FRANKFURTER RUNDSCHAU v. 27.03.2007

 

Verbrannt in einer Zelle

Prozess gegen Polizisten

 

Berlin - Vor mehr als zwei Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Die genauen Umstände des grausamen Todes sind bis heute ungeklärt. Vom heutigen Dienstag an wird sich die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Dessau mit dem Fall befassen. Auf der Anklagebank: zwei Polizisten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung vor. Andere sprechen von Mord.

Der aus Guinea stammende Jalloh war am Morgen des 7. Januar 2005 betrunken auf der Straße aufgegriffen und in Polizeigewahrsam gebracht worden. Da er sich heftig wehrte, wurde er an Händen und Füßen an eine Pritsche gefesselt und trotz seines Zustandes unbewacht zurückgelassen. Gegen Mittag desselben Tages brach in der Zelle Feuer aus. Der Mann verbrannte qualvoll.

Nach Darstellung der Ankläger soll es Jalloh selbst trotz der Fesseln gelungen sein, ein Feuerzeug aus seiner Hose zu holen, ein Loch in die kunstlederne Matratze zu bohren und den darin befindlichen Schaumstoff zu entzünden. Gleichwohl trügen der Polizeibeamte Hans-Ulrich M. und der Dienstgruppenleiter Andreas S. Mitschuld am Tod des Asylbewerbers. M. habe bei der Durchsuchung Jallohs dessen Feuerzeug übersehen. S. soll den mehrfach ausgelösten Feueralarm minutenlang ignoriert haben. Bei einer sofortigen Reaktion, so die Anklageschrift, "hätte er Ouri Jalloh das Leben retten können."

Der Nebenklagevertreter Ulrich von Klinggräff bezeichnete diese Darstellung am Montag als "reine Hypothese". Es seien auch "gänzlich andere Geschehensabläufe denkbar". Er hoffe, das Gericht werde die "Kette von Unwahrscheinlichkeiten" genau beleuchten. Der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, ging noch weiter: Manches spräche für "Mord aus rassistischen Motiven". Der Fall werfe mehr Fragen als Antworten auf.

So ist etwa rätselhaft, wieso Jalloh - der offiziell 23, vermutlich aber 35 Jahre alt war - nicht ärztlich betreut wurde, obwohl er fast drei Promille Alkohol im Blut hatte. Ungeklärt ist, woher der Nasenbeinbruch stammt, der posthum bei dem Mann festgestellt wurde. Strittig ist nach wie vor, ob ein Gefesselter das Feuer wirklich hätte legen können. Auch die ungewöhnlich lange Weigerung des Gerichts, die Anklage gegen die Polizisten zuzulassen, hat Menschenrechtler alarmiert. Für den nun beginnenden Prozess hat sich eine internationale Delegation von Beobachtern aus Frankreich, Großbritannien, Südafrika und Deutschland angekündigt. Außerordentlich ernst nimmt man den Fall offenbar auch in Dessau: Dort wurden alle anderen Verfahren in dieser Woche ausgesetzt.                                                                                                             Jörg Schindler

 

BERICHTIGUNG
FR vom 31.04.2007

In dem Artikel "Verbrannt in einer Zelle" vom 27. März haben wir den Präsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, falsch wiedergegeben. Gössner sagte hinsichtlich des Prozesses um den Verbrennungstod eines Asylbewerbers in Dessau nicht: "Manches" spreche für "Mord aus rassistischen Motiven". Das korrekte Zitat lautet: "Manche sehen darin Anzeichen für Mord aus rassistischen Motiven". Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. Fr

 

 

die Tageszeitung vom  28.3.2007

 

Mysteriöser Feuertod in Fesseln

Gestern begann der Prozess um den Fall des in einer Polizeizelle gestorbenen Oury Jalloh. Wie konnte der Mann verbrennen? Klar ist: Die Brandmelder funktionierten nur bedingt und nach den Feuerlöschern mussten die Beamten erst eine Weile suchen

AUS DESSAU MICHAEL BARTSCH

Mariama Djombo Jalloh, die Mutter des in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Afrikaners Oury Jalloh, brach während der Verhandlung plötzlich schluchzend zusammen. Vertreter der Nebenklage und ihr ebenfalls am Prozess teilnehmender zweiter Sohn trösteten sie. Abgesehen von den festungsartigen Sicherungsmaßnahmen war dies das spektakulärste Ereignis eines ansonsten ruhigen Prozessauftaktes. Der erste Hauptverhandlungstag am Landgericht Dessau erhellte die mysteriösen Todesumstände des Asylbewerbers aus Sierra Leone kaum.

Angeklagt sind zwei Beamte eines Dessauer Polizeireviers. Die von Oberstaatsanwalt Christian Preißner verlesene Anklage wirft Hans-Ulrich M. fahrlässige Tötung vor. Er soll den Afrikaner nach der Inhaftierung nicht gründlich genug durchsucht haben, so dass dieser möglicherweise ein Feuerzeug in seine Zelle geschmuggelt haben könnte. Seinem vorgesetzten Dienstgruppenleiter Andreas S. wird Körperverletzung mit Todesfolge zur Last gelegt. Der Polizeihauptkommissar soll trotz Feueralarm nicht unverzüglich reagiert haben. Durch seine Nachlässigkeit habe er den Tod des Asylbewerbers billigend in Kauf genommen, sagte Preißner.

Oury Jalloh war am Morgen des 7.Januar 2005 in stark alkoholisiertem Zustand von einem Streifenwagen aufgegriffen worden, nachdem Frauen die Polizei um Hilfe gerufen hatten. Er soll sie angeblich belästigt haben. Auf dem Revier sollte er bis zur Feststellung seiner Identität und zu seinem "Eigenschutz" festgehalten werden. Nach übereinstimmenden Zeugenangaben wehrte er sich heftig und wurde schließlich an Händen und Füßen gefesselt auf eine Pritsche einer Zelle im Keller des Hauses gelegt. Regelmäßige Kontrollen erbrachten außer Geräuschen aus der Abhöranlage und bis zum Anschlagen der Warnsysteme zunächst nichts Verdächtiges. Hans-Ulrich M. wollte über eine vorbereitete Erklärung hinaus eigentlich nichts zur Sache aussagen, beantwortete dann aber doch zahlreiche Fragen. Er bestritt den Vorwurf der Anklage und schilderte die seiner Meinung nach gründliche Durchsuchung. "Ein Feuerzeug hätte ich mit Sicherheit gespürt!" Möglicherweise könne der Afrikaner ein Feuerzeug, mit dem er seine Matratze entzündet haben könnte, auch im Revier gefunden haben.

Der damalige Dienstgruppenleiter Andreas S. bedauerte eingangs das Geschehen vom Januar 2005 und dass es ihm "nicht vergönnt war, das Leben von Oury Jalloh zu retten". Für sich konnte er jedoch kein pflichtwidriges Verhalten erkennen. Über die Abhöranlage seien zwar ständig Geräusche wie Klappern, Schreien und Schimpfen des Inhaftierten und ein "Plätschern" zu hören gewesen. Das hätten er und eine Kollegin für einen Wasserschaden gehalten, der vielleicht auch den Rauchmelder kurzgeschlossen haben könnte. Er habe dann lediglich das akustische Signal abgestellt und nach seinem Empfinden unverzüglich nachgesehen.

Wie konnte in der Zelle mit einer feuerfesten Matratze überhaupt ein Brand ausbrechen? Diese Kernfrage des Geschehens blieb völlig offen. Auch die Herkunft der bei der Obduktion des Toten festgestellten weiteren Verletzungen bleibt offen. Die beiden Polizisten enthüllten mit ihren Aussagen eher fragwürdige Allgemeinzustände im Polizeirevier. Eine Einweisung für die nur teilweise funktionstüchtigen Brandmelder gab es nicht, ebenso wenig einen Lageplan für Feuerlöscher, die nach Entdeckung des Brandes erst gesucht werden mussten. Eine Anweisung des Polizeipräsidiums, nach der eine Leibesvisitation nur bei Verdacht auf schwere Straftaten nötig sei, war später nicht mehr auffindbar.

Die Nebenklage, die die Verwandten des Opfers vertritt, vermutet latenten Rassismus bei den Polizisten, der ihre Nachlässigkeit begünstigt haben könnte. Plakate der etwa zwanzig Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude sahen sogar die "Dessauer Polizei vor Gericht". Doch dafür lieferte der erste Prozesstag keine Anhaltspunkte. Auch Prozessbeobachter Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte konnte solche nicht erkennen. Wegen zusätzlicher Zeugenvernehmungen wird die Urteilsverkündung für die zweite Maiwoche erwartet.

taz Nr. 8237 vom 28.3.2007, Seite 5, 141 TAZ-Bericht MICHAEL BARTSCH

 

 

INFORADIO RBB

Interview mit Dr. Rolf Gössner, 27.03.2007, 09:07 Uhr

Tod im Polizeigewahrsam

Heute beginnt vor dem Landgericht Dessau ein Strafverfahren gegen zwei Polizisten. Ihnen wird vorgeworfen, Verantwortung zu tragen für den qualvollen Feuertod eines Asylbewerbers, der in einer Zelle eingesessen hat - Oury Jalloh befand sich in Polizeigewahrsam, weil er schwer betrunken war und randaliert haben soll. Die Polizisten haben den 21jährigen Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone auf ein Bett gefesselt. Dann - so stellt es sich bisher dar - soll der Mann angeblich mit den Feuerzeug gezündelt haben, die Matratze ist in Brand geraten, der Mann verbrannt. Den Beamten wird vorgeworfen, Feuermelder missachtet zu haben und zu spät zu Hilfe geeilt zu sein. Einem Beamten wird vorgeworfen, bei der Durchsuchung das Feuerzeug übersehen zu haben. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge.

Der Fall hat international f
ür Aufsehen gesorgt. Zum Prozessbeginn, haben sich zahhlreiche Journalisten und Menschenrechtsgruppen, die den Prozess beobachten wollen, angemeldet.

Fragen an Dr. Rolf GÖSSNER, er ist Prozessbeobachter der Internationalen Liga für Menschenrechte und von PRO ASYL.

 

EPD -Sozial 1.06.2007

Internationale Beobachter beim Dessauer Prozess

Liga: Soziale Randgruppen werden im Polizeigewahrsam
immer wieder schwer verletzt
=

Berlin/Dessau (epd). Internationale Aufmerksamkeit findet ein Prozess vor dem Landgericht Dessau, in dem zwei Polizeibeamte der fahrlässigen Tötung und unterlassenen Hilfeleistung mit Todesfolge angeklagt sind. Am 7. Januar 2005 verbrannte der 21-jährige Asylbewerber Oury Jalloh in Zelle 5 des Polizeigewahrsams in Dessau bei lebendigem Leib.

Der Raum war gekachelt, die Matratze, auf der Jalloh an Händen und Füßen fixiert war, war aus schwer entflammbarem Material. Die Dienst habenden Polizeibeamten haben die Sprechverbindung in die Zelle leise gedreht, als Jalloh schrie. Als der Brandmelder anschlug, stellten sie ihn ab, weil er schon häufiger Fehlalarm gegeben hätte.

Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga der Menschenrechte, beobachtet den Prozess mit Teilnehmern aus Frankreich, Großbritannien und Südafrika sowie dem Flüchtlingsverbund Pro Asyl. "Wir messen dem Prozess deshalb so große Bedeutung bei", sagte Gössner auf einer Pressekonferenz am 26. März 2007, "weil es immer wieder vorkommt, dass Angehörige sozialer Randgruppen, darunter zahlreiche Migranten, Flüchtlinge, Schwarze, in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder gar ums Leben kommen."

Der Justiz solle signalisiert werden, dass die gerichtlichen Vorgänge in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert werden, betonten Gössner und Bernd Mesovic von Pro Asyl.

Bei ihren Ermittlungen habe die Staatsanwaltschaft gravierende Widersprüche ignoriert und sich schon frühzeitig auf die Version der Angeklagten festgelegt, kritisiert Gössner. Die Angeklagten sagten, dass sich der Afrikaner aus Sierra Leone mit einem Feuerzeug selbst entzündet haben müsse, das bei seiner Einlieferung trotz intensiver Personenkontrolle offenbar übersehen worden war. Das Feuerzeug sei nach dem Brand, bei einer zweiten Durchsuchung der Zelle, gefunden worden. Gehörte der Afrikaner nicht in ein Krankenhaus, statt in eine Haftzelle?

Die internationalen Prozessbeobachter stellen vor allem die Frage, ob Jalloh, der mit fast drei Promille Alkohol im Blut schwer betrunken war, überhaupt in einer Zelle an allen Vieren hätte gefesselt werden dürfen, ohne ihn ständig zu beaufsichtigen. Oder wäre es nicht stattdessen angebracht gewesen, den Mann in seinem Zustand in ein Krankenhaus zu bringen? Die Prozessbeobachter wollen außerdem wissen, wie Verletzungen von Jalloh, zum Beispiel ein gebrochenes Nasenbein, zu erklären seien, die bei den Obduktionen festgestellt wurden.

Am 24. Mai war der zehnte von insgesamt 28 vorgesehenen Prozesstagen. Über zwei Jahre hat es gedauert, bis die Hauptverhandlung am 27. März 2007 eröffnet wurde.

Die Anwälte der Eltern und des Bruders von Oury Jalloh, Regina Götz und Ulrich von Klinggräf aus Berlin, werfen dem Landgericht Dessau Prozessverschleppung vor.

Ingrid Jennert

Junge Welt vom 22.08.2007 / Antifa / Seite 15

Prozeß gegen Polizei im Fall Jalloh fortgesetzt

Sachverständige: Wenn rechtzeitig geholfen worden wäre, könnte er noch leben

Am Montag ist der Prozeß gegen zwei Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem Tod des Afrikaners Oury Jalloh vor dem Landgericht Dessau-Roßlau fortgesetzt worden. Unabhängige Sachverständige sind zu dem Schluß gelangt, daß der Afrikaner, der am 7. Januar 2005 in einer Arrestzelle in Dessau verbrannte, noch leben könnte, wenn ihm rechtzeitig geholfen worden wäre.

Seit Ende März müssen sich der damalige und zwischenzeitlich suspendierte Dienstgruppenleiter und ein weiterer Polizeibeamter vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Vorgesetzten Körperverletzung mit Todesfolge, dem zweiten Polizisten fahrlässige Tötung – jeweils durch Unterlassen – vor. Die beiden Beamten haben dies im wesentlichen bestritten. Dabei soll der Dienstgruppenleiter den Brandmelder aus der Zelle weggedrückt und Jalloh nicht rechtzeitig geholfen haben. Sein Kollege soll zuvor bei der Durchsuchung des Afrikaners ein Feuerzeug übersehen haben. Damit soll Jalloh trotz seiner Fesselung die Matratze, die als feuerfest galt, angezündet haben – doch wie und warum er das getan haben soll, sind weitere offene Fragen.

Nach Ansicht des Bremer Rechtsanwaltes Rolf Gössner, der unter anderem mit Vertretern von amnesty international den Prozeß beobachtet, sind während der Befragung von Zeugen aus den Reihen der Polizei zahlreiche Erinnerungslücken und eklatante Widersprüche aufgetreten.

»Die bisherigen Zeugenvernehmungen ergeben ein teilweise erschreckendes Bild von den Zuständen im Verantwortungsbereich des Hauptangeklagten – man könnte auch von organisierter Verantwortungslosigkeit sprechen«, so Gössner. Eine »latent rassistische Motivation« bei den angeklagten Polizisten sei nicht auszuschließen. Laut Gerichtssprecher Frank Straube sind zunächst 14 weitere Verhandlungstage bis zum 15. November terminiert. (jW)

Langer Prozess um Feuertod von Oury Jalloh
- viele Fragen offen
  

Von Petra Buch, dpa =

Dessau-Roßlau (dpa/sa) - Wehrlos, gefesselt an Händen und Füßen,
starb der Asylbewerber Oury Jalloh am 7. Januar 2005 grauenvoll bei
einem Brand in der Gewahrsamzelle 5 des Polizeireviers Dessau. Das
Obduktionsergebnis: Todesursache Hitzeschock. Der Afrikaner aus
Sierra Leone wurde nur 23 Jahre alt. «Die Umstände seines qualvollen
Feuertodes und wer dafür die Verantwortung und die Schuld trägt, ist
auch fünf Monate nach Beginn des international Aufsehen erregenden
Prozesses ungeklärt», sagt Rolf Gössner, Präsident der
«Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin)», der auch für «Pro
Asyl» (Frankfurt/Main), das Verfahren seit Beginn beobachtet.
Angeklagt sind zwei Dessauer Polizisten.

Sachverständige kamen im Vorfeld zu dem Schluss, der Afrikaner
könnte noch am Leben sein, wenn ihm rechtzeitig geholfen worden wäre.
Das Landgericht der neuen Doppelstadt Dessau-Roßlau setzt nach bisher
19 Verhandlungstagen am Montag (20.8.) den Prozess nach dem
Sommerurlaub fort. «Es sollen eine ganze Reihe weiterer Zeugen
befragt werden, 14 Verhandlungstage sind zunächst bis zum 15.
November terminiert», berichtet Gerichtssprecher Frank Straube. Ob
sich dann der Prozess dem Ende nähert, sei völlig offen.

Seit Ende März müssen sich der damalige und zwischenzeitlich
suspendierte Dienstgruppenleiter und ein weiterer Polizeibeamter vor
Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Vorgesetzten
Körperverletzung mit Todesfolge, dem zweiten Polizisten fahrlässige
Tötung - jeweils durch Unterlassen - vor. Die beiden Beamten haben
dies im Wesentlichen bestritten. So soll der Dienstgruppenleiter den
Brandmelder aus der Zelle weggedrückt und dem Asylbewerber nicht
rechtzeitig geholfen haben, sein Kollege soll zuvor bei der
Durchsuchung des Afrikaners ein Feuerzeug übersehen haben. Damit soll
Jalloh trotz seiner Fesselung die Matratze, die als feuerfest galt,
angezündet haben - doch wie und warum er das getan haben soll, sind
weitere offene Fragen.

Nach Ansicht von Gössner sind während der Befragung von Zeugen aus
den Reihen der Polizei zahlreiche Erinnerungslücken und eklatante
Widersprüche aufgetreten. Dem Vorsitzenden Richter der 6. großen
Strafkammer, Manfred Steinhoff, platzte deshalb regelrecht der
Kragen. Er kündigte an, der Prozess werde so lange dauern, bis der
Fall restlos aufgeklärt sei. «Das ist bisher aber keineswegs in
greifbare Nähe gerückt», sagt Gössner, der selbst Jurist ist.

Richter Steinhoff hatte in seiner Standpauke betont, dass ein
demokratischer Rechtsstaat nicht damit leben könne, dass
Polizeibeamte vor Gericht die Unwahrheit sagen und damit auch
Angeklagte schützen wollen. Sie seien zur Wahrheit gesetzlich und
moralisch verpflichtet. Auch falsch verstandene Kollegialität lasse
er nicht zu, so werden Beamte als Zeugen nochmals befragt.
«Ursprünglich waren nur sechs Verhandlungstage in dem Fall
vorgesehen, es ist gut, dass nun während der Verhandlung vieles
hinterfragt wird» meint Marco Steckel, Chef der Beratungsstelle für
Opfer rechter Gewalt, die eng mit dem multikulturellen Zentrum in
Dessau-Roßlau zusammenarbeitet.

Er sieht den Prozess als eine «Nagelprobe für den Rechtsstaat in
Sachsen-Anhalt» und fordert wie auch der Menschenrechtler Gössner
eine konsequente Aufarbeitung der Geschehnisse innerhalb der Polizei,
auch im Nachklapp des Prozesses. «Die bisherigen Zeugenvernehmungen
ergeben ein teilweise erschreckendes Bild von den Zuständen im
Verantwortungsbereich des Hauptangeklagten Dienstgruppenleiters - man
könnte auch von organisierter Verantwortungslosigkeit sprechen», sagt
Gössner, der zudem eine «latent rassistische Motivation» bei den
angeklagten Polizisten nicht ausschließen mag. Steckel sieht
Rassismus bei der Polizei als eine «Grauzone» und dies auch im Alltag
der Polizisten begründet, die mit Kriminalität und auch mit
kriminellen Ausländern zu tun hätten.

«Wir brauchen mehr Aufklärung, mehr Hintergrundwissen bei der
Polizei für den Umgang mit Migranten», sagte er. «Polizisten müssen
konkret selbst erfahren, es gibt auch positive Erlebnisse mit
Ausländern, es gibt auch andere Migranten, die nicht kriminell sind»,
sagte Steckel. Ein multikulturelles Fest sei zwar eine gute Sache.
«Das reicht aber nicht aus». Jalloh war in Gewahrsam genommen worden,
weil im Stadtgebiet Ein-Euro-Jobberinnen belästigt haben soll.
dpa pb yysa a3 dh 19.Aug 07

Vorerst kein Ende im Jalloh-Prozess in Sicht - Viele Zeugen

Dessau-Roßlau. Im Prozess um den qualvollen Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh vor gut zweieinhalb Jahren in einer Polizeizelle ist am Landgericht Dessau-Roßlau kein Ende in Sicht. Der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff kündigte am Montag an, in dem Verfahren gegen zwei Polizisten voraussichtlich bis Anfang Oktober etliche weitere Zeugen befragen zu wollen. Am ersten Verhandlungstag nach der Sommerpause sagte ein Polizist aus, während seines Dienstes am 7. Januar 2005 in dem Dessauer Revier nichts unmittelbar von dem Brand in der Gewahrsamzelle mitbekommen zu haben. Der an Händen und Füßen gefesselte Afrikaner starb an diesem Tag an einem Hitzeschock bei dem Feuer im Keller des Gebäudes.

Seit Ende März müssen sich deswegen zwei Polizisten vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft einem zwischenzeitlich suspendierten Dienstgruppenleiter Körperverletzung mit Todesfolge, einem zweiten Polizisten fahrlässige Tötung - jeweils durch Unterlassen - vor. Jalloh soll trotz Fesselung den Brand in der Zelle selbst entfacht haben. Er war von der Polizei in Gewahrsam genommen worden, weil er Frauen belästigt haben soll.

Die Internationale Liga für Menschenrechte forderte eine lückenlose Aufklärung des Falls. Die bisherigen Zeugenvernehmungen hätten teils erschreckende Einblicke in die Organisation, das Verhalten und die Mentalität im Dessauer Polizeirevier gebracht, sagte der Präsident der Organisation, Rolf Gössner. Er sprach von einer „organisierten Verantwortungslosigkeit“, die politische Konsequenzen haben müsse. dpa - LVZ-Online vom: Dienstag, 21. August 2007

 

Prozesse/Ausländer/Polizei/
(dpa-Gespräch - Zusammenfassung 1145)

Fall Jalloh: Menschenrechtler fordert Aufklärung und Konsequenzen

Berlin (dpa/sa) - Nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle vor gut zweieinhalb Jahren fordern Menschenrechtler weiter mit Nachdruck eine lückenlose Aufklärung des Falls. «Da ist vieles im Detail noch ungeklärt, gerade was die polizeiliche Verantwortung für die menschenunwürdige Behandlung und den grausamen Tod des Migranten in Polizeiobhut betrifft», sagte der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin), Rolf Gössner, am Montag in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa.

«Durch die bisherigen Zeugenvernehmungen während des Prozesses  haben wir zum Teil erschreckende Einblicke in die Organisation, das Verhalten und die Mentalität innerhalb des Dessauer Polizeireviers gewonnen», sagte Gössner. «Aus dem Zwischenbefund einer gewissen organisierten Verantwortungslosigkeit müssen meines Erachtens dringend politische Konsequenzen gezogen werden, etwa was personelle Verantwortlichkeiten, Qualität gewahrsamsärztlicher Untersuchungen und Menschenrechtsbildung anbelangt».

Gössner forderte zudem, strukturelle Missstände bei der Polizei transparent zu machen und Fehlentwicklungen auch mit Hilfe unabhängiger Kontrollinstitutionen wie einem Polizeibeauftragten mit besonderen Kontrollrechten zu begegnen. «Es stellt sich etwa die Frage, ob die Polizei einen stark betrunkenen Menschen ohne ihn zu beaufsichtigen in einer Zelle an allen vier Gliedmaßen fesseln darf», sagte der Menschenrechtler mit Blick auf den Zustand des Asylbewerbers bei seiner Festnahme, «oder ob ein solcher Mensch nicht in medizinische Obhut gehört.»

Seit Ende März müssen sich vor dem Landgericht Dessau-Roßlau zwei Polizisten wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie fahrlässiger Tötung, jeweils durch Unterlassen, verantworten. Sie hatten am fraglichen 7. Januar 2005 im Dessauer Polizeirevier Dienst und sollen mitverantwortlich für den Tod des Afrikaners sein. Dieser soll das Feuer in seiner Zelle trotz Fesselung selbst verursacht haben.