„Internationale Liga für Menschenrechte“ protestiert
gegen geheimdienstliche Überwachung ihres Präsidenten
Der Vorstand der „Internationalen
Liga für Menschenrechte“ hat mit Empörung zur Kenntnis genommen, dass Liga-Präsident
Dr. Rolf Gössner weiterhin unter geheimdienstlicher Beobachtung des Bundesamtes
für Verfassungsschutz (BfV) steht. Das geht aus einem Dossier des
Bundesamtes hervor. Die Liga protestiert aufs Schärfste gegen diese
Ausforschung ihres Vorsitzenden durch den deutschen Inlandsgeheimdienst. Es
bestehe die große Gefahr, dass damit auch eine international anerkannte
Menschenrechtsvereinigung ins Visier des Verfassungsschutzes geraten ist und
weiterhin gerät.
Rolf Gössner hat gegen die
Bundesrepublik Deutschland Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben und
letzte Woche die Klagebegründung eingereicht. Die Klage ist zunächst auf eine
vollständige Auskunft des BfV über alle zu seiner Person gespeicherten Daten
gerichtet, da das Amt weitergehende Auskünfte wegen „Geheimhaltungsbedürftigkeit“
und „Ausforschungsgefahr“ sowie zum Schutz von „Quellen“ verweigert hat; in
einem weiteren Schritt soll die Rechtmäßigkeit der Erfassung gerichtlich
überprüft und eine Löschung der Daten erstritten werden. Dieses Verfahren hat
über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein
brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler
betrifft: Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und
ihren geheimen Aktivitäten gezogen – besonders im Umgang mit
Berufsgeheimnisträgern und ihm Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von
Nichtregierungsorganisationen?
Zur Vorgeschichte:
Voriges Jahr hat Rolf Gössner
auf seinen Antrag vom BfV das vorerst letzte Dossier über seine ihm zur Last gelegten
Aktivitäten erhalten. Grund für seine Überwachung ist laut BfV, dass er
Kontakte zu Gruppen und Personen hat, die der Verfassungsschutz (VS) als
„linksextremistisch“ oder „linksextremistisch beeinflusst“ einstuft, ohne
jedoch Kriterien für diese Einstufung zu benennen. Dazu zählen etwa die „Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) und die Rechtshilfegruppe „Rote
Hilfe e.V.“. Bei den über Gössner gesammelten „Sünden“ handelt es sich
insbesondere um seine Artikel, Reden und Interviews, die in bestimmten
Publikationen – etwa in den Tageszeitungen „Junge Welt“ und „Neues
Deutschland“ – erschienen sind sowie um Lesungen und andere Veranstaltungen
mit bestimmten Veranstaltern, wie etwa der VVN oder der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“.
Letzten Endes wird Rolf Gössner
eine Art „Kontaktschuld“ zur Last gelegt, nicht etwa eigene verfassungswidrige
Bestrebungen. Es handelt sich bei all diesen inkriminierten Beiträgen ausschließlich
um Berufskontakte im Rahmen seiner vielfältigen beruflichen und ehrenamtlichen
Tätigkeiten, insbesondere seiner Bürger- und Menschenrechtsarbeit. In
zahlreichen Publikationen hat er sich kritisch u.a. mit den Praktiken der
Sicherheitsorgane, besonders auch der Geheimdienste befasst, so etwa in seinem
letzten Buch „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes:
Kriminelle im Dienst des Staates“ (Knaur-Verlag, München 2003).
Immer wieder laden ihn Bundestag
und Landtage als Sachverständigen ein, um in Gesetzgebungsverfahren u.a.
Polizei- und Geheimdienst-Gesetzentwürfe zu begutachten. Auch von der
Polizeiführungsakademie, von Polizeifachhochschulen und selbst vom
Verfassungsschutz ist er als Experte zu Vorträgen und Diskussionen eingeladen
worden.
Rolf Gössner ist für die Liga
auch Mitherausgeber des jährlich erscheinenden „Grundrechte-Reports – Zur
Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“ (Fischer-Verlag, Ffm)
sowie Mitglied in der Jury zur Vergabe des Negativpreises „BigBrotherAward“,
der an Institutionen und Personen verliehen wird, die besonders gegen
Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung verstoßen haben – so wie
voriges Jahr an den ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), auf den
Gössner die „Laudatio“ gehalten hat (dokumentiert in: Frankfurter Rundschau
vom 31.10.2005).
Mit Rolf Gössner wird
ausgerechnet ein Streiter gegen den permanenten Abbau von Bürgerrechten
behandelt wie ein „Verfassungsfeind“ – und nicht etwa jene
„Sicherheitspolitiker“, die in der Vergangenheit, insbesondere im Zuge der
Terrorismusbekämpfung, der Verfassung und den Grundrechten schweren Schaden
zufügt haben. Erinnert sei insoweit nur an die Demontage des Asylgrundrechts
und an eine ganze Reihe hochproblematischer „Antiterrorgesetze“ mit ihren
tiefgreifenden Eingriffen in die Substanz der Bürgerrechte; des Weiteren an den
Großen Lauschangriff, die präventive Telekommunikationsüberwachung und das
Luftsicherheitsgesetz, die vom Bundesverfassungsgericht für weitgehend
verfassungswidrig erklärt wurden.
Der Verfassungsschutz beobachtet
Rolf Gössner schon seit 1970, also seit nunmehr 35 Jahren. Kurz nach dem ersten
Bekanntwerden vor zehn Jahren hatte diese Affäre erhebliche öffentliche
Reaktionen hervorgerufen. Der Verband Deutscher Schriftsteller, die IG Medien,
die Deutsche Journalisten-Union, Juristenorganisationen, acht
Bürgerrechtsgruppen – darunter die Liga - sowie zahlreiche prominente
Schriftsteller des deutschen P.E.N.-Zentrums haben sich seinerzeit in Offenen
Briefen an das BfV gewandt und gegen die geheimdienstliche Erfassung ihres Kollegen
protestiert; auch der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung haben sich mit
seinem Fall befasst – allerdings ohne Ergebnis. Die Beobachtung ging jedenfalls
weiter, auch unter der rot-grünen Regierungskoalition, und dauert nachweislich
bis heute an. Die Maßnahmen dieser geheimdienstlichen Langzeitüberwachung eines
engagierten Rechtsanwalts, Publizisten und Menschenrechtlers verletzen die
Persönlichkeitsrechte, den Informantenschutz, das Mandatsgeheimnis und die
ausforschungsfreie Sphäre, die für unabhängige Menschenrechtsgruppen
unabdingbar ist.
Der Vorstand der Liga fordert das Bundesamt für
Verfassungsschutz und die für den Inlandsgeheimdienst verantwortliche
Bundesregierung auf, die Überwachung des Liga-Präsidenten Dr. Rolf Gössner
unverzüglich einzustellen und ihm gegenüber sämtliche erfassten Daten offen
zulegen!
Vorstand der „Internationalen Liga für Menschenrechte“
Für Kontakt und Auskünfte:
Dr. Rolf Gössner (Bremen)
Tel. 0421/ 70 33 54; Fax 0421/ 70 32 90; Email: rolf-goessner@ilmr.de
RA Dr. Udo Kauß (Freiburg),
Klagevertreter vor dem Verwaltungsgericht Köln
Tel. 0761/ 70 20 93; Fax 0761/ 70 20 59
P.S.
Im letzten
BfV-Dossier werden – neben einigen Aufrufen und Veranstaltungen - einige der
zahlreichen publizistischen Beiträge von und über Rolf Gössner als
verfassungsschutzrelevant aufgezählt, so u.a. in „Junge Welt“ (z.B. sein Interview
zum BigBrother Award), in „Neues Deutschland“ (u.a. Beitrag über seine Wahl zum Liga-Präsidenten),
in „antifa“ (VVN-Interview
„Verfassungsschutz gehört aufgelöst“); „Özgür Genclik“ (Interview zur Lage der Menschenrechte
in der Türkei und zur Kurdenproblematik); „Die Woche“ („Unter Schlapphüten. 50 Jahre Verfassungsschutz:
Der Rechtsanwalt und Buchautor Rolf Gössner kann dem Amt, das ihn seit mehr als
30 Jahren überwachen lässt, nicht zum Jubiläum gratulieren“); „Frankfurter Rundschau“ („Über die NPD
sollen die Wähler, nicht Richter entscheiden“; „Das V-Mann-Unwesen muss
unterbunden werden“); „Gegenwind“
(Dokumentation
seiner Laudatio zur BigBrotherAward-Verleihung an BMI Otto Schily, 2005); „Weser-Kurier“ (Interview
“Geheimdienste sind Fremdkörper in einer Demokratie“). Viele seiner zahlreichen
Beiträge etwa in der Ost-West-Wochenzeitung „Freitag“ oder in diversen Buchpublikationen
wurden angeblich nicht erfasst.