Aus: Grundrechte-Report 2009
Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland
Herausgeber:
Assall
/ Engelfried / Finckh / Gössner /
Kutscha / Müller-Heidelberg / Pelzer / Steven / Würdinger
Das Interesse des
Bundesamtes für Verfassungsschutz an dem Bremer Publizisten, Bürgerrechtler,
Rechtsanwalt und stellvertretenden Verfassungsrichter Dr. Rolf Gössner haben
wir im Grundrechte-Report bereits zwei Mal beleuchtet (vgl. Till Müller-Heidelberg,
Grundrechte-Report 2000, S. 172 ff.; Sönke Hilbrans, Grundrechte-Report 2007,
S. 35 ff.). Wir würden das nicht tun, wenn es nicht für den geheimdienstlichen
Umgang mit politischer Opposition von links symptomatisch wäre. Zuletzt sah es
so aus, als ob der „Fall Gössner“, der im Jahre 1970 mit der erstmaligen
Speicherung von Daten Gössners beim Bundesamt für Verfassungsschutz begonnen
hatte, mit Volldampf in sein fünftes Jahrzehnt fahren würde. Inzwischen dürfen
wir uns sicher sein, dass er in diesem fünften Jahrzehnt auch ankommen wird.
Von der „Kontaktschuld“ zum Vorwurf der Unterstützung
Wir erinnern uns:
Los ging es mit der angeblichen „Kontaktschuld“ Gössners, der seine Beiträge
und Meinungen nicht nur in bürgerlichen Medien, sondern auch in Zusammenhängen
vertrat, die dem Verfassungsschutz als „linksextremistisch“ oder
„linksextremistisch beeinflusst“ gelten (Grundrechte-Report 2000, S. 172 ff.).
Musste im Grundrechte-Report 2007 davon berichtet werden, dass das Bundesamt
dem umtriebigen Autor und Geheimdienstkritiker schon im Jahr 2006 nicht mehr
nur Kontakte zu, sondern auch die nachhaltige Unterstützung von
„linksextremistischen Bestrebungen“ vorhielt (Grundrechte-Report 2007, S. 37),
so führte seine davon unbeeindruckte Vortrags- und Publikationstätigkeit danach
geradewegs in den Verdacht der bewussten Untergrabung der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik. Gössner, dessen
Veröffentlichungen und Auftritte auch nach Meinung des Bundesamtes „kaum mehr
aufzuzählen“ und inhaltlich keineswegs verfassungswidrig sind, agiere zwar nach
Auffassung des Verfassungsschutzes noch im Sommer 2008 „ganz bewusst nicht als
Mitglied einer offen extremistischen Partei oder Organisation“. Jedoch nicht
etwa, „weil er sich von den verfassungsfeindlichen Zielen der unterstützten
Organisationen distanzieren, sondern weil er so seine Glaubwürdigkeit nach
Außen als vermeintlich unabhängiger Experte zu wahren“ versuche. Mit seinem
Sachverstand und seiner „Prominenz als Jurist“, so das Bundesamt, habe er die
inkriminierten Organisationen in ihren Zielsetzungen „nachhaltig unterstützt“.
Gut, dass wir ihn
haben, den Verfassungsschutz. Sonst wäre Gössner wohl nach dieser Logik längst
führendes Mitglied in einem Dutzend in- und ausländischer extremistischer Organisationen
geworden. Ausschlaggebend waren für diese Einschätzung einmal mehr Berichte
über einen Auftritt in einer öffentlichen Veranstaltung der DKP anlässlich des
50. Jahrestages des KPD-Verbots, ein Beitrag in der Zeitschrift „Geheim“ zum
gleichen Thema und ein Interview in der „jungen Welt“ zum EU-Beitrittsprozess
der Türkei. Dass auch namhafte Publizisten und Wirtschaftswissenschaftler,
Theologen und Orient-Experten, Bundestagsabgeordnete der Koalitionsparteien und
Wirtschaftsjournalisten zuweilen in der „jungen Welt“ publizieren und Gössner
von „A“ wie ARD bis „Z“ wie ZDF auch in öffentlich- rechtlichen Medien und in
Zeitungen der politischen Mitte niemandem eine kritische Stellungnahme zu
aktuellen sicherheitspolitischen Themen schuldig blieb, konnte daran offenbar
weiterhin nichts ändern. Und so landeten zur Vervollständigung des
„Gesamtbildes“ über Gössner weiterhin Artikel aus der „Frankfurter Rundschau“
und dem „Weser Kurier“ in den Akten des Geheimdienstes.
Eskalation „von links“: Gössner verlangt Datenlöschung
Dass Gössners
Bereitschaft, auch mit antikapitalistischen und nach Auffassung des
Verfassungsschutzes „linksextremistischen“ Medien und Gruppen in kritischen
Austausch zu treten, mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum kalten Krieg nicht
nüchterner, sondern immer dramatischer dargestellt wird, mag mit der
Entwicklung des Klageverfahrens des Publizisten vor dem Verwaltungsgericht Köln
(dazu schon Grundrechte-Report 2007, S. 35 ff.) zusammenhängen. Dort ist seit
Frühjahr 2006 seine Klage auf vollständige Auskunft aus der beim Bundesamt für
Verfassungsschutz über ihn geführten Personenakte anhängig. Der Verfassungsschutz
hatte dem Verwaltungsgericht die vollständige Vorlage der Personenakte
„Gössner“ verweigert und die Sache dem Bundesinnenministerium vorgelegt. Dort
überlegte man sich die Sache etwas genauer und gab schließlich von weit über
2.000 eingestandenermaßen seit 1970 gesammelten Seiten der Akte etwa 400
jüngere frei. Der Rest wurde dem Gericht mit zahlreichen Schwärzungen vorgelegt.
Die Begründung: auch hausinterne Aktenzeichen und Querverweise des Bundesamtes
für Verfassungsschutz unterliegen ebenso der Geheimhaltung wie Randbemerkungen,
Hinweise auf Beobachtungsobjekte des Dienstes und Informationen, die
Rückschlüsse auf seine „Quellen“ und Arbeitsmethoden erlauben könnten.
Gössner soll sich danach auch für die Zukunft
im Wesentlichen mit Kopien seiner eigenen Schriften und Medienberichten über
seine öffentlichen Auftritte
bescheiden.
Warum also der neue, noch einmal
schärfere Ton? Vielleicht, weil Gössner vor dem Verwaltungsgericht Köln
seinerseits in die Offensive gegangen war. Nachdem das Bundesamt jahrelang mit
Hinweis auf angebliche Sicherheitsgefährdung die Offenlegung seiner Erkenntnisse
verweigert hatte, verlangte Gössner im Gegenzug nunmehr die Löschung aller
Daten, da er gerade kein „Verfassungsfeind“ sei und sich erst Recht nicht zur
bloßen Tarnung das Denkmäntelchen eines unabhängigen Experten übergezogen habe.
Der erste
Knoten platzt: Beobachtung ab sofort
eingestellt!
Mit Spannung wurde
daher die erste mündliche Verhandlung beim Verwaltungsgericht Köln am
20.11.2008 erwartet. Doch es kam anders: Nur eine Woche vor dem Termin ließ das
Bundesamt dem Kläger mitteilen, dass seine Beobachtung „nach aktuell erfolgter
Prüfung“ eingestellt worden sei. Notbremse, Friedensangebot oder
Schuldeingeständnis? Seine abrupte Umkehr begründete das Amt vor Gericht dann
unter anderem damit, dass man inzwischen angesichts einer veränderten
Bedrohungslage die knappen Ressourcen für andere Schwerpunkte einsetzen müsse.
Hatte sich das Amt beim Kopieren und Auswerten von Veröffentlichungen des
Klägers etwa tatsächlich übernommen? Und: Welche Betroffenen dürfen sich jetzt
noch darüber freuen, dass sie aus Kapazitätsgründen nicht mehr überwacht werden?
Das Bundesamt für
Verfassungsschutz hat dem Gericht zugesichert, dass es die über Gössner bisher
gespeicherten Daten ab sofort nicht mehr für notwendig erachte und löschen
wolle. Vor dem Verwaltungsgericht Köln streitet Gössner jetzt weiter für die
Feststellung, dass die 38 Jahre dauernde Überwachung und Speicherung von Daten über ihn rechtswidrig war. Und
natürlich weiter für die vollständige Einsicht in die geheimdienstliche Akte.
Dem Fall Gössner ist mit der Einstellung der Überwachung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Spitze genommen, die Auswirkungen für die gesamte Beobachtungs- und Erfassungspraxis des Verfassungsschutzes haben könnte. Dass sich der Geheimdienstkritiker ohne Scheuklappen nach links auch von anderen Verfassungsschutzämtern beobachtet fühlen darf, hat er inzwischen aus Nordrhein-Westfalen schriftlich: Von dort erhielt Gössner im Mai 2008 die Auskunft, dass er unter anderem wegen seiner Teilnahme als Besucher in einem Berufsverbotsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim gespeichert wurde. Was dort vor sich ging, kann man gleich auch bei ihm selbst nachlesen (Rolf Gössner, „Berufsverbot aufgehoben“, Grundrechte-Report 2008, S. 145 ff.). Seine Mitteilung hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz sogleich mit der Versicherung verbunden, dass man die über Gössner gespeicherten Daten ab sofort nicht mehr benötige und deshalb löschen wolle. Der Betroffene wird auch diese Sache nicht auf sich beruhen lassen. Seine Klage auf vollständige Auskunft und die Feststellung, dass die Datensammlung rechtswidrig war, beschäftigt nun das Verwaltungsgericht Düsseldorf.
Hilbrans,
Sönke, Jahrgang 1969, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Berlin –
diverse Veröffentlichungen zum Datenschutz und zur inneren Sicherheit,
Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. (www.datenschutzverein.de), Mitglied
im erweiterten Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins
(RAV) e.V. (www.rav.de)