Neues Deutschland

09.01.2009 / Debatte / Seite 14

Streitfrage: Gehören die deutschen
Geheimdienste abgeschafft?

Dr. Rolf Gössner, Jahrgang 1948, ist Publizist, Anwalt und Bürgerrechtsaktivist und u.a. Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Dr. Max Stadler, Jahrgang 1949, stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages als auch Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums; Mitglied der FDP-Fraktion.

Fremdkörper in einer freiheitlichen Demokratie

Von Rolf Gössner

 


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Foto: ND/Burkhard Lange

 

Fast alle Bundestagsfraktio­nen und selbst die Bundes­regierung halten seit ge­raumer Zeit eine Reform der Geheimdienste für überfällig. Warum? Weil die bundes­deutschen Dienste im welt­weiten Antiterrorkampf im­mer mehr Macht erhalten haben, so viel wie nie zuvor, und deshalb einer Begren­zung bedürften? Nein! Denn diese Aufrüstung mit neuen Aufgaben,Befugnissen, mehr Personal und techni­schen Möglichkeiten der Ausforschung steht nicht zur Disposition. Warum also ein »neues« Reformprojekt? Weil angesichts einer nicht abreißenden Serie von Skandalen offenkundig ge­worden ist, dass diese hoch­gerüsteten Geheimorgane nur schwer zu kontrollieren sind und in zunehmendem Maße zum Problem werden – das gilt besonders für Bun­desnachrichtendienst (BND) und die Verfassungsschutzbehörden (VS) des Bundes und der Länder.

Der Reformeifer ist aller­dings eher schwach ausge­prägt: Abgesehen davon, dass sich Regierung und Mitglieder der Großen Koali­tion am liebsten »bessere« Geheimdienste wünschen, die effizienter, aber ge­räuschlos arbeiten, dürfte es vielen Reformern darum ge­hen, wenigstens die offen­kundigen Kontrolldefizite zu minimieren und damit auch die Skandalträchtigkeit der Dienste. Sicher ein ehren­wertes Anliegen, wissen doch viele Mitglieder des ge­heim tagenden Parlamenta­rischen Kontrollgremiums um die Vergeblichkeit einer öffentlichen Kontrolle der Geheimdienste. Ihnen ist es kaum vergönnt, einen der zahlreichen Skandale aufzu­decken – meist gelingt dies nur Insidern und Medien. Immer wieder bleibt den Kontrolleuren nichts anderes übrig, als mit Verspätung darauf zu reagieren. Gerade die Erfahrungen im BND-Untersu­chungs­ausschuss zeigen deutlich, dass die parlamentarische Kontrolle den verfassungsrechtlichen Anforderungen keineswegs gerecht wird. Also wäre es nur konsequent, die Kon­trollbedingungen zu ver­bes­sern.

Doch reicht das wirklich aus? Warum fragt niemand nach den strukturellen Gründen dieses Kontrolldefizits. Wa­rum wagt sich kaum jemand ans Eingemachte – nämlich an die Geheim-Strukturen und -Methoden der Dienste, denn gerade sie machen Bürgerrechten und Rechts­staat schwer zu schaffen, machen die Dienste zu Problemfällen der Demokra­tie. Mit ihren klandestinen Mitteln zur politischen Über­wachung und Infiltration, mit Verdeckten Ermittlern, V-Leuten, Lockspitzeln und technischen Mitteln für Lausch-, Späh- und Troja­nerangriffe arbeiten sie in einer abgeschotteten Ge­heimzone, wo der demokra­tische Sektor praktisch en­det. Sie, die dem Schutz der Demokratie dienen sollen, sind selbst Fremdkörper in einer freiheitlichen Demo­kratie, weil sie weder trans­parent noch kontrollierbar sind. Deshalb neigen sie zu Verselbstständigung und Ei­genmächtigkeit, Machtmiss­brauch und Willkür. Erinnert sei nur an das »Celler Loch«, die systematische Bespitzelung von Journalis­ten, oder an die größte bun­desdeutsche V-Mann-Affäre, die anlässlich des geschei­terten NPD-Verbotsverfah­ren aufgedeckt worden ist. Geheimdienst-Skandale und Kontrolldefizite haben also System, das für die Grund­rechte unbequemer Men­schen und oppositioneller Gruppen zur Gefahr werden kann.

Deshalb ist die Grundsatz­frage »Geheimdienste bes­ser kontrollieren oder lieber auflösen?« so bedeutsam – sie gehört dringend auf die politische Agenda. Doch le­diglich in Linksfraktion und Linkspartei streitet man noch um diese Frage und um den widersprüchlichen Versuch, sich auf eine akute und perspektivische Linie zu verständigen. Zum einen besteht die Einsicht: So­lange in einer Welt voller Geheimdienste auch hierzu­lande solche existieren, ist es verfassungsrechtlich ge­boten, zumindest die Kon­trolle zu verbessern – zumal in einer Situation, in der es dafür Realisierungschancen gibt. Für alle, die sich am Versuch einer Geheimdienstkontrolle aktiv be­teiligen, ist es nur konsequent, für eine Kontrollintensivierung zu streiten. Das ist, bei aller systembedingten Beschränktheit, nicht mehr und nicht weniger als ein Beitrag zur Demokratisierung.

Doch andererseits greifen bloße Kontrollverbesserun­gen wesentlich zu kurz, denn auch damit kann eine demokratische Vollkontrolle der Dienste nicht erreicht werden – zumindest solange diese mit geheimen Struk­turen und Arbeitsmethoden ausgestattet sind, die un­bemerkt und tief in die Grundrechte, in das Leben und die Berufsfreiheit der ausgeforschten Betroffenen eingreifen. Denn ein wirklich transparenter und voll kon­trollier­barer Geheimdienst ist und bleibt ein Wider­spruch in sich. Geheim­dienste trachten im Übrigen »gewerbsmäßig« danach, sich auch einer intensiveren Kontrolle zu entziehen. Sie haben die Lizenz zur Täu­schung, Manipulation und Desinformation – warum sollten sie ausgerechnet gegenüber ihren Kon­trolleuren diese Fähigkeiten nicht nut­zen?

Weil also stärkere Kontroll­kompetenzen nicht an der problematischen Geheim­substanz rühren, ergibt sich schon aus demokratischen Gründen die Notwendigkeit, gerade das Geheimdienstty­pische in den Strukturen, Befugnissen und Methoden der drei Bundesgeheim­dienste und der 16 VS-Be­hörden der Länder mit ihren insgesamt etwa zehntausend Bediensteten kritisch unter die Lupe zu nehmen und abzubauen – mit dem Ziel einer Entgeheimdienstlichung, einer Zurückdrängung und weitgehenden Aufhebung ihres Geheimdienst-Cha­rak­ters. Dem stünde das Grund­gesetz keineswegs entgegen, denn danach muss etwa der VS nicht not­gedrungen als Geheimdienst ausgestaltet werden. Zu­mindest sollte die systemati­sche Anwendung nachrich­tendienstlicher Mittel unter­bunden und gesetzlich zur Ultima Ratio erklärt werden. So fände dann auch das grassierende V-Leute-Unwe­sen endlich ein Ende – und damit die Verstrickung des Inlandsgeheimdienstes in Neonaziszenen und –parteien.

Skandalgeneigte Institutionen, die Demokratie und Bürgerrechten mehr scha­den als nützen, gehören perspektivisch aufgelöst und durch gut ausgestattete in­terdisziplinäre Forschungsinsti­tutionen ersetzt – offen arbeitende Einrichtungen, die Gefahren und Bedrohun­gen für die Gesellschaft se­riöser diagnostizieren und analysieren, die Aufklärung und Politikberatung kompe­tenter und weniger interes­segeleitet gewährleisten könnten.

Dr. Rolf Gössner, 1948 in Tübingen geboren, ist Publi­zist, Anwalt und Bürger­rechtsaktivist. Er ist Vize­präsident der Internationa­len Liga für Menschenrechte, stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof in Bremen sowie Mitherausgeber der Zeitschrift »Ossietzky« und des »Grundrechte-Reports«. Rolf Gössner wurde 38 Jahre vom Verfassungsschutz überwacht. Die Beobachtung endete vergangenen November.


 

Neues Deutschland

09.01.2009 / Debatte / Seite 14

Versäumnisse rechtfertigen nicht die Abschaffung

Von Max Stadler

 


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Foto: DBT

 

Selten passt die Redensart, man solle das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, so gut wie auf die Forderung nach der Abschaffung der Geheimdienste. Zwar hat es im Zusammenhang mit der Arbeit der Dienste in den letzten Jahren so viele Probleme gegeben, dass der Deutsche Bundestag einen eigenen Untersuchungsaus­schuss eingerichtet hat. Aber schon die Bezeichnung »BND-Untersuchungsaus­schuss« greift zu kurz. Überwiegend geht es um Fehler der politischen Ebene, also der jeweiligen Bundes­regierung, nur zum Teil um eigenständiges Fehlverhal­ten des Bundesnachrichten­dienstes.

Es ist nachvollziehbar, dass die Frage nach der Notwen­digkeit von Geheimdiensten immer wieder gestellt wird, zumal diese in einem äu­ßerst grundrechtssensiblen Bereich tätig sind. Das gilt aber auch für die Polizei. Trotzdem käme niemand auf die Idee, die Abschaffung der Polizei vorzuschlagen, sondern zu Recht dreht sich die Debatte darum, wie in einem Rechtsstaat die poli­zeilichen Eingriffsbefugnisse beschaffen sein müssen. Regelungen wie das neue BKA-Gesetz gehen weit über das Ziel hinaus. Die Folge­rung kann aber nicht sein, das Bundeskriminalamt ab­zuschaffen, sondern ihm ei­nen angemessenen Rechts­rahmen vorzugeben.

Ähnliches gilt für die Dienste. Auch die Arbeit des Bundesamtes für Verfas­sungsschutz ist in vielen (nicht allen!) Bereichen un­erlässlich. Beispielsweise stellt das Erstarken der Neonazi-Szene den Staat vor die Notwendigkeit, In­formationen auch schon im Vorfeld von Straftaten zu sammeln. Die Abwehr kon­kreter Gefahren ist typische Polizeiaufgabe, die Erkennt­nisge­winnung im Vorfeld eine Aufgabe für den Verfas­sungsschutz. Es wäre gerade jetzt nicht zu verantworten, darauf zu verzichten. Selbst die Fehler, die im Zusam­menhang mit dem NPD-Ver­botsverfahren von 2003 be­gangen worden sind, als es an der Koordination der ver­schiedenen Verfassungs­schutzämter fehlte, sind kein Argument dafür, dass die Beobachtung der rechtsex­tremen Szene durch den Verfassungs­schutz unnötig wäre.

Legitim ist auch das Inte­resse der Bundesrepublik Deutschland, beispielsweise außen­poli­tische Entschei­dungen auf einem Funda­ment umfassender und zu­verlässiger Nachrichten treffen zu können. Auch die Informationsgewinnung mit nachrichten­dienstlichen Mitteln kann zur Qualität po­litischer Entscheidungen beitragen. Der umstrittene Einsatz des BND vor und während des Irak-Kriegs in Bagdad ist daher nicht schon aus dem Grunde kritikwür­dig, weil die damalige rot-grüne Bundesregierung ein eigenständiges Lagebild ha­ben wollte. Es lag vielmehr im deutschen Interesse, bei der Lagebeurteilung nicht etwa auf die Amerikaner oder Briten angewiesen zu sein. Die berechtigte Kritik setzt vielmehr an der Tatsa­che an, dass durch den BND militärisch relevante Infor­mationen an die USA als Kriegspartei geliefert wur­den, während der eigenen Bevölkerung gegenüber der Anschein der Nichtbeteili­gung erweckt worden war. Diese zwiespältige Politik ist aber der Bundesregierung und nicht dem BND anzu­lasten.

Ein weiteres Faktum ist völ­lig unverständlich. Die Ver­treter der damaligen Bun­desregierung berufen sich darauf, sie hätten für die Informationsweitergabe an die Amerikaner einschrän­kende Kriterien formuliert. Dann wäre zu erwarten ge­wesen, dass die Einhaltung dieser restriktiven Kriterien strengstens kontrolliert wor­den ist. Das Gegenteil war der Fall: Kanzleramt und BND-Spitze überließen nach eigenen Angaben die Aus­wahl der weiterzuleitenden Informationen einem Refe­ratsleiter beim BND. Dieses Kontrolldefizit belegt nicht, dass der Dienst unkontrol­lierbar sei, sondern besagt, dass das Kanzleramt seine Aufsichtsfunktion auch tat­sächlich wahrnehmen muss.

Der Untersuchungsaus­schuss hat sich des Weiteren ausgiebig mit dem Fall Murat Kurnaz befasst. Der gebür­tige Bremer war fünf Jahre ohne stichhaltige Beweise in Guantanamo inhaftiert und der Folter ausgesetzt. Gegen ihn ist eine Wiedereinreise­sperre nach Deutschland verhängt worden, obwohl nur vage Verdachtsmomente vorlagen. Das war rechts­staatlich verfehlt und ist später gerichtlich beanstan­det worden. Die BND-Spitze war an der Vorbereitung dieser Entscheidung betei­ligt, indem sie an den Bera­tungen in der sogenannten Präsidentenrunde im Kanz­leramt mitgewirkt hat. Ver­fügt wurde die Einreise­sperre jedoch letztendlich nicht vom BND, sondern vom Bundesinnenministe­rium. Dort ist daher die poli­tische Verantwortung fest­zumachen.

Problematisch sind auch Be­fragungen im Ausland, wenn die befragten Personen zu­vor gefoltert worden sind (Guantanamo), oder wenn sie unter folterähnlichen Umständen inhaftiert waren. Beamte des BKA haben sich im Fall Kafaghy geweigert, unter solchen Umständen eine Vernehmung durchzu­führen. Die Dienste hielten später nicht denselben rechtsstaatlichen Maßstab ein. Es wäre aber (auch) Sa­che der politischen Ebene gewesen, Kriterien für die Zulässigkeit oder Unzuläs­sigkeit von Befragungen zu entwickeln. Somit steht fest, dass manche der skandalö­sen Ereignisse sich zwar in Mitverantwortung des BND, aber in hauptsächlicher Ver­antwortung der Politik ereig­net haben. Es ist zu hoffen, dass der BND-Untersu­chungsausschuss dazu bei­trägt, dass gerade das Kanzleramt als Aufsichtsbe­hörde wieder zu strikt rechtsstaatlichen Vorgaben für das Agieren des BND findet.

Gleichwohl muss jeder BND-Präsident und jede Bundes­regierung penibel darauf achten, dass sich nicht Teile des Dienstes verselbststän­digen und damit der These von der Unkontrollierbarkeit Nahrung geben. Es ist völlig inakzeptabel, dass Weisun­gen, die Bespitzelung von Journalisten zu unterlassen, kurz darauf im bekannten Fall der »Spiegel«-Journalis­tin Susanne Koelbel miss­achtet worden sind. Gerade solche Skandale zeigen, dass vor allem die Möglich­keiten der parlamentari­schen Kontrolle effizienter ausgestaltet werden müs­sen. Die Vorschläge hierfür liegen auf dem Tisch, sind aber von der Großen Koali­tion bisher vor sich herge­schoben worden. All diese politischen Versäumnisse rechtfertigen jedoch nicht die Abschaffung der Dienste.

Dr. Max Stadler, Jahrgang 1949, sitzt seit 1994 für die FDP im Deutschen Bundes­tag. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Innenaus­schusses des Bundestages als auch Vorsitzender des Parlamentarischen Kontroll­gremiums. Max Stadler ist außerdem Vorsitzender des Arbeitskreises Innen- und Rechtspolitik der FDP-Frak­tion und seit April 2006 Ob­mann der FDP im BND-Un­tersuchungs­ausschuss.