Verbrennungstod
im Polizeigewahrsam vor Gericht
Organisierte
Verantwortungslosigkeit
Im und um
das Landgericht Dessau gilt Sicherheitsstufe 1 – verschärfte Kontrollen, Mannschaftswagen,
Polizisten in Kampfanzügen und mit Hunden prägen das Bild. So gesichert wird
ein Prozess gegen zwei Polizeibeamte, denen Staatsanwaltschaft und Nebenklage
vorwerfen, für den grausamen Verbrennungstod des schwarzen Asylbewerbers Oury
Jalloh verantwortlich zu sein. So viel internationale Aufmerksamkeit hat in
Dessau bislang kein anderer Prozess auf sich gezogen – zumindest am Tag des
Prozessauftakts, am 27. März 2007, erlebte Dessau eine starke Medienpräsenz und
das Landgericht einen großen Zuschauerandrang. Beobachtet wird die Gerichtsverhandlung
von Amnesty International sowie von einer internationalen Prozessbeobachtungsgruppe
mit Teilnehmern aus Südafrika, Großbritannien und Frankreich; aus der Bundesrepublik
sind drei Bürgerrechtsgruppen vertreten: die Internationale Liga für
Menschenrechte, Pro Asyl und das Komitee für Grundrechte und
Demokratie. Diese Prozessbeobachtung soll der Justiz besondere
Aufmerksamkeit signalisieren und dazu beitragen, dass die gerichtlichen
Vorgänge in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert werden – nachdem das
Strafverfahren sich bereits über zwei Jahre lang hingezogen hat.
Die Anklage gegen die
zwei Polizeibeamten lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge durch
Unterlassen und auf fahrlässige Tötung. Der Bürgerkriegsflüchtling Oury Jalloh
aus Sierra Leone war Anfang 2005 in betrunkenem Zustand festgenommen worden und
zum Zweck der Identitätsfeststellung in Polizeigewahrsam geraten. Weil sich
Jalloh gegen diese Behandlung verzweifelt wehrte, fixierten ihn Polizisten in
einer Gewahrsamszelle mit Fesseln an Händen und Füßen, so dass er sich kaum
bewegen konnte, ließen ihn festgeschnallt auf einer Matratze liegend allein in
der Arrestzelle zurück. Nur alle dreißig beziehungsweise vierzig Minuten
schauten Polizeibeamte nach dem Gefesselten. Offenbar zu selten und recht
nachlässig: Denn am 7. Januar 2005 verbrannte Jalloh auf der schwer
entflammbaren Matratze in der Sicherheitszelle bei lebendigem Leib. Trotz
ungewöhnlicher Geräusche und Schreie, die über eine Gegensprechanlage vernehmbar
waren, trotz Alarmzeichen der Rauch- und Feuermelder reagierten die
verantwortlichen Beamten nicht rechtzeitig. Erst als die Zelle voll beißenden
Qualms und die Leiche des qualvoll Verbrannten fast schon verkohlt war,
bequemte sich einer der Angeklagten, wie es in der Anklageschrift heißt, nach
dem „Rechten“ zu sehen und schließlich die Feuerwehr zu alarmieren.
In den
ersten Verhandlungstagen ist viel über diesen Prozess geschrieben und gesendet
worden – über die Brisanz des Falles und auch über die offenen Fragen, die in
diesem Strafverfahren vom Gericht zu klären sind: War es Selbsttötung, die
durch pflichtgemäßes Handeln und rechtzeitiges Reagieren der Angeklagten hätte
verhindert werden können, war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung
oder etwa Tötung aus rassistischer Motivation, wie manche glauben?
Schon nach den ersten
vier Verhandlungstagen, in denen einige Zeuginnen und Zeugen vernommen wurden,
lassen sich wichtige Erkenntnisse ziehen, die allerdings noch vorläufig bleiben
müssen, da der Prozess bis Juni dauern wird.
Zum einen, das sei vorweg gesagt, ist es bereits als Erfolg zu werten,
dass dieser Prozess überhaupt stattfindet und das Verfahren nicht sang- und
klanglos eingestellt worden ist, wie es so häufig bei Todesfällen auf
Polizeirevieren und durch Polizeigewalt passiert. Der öffentliche Druck dürfte
hier eine wichtige Rolle gespielt haben. Außerdem konnten die Anwälte der
Nebenklage, die unter anderem die Mutter des Getöteten vertreten, einen
wichtigen Erfolg verbuchen: Gegen den ursprünglichen Willen des Vorsitzenden
Richters und der Verteidigung der Angeklagten wird künftig auch jener Todesfall
in den Prozess einbezogen, der sich bereits 2002 in derselben Zelle 5 des
Dessauer Polizeireviers ereignet hatte. Damals starb ein 36jähriger
Obdachloser im Gewahrsam - und Dienst tat einer der jetzt anklagten
Polizeibeamten, dem schon damals Verantwortungslosigkeit vorgeworfen wurde. Zwar wurde das Strafermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt,
aber offen blieb die Frage nach einem möglichen pflichtwidrigen Verhalten, das
auch in dem aktuellen Verfahren von Bedeutung sein kann. Es drängen sich
jedenfalls erstaunliche Parallelen auf.
Aus heutiger Sicht ist
keineswegs von der Hand zu weisen, dass bereits die Umstände der Kontrolle, der
Festnahme und Identifizierung von Oury Jalloh mit Rassismus zu tun haben –
zumal Jalloh einen gültigen Ausweis bei sich trug und erst wenige Monate zuvor
schon einmal auf demselben Revier eine Identitätsüberprüfung hatte über sich
ergehen lassen müssen, was zumindest einer der Angeklagten wusste. Jalloh hätte
also rasch identifiziert werden können, stattdessen ist er stundenlang in eine
Zelle gesperrt worden. Solche wiederholten, auch schikanösen Prozeduren erleben
Flüchtlinge und besonders Schwarze hierzulande tagtäglich. Man hat es im Gerichtssaal,
wo viele Schwarzafrikaner dem Prozess folgen, förmlich gespürt, dass in diesem
Verfahren auch ihre demütigenden Alltagserfahrungen Thema sind – besonders
spürbar, wenn Polizeibeamte als Zeugen vernommen werden, Zeugen, die sich
häufig an nichts mehr erinnern wollten und in eklatante Widersprüche zu ihren
früheren Vernehmungen verwickelten.
Dass Oury Jalloh in eine
Polizeizelle gesperrt worden ist, um eine umständliche und überflüssige
Identitätsfeststellung durchzuführen, und dass er zu seiner - wie es hieß –
„Eigensicherung“ (Selbstschutz) an allen vier Gliedmaßen über Stunden hinweg
gefesselt und fixiert wurde, nur weil er sich gewehrt hatte – diese Maßnahmen
sind menschenunwürdig und dürften gegen den Verfassungsgrundsatz der
Verhältnismäßigkeit verstoßen, zumal wenn man bedenkt, dass Jalloh mit fast
drei Promille Blutalkohol eigentlich in ärztliche Behandlung gehört hätte. Nach
dem gewaltsamen Tod von Oury Jalloh ist die Gewahrsamsordnung tatsächlich
dahingehend geändert worden: Wer mehr als zwei Promille hat, darf grundsätzlich
nicht mehr in die Polizeizelle gesperrt werden, sondern muss als medizinischer
Fall in ärztliche Obhut.
Allein die an Oury
Jalloh vollzogenen polizeilichen Zwangsmaßnahmen begründeten eine gesteigerte
Garantenpflicht der beteiligten und verantwortlichen Polizeibeamten gegenüber
ihrem Opfer. Dieser Pflicht sind sie in keiner Weise gerecht geworden – im
Gegenteil. Die verzögerte Reaktion auf sämtliche Alarmzeichen aus der
Gewahrsamszelle, wie sie einem der Angeklagten zum Vorwurf gemacht werden,
könnten womöglich ebenfalls rassistisch motiviert sein – wenn man etwa die
zynischen Redensarten über den Inhaftierten in zwei Telefongesprächen entsprechend
deutet. Es handelt sich um protokollierte Gespräche, die der Angeklagte mit
jenem Arzt führte, der Jahllos „Gewahrsamstauglichkeit“ festgestellt hatte.
Dieser Angeklagte trug
im Übrigen für den gesamten Gewahrsamsbereich, für die lebensgefährliche
Fixierung und die Kontrollgänge die Verantwortung. Die bisherigen
Zeugenvernehmungen ergeben ein teilweise erschreckendes Bild von den Zuständen
im Verantwortungsbereich dieses Angeklagten. Hier lernt man nach und nach eine
Sicherheitsbehörde kennen, in der „Sicherheit“ offenbar über Menschenwürde und
Bürgerrecht gestellt wird, in der Kontrollgänge nachlässig absolviert werden
(„dem ging’s gut“, so ein Polizeizeuge über den fixierten Jalloh), in der es
kaum Schulungen oder Unterweisungen gibt, geschweige denn ausreichende
Brandschutzmaßnahmen, in der ungewöhnliche Geräusche und Alarmzeichen von
Feuer- und Rauchmeldern nicht zum sofortigen Handeln führen, sondern erst mal
ignoriert werden – „ich hatte nebenbei noch etwas anderes zu tun“, so versuchte
sich der Angeklagte vor Gericht immer wieder zu entschuldigen. Am Ende
verwandelte sich der Sicherheitsgewahrsam in eine ausweglose Todesfalle.
Man
könnte insoweit auch von einem Organisationsversagen sprechen, ja von
organisierter Verantwortungslosigkeit. Einer der Polizisten im Zeugenstand
meinte gar, mangels Einhaltung minimalster Brandschutzbestimmungen hätte das
Polizeirevier längst gesperrt werden müssen. Dann wäre Oury Jalloh wohl heute
noch am Leben.
Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“, ist für die Liga und im Auftrag der Flüchtlingsorgansiation „Pro Asyl“ Mitglied der Internationalen Delegation zur Prozessbeobachtung vor dem Landgericht Dessau.