Fußball ist eine hochgefährliche
Sache: Da werden Angriffe gestartet, und da wird geschossen; da wird die
Verteidigung überrannt, und da werden Menschen verletzt. Besonders gefährlich
scheint die fußballbegeisterte Masse Mensch aus aller Welt, die sich an solchen
Spektakeln nicht nur delektiert, sondern mitunter ein dynamisches Eigenleben
entfaltet – Randale und Gewalt inbegriffen.
„Die Welt zu Gast bei Freunden“ –
das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft droht ob allfälliger Sicherheitsrisiken
mehr und mehr zum Etikettenschwindel zu geraten. Die verheißene Gastfreundlichkeit
wird dadurch konterkariert, daß die Bundesrepublik das sportliche Mega-Ereignis
zum Anlaß nimmt, noch weiter aufzurüsten, noch schärfer zu kontrollieren,
abzuschotten und auszugrenzen, Macht zu demonstrieren und abzuschrecken. Ein
Großaufgebot von Polizei, Geheimdiensten, Schnelljustiz und Militär ist
mobilisiert, um gegen die beschworenen Gefahren, von denen etliche nie
auszuschließen sind, gewappnet zu sein.
Ein Blick in das Nationale WM-Sicherheitskonzept
und in die Massenmedien verrät: Sicherheitsstrategen feilen schon lange an
einem WM-tauglichen Bedrohungsszenario, in dem besoffene Fußball-Fans,
gewaltbereite Hooligans, fingerfertige Taschendiebe, brutale Zuhälter und
Menschenhändler eine gewichtige Rolle spielen; nur noch getoppt von einer
ständig lancierten „Gefahr des Internationalen Terrorismus“, obwohl es hierfür
keinerlei Anzeichen gibt – im Gegensatz zum alltäglichen rassistischen Terror
gegen Migranten, der offiziell gehörig heruntergespielt wird, wie die erregte
Debatte um „no-go-areas“ in Brandenburg zeigt.
Die Fußball-WM gerät immer mehr zu
einer Antiterrorübung und zugleich zum Einfallstor für umstrittene
Sicherheitsmaßnahmen und -techniken – denken wir nur an die mit Überwachungschips
verwanzten WM-Tickets, an die polizei- und geheimdienstlichen
Sicherheitsüberprüfungen von über einer Viertelmillion Menschen, die im Zuge
der WM irgendwelche größeren oder kleineren Aufgaben haben. Denken wir auch an
die vorsorgliche Erfassung und Speicherung der genetischen Fingerabdrücke von
Hooligans, an die Gewalttäterdatei „Sport“, in der auch bloß Verdächtige
gespeichert werden. Oder denken wir an die extensive Videoüberwachung von
Stadien und Stadtzentren, an die angekündigte Vertreibung von Bettlern, Punks
und Drogenabhängigen aus den Innenstädten und nicht zuletzt an den Einsatz von
Bundeswehrsoldaten und die Überwachung des Luft- und Landraums durch
AWACS-Aufklärungsflugzeuge.
Greifen wir nur drei der
gravierendsten WM-Sicherheitsmaßnahmen heraus:
Besteller von WM-Tickets müssen
inquisitorische Fragen beantworten und höchst persönliche Daten preisgeben; sie
müssen zum Beispiel ihre Nationalität mitteilen und sogar angeben, wessen Fans
sie sind – also für welche Nationalmannschaft das Fußball-Herz schlägt. Mit
diesen Informationen sollen wohl die Fan-Ströme gesteuert und in den Stadien
gefahrmindernd verteilt werden. Denkbar ist aber auch, daß Fans, die etwa die
saudi-arabische oder iranische Nationalmannschaft favorisieren, zumindest
Argwohn erwecken, wenn nicht gar Präventivmaßnahmen auslösen.
Alle Karteninteressenten müssen
auch ihre Ausweis- oder Reisepaßnummern preisgeben – obwohl deren Erhebung und
Nutzung als Personenkennziffern gesetzlich verboten ist. Alle erhobenen Daten
werden beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) zentral gesammelt, gespeichert und mit
vorhandenen Dateien abgeglichen. Wer bei diesen Abgleichsverfahren durchfällt,
erhält kein Ticket – ohne jegliche Begründung.
Da alle WM-Tickets zu
Kontrollzwecken mit RFID-Chips versehen sind, kann jeder Fußballfan damit an
jedem Ort innerhalb und außerhalb der Stadien per Funk geortet und
identifiziert werden, ohne es selbst zu merken. Mit diesem Verfahren lassen
sich Bewegungsprofile der Betroffenen erstellen. Die WM wird damit für die Massenanwendung
einer umstrittenen Überwachungsinfrastruktur mißbraucht, die später auch bei
anderen Veranstaltungen eingesetzt werden kann. Mit diesem Großfeldversuch
können Hunderttausende von arglosen Fußballfans als Testobjekte kontrollierbar
gemacht werden – wie Handelobjekte und Warenbestände, für deren logistische
Bewältigung diese Technik ebenso eingesetzt wird wie in den neuen bundesdeutschen
Pässen als auslesbare Speicher für biometrischen Merkmale.
Fußballer, Journalisten,
freiwillige Hilfskräfte, Reinigungskräfte oder Würstchenverkäufer, aber auch
Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten müssen sich im Rahmen
der Akkreditierung für die WM einer polizei- und geheimdienstlichen
Sicherheitsüberprüfung unterziehen – durchgeführt von Landeskriminalämtern und
Verfassungsschutzbehörden unter Leitung des Bundeskriminalamtes. Das betrifft
über 250.000 Menschen, die sich als potentielle „Innentäter“ der Durchleuchtungsprozedur
stellen müssen, um später in den Sicherheitszonen um und in den Stadien ihren beruflichen
Tätigkeiten nachgehen zu können – sofern sie nicht als „Sicherheitsrisiken“
aussortiert werden.
Schon die Teilnahme an
Demonstrationen oder Kontakte zu Organisationen, die als „extremistisch“
gelten, können dazu führen, daß die Antragsteller abgelehnt werden –
ungesicherte Verdachtsdaten von Geheimdiensten oder Polizei, etwa über eingestellte
Ermittlungsverfahren, genügen. Auch die Besorgnis möglicher Erpreßbarkeit, also
etwa Schulden, sexuelle Normabweichungen oder “Zweifel an der Zuverlässigkeit
oder am Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung” reichen aus,
um zu einem personellen „Sicherheitsrisiko” deklariert zu werden.
Das Bundeskriminalamt (BKA) gibt
nach dem Sicherheitscheck eine positive oder negative Empfehlung an den DFB,
der die Entscheidung über die Zulassung trifft und den Arbeitgeber
unterrichtet. Die Betroffenen selbst erfahren nicht, wegen welcher
„Sicherheitsbedenken“ eine Akkreditierung abgelehnt wird, und sie haben kaum
Überprüfungs- und Widerspruchsmöglichkeiten, obwohl ihnen durch die Verweigerung
der Akkreditierung schwere berufliche und wirtschaftliche Nachteile entstehen
können – bis hin zu faktischen
Berufsverboten.
Für diese Überprüfungsverfahren
gibt es keine gesetzliche Grundlage – deshalb müssen die Betroffenen eine
„informierte Einwilligungserklärung“ abgeben. Von Freiwilligkeit kann dabei
kaum die Rede sein: Denn ein Arbeitnehmer, der vor der Alternative steht,
seinen Arbeitsplatz zu verlieren oder einer Überprüfung zuzustimmen, willigt
nicht wirklich freiwillig ein. Deshalb schwebt das Verfahren nach Ansicht von
Datenschützern in einer rechtlichen Grauzone, verstößt in weiten Teilen gegen
Datenschutzregeln und dürfte schon wegen der Dimension unverhältnismäßig sein.
Wir befinden uns seit Jahren in
einer Phase zunehmender Militarisierung der „Inneren Sicherheit“, in deren
Mittelpunkt der Bundeswehreinsatz im Inneren des Landes steht – obwohl hierzulande
Polizei und Militär schon aus historischen und politischen Gründen sowie nach
der Verfassung grundsätzlich zu trennen sind. Gleichwohl hat der Einsatz im
Inland längst begonnen – etwa über die Notstandsgesetze der 1960er Jahre im
Notstandsfall, bei Katastrophen sowie über die „Verteidigungspolitischen
Richtlinien“.
Bundessicherheitsminister Wolfgang
Schäuble und auch Kriegsminister Franz Josef Jung (beide CDU) wollen per
Grundgesetzänderung die Bundeswehr regulär als nationale Sicherheitsreserve im
Inland einsetzen. Und es gibt Pläne, den „Verteidigungsfall“ per Definition
vorzuverlagern, um ihn auch im Fall von Terroranschlägen ausrufen zu können,
die damit kriegerischen Angriffen gleichgesetzt werden.
An solche Militäreinsätze im
Inland soll sich die Bevölkerung allmählich gewöhnen – und die WM dient als
willkommenes Exerzierfeld: Bundeswehrsoldaten werden bald logistische Hilfe
leisten, um die Polizei zu entlasten, Tausende stehen sozusagen „Gewehr bei
Fuß“ – obwohl Soldaten keineswegs für zivil-polizeiliche Aufgaben ausgebildet
sind, sondern bekanntlich zum Kriegführen und Töten.
Es scheint, als würde in einer Art
von nationalem Sicherheitswahn der Ausnahmezustand geradezu herbeiphantasiert,
als müsse sich der Gastgeber Deutschland vor einem feindlichen Überfall schützen,
als wäre die WM ein Großschadensereignis und kein Sportfest. Wir erleben einen
populistischen Sicherheitsaktionismus, der ganz besonders den Daten- und
Persönlichkeitsschutz und damit Bürgerrechte von Hunderttausenden schwer beschädigt
– Grund- und Freiheitsrechte, die letztlich einem vermeintlichen Mehr an
Sicherheit geopfert werden, ohne die Risiken damit wirklich ausschalten zu
können.
Diese Art von „Sicherheitspolitik“ folgt einem Trend, der seit den Terroranschlägen in den USA vom 11.9.2001 vorangetrieben wird. Seitdem liefert die „terroristische Gefahr“ eine bewährte Super-Legitimation für schwere Grundrechtseingriffe. Diese Entwicklung bildet sozusagen die Folie, auf der die Fußball-WM 2006 genutzt, ja instrumentalisiert wird, um neue umstrittene Eingriffsbefugnisse und Techniken zu legitimieren, zu popularisieren und endgültig in großem Maßstab durchzusetzen. Mit der WM rückt der autoritäre Präventions- und Sicherheitsstaat um ein ganzes Stück näher.