicht von der Überwachung des privaten E- Mail-Verkehrs bis zu
Hausbesuchen und geheimen Kontoüberprüfungen. Und so kann es kaum verwundern,
dass die meisten Big- Brother-Preisträger aus der Privatwirtschaft kommen.
Darunter etwa die Textilkette KiK, die in rund 49 000 Fällen Informationen
über die Bonität ihrer Angestellten angefordert hatte. Selbst Stellenbewerber
wurden dabei systematisch durchleuchtet. Somit erweist sich KiK als würdiger
Preisträger. Den gleichen Elan bei der Überwachung ihrer Mitarbeiter legten
auch Deutsche Post, Lidl oder die Telekom an den Tag. Dass die Überwachungsmanie selbst vorm Sport
nicht halt macht, bewies das Organisationskomitee der diesjährigen Leichtathletik-WM
in Berlin. Journalisten, die über das an sich harmlose Ereignis berichten
wollten, mussten »Zuverlässigkeitsprüfungen« über sich ergehen lassen. Dabei
wurden die Reporter von Polizeibehören, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst
durchleuchtet. Klare Sache: Damit qualifizierte man sich für den Award in der
Kategorie Sport. Benannt sind die Big Brother Awards nach dem »Großen Bruder«. Jenem unheimlichen Diktator aus George Orwells düsterem Zukunftsroman »1984«. Wie Orwell und sein Großer Bruder stammt auch die Idee eines »Big Brother Awards« ursprünglich aus Großbritannien. Kein Wunder, denn in keinem anderen Staat der Welt ist die elektronische Überwachung selbst unbescholtener Bürger so weit fortgeschritten wie auf der Insel. Mehr als vier Millionen Kameras überwachen dort den öffentlichen und privaten Raum. Der britische Rechtsanwalt Simon Davies von der renommierten London School of Economics nahm den Sicherheitswahn seiner Landsleute zum Anlass, den »Big Brother Award« im Jahre 1998 erstmals zu stiften. Mittlerweile werden die Awards bereits in 18 Staaten verliehen.
Datenschützer
verleihen Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble Pioniere kontra Datenkraken VON STEFAN
BRAMS Bielefeld. Der "Verein zur Förderung des
öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBud) vergab
Preise in fünf Kategorien. Zwei Bundesminister erwarben sich zweifelhafte
Meriten. Es steht nicht gut um den
Datenschutz in Deutschland. Unternehmen spitzeln fleißig ihre Mitarbeiter
aus. Im Internet werden Daten der Nutzer hemmungslos gesammelt und
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) arbeitet fleißig an seinem
Lieblingsthema, der Onlinedurchsuchung - auch wenn die CDU-FDP-Koalitionäre
gerade beschlossen haben selbige etwas abzumildern. Genug Kandidaten also für den
"BigBrother Award", den Negativ-Oscar für "Datenkraken".
Freitagabend wurde er vom "Verein zur Förderung des öffentlichen
Datenverkehrs" (FoeBud) mit Sitz in Bielefeld zum zehnten Mal verliehen. Zum Geburtstag gab’s ein
schriftliches Grußwort von Ex-Innenminister Wolfgang Baum, der gratulierte
und betonte: "Sie haben in den vergangenen zehn Jahren Pionierarbeit
geleistet." Mit den BigBrotherAwards sei es gelungen, die Gefährdungen
der Grundrechte sichtbar zu machen. Baum sprach sich zudem für eine
umfassende Modernisierung des Datenschutzrechts aus und rief dazu auf:
"Für die Freiheit zu kämpfen." Das hörten die Organisatoren
Rena Tangens und padeluun von FoeBud gerne und machten sich an die
Verleihung. Zwei Awards gingen in die Politik. Der bereits erwähnte
Bundesinnenminister, Wolfgang Schäuble, wurde für sein Lebenswerk geehrt.
Schäuble erhalte die Negativ-Auszeichnung "für den Umbau des
Bundeskriminalamts in ein zentrales deutsches FBI mit geheimpolizeilichen
Befugnissen zur präventiven Vorfeldausforschung, für die Legalisierung der
heimlichen Online-Durchsuchung und für die Einrichtung einer gemeinsamen
Antiterrordatei", so die Jury. Laudator Rolf Gössner betonte: "Schäuble
hat sich in seiner Amtszeit alles in allem als Architekt eines
präventiv-autoritäten Sicherheitsstaates betätigt." Schäubles Parteifreundin und
Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen wurde vor allem für ihre
Initiative zur Kontrolle von Kinderpornographie im Internet mit einem
BigBrother Award geehrt. Sie habe ein "System zur Inhaltskontrolle im
Internet vorangetrieben, das zu einer Technik von orwellschen Ausmaßen
heranwachsen kann", lautet die Begründung der Jury. Alvar Freude betonte
in ihrer Laudatio: "Die Sperren sind nicht nur untauglich, sondern
kontraproduktiv." Angeprangert wurden im Bereich
Wirtschaft gleich acht Firmen, die Überwachungstechnik für Internet und
Telefon anbieten. Aber auch im Sport gab es dieses Jahr einen "Datenkraken"
auszuzeichnen. Das Berliner Organisationskomitee der Leichtathletik-WM
erhielt einen Award für die umfassende Durchleuchtung von Journalisten, die
sich akkreditieren lassen wollten. Laudator Frederik Roggan: "Dieses
Vorgehen widerspricht eklatant den Grundlagen einer freien Presse." "Kurioses digitales Gängelband"
Im Bereich Arbeitswelt
kritisiert die Jury, "den Wahn zahlreicher Unternehmen, man erhielte
produktive und motivierte Mitarbeiter, wenn man sie nur möglichst
flächendeckend und umfassend überwachte". Das Gegenteil sei der Fall,
betonte Laudatorin Karin Schuler und zitierte aus einer Studie der Uni Bonn:
"Die meisten Menschen tun mehr als sie müssen, es sei denn, sie werden
bei ihrer Arbeit kontrolliert." Schuler verwies auf Unternehmen wie die Deutsche
Bahn, die Deutsche Post, die Deutsche Telekom, aber auch Lidl und KiK die wie
zahlreiche andere ihre Mitarbeiter ausgespäht hätten. Doch den Award sprach
die Jury nicht ihnen zu, sondern dem Landmaschinenhersteller Claas aus
Harsewinkel. Der habe seine Mähdrescher mit einem satellitengestützten
Trackingsystem ausgestattet, das auch die Überwachung der Fahrer erlaube. Ein
"kurioses digitales Gängelband" nannte Schuler diese Möglichkeit
und vergab den Negativ-Preis. Doch abholen mochte seinen Award
keiner der "Geehrten". Und so blickten die FoeBud-Macher zwar auf
einige Erfolge zurück an diesem Abend, aber waren sich auch sicher: "Es
gibt weiterhin viel zu tun gegen Datenkraken." Copyright © Neue Westfälische 2009 - Dokument erstellt
16.10.2009
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Schäuble erhalte den Preis der
Kategorie «Lebenswerk» unter anderem für die Legalisierung von Online-Durchsuchungen,
hieß es. Von der Leyen wurde für ihre Initiative zur Inhaltskontrolle im
Internet kritisiert. Seit dem Jahr 2000 verleiht die Datenschützer-Initiative
FoeBuD in Deutschland die «BigBrotherAwards», um Verstöße gegen den
Datenschutz öffentlich zu machen.
Schäuble habe das
Landeskriminalamt in «ein zentrales deutsches FBI mit geheimpolizeilichen Befugnissen
umgebaut», sagte der Rechtsanwalt und Menschenrechtler Rolf Gössner in seiner
«Laudatio». Preiswürdig seien die «obsessiven Bestrebungen, den
demokratischen Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat
umzubauen». Neben der mit Terrorabwehr begründeten Online-Durchsuchung von
Computern kritisierte Gössner auch die Errichtung einer neuen Abhörzentrale
für alle Sicherheitsbehörden.
In der Kategorie «Arbeitswelt»
gingen die Datenschützer-Preise wegen der Überwachung ihrer Mitarbeiter unter
anderem an die Deutsche Bahn, die Deutsche Post, die Telekom und an die
Supermarktkette Lidl. Ausgezeichnet wurden außerdem im Bereich «Wirtschaft»
acht Firmen, die Überwachungstechnik für Internet und Telefon anbieten. In
der Kategorie «Sport» wurde das Berliner Organisationskomitee der
Leichtathletik-WM kritisiert, weil es für die Berichterstattung von
Journalisten die Zustimmung zu einer umfassenden Überprüfung der persönlichen
Daten verlangt habe.
Die Negativ-Preise werden
jedes Jahr Firmen, Organisationen und Personen zuerkannt, die «in besonderer
Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder
persönliche Daten Dritten zugänglich machen». Der Preis wird vom
FoeBuD-Verein gemeinsam mit weiteren bundesweiten Bürgerinitiativen vergeben.
Eine Jury aus Menschenrechtlern, Computerexperten sowie Daten- und
Verbraucherschützern wählt aus den bundesweit eingesandten Vorschlägen die
Preisträger für die Überwachungs-Auszeichnungen in sieben Kategorien aus. In
diesem Jahr wurde zugleich «10 Jahre BigBrotherAwards» gefeiert.
In einem Grußwort würdigte der
frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP) anlässlich des Jubiläums, dass die
«BigBrotherAwards» in den vergangenen Jahren Pionierarbeit für den Einsatz
von Bürgerrechten und Datenschutz geleistet hätten. Es müsse ein Bewussten
dafür geschaffen werden, dass der Schutz der Privatsphäre für die Qualität
der demokratischen Grundordnung unverzichtbar sei, hieß es in dem verlesenen
Grußwort.
Wenn heute
Datenschutzskandale in der Wirtschaft hohe Wellen schlügen und
Großdemonstrationen gegen Überwachungsgesetze stattfänden, sei das auch ein
Verdienst der «BigBrotherAwards», erklärte die Initiative FoeBuD («Förderung
des öffentlich bewegten und unbewegten Datenverkehrs»). Im vergangenen Jahr
zählten unter anderem die EU wegen einer «demokratisch nicht legitimierten Terrorliste»
sowie die Deutsche Telekom für die illegale Nutzung von Telefonverbindungsdaten
sowie für die Bespitzelung von Journalisten und Telekom-Aufsichtsräten zu den
Preisträgern. www.bigbrotherawards.de

Bundesinnenminister Schäuble ist
am Freitag vom Verein Foebud der Big-Brother-Award in der Kategorie
Lebenswerk für seine obsessiven Bestrebungen, den demokratischen Rechtsstaat
in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat umzubauen, verliehen worden.
Ebenfalls ausgezeichnet wurden unter anderem Familienministerin Ursula von
der Leyen sowie einige Unternehmen wie die Bahn, die Telekom und Lidl. Der
Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rechtsanwalt und
Publizist sowie Foebud-Jury-Mitglied, Dr. Rolf Gössner, erklärte Schäuble in
seiner Laudatio zur Metapher für eine verhängnisvolle Tendenz zur
Terrorismusbekämpfung auf Kosten der Bürgerrechte und für eine
Systemveränderung zu Lasten des demokratischen und sozialen Rechtsstaats. Die
Laudatio gab die "Frankfurter Rundschau" am Samstag im Wortlaut
wieder. Demnach hat der Bundesinnenminister mit einem wahren Stakkato grundrechtssprengender
Denkanschläge vor einer von ihm stark überzeichneten Bedrohungskulisse
versucht, seiner offenkundigen Vision vom präventiven Sicherheits- und Überwachungsstaat
näher zu kommen. 17. Oktober 2009
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