BREMER NACHRICHTEN
25.10.2003
|
|
„Eine Mogelpackung verschmutzter Beweise“
Der Bremer Geheimdienst-Experte Rolf Gössner
analysiert in seinem neuesten Buch die Verstrickung
des Verfassungsschutzes in die rechte Szene
Von
unserem Redakteur
Ben
Zimmermann
Bremen. Michael Grube
ist einer von der ganz üblen Sorte. Der junge Mann aus Wismar – ein rechter
Schläger – überfiel mit einigen Skinheads Jugendliche auf einem Zeltplatz in
Mecklenburg-Vorpommern, prügelte und trat einen Gleichgesinnten fast zu Tode,
gründete mit einigen Kumpanen eine rechtsextreme Partei (weil ihm die NPD „zu
lasch“ war) und beteiligte sich schließlich an vorderster Front an einem
Brandanschlag auf eine Pizzeria. Bei dieser letzten Aktion war allerdings
nicht nur dumpfer Ausländerhass das Motiv: Grube hatte Angst, enttarnt zu
werden – als „Vertrauensmann“ (V-Mann) des Verfassungsschutzes, Deckname
„Martin“.
Der junge
Rechtsradikale ist nur einer von vielen dubiosen Spionen, die für den Verfassungsschutz
arbeiten, wie Rolf Gössner in seinem jüngst erschienenen Buch „Geheime
Informanten“ beschreibt. Der Bremer Rechtsanwalt, Publizist und Geheimdienst-Experte
hat sich auf knapp 300 Seiten der oft unseligen Verbindung zwischen den
Schlapphüten und Mitgliedern der rechten Szene angenommen. Die Beispiele, die
er liefert und ausführlich dokumentiert, sind oft erschütternd: Ausgerechnet
schwerkriminelle und unverbesserliche Neonazis sollen den braunen Sumpf ausspionieren
und dem Verfassungsschutz Einblicke in das Innenleben der rechten
Organisationen liefern. Für Gössner ein Unding: „Über den bezahlten Geheimagenten
ist der Verfassungsschutz Teil des Neonazi-Problems geworden, nicht ansatzweise
dessen Lösung“, lautet deshalb sein vernichtendes Fazit.
Gerade das
gescheiterte NPD-Verbotsverfahren scheint dem Autor Recht zu geben. Weil nach
und nach immer mehr V-Leute in Führungspositionen der Partei enttarnt wurden,
zog das Bundesverfassungsgericht die Notbremse. Das Verfahren wurde eingestellt.
Begründung: Es ist nicht auszuschließen, dass der Geheimdienst mit seinen
Spitzeln selbst großen Einfluss auf die Organisation und ihr rechtsextremes
Auftreten genommen hat. Mit anderen Worten: Der Verfassungsschutz könnte die
Beweise, Dank derer die Partei verboten werden sollte, selbst produziert
haben. Für Gössner steckt die Behörde deshalb „knietief im braunen Sumpf“ und
legte eine „Mogelpackung verschmutzter Beweise vor“.
Der Autor,
der sich seit vielen Jahren mit der Thematik beschäftigt, hat das drohende
Unheil deshalb nach eigenen Angaben schon länger gesehen. Das Verbotsverfahren
und das Wirken des Verfassungsschutzes in der NPD seien miteinander „nicht
kompatibel“, erklärt er im Gespräch mit den „Bremer Nachrichten“. Gössners
Begründung klingt plausibel: Da die V-Mann-Identitäten geschützt werden
müssten, hätte sich mehr oder weniger ein Prozess im stillen Kämmerlein
entwickelt. Doch ein Parteiverbotsverfahren, letztlich die ultima ratio in
der Demokratie, darf kein Geheimprozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit
werden. Das Verfahren musste also zwangsläufig gegen die Wand fahren.
Über
akribisch dokumentierte Fallbeispiele und die Beschreibung der Wirkmechanismen
des Verfassungsschutzes kommt Gössner schließlich zu seinem Urteil: Der Einsatz
von V-Leuten hat der Justiz und der Demokratie einen Bärendienst erwiesen. Über
diese dubiosen Gestalten der rechten Szene, die für Geld ihre „Kameraden“ ausspionieren
sollen, hat sich der Geheimdienst selbst in die braune Szene verstrickt. Zu
einigen schlimmen Straftaten hat er sogar offenbar seine Informanten selbst
aufgestachelt. Gemeinhin nennt man so etwas „den Teufel mit dem Beelzebub
austreiben“.
Gössner
schildert auch besonders perfide Vorgehensweisen beim Anwerben der Spitzel:
Da werden junge Leute massiv unter Druck gesetzt, ja man scheut sich nicht einmal
davor, Aussteigewillige von ihrem – eigentlich doch zu unterstützenden –
Vorhaben abzuhalten. Ganz zu schweigen von dem Spitzellohn (und damit öffentlichen
Geldern), den viele Rechtsextremisten wieder der Szene zukommen lassen, sowie
den Schicksalen derjenigen, die als enttarnte und fallen gelassene Spione um
ihr Leben fürchten müssen.
Dazu kommt
die kaum auflösbare Frage, ob V-Leute berechtigt sind, Straftaten zu begehen,
um eben nicht als Spitzel enttarnt zu werden. Eigentlich dürfen sie es nicht,
doch in der Praxis ist dies oft nicht mehr als ein frommer Wunsch. Und weil
der Verfassungsschutz auch mal ein Auge zudrückt, bekommt am Ende der Täter
unter Umständen sogar noch einen Strafrabatt: Das „unverantwortliche und
nicht nachvollziehbare Verhalten“ des Brandenburger Verfassungsschutzes,
urteilt das Berliner Landgericht im Fall eines Neonazis in Diensten der
Geheimen, musste strafmildernd berücksichtigt werden. Der Angeklagte habe die
schwerwiegenden Straftaten „jeweils mit Wissen und Billigung“ der Behörde
begangen. Eine schallende Ohrfeige für den Verfassungsschutz.
Doch was
wäre die Alternative zu den V-Leuten? Wie kann man gegen das rechtsradikale
Unwesen vorgehen? Für den Buchautor gibt es viele Quellen, die Aufschluss geben
können. So liefern beispielsweise Aussteiger sehr nützliche Hinweise. Auch
polizeiliche Ermittlungsarbeit und Observationen oder die Analyse der braunen
Machenschaften durch wissenschaftliche Institute seien probate Mittel. In
jedem Fall, so Gössner, müsse man sich damit öffentlich auseinander setzen.
Das Wirken der V-Leute jedenfalls habe nicht nur kaum genützt – es habe vor
allem großen Schaden angerichtet.
Rolf
Gössner: „Geheime Informanten – V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle
im Dienst des Staates“; Knaur Taschenbuch, 12,90 Euro
|