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Ein Jahr nach dem Scheitern
des NPD-Verbotsverfahrens
wurden immer noch keine politischen Konsequenzen gezogen
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Nach den Anschlägen von Madrid ist erneut eine Debatte um Neuordnung des Verfassungsschutzes (VS) aufgeflammt. Landesämter sollen abgeschafft oder zusammengelegt werden, das Bundesamt zentrale Kompetenzen erhalten, um Konkurrenzen und Reibungsverluste zu vermeiden. Doch eine allein an - letztlich nicht überprüfbaren - Effizienzaspekten ausgerichtete VS-Strukturreform aus dem Affekt heraus ist gefährlich, solange die bisherigen Pannen, Skandale und Kontrolldefizite nicht aufgearbeitet sind - strukturelle Mängel und kriminelle Machenschaften, wie sie im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren offenkundig geworden sind.
Vor exakt einem
Jahr, am 18. März 2003, endete die größte V-Leute-Affäre in der Geschichte der
Bundesrepublik in einem Desaster: Mit einer Verfahrenseinstellung zog das
Bundesverfassungsgericht einen Schlussstrich unter den Verbotsprozess gegen die
NPD, der von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrengt worden war.
Das Verfahren platzte wegen der Verstrickung zahlreicher V-Leute des VS und
damit wegen mangelnder "Staatsfreiheit" der rechtsextremen Partei.
Jeder Siebte war V-Mann
Aus diesem Verbotsdesaster solltenschleunigst politische Konsequenzen gezogen
werden. Doch bis heute hat sich kaum etwas getan. Weder wurde die V-Mann-Affäre
offiziell aufgearbeitet noch wurden aus dem Scheitern des Verfahrens die
notwendigen Lehren gezogen - eine skandalöse Untätigkeit der politisch Verantwortlichen,
die umso bemerkenswerter ist, als schon der rot-grüne Koalitionsvertrag von
2002 eine Strukturreform der Geheimdienste vorsah.
Zur Erinnerung:
Etwa 30 der 200 Vorstandsmitglieder der NPD standen seit Jahren als V-Leute im
Sold des Inlandsgeheimdienstes - also fast jeder Siebte. Über Hundert dürften
es auf allen Parteiebenen gewesen sein. Allein diese hohe Zahl an staatlich
bezahlten Neonazis hatte erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der NPD. Sie
haben das Feld, das sie für den VS von innen beobachten sollten, selbst rassistisch
mitgestaltet; sie haben die NPD gestärkt, anstatt sie zu schwächen.
Für das
Bundesverfassungsgericht war die Grenzlinie zwischen VS und VS-unterwanderter
NPD nur noch schwer auszumachen - zumal die Innenminister das Ausmaß der
Infiltration mit aller Kraft zu vertuschen suchten. Das Verbotsverfahren war
dermaßen geheimdienstlich kontaminiert, dass es - aus Gründen des "Quellenschutzes"
und des "Staatswohls" - zu einem Geheimverfahren zu werden drohte, in
dem die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, Akten manipuliert und Zeugen
gesperrt werden. Ein solches Verfahren wäre weder fair noch rechtsstaatlich,
weshalb das Verfassungsgericht zurecht die Notbremse gezogen hat. Für diese
juristische Bauchlandung tragen VS-Ämter und Innenminister die Verantwortung.
Ihnen war die V-Mann-Deckung stets wichtiger als die Rechtsstaatlichkeit des Verbotsverfahrens.
Das
NPD-Verbotsverfahren und sein Scheitern haben gezeigt, wie kontraproduktiv, ja
unheilstiftend der VS bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus agiert. Im Laufe
der Jahre ist in der Neonazi-Szene ein regelrechtes Netzwerk aus dubiosen
Zuträgern, Spitzeln und Agents provocateurs entstanden, über das noch nicht einmal
die siebzehn VS-Behörden des Bundes und der Länder einen Überblick haben,
geschweige denn die verantwortlichen Innenminister. Dabei steht die hohe Zahl
an V-Leuten in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn des VS, der über sein unkoordiniertes
V-Leute-Netzwerk schon Teil des Neonazi-Problems geworden ist.
Das verhaltene
Eingeständnis des VS-Präsidenten Heinz Fromm, seine V-Männer seien nun mal
"keine Pastorentöchter", ist nur die halbe Erkenntnis. Sie verweist
darauf, dass es sich bei V-Leuten, die vom VS aus dem rechten Milieu rekrutiert
werden, um gnadenlose Rassisten, Neonazis und Gewalttäter handelt. Über solche
dunklen Gestalten produziert und finanziert der VS all das mit, was er als
"Frühwarnsystem" beobachten und bekämpfen soll, was mit
Verfassungsschutz nun wahrlich nichts mehr zu tun hat. Solche
geheimdienstlichen Aktivitäten gefährden, was sie eigentlich schützen sollten:
Demokratie und Rechtsstaat.
Besonders
erschreckend ist die Dreistigkeit, mit welcher der VS selbst straffällig
gewordene V-Leute deckt, ihnen für ihre kriminellen Handlungen Freiräume verschafft,
sie mitunter gegen polizeiliche Ermittlungen regelrecht abschirmt, um sie
weiter abschöpfen zu können - anstatt sie unverzüglich abzuschalten.
Ähnlich wie die
Debatte um das umstrittene NPD-Verbot zeigt die geheimdienstliche Infiltration
des Rechtsextremismus fokusartig das Dilemma der "wehrhaften" Demokratie
im Kampf gegen Rechts: Einerseits gebietet es die deutsche Geschichte, gerade
bei Neonazi-Organisationen und -Parteien besonders wachsam zu sein; andererseits
aber kann sich die Fixierung auf einen Geheimdienst rasch als fatal erweisen,
weil er und seine geheimen Instrumente selbst demokratischen Prinzipien der
Transparenz und Kontrollierbarkeit widersprechen. Geheimdienste sind Fremdkörper
in einer Demokratie.
Eine Generalrevision ist nötig
Welche Konsequenzen sind zu ziehen? Erstens: Der VS und sein V-Leute-System
müssen einer Generalrevision unterzogen werden, die von einer unabhängigen Geheimdienstkommission
vorzubereiten wäre. Zu deren Evaluierungsarbeit gehören die Aufklärung der
jüngeren V-Mann-Affäre und die Aufarbeitung der VS-Skandalgeschichte. Dazu
gehört auch eine kritische Bestandsaufnahme der mehrfach - zuletzt mit den
"Anti-Terror"-Gesetzen - ausgeweiteten Aufgaben und Befugnisse, Arbeitsmethoden
und Strukturen des VS, aber auch seiner Effizienz, die noch nie überprüft
worden ist. Letztlich wird sich das V-Mann-Unwesen und das damit verbundene
Geheimhaltungssystem nur aufbrechen lassen, wenn der systematische Einsatz von
V-Leuten unterbunden und die erkennbar gewordene Symbiose von
Verfassungsfeinden und Verfassungsschützern beendet wird.
Solange sich an dem
V-Leute-Unwesen nichts ändert, kann es passieren, dass kriminelle V-Leute, die
künftig verstärkt aus dem "islamistischen" Beobachtungsfeld
rekrutiert werden sollen, etwa bei Sprengstoffbeschaffungen mitmischen oder in
Mordaufrufe und Attentate verwickelt sein werden - und dass der Verfassungsschutz
solche Gewalttäter im Dienste des Staates dann auch noch decken wird, wie wir
das bei der Infiltration des Rechtsextremismus erfahren mussten.
Zweitens:
Angesichts der notorisch mangelhaften Kontrolle der Geheimdienste sollten
unabhängige Geheimdienstbeauftragte gewählt werden, die - ähnlich den Datenschutzbeauftragten
- mit weitreichenden Prüfkompetenzen wie Akteneinsichts- und Vernehmungsrecht
sowie mit einem arbeitsfähigen Team auszustatten sind. Damit ließe sich die
Kontrolle professionalisieren und intensivieren - wohl wissend, dass eine
demokratische Vollkontrolle von Geheimdiensten nie zu erreichen sein wird.
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Doch ungeachtet der Filigranarbeit beim Versuch einer rechtsstaatlichen Zähmung geheimer Dienste plädiere ich für den Aufbau offen arbeitender, wissenschaftlicher Dokumentationsstellen zur Beobachtung, Erforschung und Analyse des Rechtsextremismus. Solche Institutionen hätten den enormen Vorteil, dass sie weniger interessegeleitet wären als Regierungsgeheimdienste, dass sie kontrollierbar wären und dass ihre wissenschaftlichen Diagnose- und Analysefähigkeiten denen des VS deutlich überlegen wären. Solche Stellen sollten der Aufklärung und Politikberatung dienen, frühzeitig über rechtsextreme Tendenzen informieren sowie Gegenstrategien ausarbeiten. Zu diesen Gegenstrategien gehört eine konsequente Antidiskriminierungspolitik, eine humane Asyl- und Migrationspolitik, die Stärkung der Position von Minderheiten und eine bessere Unterstützung von Opfern rechter Gewalt. Gefordert sind also primär sozial- und verfassungsverträgliche Lösungsansätze - jenseits von Rassisten und Schlägern im Dienste des Staates.
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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 17.03.2004 um 17:41:05 Uhr
Erscheinungsdatum 18.03.2004