26. Aug. 2005, 14:38 URL dieses Artikels: http://www.netzeitung.de/deutschland/354850.html

«Bild»-Vergleich «politisch geschmacklos»

«Bild»-Kolumnist Müller-Vogg stößt mit einem Vergleich der Friedensno-belpreis-Nominierungen des Sozialdemokraten Schröder und Carl von Os-sietzky auf Kritik. Eine «politische Geschmacklosigkeit», nennt das Publi-zist Rolf Gössner in seinem Beitrag für die Netzeitung.

Angesichts der Nominierung von Bundeskanzler Schröder (SPD) für den Friedensnobelpreis hat «Bild»-Kolumnist Hugo Müller-Vogg eine Parallele zur Nominierung Carl von Ossietzkys im Jahr 1935 gezogen. Der Wahl-kämpfer Schröder werde von dem Schriftsteller Günter Grass unterstützt, der sich öffentlich dafür aussprach, den Regierungschef mit dem Friedens-nobelpreis zu ehren, so Müller-Vogg.

Diese «Wahlkampfhilfe» habe «ihr historisches Vorbild». Auch Ossietzky sei gefördert worden, schreibt der Kolumnist. Der Sozialdemokrat und spätere Bundeskanzler Willy Brandt habe sich für seine Nominierung ein-gesetzt, wie Brandt in einem später veröffentlichten Buch auch zugegeben habe. Jedoch war Ossietzky 1935 von den Nationalsozialisten inhaftiert.

Müller-Voggs These von der «Wahlkampfhilfe» für Schröder widerspricht in der Netzeitung Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, die auch die Ossietzky-Medaille verleiht.

Der Bremer Publizist Rolf Gössner

Der Bremer Publizist Dr. Rolf Gössner

Foto: Schneider-Sonnemann

Von Rolf Gössner

Die von Hugo Müller-Vogg in der Bild-Zeitung gezogene Parallele zwischen der Nominierung von Bundeskanzler Schröder für den Friedensnobelpreis 2005 und der des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky in den 30-er Jahren ist nicht nur falsch, sondern an politischer Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffen.

Gerhard Schröder befindet sich tatsächlich im Wahlkampf – Carl von Os-sietzky befand sich während seiner Nominierung im KZ der Nazis. Hier von „Wahlkampf“ zu sprechen ist purer Zynismus zu Wahlkampfzwecken.

Deutschland war willfährig

Doch es gibt noch weitere Unterschiede, was die Preiswürdigkeit betrifft: Auch wenn Bundeskanzler Schröder und der rot-grünen Bundesregierung hoch anzurechnen ist, dass sie sich weigerten, am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak teilzunehmen, so hat er Deutschland doch zum ersten Mal nach 1945 in einen Krieg geführt – 1999 gegen Jugosla-wien. Ein völkerrechts- und grundgesetzwidriger Angriffskrieg, der bis heute ungesühnt blieb.

Während des Irak-Kriegs zählte Deutschland zur Koalition der „Unwilli-gen“, war dann aber dennoch höchst willfährig: Mit Überflugrechten, Awacs-Aufklärungsflügen und Logistikhilfe hat das von Schröder regierte Land tatkräftige Unterstützung und damit Beihilfe zu diesem Angriffskrieg geleistet.

Ossietzky war konsequent

Wenn man so mutwillig wie Müller-Vogg eine Parallele zwischen dem SPD-Kanzler und Carl von Ossietzky zieht, dann kann man zu dieser Art von „Friedensarbeit“ eines Gerhard Schröder nicht schweigen. Im Gegensatz dazu war Carl von Ossietzky ein konsequenter Pazifist, der kein Staatsamt bekleidet hatte, der keinen Krieg mitführte oder dazu Beihilfe leistete, sondern der als Repräsentant der Deutschen Liga für Menschenrechte und als Herausgeber der „Weltbühne“ für seine friedenspolitische, antimilitaris-tische und antinazistische Überzeugung kämpfte.

Kampagne aus dem Exil

Er ist dafür noch in der Nacht des Reichstagsbrandes 1933 von den Nazis verhaftet und ins Konzentrationslager verschleppt worden. Es waren unter anderem die ins Exil geflüchteten Mitglieder der verbotenen Liga, die ein Jahr später eine weltweite Kampagne zur Verleihung des Friedensnobel-preises an Ossietzky führten.

Gegen den wütenden Widerstand der Nazis wurde ihm schließlich 1936 diese internationale Auszeichnung für seine Friedensarbeit zuerkannt. Os-sietzky blieb inhaftiert, konnte die Ehrung also nicht persönlich entgegen-nehmen. Er starb 1938 an den Folgen der erlittenen Misshandlungen in der KZ-Haft.

Rolf Gössner ist Präsident der in Berlin ansässigen „Internationalen Liga für Menschen-rechte“. Er lebt als Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater in Bremen. Gössner ist Mitglied der Jury zur jährlichen Verleihung des Negativpreises „BigBrotherA-ward“ an Firmen, Behörden und Politiker, die in besonderem Maße gegen den Daten-schutz verstoßen. Zudem gehört er zum Kuratorium der «Internationalen Liga für Men-schenrechte», die seit 1962 jährlich die Carl-von-Ossietzky-Medaille verleiht. Gössner ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zum Themenbereich „Innere Sicherheit“ und Bür-gerrechte. Er ist Mitherausgeber von „Ossietzky“, einer Zweiwochenschrift für Politik, Kul-tur und Wirtschaft (Hannover/Berlin) sowie des «Grundrechte-Reports - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland«.

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