21. Februar 2006

„Internationale Liga für Menschenrechte“ protestiert
gegen geheimdienstliche Überwachung ihres Präsidenten

 

Rolf Gössner hat gegen die Bundesrepublik Deutschland Klage eingereicht

Liga protestiert schärfstens gegen die bürgerrechtswidrige Überwachung und fordert von der Bundesregierung die sofortige Beendigung der Beobachtung!

 

Der Vorstand der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ hat mit Empörung zur Kenntnis genommen, dass Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner weiterhin unter geheimdienstlicher Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) steht. Das geht aus einem Dossier des Bundesamtes hervor. Die Liga protestiert aufs Schärfste gegen diese Ausforschung ihres Vorsitzenden durch den deutschen Inlandsgeheimdienst. Es bestehe die große Gefahr, dass damit auch eine international anerkannte Menschenrechtsvereinigung ins Visier des Verfas­sungs­schutzes geraten ist und weiterhin gerät.

Rolf Gössner hat gegen die Bundesrepublik Deutschland Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben und letzte Woche die Klagebegründung eingereicht. Die Klage ist zunächst auf eine vollständige Auskunft des BfV über alle zu seiner Person gespeicherten Daten gerichtet, da das Amt weitergehende Auskünfte wegen „Geheimhaltungsbedürftigkeit“ und „Ausforschungsgefahr“ sowie zum Schutz von „Quellen“ verweigert hat; in einem weiteren Schritt soll die Rechtmäßigkeit der Erfassung gerichtlich überprüft und eine Löschung der Daten erstritten werden. Dieses Verfahren hat über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen Aktivitäten gezogen – besonders im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und ihm Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen?

Zur Vorgeschichte:

Voriges Jahr hat Rolf Gössner auf seinen Antrag vom BfV das vorerst letzte Dossier über seine ihm zur Last gelegten Aktivitäten erhalten. Grund für seine Überwachung ist laut BfV, dass er Kontakte zu Gruppen und Personen hat, die der Verfassungsschutz (VS) als „linksextremistisch“ oder „linksextremistisch beeinflusst“ einstuft, ohne jedoch Kriterien für diese Einstufung zu benennen. Dazu zählen etwa die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) und die Rechtshilfegruppe „Rote Hilfe e.V.“. Bei den über Gössner gesammelten „Sünden“ handelt es sich insbesondere um seine Artikel, Reden und Interviews, die in bestimmten Publikationen – etwa in den Tageszeitungen „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“ – erschienen sind sowie um Lesungen und andere Veranstaltungen mit bestimmten Veranstaltern, wie etwa der VVN oder der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“.

Letzten Endes wird Rolf Gössner eine Art „Kontaktschuld“ zur Last gelegt, nicht etwa eigene verfassungswidrige Bestrebungen. Es handelt sich bei all diesen inkriminierten Beiträgen ausschließlich um Berufskontakte im Rahmen seiner vielfältigen beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten, insbesondere seiner Bürger- und Menschenrechtsarbeit. In zahlreichen Publikationen hat er sich kritisch u.a. mit den Praktiken der Sicherheitsorgane, besonders auch der Geheimdienste befasst, so etwa in seinem letzten Buch „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates“ (Knaur-Verlag, München 2003).

 

 

 

Immer wieder laden ihn Bundestag und Landtage als Sachverständigen ein, um in Gesetzgebungsverfahren u.a. Polizei- und Geheimdienst-Gesetzentwürfe zu begutachten. Auch von der Polizeiführungsakademie, von Polizeifachhochschulen und selbst vom Verfassungsschutz ist er als Experte zu Vorträgen und Diskussionen eingeladen worden.

Rolf Gössner ist für die Liga auch Mitherausgeber des jährlich erscheinenden „Grundrechte-Reports – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“ (Fischer-Verlag, Ffm) sowie Mitglied in der Jury zur Vergabe des Negativpreises „BigBrotherAward“, der an Institutionen und Personen verliehen wird, die besonders gegen Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung verstoßen haben – so wie voriges Jahr an den ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), auf den Gössner die „Laudatio“ gehalten hat (dokumentiert in: Frankfurter Rundschau vom 31.10.2005).

Mit Rolf Gössner wird ausgerechnet ein Streiter gegen den permanenten Abbau von Bürgerrechten behandelt wie ein „Verfassungsfeind“ – und nicht etwa jene „Sicherheitspolitiker“, die in der Vergangenheit, insbesondere im Zuge der Terrorismusbekämpfung, der Verfassung und den Grundrechten schweren Schaden zufügt haben. Erinnert sei insoweit nur an die Demontage des Asylgrundrechts und an eine ganze Reihe hochproblematischer „Antiterrorgesetze“ mit ihren tiefgreifenden Eingriffen in die Substanz der Bürgerrechte; des Weiteren an den Großen Lauschangriff, die präventive Telekommunikationsüberwachung und das Luftsicherheitsgesetz, die vom Bundesverfassungsgericht für weitgehend verfassungswidrig erklärt wurden.

Der Verfassungsschutz beobachtet Rolf Gössner schon seit 1970, also seit nunmehr 35 Jahren. Kurz nach dem ersten Bekanntwerden vor zehn Jahren hatte diese Affäre erhebliche öffentliche Reaktionen hervorgerufen. Der Verband Deutscher Schriftsteller, die IG Medien, die Deutsche Journalisten-Union, Juristenorganisationen, acht Bürgerrechtsgruppen – darunter die Liga - sowie zahlreiche prominente Schriftsteller des deutschen P.E.N.-Zentrums haben sich seinerzeit in Offenen Briefen an das BfV gewandt und gegen die geheimdienstliche Erfassung ihres Kollegen protestiert; auch der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung haben sich mit seinem Fall befasst – allerdings ohne Ergebnis. Die Beobachtung ging jedenfalls weiter, auch unter der rot-grünen Regierungskoalition, und dauert nachweislich bis heute an. Die Maßnahmen dieser geheimdienstlichen Langzeitüberwachung eines engagierten Rechtsanwalts, Publizisten und Menschenrechtlers verletzen die Persönlichkeitsrechte, den Informantenschutz, das Mandatsgeheimnis und die ausforschungsfreie Sphäre, die für unabhängige Menschenrechtsgruppen unabdingbar ist.

Der Vorstand der Liga fordert das Bundesamt für Verfassungsschutz und die für den Inlandsgeheim­dienst verantwortliche Bundesregierung auf, die Überwachung des Liga-Präsidenten Dr. Rolf Gössner unverzüglich einzustellen und ihm gegenüber sämtliche erfassten Daten offen zulegen!

Vorstand der „Internationalen Liga für Menschenrechte“

 

Für Kontakt und Auskünfte:

Dr. Rolf Gössner (Bremen)
Tel. 0421/ 70 33 54; Fax 0421/ 70 32 90; Email: rolf-goessner@ilmr.de

RA Dr. Udo Kauß (Freiburg), Klagevertreter vor dem Verwaltungsgericht Köln
Tel. 0761/ 70 20 93; Fax 0761/ 70 20 59

P.S.

Im letzten BfV-Dossier werden – neben einigen Aufrufen und Veranstaltungen - einige der zahlreichen publizistischen Beiträge von und über Rolf Gössner als verfassungsschutzrelevant aufgezählt, so u.a. in „Junge Welt“ (z.B. sein Interview zum BigBrother Award), in „Neues Deutschland“ (u.a. Beitrag über seine Wahl zum Liga-Präsidenten), in „antifa“ (VVN-Interview „Verfassungsschutz gehört aufgelöst“); „Özgür Genclik“ (Interview zur Lage der Menschenrechte in der Türkei und zur Kurdenproblematik); „Die Woche“ („Unter Schlapphüten. 50 Jahre Verfassungsschutz: Der Rechtsanwalt und Buchautor Rolf Gössner kann dem Amt, das ihn seit mehr als 30 Jahren überwachen lässt, nicht zum Jubiläum gratulieren“); „Frankfurter Rundschau“ („Über die NPD sollen die Wähler, nicht Richter entscheiden“; „Das V-Mann-Unwesen muss unterbunden werden“); „Gegenwind“ (Dokumentation seiner Laudatio zur BigBrother­Award-Verleihung an BMI Otto Schily, 2005); „Weser-Kurier“ (Interview “Geheimdienste sind Fremdkörper in einer Demokratie“). Viele seiner zahlreichen Beiträge etwa in der Ost-West-Wo­chenzeitung „Freitag“ oder in diversen Buchpublikationen wurden angeblich nicht erfasst.