Aus: FREITAG – Die Ost-West-Wochenzeitung vom 2.06.2006
Rolf
Gössner
FELDVERSUCH
ZUR INNEREN SICHERHEITDie Fußball-WM in Deutschland dient Polizei, Geheimdiensten
und Bundeswehr als Anlass für eine groß angelegte Anti-Terrorübung
Spieler greifen an,
schießen, überrennen die Verteidigung und verletzen sich - Fußball kann
gefährlich sein, hochgefährlich sogar. So jedenfalls empfinden es die
Verantwortlichen für die innere Sicherheit in Deutschland. Als besonders riskant
erscheint es ihnen, wenn Hunderttausende von Fußballbegeisterten aus aller Welt
aufeinander treffen, schließlich seien zuweilen nicht wenige auf Zerstörung, Randale
und Gewalt aus.
Massenveranstaltungen während der
Fußball-WM, das bedeutet für Polizei, Geheimdienst und Bundeswehr jedoch vor
allem Terrorgefahr. Deshalb ist entgegen dem offiziellen Motto des Championats
"Die Welt zu Gast bei Freunden" aufgerüstet worden wie selten zuvor -
es wird überwacht, kontrolliert, abgeschottet und ausgegrenzt, auch wenn gerade
erst der Amoklauf eines 16-Jährigen in Berlin begreifen ließ, dass es keine
absolute Sicherheit geben kann. Wie auch immer, ein Großaufgebot an
Sicherheitskräften steht bereit, um gegen die beschworenen Gefahren gewappnet
zu sein.
Nicht ob,
sondern wann
Am "Nationalen WM-Sicherheitskonzept" haben Polizei- und Geheimdienststrategen
lange gefeilt und alle denkbaren Bedrohungsszenarien durchgespielt: Dabei
werden betrunkene Fußball-Fans und fingerfertige Taschendiebe eher in den
unteren Kategorien eines latenten Gefahrenpotenzials eingestuft, als weitaus
bedrohlicher gelten gewaltbereite Hooligans, Zuhälter und Menschenhändler, als
größte Herausforderung die "Gefahren des internationalen
Terrorismus". Im Augenblick deutet selbst nach offiziellen Angaben zwar
nichts auf mögliche Terroranschläge hin, doch die Sicherheitsbehörden wollen
nicht ausschließen, dass Deutschland längst ins Visier islamistischer
Terroristen geraten ist. Die Frage sei nicht, ob es hierzulande Anschläge gäbe,
sondern lediglich, wann es dazu komme. Keine Phantasie scheint zu weit
hergeholt: Schmutzige Bomben, Selbstmordanschläge, Flugzeuge als mörderische
Waffen gegen Tausende.
Unter diesen Umständen wird die
Fußball-WM zur Anti-Terrorübung, zur perfekten Gelegenheit für einen
Großfeldversuch, bei dem sich umstrittene Sicherheitsmaßnahmen und -techniken
austesten lassen. Bereits im Vorfeld des Ereignisses mussten die Besteller von
WM-Tickets geradezu inquisitorische Fragen beantworten und ausgesprochen persönliche
Angaben hinterlassen, ihre Staatsangehörigkeit zum Beispiel - auch für welche
Nationalmannschaft das eigene Fußball-Herz schlage, war von Interesse. Mit
diesen Informationen sollen offenbar Fan-Ströme gesteuert und in den Stadien
Gefahren mindernd verteilt werden. Fans, die etwa die saudi-arabische oder
iranische Nationalmannschaft favorisieren, könnten zumindest Argwohn erwecken,
wenn nicht gar polizeiliche oder geheimdienstliche Präventivmaßnahmen auslösen.
Nun wollen auch noch Neonazis die WM als Forum nutzen - ein Grund mehr für ein
gewaltiges Polizeiaufgebot.
Alle Karteninteressenten haben
ihre Ausweis- oder Reisepassnummern angeben müssen, obwohl es gesetzlich
verboten ist, diese als Personenkennziffern zu nutzen - doch im Namen der
Sicherheit scheinen Rechtsnormen von sekundärer Bedeutung. Sämtliche WM-Tickets
sind zudem mit einem sogenannten RFID-Chip ausgerüstet, mit dem jeder
Stadionbesucher per Funk geortet werden kann, ohne es selbst zu merken. Damit
ließen sich praktisch Bewegungsbilder der Betroffenen erstellen.
Hunderttausende von arglosen Fans dienen als Testobjekte für eine höchst
fragwürdige Kontrolltechnologie.
Fußballspieler, Journalisten,
Reinigungs- und Hilfskräfte bis zum Würstchenverkäufer, aber auch Sicherheits-,
Feuerwehr- und Rettungskräfte mussten sich bei der Akkreditierung für die WM
einer kategorischen Überprüfung unterziehen. Über 250.000 Menschen wurden de
facto als potenzielle "Innentäter" durchleuchtet. Schon bestimmte
Verdachtsmomente genügten, um keine "Arbeitserlaubnis" im
Sicherheitsbereich zu erhalten: Schulden beispielsweise können als Indiz für
eine mögliche Erpressbarkeit gelten, Kontakte zu bestimmten Organisationen
ohnehin. Für diesen Marsch durch die Sicherheitsschleusen fehlte allerdings die
gesetzliche Grundlage, bestenfalls wurden sie in einer rechtlichen Grauzone
aufgebaut.
Schadensfall,
statt Sportfest
Auch andere Maßnahmen verdienen es, in diesem Kontext hinterfragt zu werden,
angefangen bei der flächendeckenden Videoüberwachung von Stadien und Stadtzentren,
über Reiseverbote und Meldeauflagen bis hin zu Aufenthalts- und Stadionverboten
sowie beschleunigten Strafverfahren - die Kontrolle des Luftraums durch
AWACS-Aufklärungsflugzeuge nicht zu vergessen.
Von besonderer Tragweite ist der
Bundeswehreinsatz im Inneren, denn in Deutschland sind Polizei und Militär
schon aus historischen Gründen strikt voneinander zu trennen. Danach darf die
Bundeswehr keinesfalls zur nationalen Sicherheitsreserve für den Einsatz im
Inland werden. Nun aber soll sich die Bevölkerung offenbar gerade hieran
allmählich gewöhnen. Die WM sorgt für eine willkommene Gelegenheit, diesem
Paradigmenwechsel jede Anstößigkeit zu nehmen: Bundeswehrangehörige werden
logistische und technische Amtshilfe leisten, um die Polizei zu entlasten, wird
argumentiert - was sollte daran falsch sein? Tausende Soldaten stehen sozusagen
"Gewehr bei Fuß", auch wenn sie keineswegs für zivil-polizeiliche
Aufgaben ausgebildet sind.
Eine internationale Meisterschaft
bietet den Anlass, sich in eine Art Ausnahmezustand hineinzuphantasieren,
gerade als wäre die WM ein gigantischer Schadensfall und kein Sportfest. Wir
erleben einen populistisch angehauchten Aktionismus, der den Daten- und
Persönlichkeitsschutz und damit die Bürgerrechte Hunderttausender ignoriert.
Die "terroristische Gefahr" liefert dafür einmal mehr die Legitimation
- der Zweck scheint jedes Mittel zu heiligen. Mit dem 9. Juni 2006, dem Tag der
WM-Eröffnung, wird der autoritäre Präventions- und Sicherheitsstaat wieder um
ein beträchtliches Stück näher gerückt sein.