Niedersächsische Fahnder setzen im Kampf gegen Betrug und
Korruption auf anonyme Tippgeber
Von unserem Redakteur Krischan Förster
Hannover. Nachricht
Nr. 395 ging vor wenigen Tagen beim Landeskriminalamt in Hannover ein.
"Beim Bau einer Schule geht es nicht mit rechten Dingen zu", schrieb
ein Unbekannter. Ein Beamter der Baubehörde wirtschafte in die eigene Tasche.
Kriminalkommissar Thomas Gerstner war alarmiert. Auf solche Meldungen warten er
und seine Kollegen.
Seit zehn Monaten läuft beim Landeskriminalamt in
Hannover ein bundesweit einmaliges Projekt zur Korruptionsbekämpfung. Via
Internet und anonym können Bürger Tipps geben, wer wen wo schmiert. Und das
"Business Keeper Monitoring System" (BKMS) läuft überaus erfolgreich.
Seit Oktober erreichten bereits 437 Meldungen die Zentralstelle
Korruptionsbekämpfung beim LKA in Hannover. Meldungen wie jene, die jüngst auf
Gerstners Monitor auftauchte.
"Da gibt es in einer niedersächsischen Stadt im
Bauamt offenbar einen korrupten Beamten", erzählt Gerstner. Die
Projektierung einer neuen Schule sei zwar ausgeschrieben worden, doch habe die
Behörde die Anforderungen so formuliert, dass diese nur ein einziges Büro habe
erfüllen können - was auch prompt den Zuschlag erhielt. Mitbesitzer des Büros:
der leitende Mitarbeiter des Bauamtes. Stimmt der Verdacht, hätte er sich
selbst einen Auftrag zugeschanzt. Diesem Fall werde jetzt nachgegangen, sagt
Gerstner.
Anders als bei herkömmlichen Mail-Systemen können die
Fahnder die Identität des Informanten weder erkennen, noch herausfinden.
"Wir müssen absolute Anonymität garantieren, sonst erfahren wir nichts",
betont LKA-Sprecher Frank Federau. Typisch für Korruption sei es, dass es kein
Opfer gebe. Bestochener und Bestechender - beide seien sie Täter. "Es gibt
gerade bei Betrug, Untreue oder Korruption eine riesige Grauzone", sagt
Federau. So sind die Ermittler auf Informationen Dritter angewiesen. Von
Angestellten etwa, die ihrem Chef illegales Geschäftsgebaren vorwerfen. Oder
von Verwaltungsmitarbeitern, die Mauscheleien bemerkt haben wollen. Neben ernst
zu nehmenden Hinweisen finden sich allerdings auch bloße Vermutungen.
"Anfangs sind viele Informationen sehr dürftig", räumt der
LKA-Sprecher ein. Denunzianten aber gebe es kaum. "Nicht einmal fünf
Prozent", beteuert Federau. Spätestens, wenn die Tippgeber einen
elektronischen Briefkasten anlegen, trennt sich endgültig die Spreu vom Weizen.
Denn dann kommen gezielte Nachfragen der Ermittler. "Etliche steigen
aus", sagt Kriminalkommissar Gerstner, "weil sie fürchten, dass sie
durch weitere Informationen erkennbar werden". Angst hätten sie dabei
nicht etwa vor den Polizisten, sondern vor Repressalien in ihrem persönlichen
Umfeld.
Von den bislang 437 Meldungen blieben immerhin rund 260
Fälle, in denen die Beamten "strafrechtliche Relevanz" erkannten. 145
aus Niedersachsen, der Rest aus allen Teilen der Republik. Erst bei einer
"fundierten Faktenlage" werden Polizeidienststelle und Staatsanwalt
eingeschaltet.
So wie im Fall des Geschäftsführers eines kommunalen
Verkehrsunternehmens, irgendwo in Niedersachsen. Beim Kauf neuer Busse
kassierte er satte Provisionen, statt diese als Rabatt an den Landkreis
abzuführen. Anschließend überließ er die Busse ohne Ausschreibung einer Firma,
die von seiner Frau geführt wird. Das Strafverfahren sei eingeleitet, sagt
Kommissar Gerstner: "Für den wird es jetzt ganz eng."
@ Weitere Informationen im Internet unter www.lka.niedersachsen.de
© WESER-KURIER / Bremer Tageszeitungen AG 13.9.2004
Bremer Anwalt Rolf Gössner kritisiert
Korruptionsbekämpfung per Internet als höchst problematisch
Bremen (kf).
Seit Jahren schon warnt Rolf Gössner, Bremer Rechtsanwalt und Publizist, vor
den Risiken der modernen Informationsgesellschaft. Er prangert vor allem die
zunehmende Einbeziehung der Bürger in die Kriminalitätsbekämpfung und
gravierende Verletzungen des Datenschutzes an. Auch das Internet-Angebot des
Landeskriminalamtes Niedersachsen sieht er skeptisch.
Halten Sie das Internetangebot des LKA Niedersachsen
für ein geeignetes Mittel, die Korruption zu bekämpfen?
Rolf Gössner: Nicht
wirklich - denn Korruption müsste dort bekämpft werden, wo die Strukturen in
Verwaltung und Wirtschaft diese Art von Kriminalität begünstigen. Also eher
Ursachen-orientierte Korruptionsprävention und mehr Transparenz, anstatt die
Bevölkerung in die Kriminalitätsbekämpfung einzubeziehen. Leider gibt es seit
geraumer Zeit eine solche Tendenz, ich erinnere an das SMS-Fahndungsprojekt,
mit dem Handy-Besitzer zu Hobby-Fahndern gekürt und dazu animiert wurden, ihre
Beobachtungen an die Polizei zu übermitteln. Ebenfalls eine höchst
problematische Geschichte.
Birgt dieses "Angebot" die Gefahr, dass
unbescholtene Bürger in Verdacht geraten?
Ich denke schon. Schließlich handelt es sich um ein
niedrigschwelliges Angebot an abertausende Internetnutzer, Mitmenschen ganz
einfach und vollkommen anonym anzeigen zu können - nicht nur wegen
Korruptionsverdachts, sondern etwa auch den Bezieher von Arbeitslosenhilfe, der
angeblich nebenher jobbt, zu viel Vermögen oder eine verdächtig große Wohnung
hat. Ein weites Betätigungsfeld für Informanten und Denunzianten, gerade wenn
ab nächstem Jahr Hartz IV umgesetzt wird. Da wünschte man sich wirklich eine
höhere Hürde statt einer freundlichen, aber missbrauchsanfälligen Einladung zum
vereinfachten Verdächtigen. Der Zweck sollte auch hier nicht jedes
realisierbare Mittel heiligen. Sonst könnte sich nach und nach ein veritables
Denunziationssystem entwickeln, das gerade in Krisenzeiten fatale Auswirkungen
zeitigen kann.
Die Quote so genannten Denunziantentums wird vom LKA
mit fünf Prozent überraschend niedrig angegeben.
Das wären in etwa 22 Fälle. 22 Fälle zu viel. Doch was
versteht man denn unter Denunziation? Jemanden aus persönlichen, niedrigen
Beweggründen anzeigen oder anschwärzen? Diese hinter der jeweiligen Anzeige
stehende Motivation - etwa Missgunst oder Rache - dürfte das LKA kaum in allen
Fällen herausfinden können. Im übrigen gibt es ja eine gehörige Differenz
zwischen den Verdachtsmeldungen und den strafrechtlich relevanten
Sachverhalten. Da frage ich mich, was wohl alles der Polizei zugetragen wird.
Die Tipps sind anonymisiert. Was aber ist mit den
Daten, die im Zuge der Ermittlungen von der Polizei gesammelt werden?
Tatsächlich wird der Datenschutz nur dem anonym
bleibenden Tippgeber garantiert. Das gilt natürlich nicht für die von ihm
gemeldeten Personen, deren personenbezogene, teils intimen Daten ohne deren
Wissen erfasst und auch länger gespeichert werden. Gegen diese Personen wird
dann auf dieser Datengrundlage polizeilich vorermittelt - mit allen
unangenehmen Konsequenzen, die sich daraus ergeben können.
© WESER-KURIER / Bremer Tageszeitungen AG 13.9.2004