Tageszeitung junge Welt 19.03.2010 / Inland / Seite 8


»Das Mißbrauchspotential von ›Elena‹ ist riesengroß«

Sammelklage gegen elektronische Erfassung von Beschäftigtendaten in Vorbereitung. Bereits 15000 Unterstützer.

Ein Gespräch mit Rolf Gössner

Rolf Gössner ist Anwalt und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. Er war Erstbeschwerdeführer gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht.

Birgit Gärtner: Elektronischer Entgeltnachweis, das klingt nach Lohnzettel aus der EDV-Abteilung. Was genau verbirgt sich hinter »Elena«?

Rolf Gössner: Bei »Elena« handelt es sich um keine Lohndokumente, sondern um eine zentrale Großdatenbank. Damit soll die Beantragung von Sozialleistungen vereinfacht und beschleunigt werden –offiziell heißt das »Bürokatieabbau«. In Wahrheit verbirgt sich dahinter eine umfangreiche Sammlung sensibler Sozialdaten. Alle öffentlichen und privaten Arbeitgeber sind verpflichtet, monatlich die Datensätze ihrer Beschäftigten an die »Zentrale Speicherstelle« der Deutschen Rentenversicherung zu übermitteln, wo sie fünf Jahre lang in verschlüsselter Form gespeichert werden – ohne konkreten Anlaß und obwohl die allermeisten Betroffenen niemals Sozialleistungen in Anspruch nehmen werden. Es handelt sich also um anlaßlose Vorratsspeicherung von Sozialdaten, die hohe Risiken birgt, wie erst kürzlich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten festgestellt hat.

Welche Daten sollen gespeichert werden?

Neben Name, Geburtsdatum, Versicherungsnummer, Adresse, Höhe von Gehalt und Sozialabgaben müssen auch Fehl- und Krankheitszeiten, Abmahnungen, Informationen über »Fehlverhalten«, verbrauchte Urlaubstage, Angaben zu Kündigungen oder Abmahnungen, Höhe von Abfindungen übermittelt werden; ursprünglich war gar die Meldung von Streikbeteiligungen vorgesehen. In Freitextfeldern kann der Arbeitgeber seine Einschätzung des Mitarbeiters – auch ohne dessen Wissen – hinterlegen. All dies gilt auch für Teilzeitarbeitsverhältnisse, befristete Verträge und Minijobs. Betroffen sind alle abhängig Beschäftigten, Beamte, Richter und Soldaten.

Was beanstanden Sie konkret an dieser Datensammlung?

Hier entsteht eine zentrale »Arbeit­nehmer«-Datenbank mit unzähligen sensiblen Sozialdaten von 40 Millionen Beschäftigten. Was zum Bürokratieabbau gedacht ist, wächst sich zum kostenträchtigen und überbordenden Datenvorrat aus, der Beschäftigte tendenziell zu gläsernen Menschen macht und ihre Privatsphäre gefährden kann. Dies ist ein gravierender Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung; Umfang und Dauer der Speicherung halte ich für unverhältnismäßig und verfassungswidrig. Hinzu kommt: Das Kontroll-, Diskriminierungs- und Mißbrauchspotential von »Elena« ist riesengroß – wie schon die zahlreichen Skandale beim Umgang mit Beschäftigtendaten in der Vergangenheit gezeigt haben. »Elena« widerspricht jenen Kriterien, die das Verfassungsgericht hinsichtlich Datensicherheit, Verfahrenstransparenz und Kontrolle sensibler Vorratsdatensamm­lungen aufgestellt hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber Vorratsspeicherungen, wenn auch unter engen Voraussetzungen, zugelassen?

Das ist richtig. Doch ich halte Datensammlungen auf Vorrat auch unter engeren Voraussetzungen für mißbrauchsanfällig und unverhältnismäßig. Das gilt für Kommunikations- und Arbeitneh­merdaten ebenso wie für SWIFT-Banken- oder Fluggastdatensammlungen. Deshalb müssen Bürgerrechts- und Datenschutzgruppen, aber auch Gewerkschaften, verstärkt darauf hinwirken, solche anlaßlosen Speicherungen zu unterbinden – denn die Eindämmung staatlicher und betrieblicher Datensammelwut ist der wirksamste Persönlichkeits- und Datenschutz. Wir müssen verstärkt politische Aufklärungsarbeit leisten – in Deutschland und in der EU.

Gegen den Datenspeicherwahn formiert sich mehr und mehr Widerstand. Was können die Leserinnen und Leser tun, um ihren Protest zum Ausdruck zu bringen?

Dieser gewaltige Datenpool muß rasch einer verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen werden – und alle Betroffenen können sich an der geplanten Sammel-Verfassungsbeschwerde beteiligen, die am 31. März beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden soll. Schon drei Tage nach dem ersten Aufruf beteiligten sich daran über 15000 Menschen.

Formulare/Infos zur kostenfreien Verfassungsbeschwerde: stoppt-elena.de

 

Tageszeitung junge Welt                                                         19.03.2010 / Inland / Seite 5


»Elena« könnte fallen

Massenklage gegen Schnüffelgesetz angekündigt. Datenschützer und Gewerkschaften warnen vor Mißbrauch. Nun auch Widerstand bei FDP gegen Ausspähen aller Beschäftigten

Ulla Jelpke

Überraschend haben in den vergangenen Tagen führende FDP-Politiker Widerstand gegen die Arbeitnehmer-Datensammlung »Elena« (elektronischer Entgeltnachweis) angekündigt. Das Schnüffelgesetz stammt aus der SPD/Grünen Regierungszeit. Unter dem Vorwand der Entbürokratisierung melden seit Beginn des Jahres alle Firmen die Einkommensdaten ihrer Beschäftigten elektronisch an eine zentrale Speicherstelle bei der Deutschen Rentenversicherung. Zu der Erfassung gehören Hinweise auf Fehl- und Krankheitstage, die Höhe des Gehalts sowie auf Fälle von »Fehlverhalten«.

Ende 2009 wurde Gewerkschaften und Datenschützer das Ausmaß der Überwachung deutlich. Ver.di-Chef Frank Bsirske kündigte eine Verfassungsklage in Karlsruhe an. Inzwischen wird eine Massen-Verfassungsbeschwerde vorbereitet, die ähnlich wie die bisher größte Verfassungsklage gegen die Vorratsdatenspeicherung von Tausenden Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet werden soll. »Dieser gewaltige Datenpool muß rasch einer Überprüfung unterzogen werden«, begründete Rechtsanwalt Rolf Gössner den Schritt am Donnerstag im Gespräch mit junge Welt. Die Klagen sollten am 31. März beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden. Jeder Betroffene könne mitmachen, so Gössner. Der Anwalt ist zuversichtlich: »Schon drei Tage nach dem ersten Aufruf beteiligten sich über 15000 Menschen an der Aktion.« Auch Berlins Datenschutzbeauftragter Alexander Dix kritisiert die Erfassung der Daten von bis zu 40 Millionen Beschäftigten. Ob die Erhebung durch die Massenklage vollständig verhindert werden kann, ist für ihn allerdings fraglich. Denkbar sei aber ein Teilerfolg, sagte Dix am Mittwoch in Berlin. Das Bundesverfassungsgericht könnte etwa die regelmäßige Optimierung des Schutzes gegen Mißbrauch fordern. Das könnte »Elena« so teuer machen, daß auch politische Akzeptanz nicht mehr durchsetzbar sei, so der Datenschützer.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte bereits im Januar aufgrund des Widerstands versichert, der Katalog der zu speichernden Daten werde entrümpelt und reduziert. Grundsätzlich hielt die Bundesregierung jedoch an »Elena« fest. Nun macht aber die FDP als Koalitionspartner Front gegen die Sammlung. Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz, und der parlamentarische Geschäftsführer der Liberalen, Christian Ahrendt, erklärten am Wochenende gegenüber der Neuen Osna­brücker Zeitung (NOZ), man wolle das zentrale Register kippen.

Mit der »Elena« drohe »die lückenlose Dokumentation des Alltags aller Berufstätigen«, warnte Christian Ahrendt. Der Staat dürfe nicht verdachtsunabhängig Informationen erheben, wann ein Beschäftigter gestreikt habe oder wann er oder seine Kinder krank gewesen seien. Laut Piltz und Ahrendt sei das Karlsruher Urteil zur Vorratsdatenspeicherung eine Aufforderung an die Politik, »sich bei der Datensammelwut zurückzunehmen«.

Somit kommt neue Dynamik in die Diskussion. Noch Anfang März hatten bei einer Bundestagsdebatte zu »Elena« Abgeordnete der Union und der SPD die Auffassung vertreten, daß bei der Erhebung alle Auflagen aus Karlsruhe erfüllt seien. Wie ernst der jetzige FDP-Vorstoß zu nehmen ist, muß sich erst noch zeigen. Auch bei dem umkämpften Bankdatentransfer an die USA, dem »Swift«-Abkommen, warben die Liberalen im Wahlkampf für die Ablehnung, weil der Datenschutz nicht gewährleistet sei. Am Ende beugten sie sich in der Bundesregierung aber doch ihrem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Hinzu kommt Kritik aus der Wählerklientel. Für Wirtschaftsvertreter, ist »Elena« mit zu viel Verwaltungsaufwand verbunden und damit zu teuer.