DER RECHTE RAND Juli/August 2004

 

Der „Aufstand der Anständigen“ und sein Knackpunkt NPD-Verbot

 

Gespräch mit Dr. Rolf Gössner

 

Der Rechte Rand: In einem Aufsatz der von Ihnen mitherausgegebenen Zeitschrift „Ossietzky“ nannten Sie als „Stolpersteine“ für das Ende des Verbotsverfahrens gegen die NPD: 1. Zahlreiche V-Leute des Verfassungsschutzes auf den Führungsebenen der NPD, 2. Antragssteller bedienten sich solcher V-Leute als Zeugen für  die Verfassungswidrigkeit der NPD, 3. Antragsteller enthielten dem Gericht wesentliche Informationen vor. Sind Sie sicher, dass die Rot-Grüne Regierung ein Verbot der NPD wirklich beabsichtigte?

Dr. Rolf Gössner: Kann ich nicht sicher sagen. Das Verbot war angedacht in einer Situation, in der aufgrund der Eskalation rechter Gewalt offenbar der öffentliche Druck so groß geworden war, dass ein „Aufstand der Anständigen“ von oben ausgerufen werden musste. Dieser “Aufstand“ ist  ja  längst wieder im Sande verlaufen. Der einzige wirkliche Knackpunkt war das NPD-Verbotsverfahren, das ja von der Idee her vom bayerischen Innenminister Günter Beckstein (CSU) stammte und von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sehr schnell übernommen wurde. Die Grünen taten sich anfänglich noch relativ schwer mit der Verbotsforderung. Aber mit der Zeit stand dann zumindest die Bundestagsfraktion hinter dem NPD-Verbotsverfahren.

Meines Erachtens wurde seiner Zeit etwas Entscheidendes nicht berücksichtigt, was allerdings die Grünen und insbesondere der Innenminister hätten wissen müssen: dass nämlich sozusagen verschmutzte Beweise für dieses Verfahren benutzt werden. Belastende Beweise, die von V-Leuten stammen und die dann zwangsläufig Probleme bereiten müssen für ein  offenes, faires, also rechtsstaatliches Verfahren. Ich kann allerdings nicht beurteilen, ob das fahrlässig oder sehenden Auges geschah – jedenfalls waren die Folgen verheerend und führten zu dem bekannten Verbotsdesaster.

Der Rechte Rand: Sie haben sich an verschiedenen Stellen gegen ein Parteienverbot geäußert und der Linken – wie auch immer – vorgehalten, sie würde nach dem starken Staat rufen. Ist es nicht in der Tat so, dass einige Bestimmungen der Verfassung, wenn sie denn richtig angewendet würden, ein Verbot der NPD zwingend machen. Ich denke an den Artikel 9 GG, Abs. 2 und an den Artikel 139 mit dem Fortbestand der Entnazifizierungsvorschriften. Die könnte man doch einmal anwenden.

Dr. Rolf Gössner: Ja, das wäre durchaus einen Versuch wert. Aber Sie müssen berücksichtigen, dass es sich hierbei keineswegs um die „herrschende“ juristische Meinung handelt. Diese herrschende Meinung geht nämlich davon aus, dass auch die rechtsextreme NPD  nur über den mühsamen Weg des Artikel 21, Abs. 2 Grundgesetz („Parteienverbot“) vom Bundesverfassungsgericht verboten werden kann. Allerdings müsste auch bei der von Ihnen vorgeschlagenen Verbotslösung eine Beweisführung stattfinden – damit hätten wir auch hier Probleme, etwa mit dubiosen V-Leuten und ihren Aussagen.

Der Rechte Rand: Ein solches Verbot würde doch Neo-Nazis ihre offenkundig antisemitischen und antirassistischen Äußerungen erheblich erschweren. Rassismus und Antisemitismus könnten nicht mehr in einer organisierten Massenversammlung öffentlich wirksam manifestiert werden. Bei den Aufmärschen nach dem Scheitern des Verbotsverfahrens ist die NPD z.B. immer unverhohlener mit Parolen in die Öffentlichkeit gegangen, die an die Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur erinnern. Am 1. Mai wurde die „Volksgemeinschaft“ propagiert und Transparente mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ gezeigt. Reicht so etwas nicht schon aus?

Dr. Rolf Gössner: Um eine Partei zu verbieten, wird das wahrscheinlich nicht ausreichen. Abgesehen von der rechtlichen Qualifizierung der einzelnen Äußerungen ist auch immer die Frage, wer in der Partei was sagt. Die Zurechenbarkeit muss klar sein und da gab es doch immer die Schwierigkeit, wem ist das im einzelnen tatsächlich zuzurechnen, ist die Partei insgesamt auf dieser Linie. Selbst wenn man davon ausgeht, dass bestimmte rassistische und rechtsextreme Äußerungen tatsächlich der NPD insgesamt zuzurechnen seien, dann ist es immer noch eine Frage des hieb- und stichfesten Beweises. Wenn die Beweise aus öffentlichen Quellen jedoch offenbar oder angeblich nicht ausreichen und deshalb auf V-Leute zurückgegriffen wird, die im Zweifel selber die rechte Propaganda betreiben, dann ist die Sache eben äußerst heikel, gerade in einem verfassungsgerichtlichen Verbotsverfahren.

Der Rechte Rand: Warum sind Sie gegen ein Parteienverbot?

Dr. Rolf Gössner: Prinzipiell ist ein Parteiverbot eine Ultima-ratio-Maßnahme – sozusagen wenn nichts mehr geht oder alles andere versagt hat. Ich sehe jedoch in Verboten eine eher hilflose Politik der Verdrängung. Viele glauben allzu leicht, dass wenn man etwas verbietet, es sozusagen weg und damit das Problem gelöst sei. Es handelt sich dabei aber letztlich um die Delegation eines scheinbar gesellschaftlich nicht zu lösenden Problems an den Staat, bitte schön, tue etwas dagegen, schaff’ uns dieses Übel vom Hals. Die Debatte um das umstrittene NPD-Verbot zeigt meines Erachtens fokusartig das Dilemma der sogenannten wehrhaften Demokratie im Kampf gegen Rechts: Einerseits gebietet es die deutsche Geschichte, gerade bei rechten Organisationen und Parteien besonders wachsam zu sein, Strukturentwicklungen in den Neonazi-Szenen gründlich zu beobachten und entsprechend zu reagieren; andererseits aber kann sich die Fixierung auf den Staat, auf ein staatliches Verbot rasch als überaus fatal erweisen.

Deshalb misstraue ich auch entsprechenden Forderungen aus der antifaschistischen Linken, die da plötzlich den kaum kontrollierbaren Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“  akzeptieren, wenn der nur ordentlich gegen rechts operiert – mit welchen Folgen, haben wir ja gesehen: Über sein V-Leute-Netz ist er selbst Teil des Neonazi-Problems geworden und konnte nicht ansatzweise zu dessen Lösung oder Bekämpfung beitragen. Und weiter: Plötzlich wird von manchen Antifaschisten das umstrittene Anti-Terror-Sonderrechtsystem um den § 129a StGB als positiv eingeschätzt, wenn es denn nur gegen rechts Anwendung findet. Und nicht anders verhält es sich bei der Forderung nach Verboten von Organisationen oder Parteien. Wie gesagt, ich halte das für eine problematische Politik der Verdrängung.

Der Rechte Rand: Was bleibt den GegnerInnen des Neo-Nazismus noch als Möglichkeiten der Bekämpfung? Welche politischen Mittel könnten nach Ihrer Auffassung noch greifen?

Dr. Rolf Gössner: Statt Verbotspolitik setze ich mehr auf zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung. In der ganzen Verbotsdebatte kommt die aktive Komponente der offensiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu kurz. Denn wenn rechtsextreme und rassistische Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft vertreten werden, dann muss man wohl von einer mangelhaft entwickelten politischen Kultur sprechen. Wenn sich rechte Schläger legitimiert fühlen, diese Einstellungen in Gewalthandlungen gegen Minderheiten umzusetzen, dann haben Staat und Gesellschaft versagt. Die Delegation dieses gesell­schaftlichen Problems (ausgerechnet) an den Staat behindert nicht nur eine radikale Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus und eine engagierte Gegenwehr durch die BürgerInnen selbst, sondern sie befördert auch eine Sicherheitskonzeption, die der Bevölkerung vorgaukelt, verhängnisvolle politische Entwicklungen könnten etwa geheimdienstlich oder per Verbot verhindert werden.

Deshalb muss die Auseinandersetzung mit solchen Kräften, und daran führt kein geheimdienstlicher Schleichweg und kein staatliches Verbotsverfahren vorbei, verstärkt politisch geführt und in die Mitte der Gesellschaft getragen werden – dorthin, wo der Rechtsruck des vergangenen Jahrzehnts seinen Ausgang genommen hat, dorthin, wo fremdenfeindliches Gedankengut den fruchtbaren Nährboden für rassistische Gewalt bildet.

Politische Gegenstrategien gegen rechtsextreme Tendenzen sehe ich in einer konsequenten Antidiskriminierungspolitik, einer humanen Asyl- und Migrantenpolitik, der Stärkung der Position von Minderheiten und einer besseren Unterstützung von Opfern rechter Gewalt. Gefordert sind also primär sozial- und verfassungsverträgliche Lösungsansätze – jenseits von Verbots- und V-Mann-Selig­keit, also auch jenseits von institutionellem Rassismus, jenseits von Neonazis und rechten Schlägern im Dienst des Staates.

Der Rechte Rand: Vielen Dank für das Gespräch

 

Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater. Seit 2003 Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte" (www.ilmr.de). Mitherausgeber der Zweiwochenschrift "Ossietzky" (www.sopos.org/ossietzky). Autor zahlreicher Sachbücher zu Bürgerrechtsthemen, zuletzt: "Geheime Informanten: V-Leute des Verfassungsschutzes - Kriminelle im Dienst des Staates", Knaur-Verlag München 2003. In diesem Buch wird anhand zahlreicher Fallstudien die Verstrickung des Verfassungsschutzes in die braune Szene aufgedeckt. Internet: www.rolf-goessner.de.