/  01.09.2011

Viel Applaus für den Friedenspreis-Laudator Dr. Rolf Gössner          

Von Heiner Hautermans

Aachen. Von der Verleihung des Aachener Friedenspreises müsse ein starkes Signal ausgehen, sagte der Publizist Dr. Rolf Gössner in seiner immer wieder von Applaus unterbrochenen Laudatio Donnerstagabend in der Aula Carolina, «gerade in einer Zeit, in der wir eine fortschreitende Militarisierung der Außen- und Innenpolitik zu beklagen haben, gerade in einer Zeit, in der der deutsche Waffenhandel ungebremst floriert».

Es sei sinnvoll und gut, dass der Friedenspreis an diesem symbolträchtigen Tag, dem Antikriegstag, verliehen werde: «Und es ist überaus bedeutsam und hochaktuell, dass dieses Jahr herausragende Rüstungsgegner und Friedensaktivisten diesen Preis erhalten.»

Die deutschen Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern hätten sich in den letzten Jahren verdoppelt, sagte der Jurist, auch Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, weiter: «Zu den Empfängern zählen auch Staaten in Konflikt- und Kriegsregionen des Nahen und Mittleren Ostens sowie menschenrechtsverletzende Regime etwa Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas.»

Preisträger Jürgen Grässlin zeige auf, dass die «skandalösen Genehmigungen durch den Bundessicherheitsrat den eigenen menschen- und völkerrechtlichen Grundsätzen zuwiderlaufen». Der Preisträger fahre auch in ferne Länder, wo deutsche Waffen ungeheures Unheil anrichteten, habe etwa Interviews mit 220 Überlebenden des Einsatzes von «Kleinwaffen» made in Germany geführt, den «Massenvernichtungswaffen unserer Zeit». Mit diesen Waffen würden zwei von drei Opfern in Kriegen und Bürgerkriegen getötet.

Diese Schreckensbilanz - so Gössner weiter - sei keineswegs mit dem wohlfeilen Arbeitsplatzargument zu rechtfertigen Auf jeden Arbeitsplatz kämen über die Jahre viele Tote und weit mehr Verstümmelte, in der hauseigenen Werbung Weichziele genannt. Nicht allein die Produzenten und Händler des Todes trügen laut Jürgen Grässlin Mitschuld an den verheerenden Folgen, sondern auch die Bundesregierungen, gleich welcher Couleur, mit ihrer Rüstungsexport-Genehmigungspraxis. «Im Klartext lautet die Anklage gegen die Bundesregierungen: mutmaßliche Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen, zu Massen- und Völkermord.»

Die Informationsstelle Militarisierung lobte Rechtsanwalt Gössner als antimilitaristische Denkfabrik, die eine wohltuend klare, kritisch ablehnende Haltung zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen, zum Einsatz der Bundeswehr im Innern und zum Abbau von Bürger- und Menschenrechten im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes einnehme. Das Weißbuch des Verteidigungsministeriums sehe Aufgaben wie die Sicherung der Rohstoff- und Energieversorgung, freie Transportwege und ungehinderten Welthandel sowie die Abwehr «unkontrollierter Migration» vor.

So fordere die Flüchtlingsabwehrpolitik der Festung Europa jedes Jahr zahlreiche Tote. Die Umwandlung der Bundeswehr in eine internationale Einsatztruppe sei nicht vereinbar mit dem Grundgesetz, in dem es in Artikel 87a unmissverständlich heiße: «Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.» Auch Antiterrorkriege seien Terror - auch wenn sie zu humanitären Interventionen verklärt würden: «Sie produzieren letztlich, was sie bekämpfen sollen, nämlich Krieg und weiteren Terror. Sie töten, verletzen und schänden unschuldige Zivilisten, stehen in krassem Widerspruch zu Menschenrechten und Gerechtigkeit, die sich genauso wenig herbeibomben lassen wie Freiheit und Demokratie.»

Auch Karl Heinz Otten, der Vorsitzende des Friedenspreises, sagte in seiner Rede, dass die einzige Art, auf den Krieg zu reagieren, darin bestehe, ihn zu verweigern. «Friedensaktivi­sten sollen, dürfen und müssen provozieren.» Dabei könne es vorkommen, dass unter­schiedliche Ideale und Rechte in Kollision miteinander gerieten. Es sei aber zu keiner Zeit antisemitisches Verhalten von Vorstandsmitgliedern zu konstatieren gewesen.

www.az-web.de/news/hochschule-detail-az/1800612?_link=&skip=&_g=Viel-Applaus-fuer-den-Friedenspreis-Laudator-Dr-Rolf-Goessner.html

Laudator Rolf Gössner (Bild) bekam viel Zuspruch.

ad-hoc-news.de Logo AZ Nürnberg vom 01.09.2011

Ehre für einen Rüstungsgegner und Friedensaktivisten

Aachen (dapd). Der Rüstungsgegner und Friedensaktivist Jürgen Grässlin ist am Donnerstagabend mit dem Aachener Friedenspreis 2011 ausgezeichnet worden. Der 54 Jahre alte Lehrer aus Freiburg setze sich seit Jahren aktiv 'für konkrete Schritte der Abrüstung' ein und lasse sich dabei auch von den Waffenkonzernen nicht einschüchtern, sagte der Vize-Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, in seiner Laudatio.

Gleichzeitig beklagte er 'eine fortschreitende Militarisierung der Außen- und Innenpolitik'. Gerade deshalb sei es 'überaus bedeutsam und hochaktuell, dass dieses Jahr herausragende Rüstungsgegner und Friedensaktivisten mit diesem Friedenspreis geehrt werden'.

Ebenfalls ausgezeichnet wurde die Informationsstelle Militarisierung (Tübingen).  Dapd

 1.09.2011

Tübinger Denkfabrik

Friedenspreis-Stifter zeichnen IMI aus                                   von Ute Kaiser

Vor 15 Jahren überwarfen sich Jürgen Grässlin und die Informationsstelle Militarisierung (IMI). Heute Abend um 19 Uhr bekommen der Freiburger Rüstungsgegner und die Tübinger Antimilitaristen den Aachener Friedenspreis.

Tübingen. „Schnee von gestern“ nennt Jürgen Wagner die Auseinandersetzungen von damals. Sie hatten 1996 zur Abspaltung der Tübinger Außenstelle des Freiburger Rüstungs-Informationsbüros Baden-Württemberg geführt. Das Verhältnis sei längst wieder gut, sagt der Journalist, der seit 2004 geschäftsführender Vorsitzender der vor 15 Jahren gegründeten IMI ist. Sie informierte damals vor allem über neue Rüstungs- und Beschaffungsprojekte der Bundeswehr und beobachtete das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw.

Seither hat sich das Spektrum des gemeinnützigen Vereins mit rund 200 Mitgliedern bundesweit erheblich erweitert. Der Internationalen Liga für Menschenrechte, die den Friedenspreis am heutigen Antikriegstag in Aachen verleiht, gilt die IMI als „Mittler zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung“, die mit Analysen und kritischen Hintergrundinformationen den Widerstand gegen die zunehmende Militarisierung Deutschlands und der EU unterfüttere und unterstütze.

Manche Anrufer im Büro in der Hechinger Straße missverstehen den Namen. Die kurioseste Anfrage bekam Jürgen Walter von Bulgaren. Sie wollten bei der „antimilitaristischen Denkfabrik“, so der Aachener Laudator Rolf Gössner, einen Schießstand mieten. Die Surfer, die die IMI-Internetseite besuchen, wissen, worum es dort geht: sich „seriös und wissenschaftlich“, so Wagner, mit den Fragen von Krieg und Frieden zu beschäftigen: „Das ist naturgemäß ein bisschen trocken.“

Jahr um Jahr veröffentlicht IMI bis zu 20 ausführliche Studien, an die 40 Analysen und dazu noch rund 100 Kurzartikel zu friedenspolitischen Themen, die kostenlos auf der Internetseite zur Verfügung stehen. Die neuesten fragen nach dem „Arabischen Frühling der Rüstungsindustrie“. Sie handeln von der „Bundeswehrreform in der Feinplanung“ und der „Europäisch-afrikanischen Militärkooperation“. Das geht über den ursprünglichen „Bundeswehr-Fokus“ (Wagner) hinaus. Die IMI will aber auch weiter „militärkritisch und kritisch mit dem Handeln der deutschen Regierung und der Europäischen Union umgehen“.

Die IMI-Broschüre gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex ist für Wagner eine der „erfolgreichsten und wichtigsten“. An ihr wirkte Tobias Pflüger mit, IMI-Mann der ersten Stunde und ehemaliger Europaabgeordneter der Linken. Er, Wagner und die fünf anderen Vorstandsmitglieder sind seit gestern in Aachen. Auch die Entstehung des EU-Verfas­sungsvertrags hat die IMI begleitet. Eine Folge: Über die Europäische Union werde in der Friedensbewegung „kritischer diskutiert“, so Wagner. Längst nicht ausdebattiert ist die Haltung der IMI zu dem, was als „Revolution in Nordafrika“ durch die Medien geht: „Da gibt es intern unterschiedliche Einschätzungen.“

„Wir bemühen uns, dass die Friedensbewegung nicht im eigenen Sud kocht“, beschreibt der ehrenamtliche Vorsitzende ein Anliegen des Vereins mit politischem Anspruch. Deshalb arbeitet die IMI nicht nur bei Kampagnen mit „kapitalismuskritischen Bewegungen“ zusammen – etwa 2003 mit Attac gegen den Irakkrieg.

IMI-Referent(inn)en treten jährlich bei bis zu 300 Veranstaltungen auf. Und es gibt IMI-Kongresse. Der diesjährige am 4. und 5. November trägt den Titel „Wendezeiten: weltpolitische Umbrüche – Chance oder Gefahr?“. Aktuell arbeiten die Tübinger Antimilitaristen an einer Broschüre zu Afghanistan, die im Dezember erscheinen soll. In den letzten Zügen ist eine Publikation zur Militarisierung der Vereinten Nationen. Viel Arbeit erfordert auch der Rüstungsatlas Baden-Württemberg, der im ersten Quartal kommenden Jahres erscheinen soll. In Tübingen könnte da etwa die Nato-Pipeline auftauchen.  www.imi-online.de   01.09.2011

 

Tageszeitung junge Welt  25.08.2011 / Abgeschrieben / Seite 8

Herausragender Rüstungsgegner

Erklärung der Internationalen Liga für Menschenrechte
zur bevorstehenden Verleihung des Aachener Friedenspreises 2011:

Jährlich zum Antikriegstag am 1.September findet die Verleihung des bundesweit und international renommierten Aachener Friedenspreises statt. Dieser Friedenspreis wurde 1988 als Bürgerinitiative aus der Aachener Friedensbewegung gegründet, um Einzelpersonen oder Gruppen zu würdigen und vorzustellen, die von »unten her« dazu beigetragen haben, der »Verständigung der Völker und der Menschen untereinander zu dienen« – eine Zielsetzung, der sich auch die Internationale Liga für Menschenrechte verpflichtet sieht.

Wie der Verein Aachener Friedenspreis zu seiner diesjährigen Entscheidung erklärt, arbeitet der Pädagoge und Buchautor Jürgen Grässlin (Freiburg) seit den 1980er Jahren »mit beeindruckender Energie und Unermüdlichkeit für den Frieden, vor allem für Verbote von Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten«. Die Informationsstelle Militarisierung e.V. (Tübingen) sei als »antimilitaristische Denkfabrik« seit 15 Jahren »Mittler zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung«, die mit Analysen und kritischen Hintergrundinformationen den Widerstand gegen die zunehmende Militarisierung Deutschlands und der EU unterfüttere und unterstütze.

Dazu Liga-Vizepräsident Dr. Rolf Gössner, der die Laudatio auf beide Preisträger halten wird: »Es ist überaus bedeutsam und auch hochaktuell, daß dieses Jahr herausragende Rüstungsgegner und Friedensaktivisten mit diesem Friedenspreis geehrt werden – gerade in einer Zeit, in der wir eine fortschreitende Militarisierung der Außen- und Innenpolitik zu beklagen haben, gerade in einer Zeit, in der der deutsche Waffenhandel ungebremst floriert.«

 

Schattenblick Logo


Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

BERICHT/1196: Zur Verleihung des Aachener Friedenspreises 2011

"Der Krieg beginnt hier - also lasst ihn uns hier stoppen!"

von Martin Forberg, 2. September 2011

 

AFP-Vorsitzender Karl-Heinz Otten, Jürgen Grässlin, Jürgen Wagner, Claudia Haydt und die stellvertretende AFP-Vorsitzende Veronika Thomas-Ohst - Foto: © 2011 arbeiterfotografie.com
AFP-Vorsitzender Karl-Heinz Otten, Jürgen Grässlin, Jürgen Wagner,
Claudia Haydt und die stellvertretende AFP-Vorsitzende Veronika
Thomas-Ohst - Foto: © 2011 arbeiterfotografie.com

"Der Krieg beginnt hier - also lasst ihn uns hier stoppen!" Das ist das Motto der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI), die am 1. September 2011 den diesjährigen Aachener Friedenspreis erhielt - gemeinsam mit dem Freiburger Rüstungsexportgegner Jürgen Grässlin.

Die Auszeichnung fand am Abend in der Aula Carolina, der Schulaula des Kaiser-Karls-Gymnasiums, statt, die in Aachen außerhalb der Unterrichtszeit als Veranstaltungsraum genutzt wird. Schon am Nachmittag kamen beide Preisträger auf einer Kundgebung aus Anlass des Antikriegstages, die gemeinsam vom Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Aachener Friedenspreis in der Aachener Innenstadt organisiert wurde, zu Wort.

"Die Mitgliederversammlung rückte bei der Wahl in diesem Jahr die Themen Militarisierung, Rüstung und Rüstungsexporte in den Fokus ihrer Entscheidung", so der Vorsitzende des Aachener Friedenspreises, Karl Heinz Otten, in seiner Rede, die er während der abendlichen Veranstaltung hielt. (1)

Und Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, machte in seiner - mehrfach von starkem Beifall unterbrochenen - Ansprache zu Ehren der Friedensaktivisten aus Baden und Schwaben deutlich, warum jetzt genau die richtige Zeit ist, Kriegsvorbereitungen und Waffenhandel in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Schließlich haben die geplanten deutschen Panzerexporte nach Saudi-Arabien und der vorgesehene Aufbau einer Panzerfabrik in Algerien die Öffentlichkeit erst vor einigen Wochen aufgewühlt. Und einen Tag vor der Preisverleihung in Aachen ging die Nachricht durch die Medien, dass Jürgen Grässlin die Firma Heckler & Koch (H&K) angezeigt hat, weil deren Gewehre in Libyen in den Waffenarsenalen des Gaddafi-Regimes auftauchten.

Rolf Gössner: "Die skandalösen Genehmigungen durch den Bundessicherheitsrat, die den eigenen menschen- und völkerrechtlichen Grundsätzen zuwiderlaufen, zeigen, wie überaus aktuell und brisant diese Problematik ist - aber auch wie verhängnisvoll und existentiell für potentiell Betroffene, für Oppositionelle, für Menschenrechts- und Demokratiebewegungen in den jeweiligen Zielländern."

Die "deutschen Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern" hätten sich "in den letzten Jahren sogar verdoppelt", so Gössner. Ohnehin ist die Bundesrepublik mittlerweile der drittgrößte Exporteur von Kriegsgerät auf der ganzen Welt - und die Nummer Eins in Europa. Das ist im Grunde nicht nur eine erschreckende Rekordleistung, sondern zugleich Anzeichen für eine enorme kriminelle Energie: Preisträger Jürgen Grässlin betonte in seiner Dankesrede, dass "Waffenhandel Beihilfe zu Mord" sei, - "und im Falle der Kleinwaffen Beihilfe zu Massenmord". Denn der Autor mehrerer kritischer Bestseller hat in einem seiner bewegendsten Bücher ("Versteck Dich, wenn sie schießen") (2) besonders die verheerende Wirkung von Pistolen, Maschinenpistolen und Gewehren der baden-württembergischen Firma Heckler & Koch (H&K) dokumentiert: "In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts starben mehr als 1,51 Millionen Menschen durch Kugeln aus einer H&K-Waffe, in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends mussten Abertausende weiterer Gräber ausgehoben werden. Bis heute gibt es Hunderttausende körperlich verstümmelter und geistig traumatisierter Menschen, die mehr dahinvegetieren, als dass sie ein menschenwürdiges Leben führen. Sie haben den Beschuss mit G3-Schnellfeuergewehren oder MP5-Maschinenpistolen überlebt."(3)

Jürgen Grässlin, Preisträger des Aachener Friedenspreises 2011 - Foto: © 2011 Aachener Friedenspreis
Jürgen Grässlin, Preisträger desAachener Friedenspreises 2011
Foto: © 2011 Aachener Friedenspreis

Und in Grässlins Aachener Dankesrede ist zu lesen: "Ich bin ihm persönlich begegnet dem Waffentod: bei den vielfachen Recherchereisen durch zerstörte Dörfer in Türkisch-Kurdistan, auf den Friedhöfen mit ihren ungezählten Grabsteinen aus der Zeit des Bürgerkriegs, in Krankenhäusern und Flüchtlingshäusern von Diyarbakir, auf den Exekutionsplätzen in Somaliland, beim Behindertentreffen in Berbera, in der Hilfsstation des Somaliländischen Halbmondes in Hargeisa und in vielen Zelten und Hütten, in denen sich das Grauen vergangener Gewalttaten bis heute in den Gesichtern der Überlebenden widerspiegelt." Immer wieder hat Grässlin Menschen getroffen, die zu Opfern der Präzisionsgewehre und Maschinenpistolen der Firma Heckler & Koch geworden sind - über 220 von ihnen hat er befragt und ihre Lebensgeschichten aufgeschrieben. In dem Buch kommen einige von ihnen zu Wort. Und in Zukunft werden auf Einladung der "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" (4) über drei Jahre hinweg Menschen aus Ländern, die von den Folgen deutscher Waffenexporte betroffen sind, in Deutschland darüber sprechen. "Zeugenreisen" nennt die "Aktion Aufschrei" diese Kampagne. In Aachen hat deren Sprecher Jürgen Grässlin auch für die zentrale Forderung der Initiative geworben: das Grundgesetz - Artikel 26 (2) - soll erweitert werden um den Satz: "Der Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern ist grundsätzlich verboten".

Grässlin sieht die Zeit für einen "lauten Aufschrei" gekommen: "Noch fühlt er sich wohl, der Waffentod bei seinen Besuchen in Berlin bei der Bundesregierung, in Oberndorf - seiner Heimatstadt - bei Heckler & Koch, in Unterschleißheim und am Bodensee bei der EADS, in München bei Krauss-Maffei Wegmann, in Nürnberg bei Diehl, in Düsseldorf bei Rheinmetall, in Bremen bei Lürssen und an vielen weiteren Orten mit vielen weiteren Waffenschmieden Deutschlands. Noch fühlt er sich wohl - wir werden das ändern: AUFSCHREI!"

Dieser Aufschrei richte sich auch "gegen Waffenhandel mit menschenrechtsverletzenden Regierungen in Angola, Brasilien, Indien, Indonesien, Israel, Malaysia, Pakistan, Nigeria, Saudi-Arabien, Thailand und den Vereinigten Arabischen Emiraten - um nur einige von vielen zu nennen!"

Die ebenfalls mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnete Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) versteht sich als Verbindungsglied zwischen Friedensbewegung und Wissenschaft. Sie gibt mehrere Publikationen heraus, die sich mit einer breiten Palette von Themen beschäftigen: Die prägnanten IMI-Standpunkte stehen neben ausführlicheren IMI-Analysen sowie den tiefer schürfenden IMI-Studien und dem "AUSDRUCK", der IMI-Zeitschrift. (5)

Selbstverständlich geht es hier auch um Rüstungsexporte. Daneben aber werden von IMI weitere zentrale Probleme angesprochen. Rolf Gössner hat sie in seiner Laudatio benannt: "Friedens- und Konfliktforschung, Umstrukturierung der Bundeswehr, Militarisierung der Bundesrepublik und in Europa, NATO und Flüchtlingspolitik - oder besser: Flüchtlingsabwehrpolitik der 'Festung Europa', die jedes Jahr zahlreiche Tote fordert." Hier wird auch die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX zum Thema gemacht - eine Broschüre der IMI ("FRONTEX - Widersprüche im erweiterten Grenzraum") gibt "einen Überblick über die bisher erfolgten Einsätze der Agentur, über ihre Rolle bei Abschiebungen, ihre Zusammenarbeit mit Geheimdiensten und deren teilweise fehlenden Rechtsgrundlagen. In der Broschüre werden aber auch Ansatzpunkte für eine Kritik geliefert werden, die weit über juristische und menschenrechtliche Argumentationen hinausgeht und sie dokumentiert Aktionen, die gegen die Agentur stattgefunden haben oder geplant sind" - so die Informationen auf der IMI-Internetseite. (6)

Rolf Gössner meint: "Insgesamt nimmt IMI eine wohltuend klare, kritisch-ablehnende Haltung zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren und zum Abbau der Bürger- und Menschenrechte im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes ein."

Ein besonderer Schwerpunkt ist - neben anderen Kriegs- und Konfliktregionen wie Afghanistan, versteht sich - Nordafrika und hier der Zusammenhang von Flüchtlingsabwehrpolitik, demokratischem Aufbruch in den arabischen Staaten und neuen imperialen Strategien der NATO und ihrer Mitgliedstaaten.

Mitarbeiter von IMI, der Informationsstelle Militarisierung e.V. - Foto: © 2011 Aachener Friedenspreis

Von links: Claudia Haydt, Tobias Pflüger, Andreas Seifert, Michael
Haid, Christoph Marischka, Jürgen Wagner, Jonna Schürkes
Foto: © 2011 Aachener Friedenspreis

Claudia Haydt, die in Aachen für IMI die Dankrede gehalten hat, schrieb darüber in einer Reportage über die tunesische Revolution, die ebenfalls auf der Internetseite der Informationsstelle zu finden ist: "Die Europäische Union hatte in den letzten Jahren mit nahezu jeder Diktatur in der Region Rückführungsabkommen abgeschlossen. Dafür hatte die EU militärische Ausrüstung zum Kampf gegen diese Flüchtlinge geliefert und systematisch ignoriert, dass Flüchtlinge in den Lagern einiger nordafrikanischer Staaten nachweislich vergewaltigt und misshandelt wurden. Die EU hatte die Drecksarbeit für die Abschottung der 'Festung Europa' gerne nach außen delegiert und sich dies auch einiges kosten lassen."

In ihrer Rede in Aachen hat Claudia Haydt imperiale Interessen und deutsche Militärpolitik zueinander in Beziehung gesetzt:

"Je ungerechter die globale ökonomische Ordnung wird, umso wichtiger wird es für den reichen Norden sein, seine Vorstellungen der ökonomischen Ordnung und seine Bedingungen für den Zugang zu Märkten und Ressourcen auch militärisch abzusichern. Dazu möchte de Maizière die Bundeswehr als 'besondere Nationalmannschaft' einsetzen. Für die IMI ist klar, wir wollen keine Militärmacht und keine Großmacht Deutschland!"

Die IMI-Analysen sind also in jedem Fall durch ein konkretes politisches Selbstverständnis inspiriert, das sich vor allem auf die deutschen Verhältnisse bezieht. "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" - auf dieses Motto des Kriegsgegners Karl Liebknecht, auf diesen "Aufschrei" aus dem Jahr 1915, damals hinein geworfen in die "patriotisch aufgeladene Stimmung des Ersten Weltkrieges", bezog sich Claudia Haydt:

"Auch wenn man die martialische Sprache nicht teilen muss, so liegt für die IMI in jedem Fall die Hauptaufgabe im eigenen Land und leider gibt es genau hier viel zu tun. Wir leben heute in einem Land, das bis zu zehntausend Soldaten weltweit für Kriege und Besatzungsregime entsendet. Das bedeutet, dass in den letzten 15 Jahren etwa 300.000 Soldaten im Ausland eingesetzt wurden."

Das Ziel, praktisch politisch zu handeln, hat sich die IMI bereits selbst in die Wiege gelegt: Anlass der Gründung der Informationsstelle Militarisierung war 1996 die Bildung des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr im baden-württembergischen Calw. Einige staatliche Stellen haben später das Engagement von IMI und IMI-Mitgliedern auf ihre Art "gewürdigt": so erhob die Staatsanwaltschaft Tübingen im Jahr 2000 Anklage gegen den damaligen IMI-Geschäftsführer Tobias Pflüger, der zugleich einer der Initiatoren der Informationsstelle war - wegen Aufrufs zur Fahnenflucht: Er hatte während des völkerrechtswidrigen Kosovokrieges von 1999 öffentlich an Soldaten appelliert, zu desertieren.

Im Jahr 2007 schließlich wäre IMI beinahe die Gemeinnützigkeit entzogen worden - das Tübinger Finanzamt äußerte Zweifel daran, dass die Informationsstelle im Rahmen der Verfassung agiere. Dazu Rolf Gössner in seiner Laudatio vom 1. September: "Wer aber hat IMI die Zweifel an der Verfassungstreue eingebrockt? Es war unser skandalträchtiger Inlandsgeheimdienst, der auf den euphemistischen Tarnnamen 'Verfassungsschutz' hört - obwohl es sich genau genommen um einen Fremdkörper in der Demokratie handelt, der weder transparent noch wirklich kontrollierbar ist."

Das drohende "Aus" für die IMI konnte abgewendet werden - ebenso wie Klagen von Repräsentanten der Daimler AG gegen den Rüstungsaktivisten Jürgen Grässlin letztlich erfolglos blieben.

"Gemeinsamkeit ist Stärke", betonte Claudia Haydt in Aachen: "Das gilt, wenn wir mit Arbeitsloseninitiativen gegen die Rekrutierung der Bundeswehr in Arbeitsagenturen, mit Lehrerinnen und Schülerinnen gegen Bundeswehrpropaganda in Schulen, die Flüchtlingsinitiativen gegen die Abschottung der EU-Außengrenzen und Frontex oder mit Globalisierungskritikern gegen Strategien der G8-Staaten kämpfen."

Gerade in diesen Tagen, Wochen und Monaten, in denen gesellschaftliche Basisbewegungen, in Europa, - auch in Deutschland - , im Nahen und Mittleren Osten und anderen Ländern der Welt eine neue Konjunktur erleben, haben möglicherweise Initiativen gegen Rüstungsproduktion und Waffenexporte, für den sozialverträglichen Umbau der Kriegsindustrie, gegen den neu-alten Militärfetischismus und für eine tatsächliche Friedenssicherung eine gute Zukunft.

Veronika Thomas-Ohst, stellvertretende Vorsitzende des Aachener Friedenspreises, und Tobias Pflüger auf der von DGB und Aachener Friedenspreis veranstalteten Antikriegstags-Demo in Aachen - Foto: © 2011 arbeiterfotografie.com
Veronika Thomas-Ohst, stellvertretende Vorsitzende des Aachener
Friedenspreises, und Tobias Pflüger auf der von DGB und Aachener
Friedenspreis veranstalteten Antikriegstags-Demo in Aachen
Foto: © 2011 arbeiterfotografie.com

Anmerkungen:

(1) Links zu den Reden, die bei der Verleihung des Aachener Friedenspreises 2011 am 1. September gehalten wurden:

- http://www.aachener-friedenspreis.de/uploads/media/Rede_Vorsitzender_AFP_2011.pdf
- http://www.aachener-friedenspreis.de/uploads/media/Laudatio_Goessner_2011.pdf
- http://www.aachener-friedenspreis.de/uploads/media/Rede_J%C3%BCrgen_Gr%C3%A4sslin_2011.pdf
- http://www.aachener-friedenspreis.de/uploads/media/Rede_Claudia_Haydt__IMI__2011.pdf

Im Folgenden entfallen Einzelnachweise für Zitate aus diesen Reden.

(2) Jürgen Grässlin: »Versteck dich, wenn sie schießen. Die wahre Geschichte von Samiira, Hayrettin und einem deutschen Gewehr«, Droemer Verlag München 2003
(Gesamttext als pdf-Datei unter: http://www.juergengraesslin.com/27266-S001-480-kleiner.pdf)

(3) Grässlin: »Versteck dich, wenn sie schießen. Die wahre Geschichte von Samiira, Hayrettin und einem deutschen Gewehr«, S.434

(4) http://www.aufschrei-waffenhandel.de/Zeugenreisen.102.0.html

(5) http://www.imi-online.de/publikationen.php

(6) http://www.imi-online.de/2009.php?id=2002

*

Quelle: © 2011 by Martin Forberg mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2011

 

 01.09.2011

Aachener Friedenspreisträger Grässlin

Gegen die Waffenlobby

Jürgen Grässlin bekommt den Aachener Friedenspreis. Er kämpft gegen die Rüstungsindustrie und für ein Verbot von Waffenexporten.
von MARTIN FORBERG

Jürgen Grässlin ist Friedensaktivist aber kein vom Ehrgeiz getriebener Workaholic.  Foto Privat

Nimmermüde - dieses Eigenschaftswort passt zu Jürgen Grässlin. Der Deutschlehrer aus Freiburg hat offenbar Wichtigeres zu tun als zu schlafen: "Von einem, der auszog, die Rüstungsindustrie das Fürchten zu lehren", lautet der Untertitel eines seiner Bücher. Er ist Gründer, Vorsitzender oder Sprecher von immerhin fünf Friedensorganisationen.

Momentan schreibt er an einem neuen Buch und hat soeben Strafanzeige gegen die Firma Heckler & Koch gestellt, da deren Gewehre in Libyen bei den Gaddafi-Truppen und den Rebellen gleichermaßen aufgetaucht sein sollen.

Am Donnerstag, dem Antikriegstag, nimmt Grässlin - gemeinsam mit der Tübinger Informationsstelle Militarisierung - den Aachener Friedenspreis in Empfang. Ein von Ehrgeiz getriebener Workaholic, gar mit Managerallüren, ist er nicht geworden. Die Stimme am Telefon bleibt freundlich, auch wenn sie seufzend über die Belastungen durch noch mehr neue Aktivitäten berichtet.

Auch das Image, das manche Medien Grässlin verpasst haben ("Allein gegen die Waffenindustrie"), kann nicht ganz stimmen. Nicht nur, dass er gemeinsam mit Ehefrau und erwachsenen Kindern Protestfahrradtouren unternimmt. Der Friedensaktivist und Mini-Anteilseigner bei Daimler-Benz ist anfangs bei Aktionärsversammlungen ausgebuht worden - heute erhält er Beifall.

Grässlin hat sich nicht damit begnügt, die Waffenproduzenten vom Schreibtisch aus anzuklagen, sondern ist auch den Opfern begegnet - in Somalia beispielsweise oder in den kurdischen Gebieten der Türkei. In seinem Buch "Versteck Dich, wenn sie schießen" geht es immer wieder um die von Heckler & Koch produzierten Schnellfeuergewehre und Maschinenpistolen. Schwer zugesetzt aber hat ihm ein anderes Traditionsunternehmen - der Daimler-Benz-Konzern. Mit zwei Prozessen, die er beide gewonnen hat.

Um Rechtsfragen anderer Art kümmert er sich nun als Sprecher der "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!". Das Grundgesetz soll um den Satz ergänzt werden: "Der Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern ist grundsätzlich verboten".