Gelesen
Kriminelle
pro Staat
Rechtsradikale V-Männer als »Geheime Informanten«
Von
Matthias Koch
Das Sachbuch des Monats Oktober heißt »Geheime Informanten« und untersucht
die Verquickung des Verfassungsschutzes mit der rechtsradikalen Szene in der
Bundesrepublik. Autor Rolf Gössner – Präsident der Internationalen Liga für
Menschenrechte, Rechtsanwalt, Publizist, Geheimdienstexperte sowie
parlamentarischer Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren auf Bundes- und
Länderebene – »will vor dem Hintergrund der Besorgnis erregenden Entwicklung
von Neonazismus und rechter Gewalt in diesem Land der V-Mann-Problematik im rechten
Sumpf auf die Spur kommen«.
Gössner spricht ohne Vorbehalte von Kriminellen im Dienst des Staates. Als
Beispiele für seine These bringt er viele Fallstudien, sechs ausführlich und
zwölf im Stenogramm. Demnach verliefen rechtsextreme V-Mann-Karrieren häufig
nach demselben Strickmuster. Vor, während oder nach kriminellen Taten –
Mordversuch, Vertrieb rechtsradikalen Gedankengutes, Brandstiftung,
Körperverletzung, Waffenhandel, Teilnahme an Bombenanschlägen oder Anstiftung
zum Mord sind nur eine kleine Auswahl – dienten sich vorwiegend Männer bei
der Verfassungsschutzbehörde an.
Für die Kriminellen lohne sich der Deal auf alle Fälle. Neben Verkürzung der
Haft oder Vergünstigung der Haftbedingungen locke vor allem der schnöde
Mammon zur Spitzeltätigkeit in den eigenen Reihen. »Die Honorarsätze lagen
lange bei 300 bis 1500 DM, heute liegen sie bei etwa 400 bis 1250 Euro im
Monat und mehr«, schreibt Gössner. Der Thüringer V-Mann Tino Brandt soll
beispielsweise bis zu 20000 Euro jährlich an Spesen, Prämien und Honorar
bezogen haben. Hohe Zuwendungen hätten allerdings mehrere Haken. Zum einen
reiche die Summe häufig für die Unterhaltung der Lebenskosten aus. V-Männer
gerieten so in finanzielle Abhängigkeit. Zum anderen wäre die staatliche
Förderung unweigerlich in den Aufbau neonazistischer Strukturen geflossen.
Ein Schwerpunkt der Abhandlung ist die NPD. Diese Partei sei besonders stark
von V-Leuten durchsetzt. Innenministerium und Verfassungsschutzbehörden
hätten inzwischen einräumen müssen, dass »etwa 30 der 200
NPD-Vorstandsmitglieder seit Jahren als V-Leute im Sold des Staates« standen.
Neben der Klärung von vielen Begrifflichkeiten, wie »V-Mann-Führung« oder
»Verbrennen von V-Leuten« fragt Gössner nach der Zukunft des
Verfassungsschutzes. Er fordert die bedingungslose Aufarbeitung der
Verstrickungen durch den Einsatz von V-Männern in der NPD. Zudem stellt er
Reformation oder gar Abwicklung des aus 17 Verfassungsschutzbehörden
bestehenden Geheimdienstes in den Raum. Die Inanspruchnahme von V-Leuten, die
Ralf Gössner als eine der unzuverlässigsten und rechtlich bedenklichsten
Formen der Nachrichtenbeschaffung bezeichnet, dürfte deshalb ein brisantes
Thema bleiben.
Rolf Gössner: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes:
Kriminelle im Dienst des Staates. Knaur Taschenbuch, 320 Seiten, Oktober
2003, 12,90 EUR
(NEUES DEUTSCHLAND 18.09.03)
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