Pressemitteilung vom 26.04.2007

 

Internationale Liga für Menschenrechte fordert sofortige Beendigung
des Grundrechte-Ausverkaufs und eine Generalrevision der Antiterrorgesetze

Liga-Präsident Rolf Gössner: „Bundesinnenminister Schäuble wird mit seinen sicherheitspolitischen Horrorplänen mehr und mehr zum Sicherheitsrisiko. Der staatliche Antiterrorkampf hat sich längst als Gefahr für Demokratie, Bürgerrechte und Rechtsstaat erwiesen. Wer weiter an der Aufrüstungsschraube dreht, handelt populistisch und unverantwortlich.“

Anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches „Menschenrechte in Zeiten des Terrors - Kollateralschäden an der ‚Heimatfront’“ warnt Rolf Gössner vor den Überwachungsplänen der Großen Koalition und vor einem „entfesselten, autoritären Sicherheitsstaat, in dem Rechtssicherheit und Vertrauen allmählich verloren gehen“. Die illegal bereits praktizierte heimliche Online-Durch­suchung von privaten Computern via Internet ohne jeglichen Straftatverdacht sei eine kaum kontrollierbare Maßnahme mit höchster Eingriffsintensität, die auch Unverdächtige nicht verschone; die geplante längerfristige Zwangsspeicherung von Telekommunikationsdaten aller Nutzer auf Vorrat, um sie für Sicherheitsbehörden zugänglich zu halten, verstoße gegen den Verfassungsgrund­satz der Verhältnismäßigkeit und berge eine hohe Missbrauchsgefahr; die Einrichtung von Referenzdateien mit biometrischen Daten und deren Nutzung für Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung und Prävention bedeute eine erken­nungsdienstliche Erfassung der gesamten Bevölkerung auf Vorrat und führe zu einer verfassungswidrigen Überwachungsstruktur.

„Hier werden schwere Schläge gegen die informatio­nelle Selbstbestimmung mit systemsprengender Wirkung geplant“, kritisiert Liga-Präsident Gössner; damit betreibe die Große Koalition „eine Politik des Generalverdachts gegen die eigene Bevölkerung, nachdem wir mit dieser Art von Terrorismusbekämpfung und im Namen der Sicherheit schon seit Jahren einen Ausverkauf an Freiheitsrechten erleben.“ So sei „im Zuge einer maßlosen Präventionsstrategie die von Schäuble für erledigt erklärte Unschuldsvermutung tatsächlich in weiten Teilen längst entsorgt und man scheue sich auch hierzulande nicht mehr, Aussagen zu nutzen, die anderswo unter Folter erpresst worden sind“.

Rolf Gössner warnt vor weiteren verfassungswidrigen Gesetzen und Strukturveränderungen, wie sie etwa mit dem von Schäuble geplanten Einsatz der Bundeswehr im Innern vorgesehen sind: „Mit Nachdruck ist daran zu erinnern, dass Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den letzten Jahren mehrfach Gesetze und Maßnahmen für verfassungs- oder gesetzeswidrig erklären mussten, weil sie nicht den Grundsätzen der freiheitlich-demo­kratischen Grundordnung entsprachen.“ Gössner erinnert an den Großen Lauschangriff mit elektronischen Wanzen in und aus Wohnungen (2004), an die präventive Telekommunikationsüberwachung (2005), die Überwachungsbefugnisse des Zollkriminalamtes (2004), den Europäischen Haftbefehl (2005), den Fluggast-Daten­transfer an US-Sicherheitsbehör­den (2006), die Befugnis zum präventiven Abschuss eines gekaperten Passagierflugzeugs durch das Militär im Luftsicherheitsgesetz (2006) – eine staatliche Lizenz zur gezielten Tötung von unschuldigen Menschen. Auch die exzessiven Rasterfahndungen nach „islamistischen Schläfern“ (2006) sind für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig erklärt worden – ebenso wie Wohnungsdurchsuchungen bei Journalisten; 2007 hat der Bundesgerichtshof die heimliche Online-Durchsu­chung von Computern für illegal erklärt – und trotzdem werden sie in der Praxis durchgeführt.

„Die Gerichte rügen eindrücklich die besorgniserregende Tatsache, dass Regierungen und Parlamente in diesen Fällen pflichtvergessen unveräußerliche Grund- und Bürgerrechte, die Menschenwürde und den Kern privater Lebensgestaltung einer vermeintlichen Sicherheit geopfert haben“, betonte Gössner. „Es handelt sich um deutliche Mahnungen, den liberal-demokra­tischen Rechtsstaat auch in Zeiten terroristischer Bedrohungen nicht abstrakten und letztlich unhaltbaren Sicherheitsversprechen zu opfern.“

Diese hohe Anzahl verfassungswidriger Gesetze und Maßnahmen, aber auch die deutsche Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak, verweisen nach Auffassung der Liga „auf ein Verfassungs- und Völkerrechtsbewusstsein in der politischen Klasse, in Parteien, Parlamenten und in mancher Sicherheitsbehörde, das im Zuge der Terrorismusbekämpfung immer mehr zu schwinden scheint – strenggenommen ein Fall für den Verfassungsschutz. Wer so leichtfertig mit Völkerrecht, Grundgesetz und Bürgerrechten umgeht und trotz der gerichtlichen Verwarnungen so weiter macht, muss sich gefallen lassen, als Sicherheitsrisiko bezeichnet und der vorsätzlichen Wiederholungstäterschaft bezichtigt zu werden. Solche ‚Sicherheitspolitiker’ sind nicht länger tragbar,“ sagte Rolf Gössner heute in Bremen.

 

Aktueller Hinweis:

Mit dem Buch >MENSCHENRECHTE IN ZEITEN DES TERRORS< wird erstmals das ganze Ausmaß der staatlichen Terrorismusbekämpfung seit 2001 mitsamt ihren fatalen Auswirkungen auf Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat in der Bundesrepublik herausgearbeitet und mit zahlreichen Fallbeispielen anschaulich dargestellt. Das Buch liefert auch den rechtspolitischen und bürgerrechtlichen Hintergrund für die aktuelle Debatte um die neuesten Überwachungspläne und zur „schönen neuen Welt“ des Dr. Schäuble.

 

Rolf Gössner

MENSCHENRECHTE IN ZEITEN DES TERRORS

Kollateralschäden an der „Heimatfront“

288 Seiten, € 17,--. Konkret Literatur Verlag, Hamburg, Mai 2007

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kommt es weltweit zu gravierenden Men­schenrechtsverletzungen – nicht allein durch Terrorakte, sondern durch die weltweite Terrorismusbekämpfung.  Auch in der Bundesrepublik übertrafen sich nach den Terroranschlägen von New York, Madrid und London Parteien und Sicherheitspolitiker gegenseitig mit Gesetzesvorschlägen, die der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dienen sollen, mit Sicherheit aber ihre Freiheitsrechte einschränken. Rolf Gössner analysiert und kommentiert kritisch die bundesdeutsche „Antiterror“-Politik und deckt die oft skandalösen Kollateralschäden an der „Heimatfront“ auf.

Das Buch ist ab 2. Mai 2007 über den Buchhandel zu beziehen.

Der Autor steht für Interviews und Veranstaltungen zum Thema des Buches zur Verfügung (rolf-goessner@ilmr.de) bis 27.04., 11 h und ab 2.05.2005.

Besprechungsexemplare über: info@konkret-literatur-verlag.de