WESER-KURIER 15.3.2006
Bremer Rechtsanwalt
Gössner kritisiert Fragen zur Einbürgerung
in Baden-Württemberg
BREMEN. Hessen legte gestern einen
Wissens- und Wertetest vor, den einbürgerungswillige Ausländer bestehen müssen
- ansonsten wird der deutsche Pass verwehrt. In Baden-Württemberg wird ein entsprechender
Gesprächsleitfaden von den Einbürgerungsbehörden längst angewandt, um Ausländer
mental zu durchleuchten. Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner, Präsident der
Internationalen Liga für Menschenrechte, hat den Text analysiert. Das Gutachten
hat unter anderem der Zentralrat der Muslime in Deutschland in Auftrag gegeben.
Nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz ist das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung Voraussetzung für die Einbürgerung. Eine Einzelfallprüfung hinsichtlich der Loyalität muss dann erfolgen, wenn "tatsächliche Anhaltspunkte" für eine verfassungsfeindliche Betätigung vorliegen. Gössner nennt zudem eine weitere Bedingung für die Einbürgerung: Das Bundesinnenministerium hat festgelegt, dass der Bewerber "Kenntnis der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland besitzen" soll. Der baden-württembergische Gesprächsleitfaden geht nach Ansicht von Gössner dagegen sehr viel weiter und verstößt dabei in mehrfacher Hinsicht gegen die Verfassung: Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes: Der Fragebogen wurde gezielt für muslimische Bewerber konzipiert und stellt somit eine Ungleichbehandlung aufgrund des Glaubens dar. Auch gegen die EU-Anti-Diskriminierungsrichtlinie wird verstoßen. Verletzung der Privat- und Intimsphäre: Mit Fragen wie nach homosexuellen Söhnen mischt sich der Staat in die Lebensführung seiner Bürger ein, die ihn prinzipiell nichts angeht. Verletzung der Informationellen Selbstbestimmung: Antworten mit allen Intimdaten werden auf unbestimmte Zeit auf Dateien festgehalten.
Gössners Fazit: "Ausgerechnet für die Prüfung der Verfassungstreue wird ein Fragebogen eingesetzt und eine Prozedur gewählt, die dem Geist, den Prinzipien und den Grundrechten der Verfassung widersprechen." Der Rechtsanwalt weist darauf hin, dass nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz die Verfassungskonformität eines Einbürgerungsbewerbers - und das nur bei begründeten Zweifeln - geprüft werden soll. Nicht aber mögliches politisch inkorrektes, unemanzipiertes oder aber kriminelles Verhalten. Diesbezügliche Fragen würden über das deklarierte Ziel hinaus schießen und seien unzulässig.
Für Gössner ist der baden-württembergische
Gesprächsleitfaden grundgesetzwidrig - und integrationsfeindlich. "Wer
Muslimen pauschal institutionalisiertes Misstrauen entgegenbringt, sie durch
vorurteilsbeladene Verallgemeinerungen diskriminiert und stigmatisiert, macht
sich der Feindbildproduktion schuldig, schürt die ohnehin wachsende
Islamophobie, wirkt ausgrenzend und zerstört jeden Ansatz von Integration."
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