Berlin/Bremen, 28. Januar
2005
Internationale
Liga für Menschenrechte hält
Welle von Widerrufsverfahren
gegen Asylberechtigte für einen Skandal
Liga-Präsident
Dr. Rolf Gössner: „Der massenhafte Widerruf von Asylberechtigungen verstößt
gegen völkerrechtliche Standards und gefährdet Flüchtlinge. Von der humanitären
Intention des Asylrechts ist nicht mehr viel übrig geblieben.“
Die Internationale
Liga für Menschenrechte beobachtet mit Sorge die gegenwärtige Praxis des Bundesamtes
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, vermehrt Asylanerkennungen
zu widerrufen. Damit revidiert das Amt seine eigenen Beschlüsse, mit denen es
vor Jahren politische Flüchtlinge wegen Verfolgungsgefahr als asylberechtigt
anerkannt hatte. „Diese Behörde betätigt sich zunehmend als Amt für die Aberkennung
von Asylberechtigungen“, sagte heute Liga-Präsident Rolf Gössner in Berlin.
Während 1998 knappe 700 Widerrufsverfahren bundesweit durchgeführt worden
waren, sind es im Jahr 2004 mehr als 18.000 Verfahren. Betroffen sind
insbesondere Asylberechtigte aus dem Kosovo, dem Irak und Afghanistan, aus der
Türkei sowie aus dem Iran.
Diese Widerrufsverfahren
werden nach Erkenntnissen der Liga oftmals ohne ernsthafte individuelle Überprüfung
des Einzelfalls und jenseits völkerrechtlicher Standards durchgeführt. Dabei
werden die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention weitgehend ignoriert, die
einen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nur unter engen Voraussetzungen
zulässt: Danach müssen sich die objektiven Verhältnisse und die
Menschenrechtssituation in den jeweiligen Herkunftsländern grundlegend und
dauerhaft geändert haben, die ursprüngliche Verfolgungsgefahr muss weggefallen
und ein wirksamer staatlicher Menschenrechtschutz gewährleistet sein (Art. 1 C
[5] 2). Davon könne jedoch in den genannten Ländern, insbesondere im Irak und
im Iran, objektiv nicht die Rede sein, sagte Gössner.
Der Entzug des
Asylstatus’ beschädige die soziale Existenz der Betroffenen und schwäche ihren
Schutz vor Auslieferung an Verfolgerstaaten, wo sie der Gefahr von Folter,
Misshandlung und Mord ausgesetzt wären. „Abschiebungsreife auf Vorrat
herstellen“, so heißt diese Aushöhlung des Asyls im Bürokraten-Deutsch, die
die Betroffenen in große Unsicherheit, vielfach in Angst und Verzweiflung
stürzt.
Viele Widerrufsverfahren
werden auf die „Anti-Terror-Gesetze“ gestützt, mit denen die Anerkennung von Asylbewerbern
erschwert sowie Ausweisungen erleichtert worden sind. Das Asyl- und
Ausländerrecht ist damit unter „Terrorismusvorbehalt“ gestellt worden.
Zusätzlich werden die Verfahren auf die sog. Terrorliste der EU gestützt, deren
Zusammensetzung keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Hier sind
Einzelpersonen und Organisationen aufgelistet, die als
„terroristisch“ gelten –
unter anderen die kurdische Arbeiterpartei und ihre Nachfolgeorganisation sowie
die iranische Widerstandsgruppe der Volksmudjahedin.
Deren Einstufung erfolgte, obwohl sich die Volksmudjahedin europaweit und in
der Bundesrepublik weitgehend friedlich und legal verhalten, vom Generalbundesanwalt
mangels eines Anfangsverdachts weder als „terroristische“ noch als „kriminelle
Vereinigung“ eingestuft werden (Az. 121 Js 579/97; 1998) und nicht verboten
sind. Selbst die etwa 4.000 im Irak lebenden Volksmudjahedin, die ursprünglich
von dort aus das iranische Regime bekämpft hatten, sind 2004 als schutzwürdige
Gruppe bzw. Personen nach der Genfer Konvention anerkannt worden.
Die Anhänger der
Volksmudjahedin wurden in der Vergangenheit wegen ihrer grausamen Verfolgung im
Iran als Asylberechtigte anerkannt. Nun werden sie immer häufiger mit dem Widerruf
ihrer Anerkennung konfrontiert, weil sie inzwischen hierzulande als
„Sicherheitsrisiko“ gelten. Auf die EU-„Terrorliste“ gelangten sie ausgerechnet
auf Druck des iranischen Regimes, das von der UNO wegen massiver
Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden ist. Rolf Gössner: „Die
Volksmudjahedin sind Objekt eines skandalösen Handels zwischen der EU und dem
Iran geworden – also auf Kosten iranischer Oppositioneller, wie immer man zu
ihnen und ihren Aktivitäten im Iran stehen mag“: Um mit dem Iran weitreichende
Handelsbeziehungen aufzubauen und das Mullah-Regime zum Verzicht auf ein
eigenständiges Atomprogramm zu bewegen, haben England, Frankreich und
Deutschland im Gegenzug angeboten, die Volksmudjahedin weiterhin als
„Terroristische Organisation“ in der EU-„Terrorliste“ zu führen – mit dem
Effekt, dass sich die iranischen Herrscher ermuntert fühlen, noch härter und
skrupelloser gegen Oppositionelle vorzugehen. Und bislang anerkannte
Asylberechtigte müssen fürchten, schon wegen dieser Einstufung ihren Asylstatus
hierzulande zu verlieren und möglicherweise ausgeliefert zu werden. Nach
Einschätzung des Auswärtigen Amtes führe im Iran bereits die bloße Mitgliedschaft
bei den Volksmudjahedin zu menschenrechtswidrigen Verfolgungsmaßnahmen. Auch
Anhänger und Sympathisanten sind vor solcher Verfolgung nicht gefeit.
„Während die
US-Regierung inzwischen unverhohlen droht, gegen den Iran militärisch zu intervenieren“,
so Liga-Präsident Gössner, „betreiben Europa und Deutschland eher einen ökonomisch
motivierten ‚Schmusekurs’ – auf Kosten iranischer Flüchtlinge und ihrer
Sicherheit.“
Die Internationale
Liga für Menschenrechte fordert die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken,
·
dass
innerhalb der EU und in der Bundesrepublik keine Flüchtlingsgruppe zum
Spielball diplomatischer Taktik und ökonomischen Geschachers wird – wie das im
Fall der Volksmudjahedin gegenüber dem menschenverachtenden Mullah-Regime des
Iran geschehen ist;
·
dass
die auf rein politisch-exekutiver, nicht auf rechtlich-legislativer
Entscheidung beruhende EU-„Terrorliste“ unverzüglich revidiert wird, weil ihre
Folgewirkungen gravierend sind und zu massiven Menschenrechtsverletzungen
führen können;
·
dass
alle Asyl-Widerrufsverfahren eingestellt oder revidiert werden, die unter
Berufung auf diese „Terrorliste“ mit dem Ziel eingeleitet worden sind, die
Asyl- oder Aufenthaltsberechtigung aufzuheben;
·
dass
niemand in Auslieferungshaft gerät, bevor sein Verfahren rechtskräftig
abgeschlossen ist und dass niemand an einen Verfolgerstaat ausgeliefert wird,
weil damit gegen Verfassung, Europäische Menschenrechtskonvention und Genfer
Flüchtlingskonventionen verstoßen würde.