/ 01.09.2011
Aachen. Von der
Verleihung des Aachener Friedenspreises müsse ein starkes Signal ausgehen,
sagte der Publizist Dr. Rolf Gössner in seiner immer wieder von Applaus
unterbrochenen Laudatio Donnerstagabend in der Aula Carolina, «gerade in einer
Zeit, in der wir eine fortschreitende Militarisierung der Außen- und
Innenpolitik zu beklagen haben, gerade in einer Zeit, in der der deutsche
Waffenhandel ungebremst floriert».
Es
sei sinnvoll und gut, dass der Friedenspreis an diesem symbolträchtigen Tag,
dem Antikriegstag, verliehen werde: «Und es ist überaus bedeutsam und
hochaktuell, dass dieses Jahr herausragende Rüstungsgegner und
Friedensaktivisten diesen Preis erhalten.»
Die
deutschen Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern hätten sich in den letzten
Jahren verdoppelt, sagte der Jurist, auch Vizepräsident der Internationalen
Liga für Menschenrechte, weiter: «Zu den Empfängern zählen auch Staaten in
Konflikt- und Kriegsregionen des Nahen und Mittleren Ostens sowie menschenrechtsverletzende
Regime etwa Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas.»
Preisträger
Jürgen Grässlin zeige auf, dass die «skandalösen Genehmigungen durch den
Bundessicherheitsrat den eigenen menschen- und völkerrechtlichen Grundsätzen
zuwiderlaufen». Der Preisträger fahre auch in ferne Länder, wo deutsche Waffen
ungeheures Unheil anrichteten, habe etwa Interviews mit 220 Überlebenden des
Einsatzes von «Kleinwaffen» made in Germany geführt, den
«Massenvernichtungswaffen unserer Zeit». Mit diesen Waffen würden zwei von drei
Opfern in Kriegen und Bürgerkriegen getötet.
Diese
Schreckensbilanz - so Gössner weiter - sei keineswegs mit dem wohlfeilen Arbeitsplatzargument
zu rechtfertigen Auf jeden Arbeitsplatz kämen über die Jahre viele Tote und
weit mehr Verstümmelte, in der hauseigenen Werbung Weichziele genannt. Nicht
allein die Produzenten und Händler des Todes trügen laut Jürgen Grässlin Mitschuld
an den verheerenden Folgen, sondern auch die Bundesregierungen, gleich welcher
Couleur, mit ihrer Rüstungsexport-Genehmigungspraxis. «Im Klartext lautet die
Anklage gegen die Bundesregierungen: mutmaßliche Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen,
zu Massen- und Völkermord.»
Die
Informationsstelle Militarisierung lobte Rechtsanwalt Gössner als
antimilitaristische Denkfabrik, die eine wohltuend klare, kritisch ablehnende
Haltung zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen, zum Einsatz der
Bundeswehr im Innern und zum Abbau von Bürger- und Menschenrechten im Zuge des
staatlichen Antiterrorkampfes einnehme. Das Weißbuch des
Verteidigungsministeriums sehe Aufgaben wie die Sicherung der Rohstoff- und
Energieversorgung, freie Transportwege und ungehinderten Welthandel sowie die
Abwehr «unkontrollierter Migration» vor.
So
fordere die Flüchtlingsabwehrpolitik der Festung Europa jedes Jahr zahlreiche Tote.
Die Umwandlung der Bundeswehr in eine internationale Einsatztruppe sei nicht
vereinbar mit dem Grundgesetz, in dem es in Artikel 87a unmissverständlich
heiße: «Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.» Auch Antiterrorkriege
seien Terror - auch wenn sie zu humanitären Interventionen verklärt würden:
«Sie produzieren letztlich, was sie bekämpfen sollen, nämlich Krieg und
weiteren Terror. Sie töten, verletzen und schänden unschuldige Zivilisten,
stehen in krassem Widerspruch zu Menschenrechten und Gerechtigkeit, die sich genauso
wenig herbeibomben lassen wie Freiheit und Demokratie.»
Auch
Karl Heinz Otten, der Vorsitzende des Friedenspreises, sagte in seiner Rede,
dass die einzige Art, auf den Krieg zu reagieren, darin bestehe, ihn zu verweigern.
«Friedensaktivisten sollen, dürfen und müssen provozieren.» Dabei könne es vorkommen,
dass unterschiedliche Ideale und Rechte in Kollision miteinander gerieten. Es
sei aber zu keiner Zeit antisemitisches Verhalten von Vorstandsmitgliedern zu
konstatieren gewesen.
Laudator Rolf Gössner (Bild) bekam viel Zuspruch.
Aachen
(dapd). Der Rüstungsgegner und Friedensaktivist Jürgen Grässlin ist am
Donnerstagabend mit dem Aachener Friedenspreis 2011 ausgezeichnet worden. Der
54 Jahre alte Lehrer aus Freiburg setze sich seit Jahren aktiv 'für konkrete
Schritte der Abrüstung' ein und lasse sich dabei auch von den Waffenkonzernen
nicht einschüchtern, sagte der Vize-Präsident der Internationalen Liga für
Menschenrechte, Rolf Gössner, in seiner Laudatio.
Gleichzeitig beklagte er 'eine
fortschreitende Militarisierung der Außen- und Innenpolitik'. Gerade deshalb
sei es 'überaus bedeutsam und hochaktuell, dass dieses Jahr herausragende
Rüstungsgegner und Friedensaktivisten mit diesem Friedenspreis geehrt werden'.
Ebenfalls ausgezeichnet wurde die Informationsstelle
Militarisierung (Tübingen). Dapd
Vor
15 Jahren überwarfen sich Jürgen Grässlin und die Informationsstelle Militarisierung
(IMI). Heute Abend um 19 Uhr bekommen der Freiburger Rüstungsgegner und die
Tübinger Antimilitaristen den Aachener Friedenspreis.
Tübingen.
„Schnee von gestern“ nennt Jürgen Wagner die Auseinandersetzungen von damals.
Sie hatten 1996 zur Abspaltung der Tübinger Außenstelle des Freiburger
Rüstungs-Informationsbüros Baden-Württemberg geführt. Das Verhältnis sei längst
wieder gut, sagt der Journalist, der seit 2004 geschäftsführender Vorsitzender
der vor 15 Jahren gegründeten IMI ist. Sie informierte damals vor allem über
neue Rüstungs- und Beschaffungsprojekte der Bundeswehr und beobachtete das
Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw.
Seither
hat sich das Spektrum des gemeinnützigen Vereins mit rund 200 Mitgliedern
bundesweit erheblich erweitert. Der Internationalen Liga für Menschenrechte,
die den Friedenspreis am heutigen Antikriegstag in Aachen verleiht, gilt die
IMI als „Mittler zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung“, die mit
Analysen und kritischen Hintergrundinformationen den Widerstand gegen die
zunehmende Militarisierung Deutschlands und der EU unterfüttere und unterstütze.
Manche
Anrufer im Büro in der Hechinger Straße missverstehen den Namen. Die kurioseste
Anfrage bekam Jürgen Walter von Bulgaren. Sie wollten bei der „antimilitaristischen
Denkfabrik“, so der Aachener Laudator Rolf Gössner, einen Schießstand mieten.
Die Surfer, die die IMI-Internetseite besuchen, wissen, worum es dort geht:
sich „seriös und wissenschaftlich“, so Wagner, mit den Fragen von Krieg und
Frieden zu beschäftigen: „Das ist naturgemäß ein bisschen trocken.“
Jahr um
Jahr veröffentlicht IMI bis zu 20 ausführliche Studien, an die 40 Analysen und
dazu noch rund 100 Kurzartikel zu friedenspolitischen Themen, die kostenlos auf
der Internetseite zur Verfügung stehen. Die neuesten fragen nach dem
„Arabischen Frühling der Rüstungsindustrie“. Sie handeln von der „Bundeswehrreform
in der Feinplanung“ und der „Europäisch-afrikanischen Militärkooperation“. Das
geht über den ursprünglichen „Bundeswehr-Fokus“ (Wagner) hinaus. Die IMI will
aber auch weiter „militärkritisch und kritisch mit dem Handeln der deutschen
Regierung und der Europäischen Union umgehen“.
Die
IMI-Broschüre gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex ist für Wagner eine der
„erfolgreichsten und wichtigsten“. An ihr wirkte Tobias Pflüger mit, IMI-Mann
der ersten Stunde und ehemaliger Europaabgeordneter der Linken. Er, Wagner und
die fünf anderen Vorstandsmitglieder sind seit gestern in Aachen. Auch die
Entstehung des EU-Verfassungsvertrags hat die IMI begleitet. Eine Folge: Über
die Europäische Union werde in der Friedensbewegung „kritischer diskutiert“, so
Wagner. Längst nicht ausdebattiert ist die Haltung der IMI zu dem, was als
„Revolution in Nordafrika“ durch die Medien geht: „Da gibt es intern unterschiedliche
Einschätzungen.“
„Wir
bemühen uns, dass die Friedensbewegung nicht im eigenen Sud kocht“, beschreibt
der ehrenamtliche Vorsitzende ein Anliegen des Vereins mit politischem Anspruch.
Deshalb arbeitet die IMI nicht nur bei Kampagnen mit „kapitalismuskritischen
Bewegungen“ zusammen – etwa 2003 mit Attac gegen den Irakkrieg.
IMI-Referent(inn)en
treten jährlich bei bis zu 300 Veranstaltungen auf. Und es gibt IMI-Kongresse.
Der diesjährige am 4. und 5. November trägt den Titel „Wendezeiten:
weltpolitische Umbrüche – Chance oder Gefahr?“. Aktuell arbeiten die Tübinger
Antimilitaristen an einer Broschüre zu Afghanistan, die im Dezember erscheinen
soll. In den letzten Zügen ist eine Publikation zur Militarisierung der
Vereinten Nationen. Viel Arbeit erfordert auch der Rüstungsatlas
Baden-Württemberg, der im ersten Quartal kommenden Jahres erscheinen soll. In
Tübingen könnte da etwa die Nato-Pipeline auftauchen. www.imi-online.de
01.09.2011
25.08.2011 / Abgeschrieben / Seite 8
Jährlich zum Antikriegstag am
1.September findet die Verleihung des bundesweit und international renommierten
Aachener Friedenspreises statt. Dieser Friedenspreis wurde 1988 als
Bürgerinitiative aus der Aachener Friedensbewegung gegründet, um Einzelpersonen
oder Gruppen zu würdigen und vorzustellen, die von »unten her« dazu beigetragen
haben, der »Verständigung der Völker und der Menschen untereinander zu dienen«
– eine Zielsetzung, der sich auch die Internationale Liga für Menschenrechte
verpflichtet sieht.
Wie der Verein Aachener
Friedenspreis zu seiner diesjährigen Entscheidung erklärt, arbeitet der
Pädagoge und Buchautor Jürgen Grässlin (Freiburg) seit den 1980er Jahren »mit
beeindruckender Energie und Unermüdlichkeit für den Frieden, vor allem für
Verbote von Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten«. Die Informationsstelle
Militarisierung e.V. (Tübingen) sei als »antimilitaristische Denkfabrik« seit
15 Jahren »Mittler zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung«, die mit
Analysen und kritischen Hintergrundinformationen den Widerstand gegen die
zunehmende Militarisierung Deutschlands und der EU unterfüttere und
unterstütze.
Dazu Liga-Vizepräsident Dr. Rolf
Gössner, der die Laudatio auf beide Preisträger halten wird: »Es ist überaus bedeutsam und auch
hochaktuell, daß dieses Jahr herausragende Rüstungsgegner und
Friedensaktivisten mit diesem Friedenspreis geehrt werden – gerade in einer
Zeit, in der wir eine fortschreitende Militarisierung der Außen- und
Innenpolitik zu beklagen haben, gerade in einer Zeit, in der der deutsche
Waffenhandel ungebremst floriert.«
Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT
→ FAKTEN
BERICHT/1196: Zur
Verleihung des Aachener Friedenspreises 2011
"Der Krieg beginnt
hier - also lasst ihn uns hier stoppen!"
von Martin Forberg, 2.
September 2011
AFP-Vorsitzender Karl-Heinz Otten, Jürgen Grässlin, Jürgen Wagner,
Claudia Haydt und die stellvertretende AFP-Vorsitzende Veronika
Thomas-Ohst - Foto: © 2011 arbeiterfotografie.com
"Der Krieg beginnt hier - also lasst
ihn uns hier stoppen!" Das ist das Motto der Tübinger Informationsstelle
Militarisierung (IMI), die am 1. September 2011 den diesjährigen Aachener Friedenspreis
erhielt - gemeinsam mit dem Freiburger Rüstungsexportgegner Jürgen Grässlin.
Die Auszeichnung fand am Abend in der
Aula Carolina, der Schulaula des Kaiser-Karls-Gymnasiums, statt, die in Aachen
außerhalb der Unterrichtszeit als Veranstaltungsraum genutzt wird. Schon am
Nachmittag kamen beide Preisträger auf einer Kundgebung aus Anlass des Antikriegstages,
die gemeinsam vom Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Aachener Friedenspreis in
der Aachener Innenstadt organisiert wurde, zu Wort.
"Die
Mitgliederversammlung rückte bei der Wahl in diesem Jahr die Themen Militarisierung,
Rüstung und Rüstungsexporte in den Fokus ihrer Entscheidung", so der
Vorsitzende des Aachener Friedenspreises, Karl Heinz Otten, in seiner Rede, die
er während der abendlichen Veranstaltung hielt. (1)
Und Rolf
Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, machte in
seiner - mehrfach von starkem Beifall unterbrochenen - Ansprache zu Ehren der
Friedensaktivisten aus Baden und Schwaben deutlich, warum jetzt genau die
richtige Zeit ist, Kriegsvorbereitungen und Waffenhandel in den Mittelpunkt der
Aufmerksamkeit zu rücken. Schließlich haben die geplanten deutschen
Panzerexporte nach Saudi-Arabien und der vorgesehene Aufbau einer Panzerfabrik
in Algerien die Öffentlichkeit erst vor einigen Wochen aufgewühlt. Und einen
Tag vor der Preisverleihung in Aachen ging die Nachricht durch die Medien, dass
Jürgen Grässlin die Firma Heckler & Koch (H&K) angezeigt hat, weil
deren Gewehre in Libyen in den Waffenarsenalen des Gaddafi-Regimes auftauchten.
Rolf Gössner:
"Die skandalösen Genehmigungen durch den Bundessicherheitsrat, die den eigenen
menschen- und völkerrechtlichen Grundsätzen zuwiderlaufen, zeigen, wie überaus
aktuell und brisant diese Problematik ist - aber auch wie verhängnisvoll und
existentiell für potentiell Betroffene, für Oppositionelle, für Menschenrechts-
und Demokratiebewegungen in den jeweiligen Zielländern."
Die
"deutschen Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern" hätten sich
"in den letzten Jahren sogar verdoppelt", so Gössner. Ohnehin ist die
Bundesrepublik mittlerweile der drittgrößte Exporteur von Kriegsgerät auf der
ganzen Welt - und die Nummer Eins in Europa. Das ist im Grunde nicht nur eine
erschreckende Rekordleistung, sondern zugleich Anzeichen für eine enorme
kriminelle Energie: Preisträger Jürgen Grässlin betonte in seiner Dankesrede,
dass "Waffenhandel Beihilfe zu Mord" sei, - "und im Falle der
Kleinwaffen Beihilfe zu Massenmord". Denn der Autor mehrerer kritischer
Bestseller hat in einem seiner bewegendsten Bücher ("Versteck Dich, wenn
sie schießen") (2) besonders die verheerende Wirkung von Pistolen, Maschinenpistolen
und Gewehren der baden-württembergischen Firma Heckler & Koch (H&K) dokumentiert:
"In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts starben mehr als 1,51
Millionen Menschen durch Kugeln aus einer H&K-Waffe, in den ersten Jahren
des neuen Jahrtausends mussten Abertausende weiterer Gräber ausgehoben werden.
Bis heute gibt es Hunderttausende körperlich verstümmelter und geistig
traumatisierter Menschen, die mehr dahinvegetieren, als dass sie ein menschenwürdiges
Leben führen. Sie haben den Beschuss mit G3-Schnellfeuergewehren oder
MP5-Maschinenpistolen überlebt."(3)
Jürgen Grässlin, Preisträger desAachener Friedenspreises 2011
Foto: © 2011 Aachener Friedenspreis
Und in
Grässlins Aachener Dankesrede ist zu lesen: "Ich bin ihm persönlich
begegnet dem Waffentod: bei den vielfachen Recherchereisen durch zerstörte
Dörfer in Türkisch-Kurdistan, auf den Friedhöfen mit ihren ungezählten
Grabsteinen aus der Zeit des Bürgerkriegs, in Krankenhäusern und
Flüchtlingshäusern von Diyarbakir, auf den Exekutionsplätzen in Somaliland,
beim Behindertentreffen in Berbera, in der Hilfsstation des Somaliländischen
Halbmondes in Hargeisa und in vielen Zelten und Hütten, in denen sich das
Grauen vergangener Gewalttaten bis heute in den Gesichtern der Überlebenden
widerspiegelt." Immer wieder hat Grässlin Menschen getroffen, die zu
Opfern der Präzisionsgewehre und Maschinenpistolen der Firma Heckler & Koch
geworden sind - über 220 von ihnen hat er befragt und ihre Lebensgeschichten
aufgeschrieben. In dem Buch kommen einige von ihnen zu Wort. Und in Zukunft
werden auf Einladung der "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!"
(4) über drei Jahre hinweg Menschen aus Ländern, die von den Folgen deutscher
Waffenexporte betroffen sind, in Deutschland darüber sprechen.
"Zeugenreisen" nennt die "Aktion Aufschrei" diese Kampagne.
In Aachen hat deren Sprecher Jürgen Grässlin auch für die zentrale Forderung
der Initiative geworben: das Grundgesetz - Artikel 26 (2) - soll erweitert
werden um den Satz: "Der Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern ist
grundsätzlich verboten".
Grässlin sieht
die Zeit für einen "lauten Aufschrei" gekommen: "Noch fühlt er
sich wohl, der Waffentod bei seinen Besuchen in Berlin bei der Bundesregierung,
in Oberndorf - seiner Heimatstadt - bei Heckler & Koch, in Unterschleißheim
und am Bodensee bei der EADS, in München bei Krauss-Maffei Wegmann, in Nürnberg
bei Diehl, in Düsseldorf bei Rheinmetall, in Bremen bei Lürssen und an vielen
weiteren Orten mit vielen weiteren Waffenschmieden Deutschlands. Noch fühlt er
sich wohl - wir werden das ändern: AUFSCHREI!"
Dieser
Aufschrei richte sich auch "gegen Waffenhandel mit
menschenrechtsverletzenden Regierungen in Angola, Brasilien, Indien,
Indonesien, Israel, Malaysia, Pakistan, Nigeria, Saudi-Arabien, Thailand und
den Vereinigten Arabischen Emiraten - um nur einige von vielen zu nennen!"
Die ebenfalls
mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnete Tübinger Informationsstelle Militarisierung
(IMI) versteht sich als Verbindungsglied zwischen Friedensbewegung und Wissenschaft.
Sie gibt mehrere Publikationen heraus, die sich mit einer breiten Palette von
Themen beschäftigen: Die prägnanten IMI-Standpunkte stehen neben
ausführlicheren IMI-Analysen sowie den tiefer schürfenden IMI-Studien und dem
"AUSDRUCK", der IMI-Zeitschrift. (5)
Selbstverständlich
geht es hier auch um Rüstungsexporte. Daneben aber werden von IMI weitere
zentrale Probleme angesprochen. Rolf Gössner hat sie in seiner Laudatio
benannt: "Friedens- und Konfliktforschung, Umstrukturierung der
Bundeswehr, Militarisierung der Bundesrepublik und in Europa, NATO und
Flüchtlingspolitik - oder besser: Flüchtlingsabwehrpolitik der 'Festung
Europa', die jedes Jahr zahlreiche Tote fordert." Hier wird auch die
europäische Grenzschutzagentur FRONTEX zum Thema gemacht - eine Broschüre der IMI
("FRONTEX - Widersprüche im erweiterten Grenzraum") gibt "einen
Überblick über die bisher erfolgten Einsätze der Agentur, über ihre Rolle bei
Abschiebungen, ihre Zusammenarbeit mit Geheimdiensten und deren teilweise
fehlenden Rechtsgrundlagen. In der Broschüre werden aber auch Ansatzpunkte für
eine Kritik geliefert werden, die weit über juristische und menschenrechtliche
Argumentationen hinausgeht und sie dokumentiert Aktionen, die gegen die Agentur
stattgefunden haben oder geplant sind" - so die Informationen auf der
IMI-Internetseite. (6)
Rolf Gössner
meint: "Insgesamt nimmt IMI eine wohltuend klare, kritisch-ablehnende Haltung
zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren
und zum Abbau der Bürger- und Menschenrechte im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes
ein."
Ein besonderer
Schwerpunkt ist - neben anderen Kriegs- und Konfliktregionen wie Afghanistan,
versteht sich - Nordafrika und hier der Zusammenhang von Flüchtlingsabwehrpolitik,
demokratischem Aufbruch in den arabischen Staaten und neuen imperialen
Strategien der NATO und ihrer Mitgliedstaaten.
Von links: Claudia Haydt, Tobias Pflüger, Andreas Seifert, Michael
Haid, Christoph Marischka, Jürgen Wagner, Jonna Schürkes
Foto: © 2011 Aachener Friedenspreis
Claudia Haydt,
die in Aachen für IMI die Dankrede gehalten hat, schrieb darüber in einer Reportage
über die tunesische Revolution, die ebenfalls auf der Internetseite der
Informationsstelle zu finden ist: "Die Europäische Union hatte in den
letzten Jahren mit nahezu jeder Diktatur in der Region Rückführungsabkommen
abgeschlossen. Dafür hatte die EU militärische Ausrüstung zum Kampf gegen diese
Flüchtlinge geliefert und systematisch ignoriert, dass Flüchtlinge in den
Lagern einiger nordafrikanischer Staaten nachweislich vergewaltigt und
misshandelt wurden. Die EU hatte die Drecksarbeit für die Abschottung der
'Festung Europa' gerne nach außen delegiert und sich dies auch einiges kosten
lassen."
In ihrer Rede
in Aachen hat Claudia Haydt imperiale Interessen und deutsche Militärpolitik zueinander
in Beziehung gesetzt:
"Je
ungerechter die globale ökonomische Ordnung wird, umso wichtiger wird es für
den reichen Norden sein, seine Vorstellungen der ökonomischen Ordnung und seine
Bedingungen für den Zugang zu Märkten und Ressourcen auch militärisch
abzusichern. Dazu möchte de Maizière die Bundeswehr als 'besondere Nationalmannschaft'
einsetzen. Für die IMI ist klar, wir wollen keine Militärmacht und keine
Großmacht Deutschland!"
Die
IMI-Analysen sind also in jedem Fall durch ein konkretes politisches
Selbstverständnis inspiriert, das sich vor allem auf die deutschen Verhältnisse
bezieht. "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" - auf dieses Motto
des Kriegsgegners Karl Liebknecht, auf diesen "Aufschrei" aus dem
Jahr 1915, damals hinein geworfen in die "patriotisch aufgeladene Stimmung
des Ersten Weltkrieges", bezog sich Claudia Haydt:
"Auch wenn
man die martialische Sprache nicht teilen muss, so liegt für die IMI in jedem
Fall die Hauptaufgabe im eigenen Land und leider gibt es genau hier viel zu
tun. Wir leben heute in einem Land, das bis zu zehntausend Soldaten weltweit
für Kriege und Besatzungsregime entsendet. Das bedeutet, dass in den letzten 15
Jahren etwa 300.000 Soldaten im Ausland eingesetzt wurden."
Das Ziel,
praktisch politisch zu handeln, hat sich die IMI bereits selbst in die Wiege
gelegt: Anlass der Gründung der Informationsstelle Militarisierung war 1996 die
Bildung des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr im
baden-württembergischen Calw. Einige staatliche Stellen haben später das
Engagement von IMI und IMI-Mitgliedern auf ihre Art "gewürdigt": so erhob
die Staatsanwaltschaft Tübingen im Jahr 2000 Anklage gegen den damaligen
IMI-Geschäftsführer Tobias Pflüger, der zugleich einer der Initiatoren der
Informationsstelle war - wegen Aufrufs zur Fahnenflucht: Er hatte während des
völkerrechtswidrigen Kosovokrieges von 1999 öffentlich an Soldaten appelliert,
zu desertieren.
Im Jahr 2007
schließlich wäre IMI beinahe die Gemeinnützigkeit entzogen worden - das Tübinger
Finanzamt äußerte Zweifel daran, dass die Informationsstelle im Rahmen der
Verfassung agiere. Dazu Rolf Gössner in seiner Laudatio vom 1. September:
"Wer aber hat IMI die Zweifel an der Verfassungstreue eingebrockt? Es war
unser skandalträchtiger Inlandsgeheimdienst, der auf den euphemistischen
Tarnnamen 'Verfassungsschutz' hört - obwohl es sich genau genommen um einen
Fremdkörper in der Demokratie handelt, der weder transparent noch wirklich
kontrollierbar ist."
Das drohende
"Aus" für die IMI konnte abgewendet werden - ebenso wie Klagen von Repräsentanten
der Daimler AG gegen den Rüstungsaktivisten Jürgen Grässlin letztlich erfolglos
blieben.
"Gemeinsamkeit
ist Stärke", betonte Claudia Haydt in Aachen: "Das gilt, wenn wir mit
Arbeitsloseninitiativen gegen die Rekrutierung der Bundeswehr in Arbeitsagenturen,
mit Lehrerinnen und Schülerinnen gegen Bundeswehrpropaganda in Schulen, die
Flüchtlingsinitiativen gegen die Abschottung der EU-Außengrenzen und Frontex
oder mit Globalisierungskritikern gegen Strategien der G8-Staaten
kämpfen."
Gerade in
diesen Tagen, Wochen und Monaten, in denen gesellschaftliche Basisbewegungen,
in Europa, - auch in Deutschland - , im Nahen und Mittleren Osten und anderen
Ländern der Welt eine neue Konjunktur erleben, haben möglicherweise Initiativen
gegen Rüstungsproduktion und Waffenexporte, für den sozialverträglichen Umbau
der Kriegsindustrie, gegen den neu-alten Militärfetischismus und für eine
tatsächliche Friedenssicherung eine gute Zukunft.
Veronika Thomas-Ohst, stellvertretende Vorsitzende des Aachener
Friedenspreises, und Tobias Pflüger auf der von DGB und Aachener
Friedenspreis veranstalteten Antikriegstags-Demo in Aachen
Foto: © 2011 arbeiterfotografie.com
Anmerkungen:
(1) Links zu
den Reden, die bei der Verleihung des Aachener Friedenspreises 2011 am 1. September
gehalten wurden:
-
http://www.aachener-friedenspreis.de/uploads/media/Rede_Vorsitzender_AFP_2011.pdf
- http://www.aachener-friedenspreis.de/uploads/media/Laudatio_Goessner_2011.pdf
- http://www.aachener-friedenspreis.de/uploads/media/Rede_J%C3%BCrgen_Gr%C3%A4sslin_2011.pdf
-
http://www.aachener-friedenspreis.de/uploads/media/Rede_Claudia_Haydt__IMI__2011.pdf
Im Folgenden
entfallen Einzelnachweise für Zitate aus diesen Reden.
(2) Jürgen
Grässlin: »Versteck dich, wenn sie schießen. Die wahre Geschichte von Samiira,
Hayrettin und einem deutschen Gewehr«, Droemer Verlag München 2003
(Gesamttext als pdf-Datei unter:
http://www.juergengraesslin.com/27266-S001-480-kleiner.pdf)
(3) Grässlin:
»Versteck dich, wenn sie schießen. Die wahre Geschichte von Samiira, Hayrettin
und einem deutschen Gewehr«, S.434
(4)
http://www.aufschrei-waffenhandel.de/Zeugenreisen.102.0.html
(5)
http://www.imi-online.de/publikationen.php
(6)
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2002
*
Quelle: © 2011 by Martin Forberg mit freundlicher
Genehmigung des Autors veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2011
01.09.2011
Aachener Friedenspreisträger Grässlin
Gegen die Waffenlobby
Jürgen Grässlin bekommt den Aachener
Friedenspreis. Er kämpft gegen die Rüstungsindustrie und für ein Verbot von
Waffenexporten.
von MARTIN FORBERG
Jürgen
Grässlin ist Friedensaktivist aber kein vom Ehrgeiz getriebener
Workaholic. Foto Privat
Nimmermüde - dieses
Eigenschaftswort passt zu Jürgen Grässlin. Der Deutschlehrer aus Freiburg hat
offenbar Wichtigeres zu tun als zu schlafen: "Von einem, der auszog, die
Rüstungsindustrie das Fürchten zu lehren", lautet der Untertitel eines
seiner Bücher. Er ist Gründer, Vorsitzender oder Sprecher von immerhin fünf
Friedensorganisationen.
Momentan schreibt er an
einem neuen Buch und hat soeben Strafanzeige gegen die Firma Heckler & Koch
gestellt, da deren Gewehre in Libyen bei den Gaddafi-Truppen und den Rebellen
gleichermaßen aufgetaucht sein sollen.
Am Donnerstag, dem
Antikriegstag, nimmt Grässlin - gemeinsam mit der Tübinger Informationsstelle
Militarisierung - den Aachener Friedenspreis in Empfang. Ein von Ehrgeiz getriebener
Workaholic, gar mit Managerallüren, ist er nicht geworden. Die Stimme am
Telefon bleibt freundlich, auch wenn sie seufzend über die Belastungen durch
noch mehr neue Aktivitäten berichtet.
Auch das Image, das
manche Medien Grässlin verpasst haben ("Allein gegen die Waffenindustrie"),
kann nicht ganz stimmen. Nicht nur, dass er gemeinsam mit Ehefrau und erwachsenen
Kindern Protestfahrradtouren unternimmt. Der Friedensaktivist und
Mini-Anteilseigner bei Daimler-Benz ist anfangs bei Aktionärsversammlungen
ausgebuht worden - heute erhält er Beifall.
Grässlin hat sich nicht
damit begnügt, die Waffenproduzenten vom Schreibtisch aus anzuklagen, sondern
ist auch den Opfern begegnet - in Somalia beispielsweise oder in den kurdischen
Gebieten der Türkei. In seinem Buch "Versteck Dich, wenn sie
schießen" geht es immer wieder um die von Heckler & Koch produzierten
Schnellfeuergewehre und Maschinenpistolen. Schwer zugesetzt aber hat ihm ein
anderes Traditionsunternehmen - der Daimler-Benz-Konzern. Mit zwei Prozessen,
die er beide gewonnen hat.
Um Rechtsfragen anderer
Art kümmert er sich nun als Sprecher der "Aktion Aufschrei - Stoppt den
Waffenhandel!". Das Grundgesetz soll um den Satz ergänzt werden: "Der
Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern ist grundsätzlich verboten".