Warnung vor zu viel Sicherheit

KARLSRUHE (AFP·WK). Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, hat dem Staat ein "unersättliches Sicherheitsbedürfnis" vorgeworfen. Dieses führe dazu, dass der Staat "immer mehr in die Grundrechte der Bürger eingreift" und deren "Freiheit missachtet", sagte Limbach gestern bei der Vorstellung des Grundrechtereports 2006. Limbach würdigte die neun Organisationen, die den Report erstellt haben. Eine davon ist die Internationale Liga für Menschenrechte des Bremer Anwalts Rolf Gössner.

Mitherausgeber Till Müller-Heidelberg bezeichneten den Report als "Gegenstück zu den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder", die den Bürger "glauben machen wollen", der Rechtsstaat sei durch Terroristen bedroht und müsse deshalb Grundrechte einschränken. Doch Terrorismus und Kriminalität hätten "zu keinem Zeitpunkt" den Rechtsstaat ernsthaft gefährden können. Der Grundrechtereport 2006 stellt in 41 Beiträgen Grundrechtsübergriffe oder deren erfolgreiche Abwehr durch Gerichte vor.

© Bremer Tageszeitungen AG, 23.05.2006

 

Neues Deutschland 23.05.06
Und Hausbesuche vom JobCenter

Alternativer Verfassungsschutzbericht auch im 10. Jahr unentbehrlich 
 
Von Claus Dümde 

Die zehnte Ausgabe des Grundrechte-Reports, der seit 1997 die Verletzung von Bürger- und Menschenrechten in der BRD öffentlich macht, wurde gestern in Karlsruhe vorgestellt. Ein Thema: »Liebe in Zeiten von Hartz IV. Hausbesuch vom JobCenter«.


Ein »unersättliches Sicherheitsbedürfnis« warf Jutta Limbach, frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, dem Staat bei der Präsentation des Reports vor. Dieses »überbordende Bedürfnis« führe dazu, dass der Staat »immer mehr in die Grundrechte der Bürger eingreift« und deren »Freiheit missachtet«. Sie forderte mehr Aufmerksamkeit für die »sozialen Menschenrechte« auf Unterkunft, Nahrung und Gesundheit und kritisierte Debatten um angeblich wachsenden Missbrauch von Sozialleistungen. Sie sieht darin eine »gefährliche Übertreibung«, durch die aus dem Blick gerate, dass eine große Zahl von Bürgern in Deutschland nicht mehr im Stande ist, für sich selbst zu sorgen.

»Wer schützt die Verfassung?« hatte 1997 Mitherausgeber Till Müller-Heidelberg im Vorwort des ersten Reports gefragt. Jetzt wurde es nachgedruckt, weil es aktuell wie einst ist. Auch charakterisierte er den Report als »Gegenstück zu den Verfassungsschutzberichten«, die Bürger glauben machen wollten, der Rechtstaat sei durch Terroristen und Kriminelle bedroht, weshalb der Staat Grundrechte einschränken müsse. Das Gegenteil sei richtig: Die tatsächliche Bedrohung der Grundrechte sei immer durch den Staat erfolgt.

In 42 Beiträgen und einer Chronologie wird das beklemmend deutlich. Die Themen reichen von neuen Schritten zum Überwachungsstaat über Angriffe auf das Recht auf Leben (Luftsicherheitsgesetz) und die Menschenwürde (Verhöre von Folteropfern durch deutsche Beamte) bis zur Diskriminierung von Langzeitarbeitslosen sowie Ausländern und Verstößen gegen das Völkerrecht. Zu den Autoren gehören Prominente wie Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragter Thilo Weichert. Wie 1997 warnen die Herausgeber erneut mit Benjamin Franklin: »Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren.«

 

Limbach lobt feine Bürgernerven

Expräsidentin des Bundesverfassungsgerichts stellt den zehnten Grundrechtereport vor

KARLSRUHE taz "Der Sinn für Privatheit muss genauso gelernt werden wie die Spielregeln der Demokratie", erklärte gestern Jutta Limbach, einst Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, heute in gleicher Funktion beim Goethe-Institut tätig. Wer "redselig und schwatzhaft" per Handy privateste Dinge öffentlich verbreite, habe auch kein Bewusstsein für die zunehmende Überwachung des Telefonverkehrs. "Grundrechtsschutz beginnt bei uns selbst", folgerte Limbach.

Sie stellte gestern in Karlsruhe den zehnten Grundrechtereport vor, einen alternativen Verfassungsschutzbericht von neun Bürgerrechtsorganisationen, von der Humanistischen Union (HU) bis zu Pro Asyl. Während aber die Innenminister extremistische Bürger beobachten, kontrollieren die Bürgerrechtler vor allem den Staat.

Und diesmal ist die Bilanz ungewohnt positiv ausgefallen. Fast jeder dritte Beitrag kündete von einem Erfolg. So stärkte das Bundesverwaltungsgericht die Gewissensfreiheit von Soldaten und bewahrte einen Major vor Sanktionen, der keinerlei Beitrag zum Irakkrieg leisten wollte. Und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg beanstandete so genannte "Gefährderanschreiben", mit denen Globalisierungskritiker von der Teilnahme an legalen Demonstrationen abgehalten werden sollten.

Doch genügt es laut Limbach nicht, auf Richter zu vertrauen. Vielmehr sei für die Gerichte die Vorarbeit und der Rückhalt von Bürgerrechtlern sehr wichtig. Nur diese seien "feinnervig" genug, um auch in Grauzonen ein Gefühl für die Bedrohtheit der Grundrechte zu entwickeln. "Ohne das Engagement von Bürgerrechtlern kämen auch Gerichtsurteile nicht zustande, die auf den rechtsstaatlichen Umgang mit Terrorverdächtigen bestehen", erklärte Limbach.

Till Müller-Heidelberg, Exvorsitzender der HU, kritisierte jedoch, dass grundrechtsfreundliche Gerichtsurteile vom Gesetzgeber teilweise nicht beachtet würden. So hätten die "Verfassungsfeinde" in Bundesregierung und Bundestag durchgesetzt, dass die Vorgaben des Verfassungsgerichts für Lauschangriffe in Privatwohnungen nicht ausreichend beachtet werden.

Mit einigen wenigen Beiträgen werden aktuell auch Grundrechtsverletzungen von Privatunternehmen gerügt. So wird Banken und anderen Unternehmen vorgeworfen, dass sie beim "Scoring" bestimmte Verbraucher aufgrund bloßer statistischer Annahmen diskriminieren. Ein Bankkunde müsse oft höhere Kreditzinsen zahlen, nur weil er aus einem sozial schwierigen Viertel stamme. Wie der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert erklärte, sind zwar die gesetzlichen Grundlagen in Ordnung, hätten aber mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Hier müssten Daten- und Verbraucherschützer aktiver werden.

Aufgrund solcher "präziser" Beiträge zeigte sich Jutta Limbach vom Grundrechtereport so beeindruckt, dass sie ihn sogar für den Schulunterricht empfahl. CHRISTIAN RATH

taz vom 23.5.2006, S. 7, 98 Z. (TAZ-Bericht), CHRISTIAN RATH

 

Justizexperten kritisieren Überwachung

Der diesjährige Grundrechte-Report beklagt Verstöße bei der Terrorismusbekämpfung: Die Bundesregierung missachte "sehenden Auges" das Bundesverfassungsgericht.

Justizexperten haben die "ausufernde" staatliche Überwachung kritisiert. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, sagte bei der Vorstellung des zehnten Grundrechte-Reports Montag in Karlsruhe, die BND-Spitzelaffäre sei nur die "Spitze des Eisbergs". Die Autoren prangerten an, dass selbst Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts missachtet würden.

Für die Herausgeber des Berichts kritisierte der Rechtsanwalt Till Müller-Heidelberg die Missachtung der Vorgaben des Verfassungsgerichts bei der Neufassung des Gesetzes zum großen Lauschangriff. Regierung und Parlamentsmehrheit verstießen damit "sehenden Auges" gegen das Karlsruher Urteil zu diesem Thema.

Müller-Heidelberg kritisierte, Politiker würden die Bevölkerung vor der Bedrohung des Rechtstaates und der Grundrechte durch Terrorismus und kriminelle Banden warnen - um dann zu deren Schutz selbst Grundrechte und Rechtstaatlichkeit einzuschränken.

Auch Unternehmen in der Kritik

Die frühere Verfassungsrichterin Limbach betonte bei der Vorstellung des aktuellen Reports die wachsende Bedeutung der sozialen Grundrechte. Sie machte zudem auf Grundrechtsverletzungen durch Unternehmen aufmerksam. Als Beispiele nannte Limbach die Unterdrückung von Betriebsratswahlen und das Erstellen von Verbraucherprofilen, also das Erfassen des Kauf- und Zahlungsverhaltens von Kunden.

Der Grundrechte-Report wird jährlich von mehreren Bürgerrechtsorganisationen herausgegeben. Er ist im Fischer-Verlag erschienen.

(N24.de, Netzeitung) Artikel vom 22. Mai 2006



 

 

Frankfurter Rundschau

Experten sehen soziale Rechte in Gefahr

Grundrechte-Report in Karlsruhe vorgestellt / Juristen rügen Verstöße beim Großen Lauschangriff

Jutta Limbach, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, sieht die sozialen Grundrechte zunehmend gefährdet.

Karlsruhe · Bei der Vorstellung des "Grundrechte-Report 2006" sagte Limbach am Montag in Karlsruhe: "Wer kein Einkommen und kein Obdach hat, wird kaum in die Verlegenheit kommen, seine Rechte vor einem Gericht einzufordern." Arbeitslose, psychisch Kranke, aber auch Flüchtlinge könnten sich schwer wehren.

In der öffentlichen Debatte würden jedoch immer die Missbrauchsfälle betont. Es gebe auch Missbrauch der Sozialsysteme. Aber sie bestreite, dass der gesamte Sozialstaat durch Missbrauch untergraben werde. Solch eine Geisteshaltung mache "unempfindlich" für die Grund- und Menschenrechte der sozial und ökonomisch Schwachen.

Die frühere Gerichtspräsidentin und jetzige Präsidentin des Goethe-Instituts machte auf die im "Grundrechte-Report 2006" beschriebenen Grundrechtsverletzungen durch Unternehmen aufmerksam.

Gefühl für Privates betont

Zwei Beiträge des im Fischer-Verlag erscheinenden Buches befassen sich mit der Unterdrückung von Betriebsratswahlen in Lebensmittel-Ketten und der Erstellung von Verbraucherprofilen durch so genanntes "Scoring". Nicht nur die Gerichte, sondern vor allem Bürgerrechtsorganisationen und die Zivilgesellschaft seien Garanten eines wirksamen Menschenrechtsschutzes und des Schutzes der Privatheit. Jeder einzelne dürfe nicht das Gefühl für das Private verlieren.

Limbach kritisierte in diesem Zusammenhang die "Redseligkeit und Schwatzhaftigkeit" bei öffentlich geführten Handy-Gesprächen. Der langjährige Vorsitzende der Humanistischen Union, Rechtsanwalt Till Müller-Heidelberg, rügte den Staat, von dem die "wirklichen Gefahren" für die Grund- und Menschenrechte ausgingen. So werde bei der Neufassung des Großen Lauschangriffs von Regierung und Parlament "sehenden Auges" gegen die Vorgaben des Karlsruher Verfassungsgerichtsurteils verstoßen. Ursula Knapp

 

 

 


             
22. Mai 17:16

 

Justizexperten kritisieren Überwachung

Der diesjährige Grundrechte-Report beklagt Verstöße bei der Terrorismusbekämpfung: Die Bundesregierung missachte «sehenden Auges» das Bundesverfassungsgericht.
Justizexperten haben die «ausufernde» staatliche Überwachung kritisiert. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, sagte bei der Vorstellung des zehnten Grundrechte-Reports Montag in Karlsruhe, die BND-Spitzelaffäre sei nur die «Spitze des Eisbergs«. Die Autoren prangerten an, dass selbst Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts missachtet würden.

Für die Herausgeber des Berichts kritisierte der Rechtsanwalt Till Müller-Heidelberg die Missachtung der Vorgaben des Verfassungsgerichts bei der Neufassung des Gesetzes zum großen Lauschangriff. Regierung und Parlamentsmehrheit verstießen damit «sehenden Auges» gegen das Karlsruher Urteil zu diesem Thema.

Müller-Heidelberg kritisierte, Politiker würden die Bevölkerung vor der Bedrohung des Rechtstaates und der Grundrechte durch Terrorismus und kriminelle Banden warnen - um dann zu deren Schutz selbst Grundrechte und Rechtstaatlichkeit einzuschränken.

Auch Unternehmen in der Kritik

Die frühere Verfassungsrichterin Limbach betonte bei der Vorstellung des aktuellen Reports die wachsende Bedeutung der sozialen Grundrechte. Sie machte zudem auf Grundrechtsverletzungen durch Unternehmen aufmerksam. Als Beispiele nannte Limbach die Unterdrückung von Betriebsratswahlen und das Erstellen von Verbraucherprofilen, also das Erfassen des Kauf- und Zahlungsverhaltens von Kunden.

Der Grundrechte-Report wird jährlich von mehreren Bürgerrechtsorganisationen herausgegeben. Er ist im Fischer-Verlag erschienen. (nz)

 

 

Alle Rechte © 2006 NZ Netzeitung GmbH

 

Jutta Limbach fordert mehr soziale Rechte

KARLSRUHE - Die Präsidentin des Goethe-Instituts, Jutta Limbach, hat eine stärkere Beachtung der sozialen Menschenrechte angemahnt. Sie verdienten den gleichen Schutz wie die klassischen Freiheitsrechte, sagte Limbach gestern bei der Vorstellung des "Grundrechte-Reports 2006" in Karlsruhe. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts machte deutlich, daß soziale Sicherheit oft Voraussetzung eines wirksamen Rechtsschutzes sei. "Wer kein Einkommen und kein Obdach hat, wird sich um seine Rechte nicht kümmern können."

Von den Problemen, die der von neun Bürgerrechtsorganisationen herausgegebene Grundrechte-Report aufwirft, bezeichnete Limbach eine "Scoring" genannte Praxis der Verbraucherdiskriminierung als besonders bedenklich. Dabei erstellen Unternehmen aus Daten wie Kaufgewohnheiten, Einkommen, Geschlecht und Alter ein Kundenprofil - oder auch aus dem Wohnort an einem sozialen Brennpunkt. Dieses entscheidet dann über Kauf- und Kreditmöglichkeiten oder sogar darüber, wie schnell man am Telefon durchgestellt wird. "Menschen können dadurch in ein Raster geraten oder ein Profil gewinnen, das mit der Person wenig zu tun hat", sagte Limbach.

dpa Junge Welt  erschienen am 23. Mai 2006

Tageszeitung junge Welt

23.05.2006 / Abgeschrieben / Seite 8

Bürgerrechtsorganisationen zum Grundrechtereport 2006

Humanistische Union, Gustav-Heinemann-Initiative, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, Pro Asyl, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen, Internationale Liga für Menschenrechte und Neue Richtervereinigung erklärten am Montag anläßlich der Vorstellung des Grundrechtereports 2006:

Die Herausgeber-Organisationen zeigen sich besorgt über immer neue Verstöße gegen Bürger- und Menschenrechte im Namen des Antiterrorkampfes. Mißachtung der Grundrechte gefährdet die Fundamente von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, mahnen die Organisationen und warnen zum Beispiel vor Versuchen, das absolute Folterverbot aufzuweichen. (...) Weitere Themen des Grundrechtereports sind: der Ausbau des Überwachungsstaates, u. a. durch die Einführung biometrischer Pässe, durch die weitere Einschränkung des Datenschutzes oder durch Lauschangriffe. Der Grundrechtereport 2006 kritisiert außerdem die Verletzung der Pressefreiheit, die Einschränkung des Demonstrationsrechts, die weitere Aushöhlung des Flüchtlingsrechts, zunehmende Repressionen gegenüber Muslimen und demokratiegefährdende Aktivitäten von Geheimdiensten. (...)

 

Limbach kritisiert den BND

Karlsruhe. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, hat den Bundesnachrichtendienst (BND) wegen der Affäre um die Bespitzelung von Journalisten kritisiert. Das Vorgehen der Behörde habe »nur vordergründig dem Aufspüren von Lücken« innerhalb des BND gedient, sagte sie am Montag bei Vorstellung des »Grundrechte-Reports 2006« in Karlsruhe. In der Sache sei es darum gegangen, die Kritik der Presse am BND »möglichst gering zu halten«. Die BND-Affäre sei »nur die »Spitze des Eisbergs« von Grundrechtseingriffen des Staates gegenüber Bürgern. Der von zehn Bürgerrechtsorganisationen erarbeitete Grundrechte-Report versteht sich als »alternativer Verfassungsschutzbericht«.  (ddp/jW)

 

 

Berliner Morgenpost 23.05.06

Klagen über ausufernde Überwachung

Staat mißachte selbst Vorgaben aus Karlsruhe

Karlsruhe - Justizexperten haben ausufernde Überwachungsmechanismen des Staates beklagt. Bei der Vorstellung des 10. Grundrechtsreports prangerten die Autoren an, daß selbst Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts mißachtet würden. Terrorismus und organisierte Kriminalität seien zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen, den Rechtstaat ernsthaft zu gefährden. Politiker warnten aber die Bevölkerung vor der Bedrohung des Rechtstaates und der Grundrechte durch Terrorismus und kriminelle Banden, um dann zu deren Schutz selbst Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit einzuschränken. Kritisiert wird insbesondere die Mißachtung der Vorgaben des Verfassungsgerichts bei der Neufassung des Gesetzes zum sogenannten großen Lauschangriff. Regierung und Parlamentsmehrheit verstießen damit "sehenden Auges" gegen das Karlsruher Urteil zu diesem Thema. Die ehemalige Präsidentin des höchsten deutschen Gerichts, Jutta Limbach, betonte die wachsende Bedeutung der sozialen Grundrechte. "Wer kein Einkommen und kein Obdach hat, wird kaum in die Verlegenheit kommen, seine Rechte vor einem Gericht einzufordern", sagte sie. Es gebe Mißbrauchsfälle der Sozialsysteme. Aber sie bestreite, daß der gesamte Sozialstaat durch Mißbrauch untergraben werde. Solch eine Geisteshaltung mache "unempfindlich" für die Grund- und Menschenrechte der sozial und ökonomisch Schwachen. AP

Hamburger Abendblatt 23.05.06

Jutta Limbach fordert mehr soziale Rechte

 

KARLSRUHE - Die Präsidentin des Goethe-Instituts, Jutta Limbach, hat eine stärkere Beachtung der sozialen Menschenrechte angemahnt. Sie verdienten den gleichen Schutz wie die klassischen Freiheitsrechte, sagte Limbach gestern bei der Vorstellung des "Grundrechte-Reports 2006" in Karlsruhe. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts machte deutlich, daß soziale Sicherheit oft Voraussetzung eines wirksamen Rechtsschutzes sei. "Wer kein Einkommen und kein Obdach hat, wird sich um seine Rechte nicht kümmern können."

Von den Problemen, die der von neun Bürgerrechtsorganisationen herausgegebene Grundrechte-Report aufwirft, bezeichnete Limbach eine "Scoring" genannte Praxis der Verbraucherdiskriminierung als besonders bedenklich. Dabei erstellen Unternehmen aus Daten wie Kaufgewohnheiten, Einkommen, Geschlecht und Alter ein Kundenprofil - oder auch aus dem Wohnort an einem sozialen Brennpunkt. Dieses entscheidet dann über Kauf- und Kreditmöglichkeiten oder sogar darüber, wie schnell man am Telefon durchgestellt wird. "Menschen können dadurch in ein Raster geraten oder ein Profil gewinnen, das mit der Person wenig zu tun hat", sagte Limbach. dpa erschienen am 23. Mai 2006