Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen
und Antifaschisten
- VVN-BdA -

Bremen

 

 Januar 2004


Aufschlussreiches zur Spitzelei


Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, Vorsitzender der Internationalen Liga für Menschenrechte, widmet sich  mit seinen Arbeiten immer wieder kritisch der Situation und Entwicklung der Menschenrechte in der Bundesrepublik. Er gilt als profunder Kenner der bundesdeutschen Geheimdienste und ist seit langem parlamentarischer Berater und Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren auf Landes- und Bundesebene.

Bundesdeutsche Geheimdienste, so wird behauptet, unterschieden sich vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR dadurch, dass sie in einer Demokratie agierten und parlamentarisch kontrollierbar wären. In seinem neuen Buch: "Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates" weist Gössner die Absurdität dieser Phrase von parlamentarischer Kontrolle nach. Beispielhaft legt er üble Machenschaften von Verfassungsschutzbehörden und ihren so genannten Vertrauensleuten (V-Leuten) offen. Das Buch ist insofern bemerkenswert, als es mit exakt recherchierten Fallstudien beweist, wie Rechtsextremisten und Neonazis durch den Verfassungsschutz und mit ihm wirksam werden. Da ist u.a. von einem V-Mann die Rede, der wegen versuchten Mordes vor eindeutig rechtsextremistischem Hintergrund verurteilt worden war und sich in der Haft dem Verfassungsschutz andiente. Die Verfassungsschützer bauten den Verbrecher als Spitzel auf und nutzten ihn. Bereits zwei Jahre nach der Verurteilung zu achtjähriger Haftstrafe in den offenen Vollzug übernommen, wurde ein Drittel seiner Strafe auf Bewährung ausgesetzt. Und er bekam dazu noch monatlich zwischen 1.000 und 1.500 Mark von seinen Auftraggebern im Verfassungsschutz. Mit weiteren Beispielen beschreibt Gössner wie äußerst umtriebige Rechtsextremisten und Neonazis, übelste Kriminelle fast alle, in Dienst gestellt wurden und schließlich als Ideengeber, Organisatoren, Anstifter, Aktivisten in der Szene wirkten. Seinen Fallstudien gibt Gössner eine aufschlussreiche Sammlung von Einzelbeispielen bei. Vielen Details wendet er sich zu, um zu resümieren, dass die Inanspruchnahme von V-Leuten eine der unzuverlässigsten und rechtlich fragwürdigsten Form der Nachrichtenbeschaffung darstellt.

Damit erreicht der Autor einen sensiblen Bereich. Gegenstand seines Buches ist die Untersuchung allein des V-Mann Einsatzes durch den Verfassungsschutz im rechtextremistischen und neonazistischen Spektrum. Das ist ohne Einschränkung legitim. Der Leser denkt aber daran, dass das nicht alleiniges Betätigungsfeld der Schlapphüte ist. Es gibt z.B. die Linken, die Antifaschisten, Autonome und die Sicherheitsüberprüfungen, die Spionageabwehr und die Terrorabwehr usw. Schließlich dürften alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens von V-Leuten "betreut" werden. Und: Gössner untersucht einen Dienst. Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst, Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter, Staatschutzabteilungen werben ebenfalls V-Leute und bringen Verdeckte Ermittler zum Einsatz. Alle die werden nicht Spitzel genannt, denn dieser Begriff ist allein für Inoffizielle Mitarbeiter des MfS der DDR im Bereich der Abwehr reserviert. Allerdings organisierten die keine neonazistischen Exzesse und in der Regel bekamen sie keine monatlichen Zuwendungen.


Warum Gössner Linken und Antifaschisten unterstellt, populistisch nach dem "starken Staat" zu rufen, "wenn es denn um den Kampf gegen Rechtsradikalismus und neonazistische Gewalt geht", bleibt unklar, weil gerade sie es sind, die das Grundgesetz achten und durchgesetzt wissen möchten [Art. 1(2), Art. 9(2), Art. 139 u.a.]. Und Gössner müsste wissen, dass mit der Losung "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" keineswegs dem Gesinnungsstrafrecht das Wort geredet wird. Antifaschisten können nicht akzeptieren, dass neofaschistische Entwicklungen von Verfassungsrichtern als missliebige Meinungen abgetan werden. Gerade sie sind es, die die breite gesellschaftliche Auseinandersetzung zu Rechtsextremismus und Neonazismus fordern und fördern. Deshalb werden sie übrigens in Verfassungsschutzberichten in die linksextremistische Ecke gedrängt und angeprangert. Dennoch und vielleicht gerade wegen dieser Einwände: Ein empfehlenswertes Buch!


Gössner, Rolf: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates. Knaur Taschenbuch, München 2003. ISBN 3- 426-77684-7. 12,90 Euro

Gerhard Hoffmann