Rolf Gössner in „FREITAG“ 31.08.2007
Irgendwann fällt jemand um
Feuertod im Polizeigewahrsam: Im Dessauer Strafprozess
gegen zwei Polizeibeamte verwickeln sich die Polizeizeugen in eklatante
Widersprüche
Nach der Sommerpause verhandelt seit letzter Woche
das Landgericht Dessau weiter gegen zwei Polizeibeamte: Vor allem Andreas S.
wird vorgeworfen, für den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich zu
sein, der am 7.1.2005 in einer Arrestzelle der Polizei verbrannte.
Jalloh stammte aus Sierra Leone. Er flüchtete vor
dem Bürgerkrieg und beantragte in Deutschland Asyl. Anfang 2005 griffen ihn
Dessauer Polizisten auf. Jalloh war betrunken und wurde in Gewahrsam genommen,
um seine Identität festzustellen. Weil er angeblich Widerstand leistete,
fesselten sie ihn an Händen und Füßen, fixierten ihn auf einer Matratze der
Arrestzelle Nummer 5 und ließen ihn unbeaufsichtigt. Die Matratze fing Feuer.
Jalloh rief um Hilfe, aber verbrannte in der gekachelten Sicherheitszelle.
Dem Hauptangeklagten Andreas S. wirft die
Staatsanwaltschaft vor, nicht rechtzeitig reagiert zu haben: Er habe die
Gegensprechanlage wegen der starken Geräusche aus der Gewahrsamszelle leise
gestellt, den Brandalarm zweimal weggedrückt und erst auf Drängen einer Kollegin
die Zelle aufgesucht. Unklar ist bis heute, wie die Matratze, die als schwer
entflammbar gilt, überhaupt anfangen konnte zu brennen.
Am zehnten Prozesstag wird es still im Gerichtssaal.
Nur der Richter spricht und zerpflückt die Aussagen einiger Polizeizeugen:
Zumindest einer, sagt der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff, müsse bewusst
falsch ausgesagt haben, um den Hauptangeklagten Andreas S. zu schützen. »Nennen
Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt«, verlangt er vom Angeklagten. »Sie
sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt und wir leben in keiner
Bananenrepublik«, poltert der Richter, der sich längst als »sehr frustriert und
erschüttert« bezeichnet. »Ich werde den Prozess in Grund und Boden verhandeln.
Ich werde notfalls jeden Zeugen zehnmal vorladen. Irgendwann fällt jemand um.«
Die nun erneute Vernehmung des Polizeibeamten
Gerhardt M. dreht sich um die letzte Phase des Verbrennungstodes von Oury Jalloh.
Aufhorchen lässt seine erstmals gemachte Aussage, dass er nach Öffnen der Gewahrsamstür
durch den Angeklagten – trotz des schwarzen Qualms – zwei Schritte in die Zelle
gemacht und Jallohs festgeschnallten Körper gesehen habe. Er habe versucht, die
Matratze zu löschen, was ihm aber nicht gelungen sei. »Das einzige, was geholfen
hätte, wäre gewesen, Jalloh sofort loszumachen.« Jalloh hätte von seinen Hand-
und Fuß-Fesseln befreit werden müssen, aber er habe keine Schlüssel gehabt. Die
hatte der Hauptangeklagte Andreas S., der stets bestritten hatte, dass es
möglich gewesen sei, die Zelle überhaupt zu betreten, da es zu stark gequalmt
habe.
Schon jetzt erlauben die Aussagen der Zeugen einen
erschreckenden Einblick in die Organisation, das Verhalten und die Mentalität
im Dessauer Polizeirevier: Hier lernt man eine Sicherheits- und Ordnungsbehörde
kennen, in der »Sicherheit« offenbar über Menschenwürde und Bürgerrecht
gestellt wird. Man könnte auch von organisierter Verantwortungslosigkeit sprechen.
Da wird ein hoch alkoholisierter Migrant angeblich
nur zur Identitätsfeststellung für gewahrsamstauglich erklärt, an allen vier
Gliedmaßen über Stunden fixiert und angeblich zur eigenen Sicherheit nahezu bewegungsunfähig
gemacht; da wurden trotz gesteigerter Garantenpflicht gegenüber dem Fixierten
Kontrollgänge höchst nachlässig absolviert und beunruhigende Auffälligkeiten
ignoriert, da gab es kaum Schulungen der Polizei, geschweige denn ausreichende
Brandschutzmaßnahmen.
Am Ende geriet die angebliche Eigensicherung des
»Delinquenten« zur ausweglosen Todesfalle und der Sicherheitsgewahrsam zu einer
Todeszelle. Erst nach diesem unglaublichen Vorfall ist die Gewahrsamsordnung
geändert worden: Heute wäre Oury Jalloh in seinem alkoholisierten Zustand nicht
mehr in Gewahrsam genommen, sondern in ein Krankenhaus gebracht und dort
medizinisch betreut worden.
Die Anwälte der Nebenklage –
Regina Götz, Ulrich von Klinggräff und Felix _Isensee –, die Mutter, Vater
und Bruder des Opfers vertreten, verbuchten bereits zu Beginn des Prozesses
einen wichtigen Erfolg: Nun wird auch jener Todesfall in dem Verfahren verhandelt,
der sich 2002 in derselben Zelle des Dessauer Polizeireviers ereignet hatte.
Damals starb ein 36jähriger Obdachloser im
Gewahrsam, in dem er 15 Stunden verbringen musste, davon mehrere unkontrolliert.
Als verantwortlich galt einer der jetzt angeklagten Polizeibeamten und der
Arzt, der auch die »Gewahrsamstauglichkeit« von Oury Jalloh feststellte. Zwar
wurde das Strafermittlungsverfahren damals eingestellt, aber die Frage nach einer
möglichen Pflichtwidrigkeit des betreffenden Angeklagten in jenem Fall kann
auch in diesem Verfahren von großer Bedeutung sein. Es drängen sich jedenfalls
erstaunliche Parallelen auf.
Der Prozess vor dem Landgericht Dessau, der mit
großem Aufwand und mit Sorgfalt geführt wird, hat auch deshalb besondere Bedeutung,
weil es immer wieder vorkommt, dass Obdachlose, Drogenabhängige, Flüchtlinge
und Ausländer in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder sogar ums Leben
kommen; zu oft werden solche Fälle nicht aufgeklärt. Nach einer Studie der
Universität Halle starben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 128 Menschen im
Polizeigewahrsam; dabei hätte jeder zweite Tod verhindert werden können.
Der Prozess gegen Andreas S. läuft seit Ende März; nach bisher 24 Verhandlungstagen sollen noch weitere Zeugen befragt werden, die Verhandlungstage sind bis zum 15. November angesetzt. Ein Ende des Verfahrens ist allerdings nicht in Sicht.
Dr.
Rolf Gössner
ist Rechtsanwalt und beobachtet den Prozess als Präsident der »Internationalen
Liga für Menschenrechte« und im Auftrag der Flüchtlingsorganisation »Pro Asyl«.
31.08.2006