FriedensJournal

Herausgeber: Bundesausschuss Friedensratschlag

Mai 2007 / Nr. 3

G8 - Gipfel der Ungerechtigkeit

-Globalisierung von oben oder von unten ?

-G8 - Gipfel der strukturellen und militärischen Gewalt

-Globalisierung - Russland ging nur voran

-Raketenabwehr und die NATO

-Kalter Krieger auf Friedenskurs

-Rolf Gössner im Gespräch: Lehren aus der deutschen Geschichte werden entsorgt

-Rückblick Ostermarsch 2007

-Gegenbewegung zu Militärstützpunkten

 

IMPRESSUM


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  FriedensJournal Mai 2007 / Nr. 3

Militarisierung im Inneren:

 

„Wichtige Lehren aus der deutschen
Ge­schichte werden entsorgt“

Interview mit Rolf Gössner (Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“)

FriedensJournal: Herr Gössner, in ei­nem Beitrag, der vor fast drei Jahren im Friedensjournal erschienen ist, haben Sie – nach dem Terroranschlag von Madrid ­geschrieben: „Insgesamt bietet die neu­erliche Sicherheitsdebatte zwar Erschreckendes, aber wenig Neues. Alles wurde bereits einmal gefordert oder geplant. Es bedurfte offenbar nur eines neuen Terror­anschlages, um die Pläne zu befördern“. Soweit das Zitat. Was gibt es denn aktuell für konkrete Anlässe zugunsten eines to­talen Überwachungsstaates?

Rolf Gössner: Der „konkrete Anlass“ für weitere Nachrüstungsmaßnahmen und Gesetzesverschärfungen ist die allgemei­ne Bedrohungskulisse nach 9/11, London und Madrid, die immer wieder aufs Neue beschworen wird. Schließlich gilt auch Deutschland als Teil eines globalen Gefahrenraums, wobei es hierzulande kei­nerlei konkrete Bedrohungen durch den „islamistischen Terrorismus“ gibt, lediglich eine abstrakte Gefährdung. Die Gefahren­lage verschlechtert sich allerdings immer dann, wenn die Politik wieder mal ihren Teil dazu beiträgt – etwa durch den jüngsten Beschluss, mit dem Einsatz von Tornados der Bundeswehr in Afghanistan einen akti­ven Kriegsbeitrag zu leisten. Das erhöht die Anschlagsgefahr auch hierzulande. Und dagegen will man sich wappnen: mit „more of the same“, wie dem „Terrorismus­bekämpfungsergänzungsgesetz“ von Ende 2006, aber auch mit heiklen strukturellen Veränderungen im System der Inneren Si­cherheit.

Was daran ist heute gegenüber früheren Plänen als neu bzw. als neue Qualität an­zusehen?

Da sind gerade die fatalen Strukturverän­derungen in der „Sicherheitsarchitektur“ zu nennen: Etwa die neue „Antiterrordatei“, die sowohl von der Polizei als auch von allen Geheimdiensten bestückt und gemein­sam genutzt wird. Damit ist eine Vernetzung von Polizei und Geheimdiensten verbun­den und in letzter Konsequenz die Aufhe­bung des verfassungsmäßigen Gebots der Trennung von Polizei und Geheimdiensten – immerhin eine bedeutsame Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit der Ge­stapo der Nazizeit, die sowohl geheim­dienstlich als auch exekutiv tätig war. Mit dem „Trennungsgebot“ sollte ursprünglich in Westdeutschland eine unkontrollierbare Machtkonzentration der Sicherheits­apparate sowie eine neue Geheim-Polizei verhindert werden. Mit der Antiterrordatei wächst zumindest partiell zusammen, was nicht zusammen gehört, wird eine wichtige Lehre aus der deutschen Geschichte weit­gehend entsorgt.

                        Auch die neuesten digitalen Horrorpläne des Bundesinnenministers bedeuten eine neue „Qualität“: etwa die heimliche Online-Durchsuchung von Computern via Internet mit Hilfe von polizeilichen „Bundestrojanern“ – eine kaum kontrollierbare Maßnahme mithöchster Eingriffsintensität; die längerfristi­ge Speicherung von Telekommunikations­daten aller Nutzer auf Vorrat, um sie für Ermittlungsbehörden zugänglich zu halten; des Weiteren die Einrichtung von zentralen Referenzdateien mit Gesichtsbildern und Fingerabdrücken, Dateien, die sich aus den biometrischen Ausweisdaten speisen und die für Zwecke der Kriminalitäts­bekämpfung genutzt werden sollen, mögli­cherweise sogar zur Prävention. Mit die­ser Vorratsdatenspeicherung werden prak­tisch alle Bürger/innen unter General­verdacht gestellt. Hier werden schwere Schläge gegen die informationelle Selbst­bestimmung mit systemsprengender Wir­kung geplant.

 

Nun hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich das Abschießen ziviler Pas­sagierflug­zeuge verboten. Ebenso aus­drücklich hat der Bundesgerichtshof die Online-Durchsuchung von Computern für illegal erklärt. Für jemanden, der den Glau­ben an unsere Verfassung noch nicht ver­loren hat, ist es deshalb kaum vorstellbar, dass Schäuble unverdrossen seine Pläne weiterverfolgt. Die beängstigende Frage stellt sich doch: Werden wir von einer Gro­ßen Koalition aus Verfassungsfeinden re­giert?

 

        Rolf Gössner - Foto: H. Schneider-Sonnemann

 

Manchmal hat es den Eindruck – wobei wir wahrlich nicht verwöhnt sind, denken wir nur an Otto Schily und die rotgrüne Vorgängerregierung zurück. Bundesver­fassungsgericht, Bundesgerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte mussten jedenfalls in den letzten Jah­ren mehrfach Gesetze und Maßnahmen für verfassungs- oder gesetzeswidrig erklären - erinnert sei nur an den Großen Lauschangriff mit elektronischen Wanzen in und aus Wohnungen, an die Überwachungs­befugnisse des Zollkriminalamtes (beide 2004), die präventive Telekommunikations­überwachung, den Europäischen Haftbe­fehl (beide 2005), den Fluggast-Datentransfer an US-Sicherheitsbehörden, die Befugnis zum präventiven Abschuss eines gekaperten Passagierflugzeugs durch das Militär im Luftsicherheitsgesetz (beide 2006) – eine staatliche Lizenz zur gezielten Tötung von unschuldigen Menschen. Auch die exzessiven Rasterfahndungen nach „islamistischen Schläfern“ sind für unver­hältnismäßig und damit verfassungswidrig erklärt worden (2006) und heimliche Online-Durchsuchungen von Computern für illegal (2007). Trotz dieser beeindrucken­den Anzahl verfassungswidriger Gesetze und Maßnahmen hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Chuzpe, zu be­haupten: „Sie können sicher sein, dass wir uns immer im Rahmen der geltenden Rechtsordnung halten.“ Dieser „Verfassungsminister“ hat schon länger den Boden des Grundgesetzes verlassen.

Die hohe Anzahl verfassungswidriger Gesetze und Maßnahmen, aber auch der seinerzeit von Deutschland mitgeführte völ­kerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Jugoslawien und die deutsche Beihilfe zum Völkerrechtsverbrechen gegen den Irak, verweisen auf ein Verfassungs- und Völkerrechtsbewusstsein in der politischen Klasse und in mancher Sicherheitsbehör­de, das im Zuge der Terrorismus­bekämpfung immer mehr zu schwinden scheint – strenggenommen ein Fall für den „Verfassungsschutz“. Eine höchst beunru­higende Entwicklung, zumal die verantwort­lichen Politiker nicht selten unverhohlene Verachtung gegenüber solchen Gerichts­entscheidungen zeigen und ankündigen, die Urteile etwa mit Gesetzesnovellierungen oder Grundgesetzänderungen unterlaufen zu wollen.

FriedensJournal  Mai 2007 / Nr. 3  

Aktuell werden wir daran gewöhnt, dass die Bundeswehr zunehmend grundge­setzwidrig an Angriffskriegen beteiligt und dieses zum Normalzustand deklariert wird. Wie sieht es parallel dazu mit Bundeswehr­einsätzen im Inneren aus – mit oder ohne Grundgesetzänderung?

Seit Jahren erleben wir nicht allein eine Militarisierung der Außenpolitik, sondern auch der „Inneren Sicherheit“, in deren Mittelpunkt der Bundeswehreinsatz im In­land steht – obwohl hierzulande Polizei und Militär schon aus historischen Gründen so­wie nach der Verfassung strikt zu trennen sind. Doch Innenminister Schäuble und Verteidigungsminister Franz Josef Jung sind wild entschlossen, die Bundeswehr nicht etwa nur im Notstandsfall nach den Not­standsgesetzen, sondern regulär als natio­nale Sicherheitsreserve im Inland einzu­setzen, um damit die Polizei zu stärken – wobei es nicht etwa nur um Objektschutz gehen soll, sondern um den „Schutz der Bevölkerung vor terroristischen und asym­metrischen Bedrohungen“.

Zu diesem Zweck soll die verfassungs­mäßige Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit, zwischen Militär und Polizei per Grundgesetzänderung vollends aufgehoben werden. Und es gibt bereits Pläne – so etwa im neuen „Weißbuch“ des Verteidigungsministeriums -, den „Verteidigungsfall“ nach Art. 87a GG per Definition vor zu verlagern, um ihn auch im Fall drohender Terroranschläge ausrufen zu können, die damit kriegerischen Angrif­fen von feindlichen Armeen im Sinne des Kriegsvölkerrechts gleichgesetzt würden. So will sich die Bundesregierung gegen mögliche Reaktionen auf ihre eigene, an­schlagsrelevante Außen- und Kriegspolitik auch mit dem Einsatz der Bundeswehr im Innern wappnen. Kollateralschäden an der Heimatfront inbegriffen...

Die letzte und wohl schwierigste Frage: Wo sehen Sie am ehesten Ansatzpunkte zur erfolgreichen Verteidigung demokra­tischer Rechte? Man kann schließlich nicht an allen Fronten kämpfen.

In starken politisch-sozialen Bewegungen ist die Bürgerrechtsfrage in der Regel gut verankert, denn dort geht es ja um die In­anspruchnahme dieser Rechte und um den Erhalt erfolgversprechender Aktions­bedingungen. Das heißt: Je stärker diese Bewegungen, desto stärker auch der Kampf um demokratische Rechte.

In Zeiten, in denen Menschenrechte weltweit mehr und mehr als Hindernis auf dem Weg zur (vermeintlichen) Sicherheit begriffen werden, in Zeiten, in denen Men­schenrechte missbraucht werden als Be­gründung für „humanitäre Interventionen“ – sprich für Menschenrechtsverletzungen im Namen der Menschenrechte, in solchen Zeiten sind friedens- und menschenrechts­orientierte Kräfte besonders gefordert, sich verstärkt zusammenzuschließen, um glo­bal planen und konfliktlösend intervenieren zu können – etwa im Rahmen eines euro­päischen oder globalen Netzwerkes für Menschenrechte und Frieden, für soziale Intervention und Deeskalation sowie für nachhaltige zivile Entwicklungsstrategien und Aufbauhilfen, für menschliche Sicherheit durch Entwicklung und demokratische Partizipation. Vielversprechende Ansätze dafür gibt es ja schon. Dabei geht es, wie gesagt, nicht zuletzt auch um die Verteidigung elementarer Freiheits- und Bürgerrechte, mit dem Ziel, die Aktionsbedingungen von nationalen und internationalen Protest- und Widerstands­bewegungen zu sichern, die für eine an­dere, für eine friedlichere Welt und eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung kämp­fen – also für eine Welt ohne Ausbeutung, Armut und Krieg. Und nur eine solche Welt kann sowohl dem internationalen Terror als auch dem staatlichen Gegenterror den Nährboden entziehen.

 

Das Interview führte Karl-Heinz Peil

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publi­zist, ist seit 2003 Präsident der „Internatio­nalen Liga für Menschenrechte“. Mither­ausgeber von „Ossietzky“ - Zwei­wochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft sowie des jährlich erscheinenden „Grundrechte-Reports“ (Fischer-TB). Mitglied der Jury zur Verleihung des Negativpreises „BigBrotherAward“. Soeben erschienen: >Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der „Heimatfront“< (Konkret Literatur Verlag, Hamburg; 288 S., 17 €).