BGH lässt
Feuertod eines Afrikaners in einer Dessauer Polizeizelle neu aufrollen
Bremen. Was geschah wirklich in der Dessauer
Polizeizelle? Am 7.Januar 2005, als der 23-jährige Oury Jalloh auf einer
Matratze verbrannte? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Freispruch eines
Polizisten vor dem Landgericht Dessau aufgehoben und ein Verfahren vor dem
Landgericht Magdeburg gefordert. Für Rolf Gössner "eine späte Chance, den
Tod Jallohs doch noch aufzuklären". Der Bremer Rechtsanwalt hat als
Prozessbeobachter für Pro Asyl und die Internationale Liga für Menschenrechte
das Dessauer Verfahren verfolgt.
Eltern
und Halbbruder Jallohs hatten als Nebenkläger gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft
Revision gegen den Freispruch eingelegt. In einem Zivilverfahren fordert die
Familie des Opfers 70.000 Euro Schmerzensgeld von Sachsen-Anhalt.
Der BGH
ließ gestern kein gutes Haar an dem Dessauer Urteil. Die Richter kritisierten
vor allem ein Gutachten zum Geschehen in der Zelle. "Es wird ein
Sachverhalt beschrieben, der nur schwer nachvollziehbar ist", sagte die
Vorsitzende des 4. Strafsenats, Ingeborg Tepperwien. Es gebe "wesentliche
Lücken in der Beweislage". Nach dem Urteil vom Dezember 2008 hatte der
asylsuchende Mann aus Sierra Leone den Brand in der Zelle mit einem Feuerzeug
verursacht, obwohl er gefesselt war.
Für die
BGH-Richter ist nicht nachvollziehbar, welche Bewegungsspielräume Jalloh trotz
fixierter Hände gehabt habe. Und wenn er das Feuer tatsächlich legte, hätte
sich das Geschehen nicht so lautlos abspielen können, wie von den Polizeizeugen
behauptet. Der angeklagte Dienstgruppenleiter habe gegen seine Pflichten verstoßen,
da er nicht sofort beim ersten Signal des Rauchmelders nach Jalloh geschaut
hat. Der heute 47-Jährige war wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen
angeklagt. Ein zweiter Polizist wurde in Dessau rechtskräftig freigesprochen.
Rolf
Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, geht in
seiner Kritik weiter. Schon die vorherige Behandlung Jallohs ist für ihn ein
Verstoß gegen die vom Grundgesetz gebotene Verhältnismäßigkeit: Ein Mann mit
fast drei Promille Alkohol im Blut wird - obwohl namentlich bekannt - zur
Feststellung seiner Identität ins Revier gebracht und an Händen und Füßen
gefesselt. "Hätte er sich bewegen können, hätte er dem Feuer ausweichen
können", argumentierte Gössner.
Das
gesamte Verfahren am Landgericht Dessau hatte für ihn einen entscheidenden
Strickfehler: Staatsanwaltschaft und Richter sind von der These der
Selbsttötung Jallohs ausgegangen. Beweise dafür, meint Gössner, gebe es aber
nicht. Dadurch sei die Option verbaut worden, andere Todesursachen und Umstände
zu überprüfen. Indizien, die auf ein Verschulden Dritter hätten hinweisen können,
seien nicht geprüft worden. Damit will Gössner aber nicht der gelegentlich
geäußerten Mord-These folgen, da es dafür bislang keine Beweise gebe; aber auch
einem solchen Verdacht müsse nachgegangen.
Andererseits
weist der Anwalt aber auch auf eine zweite Obduktion hin, nach der Jalloh
Verletzungen an Nase und Ohr erlitten hatte. "Dies könnte auf vorhergehende
Gewaltanwendung hindeuten." Wer könnte dies bezeugen? Der Dessauer Richter
Steinhoff kritisierte 2008 die Falschaussagen von Polizisten. Gössner sieht
eine "organisierte Verantwortungslosigkeit im Dessauer
Polizeirevier", deren Erhellung am "aufklärungsresistenten Korpsgeist
der Polizisten" scheiterte. Es dominierten Vertuschungen und Widersprüche,
Lügen und Gedächtnislücken". Das Problem sehen auch Gewerkschaftskreise:
"Es gibt eine Abhängigkeit untereinander und einen moralischen Druck, was
zu einem Gewissenskonflikt führen kann", sagte Konrad Freiberg, Chef der
Gewerkschaft der Polizei. Aufgabe seiner Organisation sei es, Polizisten Mut zu
machen, auch gegen Kollegen auszusagen.
Ob das
Landgericht Magdeburg nun mehr Licht in die Geschehnisse vom 7. Januar 2005
bringen wird, ist unsicher. Die BGH-Richterin Tepperwien spricht von einer
"höchst schwierigen Beweislage". Die Internationale Liga für
Menschenrechte forderte eine internationale Untersuchungskommission, um den
Fall aufzuklären und die Gründe für die bisher gescheiterte juristische
Aufklärung zu untersuchen.
Aber
vielleicht gelingt die ja schon in Magdeburg. "Die Angehörigen haben ein
Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren - und dass die Vorgänge aufgeklärt
werden", betonte die BGH-Richterin.
Rainer
Kabbert zum BGH-Urteil über Dessauer Polizistenprozess
Deftiger
kann eine Urteilsschelte nicht ausfallen. Was die BGH-Richter über das Urteil
ihrer Dessauer Kollegen schreiben, liest sich wie die Kritik an einem Rechtsreferendar:
"Wesentliche Lücken in der Beweislage", "schwer
nachvollziehbarer Sachverhalt", "mangelhafte Bewertung des
Polizistenverhaltens". Die Karlsruher Richter betonen das Recht der
Angehörigen auf ein rechtsstaatliches Verfahren, so, als hätte der Rechtsstaat
während der 59 Prozesstage gegen zwei Polizisten gerade Urlaub gemacht.
Die
BGH-Einschätzung wiegt umso schwerer, als es hier um den Tod eines Menschen
geht. Der Staat nimmt den Afrikaner Oury Jalloh in Gewahrsam, fesselt ihn und
trägt so doppelte Verantwortung für sein Schicksal. Wie kann es sein, dass sich
nach dessen Tod Verantwortung in nichts auflöst und das Verfahren mit Freisprüchen
endet? Im Zweifel für den Angeklagten - aus Mangel an Beweisen? Für den juristischen
Laien schwer nachvollziehbar, wenn ein Rauchmelder drei Mal abgestellt wird und
der Inhaftierte zwischenzeitlich am Feuer erstickt.
2008
hatte der Rechtsstaat vor dem Dessauer Landgericht eine Niederlage erlitten.
Gestern hat er vom Bundesgerichtshof eine neue Chance bekommen. Mit neuen
Richtern. Aber alten Zeugen. Auf diese Polizisten wird es ankommen, ob die Vorgänge
am 7. Januar 2005 aufgeklärt oder endgültig im Nebel aus Ungereimtheiten,
Gedächtnislücken und Widersprüchen verschwinden.
Es wäre
verheerend. Von Dessau ginge das Signal aus, dass Menschen in staatlichem
Gewahrsam gewaltsam sterben, die Umstände aber vertuscht werden. Wahrheitsfindung
ist einer der Pfeiler des Rechtsstaats. Bricht er weg, ist der Schaden
erheblich. Sachsen-Anhalts Innenminister hat die Gefahr erkannt und seine Beamten
an ihre Pflichten erinnert. Korpsdenken innerhalb der Polizei will er nicht dulden.
Nur: Wie können die richterlich festgestellten Falschaussagen korrigiert werden? Menschen müssten die Courage aufbringen, sich selbst der Lüge zu bezichtigen und andere zu belasten. Wer kann das schon leichten Herzens?
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AG Ausgabe: WESER-KURIER und BREMER NACHRICHTEN, Seite: 2 - Datum: 08.01.2010