Stadionwelt 06/2005


 

     


 

„Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss beachtet werden“


 

Foto: Heide Schneider-Sonnemann


 

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, ist seit 2003 Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“, Mitherausgeber des „Grundrechte-Reports“ und Mitglied in der Jury zur Vergabe des „BigBrotherA­wards”. In zahlreichen Beiträgen und Buch­veröffenlichungen hat er sich mit Themen wie Sicherheitspolitik, Bürgerrechten und  und Polizei auseinandergesetzt. Stadion­welt sprach mit ihm über die zu ewartenden Sicherheitsmaßnahme zur Fußball-WM.

 

Stadionwelt: In den Sicherheitskonzepten für die WM ist unter anderem von Platzver­weisen, Meldeauflagen und Ingewahrsam­nahmen zu lesen. Wie sind Instrumente einzuschätzen?

Rolf Gössner: All diese polizeilichen Maß­nahmen zur Gefahrenabwehr sind nicht neu. Es handelt sich um Standardmaßnah­men, die größtenteils in den Polizeigeset­zen des Bundes und der Länder geregelt sind. Selbstverständlich muss die Polizei auf sportliche Großereignisse vorbereitet sein, insbesondere auf solche, bei denen es erfahrungsgemäß immer wieder zu Ge­waltszenen kommt. Allerdings werden etwa im Zusammenhang mit Fußballspielen und Fußballfans - massenmedial und auf parteipolitischer Ebene - oft Gefahrensze­narien gezeichnet, die mit der Realität nur noch wenig zu tun haben. Mit der fatalen Folge, dass damit dann mit schöner Regel­mäßigkeit überzogene Polizeivorkehrungen, Gesetzesverschärfungen und extensive staatliche und auch private Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen legitimiert wer­den. In diesem Zusammenhang spielen etwa die Datei „Gewalttäter Sport“ oder die RIFD-Chips auf Tickets, die der Über­wachung dienen können, eine besondere Rolle, die unter datenschutzrechtlichen As­pekten höchst problematisch ist. Vor allem spüren die Betroffenen diese Maßnahmen nicht, die aber weitreichende Auswirkungen auf ihr Dasein haben können.

Stadionwelt: Welche Gefahren bestehen für Fußball-Fans?

Rolf Gössner: Zwar ist die Polizei gesetzlich verpflichtet, potentielle Gefahren schon im Vorfeld zu verhindern, Gewalttaten zu ahn­den und dazu die Gewalttäter zu ermitteln. Aber das polizeiliche Vorgehen ist immer wieder eine Gradwanderung, denn anderer­seits darf es nicht soweit kommen, dass die Polizei bestimmte Sportereignisse dominiert, Grundrechte von vielen unbescholtenen Fans suspendiert oder verletzt und letztlich poli­zeistaatlich agiert. Diese Gefahr ist gerade im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmei­sterschaft 2006 in Deutschland nicht von der Hand zu weisen. Wie es aussieht, wird dieses herausragende Ereignis zu einem grandiosen Exerzierfeld für Polizeistrategen, die alle Re­gister polizeilichen Präventiv- und Repressiv-Handelns ziehen werden. Deshalb ist es über­aus wichtig, frühzeitig öffentliche Aufklärung und zivilgesellschaftliche Fan-Arbeit zu lei­sten, um auch der Gefahr entgegenzuwirken, dass aus den Fußball-Weltmeisterschaften eine deutsche Polizei-Weltmeisterschaft wird. Die Welt wird sicherlich auch insoweit mit Auf­merksamkeit auf Deutschland blicken.

Entscheidend wird sein, auf welche Art und Weise die Polizei die ihr zur Verfügung ste­henden Maßnahmen anwendet. Die Polizei darf in einem demokratischen Rechtsstaat Polizeigewalt nur dosiert anwenden, sie ist prinzipiell zur Deeskalation und dem Ver­fassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit verpflichtet. Das heißt: Es muss immer eine Abwägung stattfinden zwischen dem Grad der Gefahr, die im Einzelfall droht, und der Schwere des Eingriffs in Grundrechts­positionen Einzelner oder ganzer Gruppen. Es besteht aber immer die Gefahr, dass in bestimmten aufgeheizten Situationen die Polizei „über die Stränge“ schlägt und unver­hältnismäßig agiert oder reagiert. In solchen Situationen sind dann durchaus auch Poli­zeiübergriffe beziehungsweise Misshandlun­gen von Personen zu befürchten, wie wir sie immer wieder erleben müssen.

Stadionwelt: Demnach müssen nicht nur ge­walttätige Fans damit rechnen, beim Fußball mit Polizeimaßnahmen in Kontakt zu kom­men?

Rolf Gössner: Gerade friedfertige Fans soll­ten sich mit den unterschiedlichen polizeili­chen Möglichkeiten, in die sie geraten könn­ten, vertraut machen und sich auch schon mal damit befassen, wie man sich rechtlich zur Wehr setzen kann. Denn vielfach ist ent­scheidend, wie man sich im Falle der Konfron­tation vor Ort verhält. So stellen sich etwa Gedächtnisprotokolle und die Ermittlung von möglichen Zeugen der Ereignisse als hilfreich heraus, um die eigenen Rechte später besser verfolgen und durchsetzen zu können – sei es zur Verteidigung oder aber zur rechtlichen Ge­genwehr. Im Zweifel ist der Gang zur Anwältin oder zum Anwalt angesagt.

Stadionwelt: Worauf müssen sich die Fans einstellen und wie sind die Maßnahmen aus juristischer Sicht zu beurteilen?

Rolf Gössner: Da sind zuerst die Aufent­haltsverbote, die problematisch sind, weil sie zu „Zwecken der Gefahrenabwehr“ ge­gen potentielle Störer/Straftäter, anders als bloße Platzverweise, großflächig – für bestimmte Verbotszonen oder gar für gan­ze Stadtteile – und längerfristig – für Tage, Wochen oder gar Monate – verhängt werden können. Kommen die Betroffenen dem Auf­enthaltsverbot nicht nach, können Zwangs­mittel bzw. Zwangsgelder angedroht und verhängt werden. Oder aber sie landen zur Durchsetzung des Aufenthaltsverbots in po­lizeilichem Gewahrsam. Bei der Verhängung und Durchsetzung von Aufenthaltsverboten wird häufig der Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit verletzt, was die Maßnahme rechtswidrig macht. Deshalb lohnt sich auch vielfach der Gang vor das zuständige Verwaltungsgericht.

Stadionwelt: Ein weitergehender Schritt ist die Ingewahrsamnahme zur Gefahrenab­wehr.

Rolf Gössner: Die Ingewahrsamnahme bzw. das Unterbindungsgewahrsam potentieller Störer/Straftäter zur Gefahrenabwehr ist klassische Vorbeugehaft gegen Unschuldi­ge, da gegen den Betroffenen in aller Regel kein Straftatverdacht besteht. Das macht die Maßnahme, mit der mögliche künftige Straftaten verhindert werden sollen, so pro­blematisch. Denn die Prognoseentschei­dung der Polizei, die betreffende Person könnte künftig Straftaten oder bestimmte Ordnungswidrigkeiten begehen, ist kaum verifizierbar. Wegen der Schwere des Ein­griffs in Freiheits- und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen muss hier ganz besonders penibel der Grundsatz der Verhältnismäßig­keit beachtet werden, was jedoch häufig nicht geschieht. Unterbindungsgewahrsam darf prinzipiell nur kurzfristig und vorläufig verhängt werden; er bedarf grundsätzlich, wie jede Freiheitsentziehung, der richterli­chen Entscheidung.

 

Internet:

www.rolf-goessner.de.

www.bigbrotherawards.de