Internationale

 

 

 

für Menschenrechte

im Geiste von Carl von Ossietzky

 

Presseerklärung (mit Hintergrundinformationen)                                                            5.11.2003

 

Bürgerrechtsorganisationen:

Straßen-Totalüberwachungs-Vertrag mit TollCollect kündigen

 

Vertreter von Bürgerrechtsorganisationen fordern die deutsche Bundesregierung auf, die aktuelle Möglichkeit der Kündigung des Vertrages zur Umsetzung der LKW-Maut mit der Firma TollCollect zu nutzen. Grund hierfür ist nicht das technische und finanzielle Desaster beim Aufbau des Maut-Systems, sondern die drohende totale Verkehrsüberwachung, die mit dem Aufbau der Maut-Infrastruktur verbunden ist:

Die Firma TollCollect GmbH ist im Jahr 2002 mit dem BigBrotherAward in der Kategorie „Technik“ ausgezeichnet worden für die geplante zentrale Verarbeitung von Kraftfahrzeug-Bewe­gungsdaten. Trotz dieser Kritik wurde das technische Konzept weiterverfolgt und umgesetzt. Nun erweist sich, dass durch die bei dem Verfahren erfolgende Videoüberwachung nicht nur alle Lastkraftwagen (LKW), sondern zumindest kurzzeitig auch sämtliche Personenwagen (PKW) durch die über den Autobahnen installierten Maut-Brücken erfasst werden. Mit Hilfe der in den LKW installierten OnBoardUnits (OBUs) ist außerdem eine jederzeitige Lokalisierung der registrierten Fahrzeuge und damit die Erstellung von präzisen Bewegungsprofilen möglich.

Wir haben zur Kenntnis genommen, dass der Bundesbeauftragte für den Datenschutz im August 2003 erklärte, das Maut-System von TollCollect sei mit dem Grundsatz der Datensparsamkeit und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar (PE BfD v. 13.08.2003). Tatsächlich erfolgt mit dem System die radikale Wende vom anonymen zum individualisierten Straßenverkehr. Die Konsequenzen dieses Wandels für die Kfz-Nutzenden, die Automobilindustrie, die Wirtschaft generell sowie für die Datenerhebung durch Polizei, Staatsanwaltschaft, Zoll und Geheimdienste sind nicht einmal ansatzweise überschaubar und gesellschaftlich noch überhaupt nicht diskutiert. Schon jetzt ist unzweifelhaft, dass das Verfahren die totale elektronische Verkehrsüberwachung ermöglicht und die zum Datenschutz bisher vorgesehenen Sicherungen von Anfang an ungeeignet sind. Wir haben überhaupt keine Einwände dagegen, dass die Nutzenden von Autobahnen für die dabei entstehenden Kosten zur Kasse gebeten werden. Dies lässt sich aber auch mit Mitteln erreichen, die nicht zur elektronischen Totalüberwachung führen.

Es besteht der Verdacht, dass dem Maut-System von TollCollect mit seinem riesigen Überwachungspotenzial gegenüber einfacheren, billigeren und datensparsameren Systemen der Vorzug gegeben wurde, weil nur damit dem Datenbedarf insbesondere der Sicherheitsbehörden umfassend genügt werden kann. Wir fordern die Bundesregierung auf, sowohl alle Unterlagen zu dem System, insbesondere die mit TollCollect abgeschlossenen Verträge und die Überwachungsplanungen für die Öffentlichkeit offen zulegen als auch die Möglichkeit der Vertragskündigung zu nutzen, um die undemokratisch, ja totalitär anmutende Vision eines Verkehrs-Big-Brothers abzuwenden.“

·         Frank Rosengart für den Chaos Computer Club (CCC)

·         Werner Hülsmann für Forum InformatikerInnen für Frieden u. gesellschaftl. Verantwortung (FIfF)

·         Dr. Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILfM)

·         Rena Tangens und padeluun und für den Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD)

·         Lutz Donnerhacke für den Fördervein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG)

·         Dr. Fredrik Roggan, Vorstand Humanistische Union (HU)

·         Vorstand der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD)

Weitere Auskünfte erteilen

zur Technik Frank Rosengart, Tel.: 0177-3786912, zum Recht Dr. Thilo Weichert (DVD), Tel.: 0431-9881205

 

>Internationale Liga für Menschenrechte<

Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin. Liga-Präsident Dr.Rolf Gössner: goessner@uni-bremen.de


Hintergrundinformationen

I. Rechtliche Grundlagen

Das „Gesetz zur Einführung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen“ (Autobahnmautgesetz - ABMG) ist am 12.04.2002 in Kraft getreten.[1] Die Umsetzung dieses Gesetzes erfolgt durch eine Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur Erhebung, zum Nachweis der ordnungsgemäßen Entrichtung und zur Erstattung der Maut (LKW-Maut-Verordnung). Am 20.09.2002 wurde TollCollect mit dem Aufbau und Betrieb des Mauterfassungssystems beauftragt. Auftraggeber gegenüber dem Betreiber TollCollect ist das Bundesamt für Güterverkehr (BAG).

Nach § 4 Abs. 2 S. 2 ABMG darf TollCollect als der Maut-Betreiber folgende Daten verarbeiten: Höhe der entrichteten Maut, Strecke, für die die Maut entrichtet wurde, Ort und Zeit der Mautentrichtung, bei Entrichtung der Maut vor Benutzung der zulässige Fahrzeitraum und die Belegnummer, Kennzeichen, für die Mauthöhe maßgebliche Merkmale des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination. In § 4 Abs. 2 S. 3 ABMG heißt es: „Diese Daten dürfen ausschließlich für die Zwecke dieses Gesetzes verarbeitet und genutzt werden“.

Die Kontrolle des Maut-Abrechnungsverfahrens ist in § 7 ABMG geregelt. Daraus werden hier die Absätze 1 und 2 zitiert:

„(1) Das Bundesamt für Güterverkehr überwacht die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes. Daneben können auch die Zollbehörden im Rahmen von zollamtlichen Überwachungsmaßnahmen die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes überwachen. Das Bundesamt für Güterverkehr und die Zollbehörden können sich bei der Kontrolle der Einhaltung der Mautpflicht der Hilfe des Betreibers im Sinne von § 4 Abs. 2 bedienen. Dem Betreiber kann zu diesem Zweck die Feststellung von mautpflichtigen Bundesautobahnbenutzungen und der ordnungsgemäßen Mautentrichtung übertragen werden.

(2) Das Bundesamt für Güterverkehr, die Zollbehörden und der Betreiber dürfen im Rahmen der Kontrolle folgende Daten erheben, speichern, nutzen und einander übermitteln:

1. Bild des Fahrzeugs,

2. Name der Person, die das Motorfahrzeug führt,

3. Ort und Zeit der mautpflichtigen Bundesautobahnbenutzung,

4. Kennzeichen des Fahrzeugs und der Fahrzeugkombination,

5. für die Mauthöhe maßgebliche Merkmale des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination.

Diese Daten dürfen ausschließlich zum Zweck der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes verarbeitet und genutzt werden.“

Für die meisten Daten gilt, dass sie nach der Mautentrichtung zu löschen bzw. für statistische Zwecke zu anonymisieren sind. Bilder und Daten von Fahrzeugen, die nicht der Mautpflicht unterliegen, sind unmittelbar zu löschen.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz (BfD), der an der Gestaltung des ABMG intensiv beteiligt war, meinte, mit diesem Maßnahmenbündel zum Datenschutz seien „generelle Verkehrsüberwachungen oder gar die Erstellung von Bewegungsprofilen von Fahrzeugen“ ausgeschlossen. Er werde „Befürchtungen in Richtung auf einen `big brother´ im Straßenverkehr weiter entgegentreten“.[2]

II. Technische Umsetzung

Möglichst alle deutschen LKW sowie die europäische v.a. in Deutschland verkehrenden LKW sollen mit einem Fahrzeuggerät, der sog. On-Board-Unit (OBU), ausgestattet werden. Das etwa autoradiogroße Gerät wird an die Bordelektronik angeschlossen und mit einem Tachosensor, einem GPS-Empfänger, einer GSM-Antenne und einem Infrarotsender ausgestattet. Die OBU vergleicht ständig die aktuellen GPS-Koordinaten mit einer im Gerät gespeicherten Straßenkarte von Deutschland. Wenn erkannt wird, dass der LKW auf eine mautpflichtige Autobahn aufgefahren ist, beginnt der Gebührenzähler zu laufen. Anhand der GPS-Daten und dem Tachosignal wird die Plausibilität der gemessenen Werte überprüft. In jede OBU ist ein GSM-Telefon (Handy) integriert, welches sich wie ein herkömmliches Mobilfunkgerät im Mobilfunknetz von T-Mobil einbucht. Verlässt der LKW die mautpflichtige Strecke, wird per GSM eine Mitteilung mit der errechneten Maut an die TollCollect-Zentrale geschickt, die diese Daten sammelt und der Spedition eine Rechnung stellt.

Zur Kontrolle, ob im Fahrzeug wirklich eine OBU mit laufendem Gebührenzähler ist, haben die Betreiber derzeit knapp 200 (geplant ca. 300)  Kontrollbrücken auf den deutschen Autobahnen errichtet. Sämtliche Kfz ‑ also PKW wie LKW - werden zunächst von vorne von Videokameras erfasst. Die Bilder werden automatisch ausgewertet, wobei die Kfz-Kennzeichen extrahiert werden. Bewegt sich ein LKW mit OBU auf die Kontrollbrücke zu, so wird sie per Infrarot-Signal aufgefordert, sich zu identifizieren. Ergibt die Kommunikation per Infrarot, dass die OBU eingeschaltet ist und Gebühren berechnet werden, so werden die Videobilddaten sofort wieder gelöscht. Bei der Durchfahrt unter der Brücke werden die Kfz mittels Laser vermessen, ob das Fahrzeug einer mautpflichtigen Kategorie zugeordnet werden kann. Ausschlag gebend ist dabei der Umriss des Kfz. Wird derart keine Maut-Pflicht festgestellt, so werden die Videobilddaten auch dieser Kfz wieder gelöscht.

V.a. ausländische Transportunternehmen haben die Möglichkeit, über Internet oder (geplant) ca. 3500 Bezahl-Terminals an Tankstellen die LKW-Maut vorab zu entrichten. Dabei muss für den betreffenden LKW die Fahrtroute fest gebucht werden. Wenn ein LKW unter einer Kontrollbrücke passiert, ohne sich per Infrarot als „unschuldig“ zu kennzeichnen, wird das automatisch ausgelesene Kfz-Kennzeichen mit der Datenbank der manuell eingebuchten Fahrtrouten verglichen. Kommt es dort nicht zu einem Treffer, so wird das aufgenommene Foto als Beweismittel gespeichert und ein entsprechender Bußgeldbescheid zugestellt.

Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) hat über eine „Kontrollschnittstelle Auftraggeber“ einen elektronischen Zugriff auf sämtliche Fahrtrouten der letzten Jahre. Die zentrale Datenbank von TollCollect lässt auch das Setzen von Einzelüberwachungsmaßnahmen zu. Dabei werden in der Datenbank sog. Trigger gesetzt, die Alarm schlagen, wenn ein bestimmtes Kfz-Kennzeichen durch die Meldung der OBU oder durch Video-Identifikation erscheint.

III. Kritische Diskussion

Die Diskussion über den Datenschutz bei der Straßenverkehrs-Maut wird schon seit mehreren Jahren geführt. Obwohl dies immer wieder angemahnt wurde, fand aber bis heute in der Politik oder in den öffentlichen Medien keine detaillierte Diskussion über die Grundrechtskosten des Verfahrens statt.

Die 62. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in Münster hat sofort nach Beschluss des Bundeskabinetts am 15.08.2001 des Gesetzentwurfes für ein solches Mautgesetz am 25./26.10.2001 eine Entschließung gefasst, die vor der Erstellung exakter Bewegungsprofile mit Hilfe eines Systems warnte, das das Satellitennavigationssystem GPS und die GSM-Mobilfunktechnologie nutzt. Gefordert wurden

·         datensparsame Systeme, bei denen Mautgebühren vorab entrichtet werden können, ohne dass dafür die Verarbeitung personenbezogener Daten erforderlich ist,

·         eine nur stichprobenweise Überwachung der Gebührenzahlung,

·         Transparenz des Verfahrens der Gebührenerhebung und -kontrolle für die Betroffenen,.

·         die beeinflussungssichere Ausgestaltung der datenschutzrelevanten Systemkomponenten,

·         die Sicherstellung einer strikten Zweckbindung.[3]

Am 24.10.2002 erhielt die Firma TollCollect, die inzwischen den Zuschlag für die Realisierung des LKW-Maut-Systems erhalten hatte, in der Kategorie „Technik“ den BigBrotherAward (BBA) Deutschland verliehen. Dabei wurde präzise, soweit damals bekannt, die Überwachungsfunktionalität der mit GPS-Empfänger und GSM-Technik ausgestattete OBUs, der Videoüberwachung und der daran anknüpfenden Datenverarbeitung dargestellt. Die BBA-Jury verstand ihre Auszeichnung als „Warnung vor zukünftigen Begehrlichkeiten bei flächendeckender Einführung der automatischen Positionserfassung von Fahrzeugen“.[4] Im Rahmen der Recherchen zum BBA 2002 haben die zuständigen Ministerien und TollCollect deutlich gemacht, dass von deren Seite eine öffentliche Diskussion über die Überwachungsmöglichkeiten mit dem LKW-Maut-System nicht gewünscht ist.

Auch in der Folge äußerten sich immer wieder kritische Stimmen. So warnte der Präsident der Gesellschaft für Informatik (GI) Heinrich Mayr in einer Presseerklärung vom 25.07.2003 vor dem „gläsernen Autofahrer durch die Hintertür“.[5] Zeitgleich äußerten sich Frank Rosengart vom Chaos Computer Club (CCC) und Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) und warnten vor dem Verlust des „Rechts auf anonyme Mobilität“.[6] Nur eine breite, von allen Gesellschaftsschichten getragene Diskussion und Kontrolle der Datenschutz- und Sicherheitsmaßnahmen ermöglichten eine optimale, streitfreie und akzeptierte Lösung. Ende September 2003 kritisierte der Direktor des Instituts für Informationssicherheit (ISIS) Hartmut Pohl, dass bei dem vorgesehenen LKW-Maut-System „Lücken und Risiken“ bestünden und dieses wegen erheblicher Sicherheitsmängel sofort abgeschaltet werden müsse.[7]

IV. Überwachungsmöglickeiten

Der Behauptung des BfD, den Anforderungen der Grundsätze der Datenvermeidung und Datensparsamkeit (vgl. § 3a Bundesdatenschutzgesetz - BDSG) werde genügt, kann nicht zugestimmt werden. Die in der o.g. Entschließung der DSB-Konferenz aufgeführten Maßnahmen zur Datensparsamkeit wurden nicht umgesetzt. In besonders eklatanter Form wird der Grundsatz dadurch verletzt, dass nicht nur mautpflichtige LKW, sondern sämtliche Kfz videografisch erfasst werden. Der Umstand, dass diese Daten grundsätzlich. sofort wieder gelöscht werden sollen, wenn sie für die Durchsetzung der Mautpflicht nicht benötigt werden, gibt keine Sicherheit. Es bedarf nur geringer Änderungen am technischen Programm, um eine Löschung der Daten zu unterbinden und deren weitere Nutzung vorzusehen. Durch den Umstand, dass z. B. an den Kontrollbrücken zunächst praktisch ein Komplettdatenbestand erhoben wird, werden die Voraussetzungen für weitere Nutzungen geschaffen. Genau dies aber sollte mit dem Grundsatz der Datenvermeidung ausgeschlossen werden.

In jeder OBU ist ein GSM-Telefon integriert. Dabei fallen Telekommunikations- (TK-) Daten, vor allem Verbindungsdaten, an, die nach den TK-Überwachungsregelungen durch so genannte Bedarfsträger (Polizei, Staatsanwaltschaft, Zoll, Geheimdienste) abgehört werden können. Für die Strafverfolgung gelten insofern die §§ 100a, 100b bzw. §§ 100 f, 100g Strafprozessordnung (StPO). Während des Kommunikationsvorgangs des OBU oder - mit Hilfe so genannter stiller SMS - auch unabhängig von einer Verbindung und völlig unerkannt können die „Bedarfsträger“ über die Geokoordinaten der Mobilfunk-Sendemasten jederzeit eine Lokalisierung eines LKW-OBU auf wenige 100 Meter genau vornehmen.

Bisher wurde nicht dementiert, dass das System eine Einzelüberwachung von zur Fahndung ausgeschriebenen Kfz ermöglichen würde. Vielmehr soll eine solche Überwachung ausdrücklich in technischen Unterlagen vorgesehen sein.

Der Verweis auf die „ausschließliche“ Zweckbeschränkung der Daten in § 4 Abs. 2 S. 3 bzw. § 7 Abs. 2 S. 2 ABMG - z.B. durch den BfD - ist wenig hilfreich. Aus der Gesetzesbegründung wie auch bei den späteren Beratungen ist nicht erkennbar, dass damit eine absolute Zweckbindung erreicht werden sollte. Vielmehr sollte damit die Nutzung der Technik „z.B. für Geschwindigkeitskontrollen“ ausgeschlossen werden.[8] In den Beratungen wurde hierzu keine weitere Klarstellung protokolliert. Die Gefahr einer Verkehrsüberwachung wurde nicht einmal angesprochen.[9]

Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die erste bekannte gerichtliche Entscheidung die Nutzung der LKW-Maut-GSM-Verbindungsdaten für Strafverfolgungszwecke zulässt. Das Amtsgericht (AG) Gummersbach entschied mit Beschluss vom 21.08.2003, dass die Standortdaten eines bestimmten LKW mit einer bestimmten GSM-SIM-Karten-Nummer nach den §§ 100g, 100h StPO protokolliert und herausgegeben werden müssten: „Dem steht nicht entgegen, dass nach dem Wortlaut des ... ABMG die für die Mautentrichtung und Mauterstattung erfassten Verbindungsdaten ausschließlich für die Zwecke des ABMG bzw. für Zwecke der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des ABMG verarbeitet und genutzt werden dürfen (§ 4 Abs. 2 a.E. und § 7 Abs. 2 a.E. ABMG). Das im ABMG konstatierte Verarbeitungs- und Verwertungsverbot ist im Lichte von §§ 100g, 100h StPO teleologisch sowie nach dem Normzweck auf Datenverarbeitungs- und Nutzungsvorgänge zu reduzieren, die Betriebsabläufe innerhalb der Firma TollCollect oder des Bundesamtes für Güterverkehr sowie die Weitergabe der Daten an sonstige Teile der allgemeinen Verwaltung des Staates oder private Dritte betreffen. Ein allgemeines, auch die allgemeinen strafprozessualen Eingriffsbefugnisse erfassendes Verwertungsverbot kann dem ABMG nicht entnommen werden“.[10]

Durch den Umstand, dass sämtliche Kfz vor Passieren der Kontrollbrücken videografiert werden, besteht an diesen Orten die technische Möglichkeit einer optischen Totalkontrolle. Durch die damit verbundene Mustererkennung der Kfz-Kennzeichen ist zudem auch technisch-praktisch die Durchführung einer solchen Totalkontrolle eröffnet. Im bayerischen Landtag wurde von der CSU kurz vor der Landtagswahl 2003 ein Polizeigesetzentwurf vorgelegt, wonach für den automatisierten Einsatz von Kennzeichenerkennungssystemen eine spezielle gesetzliche Regelung geschaffen werden sollte. Die derart erhobenen Daten sollten „zur Verfolgung von Straftaten, von Ordnungswidrigkeiten, zur längerfristigen Observation, zur polizeilichen Beobachtung oder zur Abwehr einer Gefahr“ gemäß den jeweiligen Spezialgesetzen genutzt werden dürfen.[11] Da insofern die Zugriffsmöglichkeiten der Polizei auf die LKW-Mautdaten nicht ausgeschlossen sind, ist es möglich, die bayerischen Überwachungsvorstellungen mit dem LKW-Mautsystem zu realisieren.

Die technischen Alternativen zur Kostenerhebung von LKW-Autobahnnutzungen mit keinem oder einem erheblich geringeren Überwachungspotenzial wurden von der 62. DSB-Konferenz aufgezeigt. Derartige Alternativen sind nach Kündigung des Vertrages mit TollCollect zu realisieren.

 

Weitere Auskünfte erteilen

zur Technik Frank Rosengart, Tel.: 0177-3786912; und zum Recht Thilo Weichert (DVD), Tel.: 0431-9881205



[1]              Bundesgesetzblatt I S. 1234.

[2]              Tätigkeitsbericht des BfD 2001-2002 (BT-Drs. 15/888) v. 08.05.2003, Kap. 29.1.

[3]              BlnBDI/LDA Bbg, Dokumente zu Datenschutz und Informationsfreiheit, 2001, 33 f.; www.lda.brandenburg.de/dsk/dsk62/dsk6206.htm.

[4]              http://www.bigbrotherawards.de; DatenschutzNachrichten 4/2002, 13 f.

[5]              PM v. 25.07.2003 Beim Thema Autobahnmaut den Datenschutz nicht vernachlässigen, www.gi-ev.de/informatik/presse/presse_030725.shtml; www.datenschutz.de v. 28.07.2003.

[6]              Sattler, Frankfurter Rundschau vom 26.07.2003: Big-Brother-Award für die LKW-Maut.

[7]              www.heise.de 11.09.2003; Hamburger Abendblatt 26.09.2003.

[8]              Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/7013 S. 13.

[9]              Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 14/7822.

[10]            Beschluss des AG Gummersbach v. 21.08.2003, Az. 10a Gs 239/03; dazu Schulzki-Haddouti, www.heise.de 31.10.2003.

[11]            Gesetzentwurf der CSU zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes, Bayerischer Landtag, LT-Drs. 14/12261, § 38 Abs. 3 PAG-E.