FRANKFURTER RUNDSCHAU v. 27.03.2007
Verbrannt in einer Zelle
Prozess gegen Polizisten
Berlin
- Vor mehr als zwei Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle
in Dessau. Die genauen Umstände des grausamen Todes sind bis heute ungeklärt.
Vom heutigen Dienstag an wird sich die 6. Große Strafkammer des Landgerichts
Dessau mit dem Fall befassen. Auf der Anklagebank: zwei Polizisten. Die Staatsanwaltschaft
wirft ihnen fahrlässige Tötung vor. Andere sprechen von Mord.
Der aus Guinea stammende
Jalloh war am Morgen des 7. Januar 2005 betrunken auf der Straße aufgegriffen
und in Polizeigewahrsam gebracht worden. Da er sich heftig wehrte, wurde er an
Händen und Füßen an eine Pritsche gefesselt und trotz seines Zustandes
unbewacht zurückgelassen. Gegen Mittag desselben Tages brach in der Zelle Feuer
aus. Der Mann verbrannte qualvoll.
Nach Darstellung der
Ankläger soll es Jalloh selbst trotz der Fesseln gelungen sein, ein Feuerzeug
aus seiner Hose zu holen, ein Loch in die kunstlederne Matratze zu bohren und
den darin befindlichen Schaumstoff zu entzünden. Gleichwohl trügen der Polizeibeamte
Hans-Ulrich M. und der Dienstgruppenleiter Andreas S. Mitschuld am Tod des
Asylbewerbers. M. habe bei der Durchsuchung Jallohs dessen Feuerzeug übersehen.
S. soll den mehrfach ausgelösten Feueralarm minutenlang ignoriert haben. Bei
einer sofortigen Reaktion, so die Anklageschrift, "hätte er Ouri Jalloh
das Leben retten können."
Der Nebenklagevertreter
Ulrich von Klinggräff bezeichnete diese Darstellung am Montag als "reine
Hypothese". Es seien auch "gänzlich andere Geschehensabläufe denkbar".
Er hoffe, das Gericht werde die "Kette von Unwahrscheinlichkeiten"
genau beleuchten. Der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte,
Rolf Gössner, ging noch weiter: Manches spräche für "Mord aus
rassistischen Motiven". Der Fall werfe mehr Fragen als Antworten auf.
So ist etwa rätselhaft,
wieso Jalloh - der offiziell 23, vermutlich aber 35 Jahre alt war - nicht ärztlich
betreut wurde, obwohl er fast drei Promille Alkohol im Blut hatte. Ungeklärt
ist, woher der Nasenbeinbruch stammt, der posthum bei dem Mann festgestellt
wurde. Strittig ist nach wie vor, ob ein Gefesselter das Feuer wirklich hätte
legen können. Auch die ungewöhnlich lange Weigerung des Gerichts, die Anklage
gegen die Polizisten zuzulassen, hat Menschenrechtler alarmiert. Für den nun
beginnenden Prozess hat sich eine internationale Delegation von Beobachtern aus
Frankreich, Großbritannien, Südafrika und Deutschland angekündigt. Außerordentlich
ernst nimmt man den Fall offenbar auch in Dessau: Dort wurden alle anderen
Verfahren in dieser Woche ausgesetzt. Jörg
Schindler
In dem Artikel "Verbrannt in einer Zelle"
vom 27. März haben wir den Präsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte,
Rolf Gössner, falsch wiedergegeben. Gössner sagte hinsichtlich des
Prozesses um den Verbrennungstod eines Asylbewerbers in Dessau nicht:
"Manches" spreche für "Mord aus rassistischen Motiven". Das
korrekte Zitat lautet: "Manche sehen darin Anzeichen für Mord aus
rassistischen Motiven". Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. Fr
AUS DESSAU MICHAEL BARTSCH
Mariama Djombo Jalloh, die Mutter des in einer
Dessauer Polizeizelle verbrannten Afrikaners Oury Jalloh, brach während der
Verhandlung plötzlich schluchzend zusammen. Vertreter der Nebenklage und ihr
ebenfalls am Prozess teilnehmender zweiter Sohn trösteten sie. Abgesehen von
den festungsartigen Sicherungsmaßnahmen war dies das spektakulärste Ereignis
eines ansonsten ruhigen Prozessauftaktes. Der erste Hauptverhandlungstag am
Landgericht Dessau erhellte die mysteriösen Todesumstände des Asylbewerbers aus
Sierra Leone kaum.
Angeklagt sind zwei Beamte eines Dessauer
Polizeireviers. Die von Oberstaatsanwalt Christian Preißner verlesene Anklage
wirft Hans-Ulrich M. fahrlässige Tötung vor. Er soll den Afrikaner nach der
Inhaftierung nicht gründlich genug durchsucht haben, so dass dieser
möglicherweise ein Feuerzeug in seine Zelle geschmuggelt haben könnte. Seinem
vorgesetzten Dienstgruppenleiter Andreas S. wird Körperverletzung mit
Todesfolge zur Last gelegt. Der Polizeihauptkommissar soll trotz Feueralarm
nicht unverzüglich reagiert haben. Durch seine Nachlässigkeit habe er den Tod
des Asylbewerbers billigend in Kauf genommen, sagte Preißner.
Oury Jalloh war am Morgen des 7.Januar 2005 in
stark alkoholisiertem Zustand von einem Streifenwagen aufgegriffen worden,
nachdem Frauen die Polizei um Hilfe gerufen hatten. Er soll sie angeblich
belästigt haben. Auf dem Revier sollte er bis zur Feststellung seiner Identität
und zu seinem "Eigenschutz" festgehalten werden. Nach
übereinstimmenden Zeugenangaben wehrte er sich heftig und wurde schließlich an
Händen und Füßen gefesselt auf eine Pritsche einer Zelle im Keller des Hauses gelegt.
Regelmäßige Kontrollen erbrachten außer Geräuschen aus der Abhöranlage und bis
zum Anschlagen der Warnsysteme zunächst nichts Verdächtiges. Hans-Ulrich M.
wollte über eine vorbereitete Erklärung hinaus eigentlich nichts zur Sache aussagen,
beantwortete dann aber doch zahlreiche Fragen. Er bestritt den Vorwurf der
Anklage und schilderte die seiner Meinung nach gründliche Durchsuchung.
"Ein Feuerzeug hätte ich mit Sicherheit gespürt!" Möglicherweise
könne der Afrikaner ein Feuerzeug, mit dem er seine Matratze entzündet haben
könnte, auch im Revier gefunden haben.
Der damalige Dienstgruppenleiter Andreas S.
bedauerte eingangs das Geschehen vom Januar 2005 und dass es ihm "nicht vergönnt
war, das Leben von Oury Jalloh zu retten". Für sich konnte er jedoch kein
pflichtwidriges Verhalten erkennen. Über die Abhöranlage seien zwar ständig Geräusche
wie Klappern, Schreien und Schimpfen des Inhaftierten und ein
"Plätschern" zu hören gewesen. Das hätten er und eine Kollegin für
einen Wasserschaden gehalten, der vielleicht auch den Rauchmelder kurzgeschlossen
haben könnte. Er habe dann lediglich das akustische Signal abgestellt und nach
seinem Empfinden unverzüglich nachgesehen.
Wie konnte in der Zelle mit einer feuerfesten
Matratze überhaupt ein Brand ausbrechen? Diese Kernfrage des Geschehens blieb
völlig offen. Auch die Herkunft der bei der Obduktion des Toten festgestellten
weiteren Verletzungen bleibt offen. Die beiden Polizisten enthüllten mit ihren
Aussagen eher fragwürdige Allgemeinzustände im Polizeirevier. Eine Einweisung
für die nur teilweise funktionstüchtigen Brandmelder gab es nicht, ebenso wenig
einen Lageplan für Feuerlöscher, die nach Entdeckung des Brandes erst gesucht
werden mussten. Eine Anweisung des Polizeipräsidiums, nach der eine
Leibesvisitation nur bei Verdacht auf schwere Straftaten nötig sei, war später
nicht mehr auffindbar.
Die Nebenklage, die die Verwandten des Opfers vertritt,
vermutet latenten Rassismus bei den Polizisten, der ihre Nachlässigkeit
begünstigt haben könnte. Plakate der etwa zwanzig Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude
sahen sogar die "Dessauer Polizei vor Gericht". Doch dafür lieferte
der erste Prozesstag keine Anhaltspunkte. Auch Prozessbeobachter Rolf Gössner
von der Internationalen Liga für Menschenrechte konnte solche nicht erkennen.
Wegen zusätzlicher Zeugenvernehmungen wird die Urteilsverkündung für die zweite
Maiwoche erwartet.
taz Nr. 8237 vom 28.3.2007, Seite 5, 141
TAZ-Bericht MICHAEL BARTSCH
Heute
beginnt vor dem Landgericht Dessau ein Strafverfahren gegen zwei Polizisten.
Ihnen wird vorgeworfen, Verantwortung zu tragen für den qualvollen Feuertod eines Asylbewerbers, der in einer Zelle eingesessen
hat - Oury Jalloh befand sich in Polizeigewahrsam, weil er schwer betrunken war
und randaliert haben soll. Die Polizisten haben den 21jährigen Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone auf
ein Bett gefesselt. Dann - so stellt es sich bisher dar - soll der Mann
angeblich mit den Feuerzeug gezündelt haben, die Matratze
ist in Brand geraten, der Mann verbrannt. Den Beamten wird vorgeworfen,
Feuermelder missachtet zu haben und zu spät zu Hilfe geeilt zu sein. Einem Beamten wird vorgeworfen, bei der
Durchsuchung das Feuerzeug übersehen zu haben. Die
Anklage lautet auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge.
Der Fall hat international für Aufsehen gesorgt. Zum
Prozessbeginn, haben sich zahhlreiche Journalisten und Menschenrechtsgruppen,
die den Prozess beobachten wollen, angemeldet.
Fragen
an Dr. Rolf GÖSSNER, er ist Prozessbeobachter der Internationalen Liga
für Menschenrechte und von PRO
ASYL.
EPD -Sozial 1.06.2007
Internationale
Beobachter beim Dessauer Prozess
Liga: Soziale Randgruppen werden im Polizeigewahrsam
immer wieder schwer verletzt =
Berlin/Dessau (epd).
Internationale Aufmerksamkeit findet ein Prozess vor dem Landgericht Dessau, in
dem zwei Polizeibeamte der fahrlässigen Tötung und unterlassenen Hilfeleistung
mit Todesfolge angeklagt sind. Am 7. Januar 2005 verbrannte der 21-jährige
Asylbewerber Oury Jalloh in Zelle 5 des Polizeigewahrsams in Dessau bei
lebendigem Leib.
Der Raum war
gekachelt, die Matratze, auf der Jalloh an Händen und Füßen fixiert war, war
aus schwer entflammbarem Material. Die Dienst habenden Polizeibeamten haben die
Sprechverbindung in die Zelle leise gedreht, als Jalloh schrie. Als der
Brandmelder anschlug, stellten sie ihn ab, weil er schon häufiger Fehlalarm
gegeben hätte.
Rolf Gössner,
Präsident der Internationalen Liga der Menschenrechte, beobachtet den Prozess
mit Teilnehmern aus Frankreich, Großbritannien und Südafrika sowie dem
Flüchtlingsverbund Pro Asyl. "Wir messen dem Prozess deshalb so große
Bedeutung bei", sagte Gössner auf einer Pressekonferenz am 26. März 2007,
"weil es immer wieder vorkommt, dass Angehörige sozialer Randgruppen,
darunter zahlreiche Migranten, Flüchtlinge, Schwarze, in Polizeigewahrsam
schwer verletzt werden oder gar ums Leben kommen."
Der Justiz solle
signalisiert werden, dass die gerichtlichen Vorgänge in der Öffentlichkeit kritisch
diskutiert werden, betonten Gössner und Bernd Mesovic von Pro Asyl.
Bei ihren Ermittlungen
habe die Staatsanwaltschaft gravierende Widersprüche ignoriert und sich schon
frühzeitig auf die Version der Angeklagten festgelegt, kritisiert Gössner. Die
Angeklagten sagten, dass sich der Afrikaner aus Sierra Leone mit einem Feuerzeug
selbst entzündet haben müsse, das bei seiner Einlieferung trotz intensiver
Personenkontrolle offenbar übersehen worden war. Das Feuerzeug sei nach dem
Brand, bei einer zweiten Durchsuchung der Zelle, gefunden worden. Gehörte der
Afrikaner nicht in ein Krankenhaus, statt in eine Haftzelle?
Die internationalen
Prozessbeobachter stellen vor allem die Frage, ob Jalloh, der mit fast drei
Promille Alkohol im Blut schwer betrunken war, überhaupt in einer Zelle an
allen Vieren hätte gefesselt werden dürfen, ohne ihn ständig zu beaufsichtigen.
Oder wäre es nicht stattdessen angebracht gewesen, den Mann in seinem Zustand
in ein Krankenhaus zu bringen? Die Prozessbeobachter wollen außerdem wissen,
wie Verletzungen von Jalloh, zum Beispiel ein gebrochenes Nasenbein, zu
erklären seien, die bei den Obduktionen festgestellt wurden.
Am 24. Mai war der
zehnte von insgesamt 28 vorgesehenen Prozesstagen. Über zwei Jahre hat es
gedauert, bis die Hauptverhandlung am 27. März 2007 eröffnet wurde.
Die Anwälte der Eltern
und des Bruders von Oury Jalloh, Regina Götz und Ulrich von Klinggräf aus
Berlin, werfen dem Landgericht Dessau Prozessverschleppung vor.
Junge Welt vom 22.08.2007 / Antifa / Seite 15
Am Montag ist der Prozeß gegen zwei Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem Tod des Afrikaners Oury Jalloh vor dem Landgericht Dessau-Roßlau fortgesetzt worden. Unabhängige Sachverständige sind zu dem Schluß gelangt, daß der Afrikaner, der am 7. Januar 2005 in einer Arrestzelle in Dessau verbrannte, noch leben könnte, wenn ihm rechtzeitig geholfen worden wäre.
Seit Ende März müssen sich der damalige und
zwischenzeitlich suspendierte Dienstgruppenleiter und ein weiterer
Polizeibeamter vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem
Vorgesetzten Körperverletzung mit Todesfolge, dem zweiten Polizisten
fahrlässige Tötung – jeweils durch Unterlassen – vor. Die beiden Beamten haben
dies im wesentlichen bestritten. Dabei soll der Dienstgruppenleiter den
Brandmelder aus der Zelle weggedrückt und Jalloh nicht rechtzeitig geholfen
haben. Sein Kollege soll zuvor bei der Durchsuchung des Afrikaners ein
Feuerzeug übersehen haben. Damit soll Jalloh trotz seiner Fesselung die
Matratze, die als feuerfest galt, angezündet haben – doch wie und warum er das
getan haben soll, sind weitere offene Fragen.
Nach Ansicht des Bremer Rechtsanwaltes Rolf
Gössner, der unter anderem mit Vertretern von amnesty international den Prozeß
beobachtet, sind während der Befragung von Zeugen aus den Reihen der Polizei
zahlreiche Erinnerungslücken und eklatante Widersprüche aufgetreten.
Langer Prozess um Feuertod von Oury Jalloh
- viele Fragen offen
Von Petra Buch, dpa =
Dessau-Roßlau (dpa/sa) - Wehrlos, gefesselt an Händen und Füßen,
starb
der Asylbewerber Oury Jalloh am 7. Januar
2005 grauenvoll bei
einem
Brand in der Gewahrsamzelle 5 des Polizeireviers Dessau. Das
Obduktionsergebnis:
Todesursache Hitzeschock. Der Afrikaner aus
Sierra
Leone wurde nur 23 Jahre alt. «Die Umstände seines qualvollen
Feuertodes
und wer dafür die Verantwortung und die Schuld trägt, ist
auch
fünf Monate nach Beginn des international Aufsehen erregenden
Prozesses
ungeklärt», sagt Rolf Gössner, Präsident der
«Internationalen
Liga für Menschenrechte (Berlin)», der auch für «Pro
Asyl»
(Frankfurt/Main), das Verfahren seit Beginn beobachtet.
Angeklagt
sind zwei Dessauer Polizisten.
Sachverständige kamen im Vorfeld zu dem Schluss, der Afrikaner
könnte
noch am Leben sein, wenn ihm rechtzeitig geholfen worden wäre.
Das
Landgericht der neuen Doppelstadt Dessau-Roßlau setzt nach bisher
19
Verhandlungstagen am Montag (20.8.) den Prozess nach dem
Sommerurlaub
fort. «Es sollen eine ganze Reihe weiterer Zeugen
befragt
werden, 14 Verhandlungstage sind zunächst bis zum 15.
November
terminiert», berichtet Gerichtssprecher Frank Straube. Ob
sich
dann der Prozess dem Ende nähert, sei völlig offen.
Seit Ende März müssen sich der damalige und zwischenzeitlich
suspendierte
Dienstgruppenleiter und ein weiterer Polizeibeamter vor
Gericht
verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Vorgesetzten
Körperverletzung
mit Todesfolge, dem zweiten Polizisten fahrlässige
Tötung
- jeweils durch Unterlassen - vor. Die beiden Beamten haben
dies
im Wesentlichen bestritten. So soll der Dienstgruppenleiter den
Brandmelder
aus der Zelle weggedrückt und dem Asylbewerber nicht
rechtzeitig
geholfen haben, sein Kollege soll zuvor bei der
Durchsuchung
des Afrikaners ein Feuerzeug übersehen haben. Damit soll
Jalloh trotz seiner
Fesselung die Matratze, die als feuerfest galt,
angezündet
haben - doch wie und warum er das getan haben soll, sind
weitere
offene Fragen.
Nach Ansicht von Gössner sind während der Befragung von Zeugen aus
den
Reihen der Polizei zahlreiche Erinnerungslücken und eklatante
Widersprüche
aufgetreten. Dem Vorsitzenden Richter der 6. großen
Strafkammer,
Manfred Steinhoff, platzte deshalb regelrecht der
Kragen.
Er kündigte an, der Prozess werde so lange dauern, bis der
Fall
restlos aufgeklärt sei. «Das ist bisher aber keineswegs in
greifbare
Nähe gerückt», sagt Gössner, der selbst Jurist ist.
Richter Steinhoff hatte in seiner Standpauke betont, dass ein
demokratischer
Rechtsstaat nicht damit leben könne, dass
Polizeibeamte
vor Gericht die Unwahrheit sagen und damit auch
Angeklagte
schützen wollen. Sie seien zur Wahrheit gesetzlich und
moralisch
verpflichtet. Auch falsch verstandene Kollegialität lasse
er
nicht zu, so werden Beamte als Zeugen nochmals befragt.
«Ursprünglich
waren nur sechs Verhandlungstage in dem Fall
vorgesehen,
es ist gut, dass nun während der Verhandlung vieles
hinterfragt
wird» meint Marco Steckel, Chef der Beratungsstelle für
Opfer
rechter Gewalt, die eng mit dem multikulturellen Zentrum in
Dessau-Roßlau
zusammenarbeitet.
Er sieht den Prozess als eine «Nagelprobe für den Rechtsstaat in
Sachsen-Anhalt»
und fordert wie auch der Menschenrechtler Gössner
eine
konsequente Aufarbeitung der Geschehnisse innerhalb der Polizei,
auch
im Nachklapp des Prozesses. «Die bisherigen Zeugenvernehmungen
ergeben
ein teilweise erschreckendes Bild von den Zuständen im
Verantwortungsbereich
des Hauptangeklagten Dienstgruppenleiters - man
könnte
auch von organisierter Verantwortungslosigkeit sprechen», sagt
Gössner, der zudem eine
«latent rassistische Motivation» bei den
angeklagten
Polizisten nicht ausschließen mag. Steckel sieht
Rassismus
bei der Polizei als eine «Grauzone» und dies auch im Alltag
der
Polizisten begründet, die mit Kriminalität und auch mit
kriminellen
Ausländern zu tun hätten.
«Wir brauchen mehr Aufklärung, mehr Hintergrundwissen bei der
Polizei
für den Umgang mit Migranten», sagte er. «Polizisten müssen
konkret
selbst erfahren, es gibt auch positive Erlebnisse mit
Ausländern,
es gibt auch andere Migranten, die nicht kriminell sind»,
sagte
Steckel. Ein multikulturelles Fest sei zwar eine gute Sache.
«Das
reicht aber nicht aus». Jalloh war in Gewahrsam genommen
worden,
weil im
Stadtgebiet Ein-Euro-Jobberinnen belästigt haben soll.
dpa pb yysa a3 dh
Dessau-Roßlau.
Im Prozess um den qualvollen Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh vor gut
zweieinhalb Jahren in einer Polizeizelle ist am Landgericht Dessau-Roßlau kein
Ende in Sicht. Der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff kündigte am Montag an,
in dem Verfahren gegen zwei Polizisten voraussichtlich bis Anfang Oktober
etliche weitere Zeugen befragen zu wollen. Am ersten Verhandlungstag nach der
Sommerpause sagte ein Polizist aus, während seines Dienstes am 7. Januar 2005
in dem Dessauer Revier nichts unmittelbar von dem Brand in der Gewahrsamzelle
mitbekommen zu haben. Der an Händen und Füßen gefesselte Afrikaner starb an
diesem Tag an einem Hitzeschock bei dem Feuer im Keller des Gebäudes.
Seit Ende März müssen sich deswegen zwei Polizisten vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft einem zwischenzeitlich suspendierten Dienstgruppenleiter Körperverletzung mit Todesfolge, einem zweiten Polizisten fahrlässige Tötung - jeweils durch Unterlassen - vor. Jalloh soll trotz Fesselung den Brand in der Zelle selbst entfacht haben. Er war von der Polizei in Gewahrsam genommen worden, weil er Frauen belästigt haben soll. |
Die
Internationale Liga für Menschenrechte forderte eine lückenlose Aufklärung des
Falls. Die bisherigen Zeugenvernehmungen hätten teils erschreckende Einblicke
in die Organisation, das Verhalten und die Mentalität im Dessauer Polizeirevier
gebracht, sagte der Präsident der Organisation, Rolf Gössner. Er sprach von
einer „organisierten Verantwortungslosigkeit“, die politische Konsequenzen
haben müsse.
Prozesse/Ausländer/Polizei/
(dpa-Gespräch
- Zusammenfassung 1145)
Berlin (dpa/sa) - Nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle vor gut zweieinhalb Jahren fordern Menschenrechtler weiter mit Nachdruck eine lückenlose Aufklärung des Falls. «Da ist vieles im Detail noch ungeklärt, gerade was die polizeiliche Verantwortung für die menschenunwürdige Behandlung und den grausamen Tod des Migranten in Polizeiobhut betrifft», sagte der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin), Rolf Gössner, am Montag in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa.
«Durch die bisherigen
Zeugenvernehmungen während des Prozesses haben wir zum Teil erschreckende
Einblicke in die Organisation, das Verhalten und die Mentalität innerhalb des
Dessauer Polizeireviers gewonnen», sagte Gössner. «Aus dem Zwischenbefund einer
gewissen organisierten Verantwortungslosigkeit müssen meines Erachtens dringend
politische Konsequenzen gezogen werden, etwa was personelle
Verantwortlichkeiten, Qualität gewahrsamsärztlicher Untersuchungen und
Menschenrechtsbildung anbelangt».
Gössner forderte zudem, strukturelle Missstände bei der Polizei transparent zu machen und Fehlentwicklungen auch mit Hilfe unabhängiger Kontrollinstitutionen wie einem Polizeibeauftragten mit besonderen Kontrollrechten zu begegnen. «Es stellt sich etwa die Frage, ob die Polizei einen stark betrunkenen Menschen ohne ihn zu beaufsichtigen in einer Zelle an allen vier Gliedmaßen fesseln darf», sagte der Menschenrechtler mit Blick auf den Zustand des Asylbewerbers bei seiner Festnahme, «oder ob ein solcher Mensch nicht in medizinische Obhut gehört.»
Seit Ende März müssen sich vor dem Landgericht Dessau-Roßlau zwei Polizisten wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie fahrlässiger Tötung, jeweils durch Unterlassen, verantworten. Sie hatten am fraglichen 7. Januar 2005 im Dessauer Polizeirevier Dienst und sollen mitverantwortlich für den Tod des Afrikaners sein. Dieser soll das Feuer in seiner Zelle trotz Fesselung selbst verursacht haben.