14.09.2007
Die Innenpolitiker haben aus dem Deutschen Herbst nichts gelernt. Erneut unterminieren sie im Namen des Anti-Terrorkampfes Bürgerrechte und Rechtsstaat
Die Sicherheitsdebatte nach den spektakulären Festnahmen mutmaßlicher islamisti-scher Terroristen wird hitziger. In solchen Situationen schlägt regelmäßig die Stunde der Scharfmacher und der politische Druck wächst. Und auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mit seinen staatsgewaltigen Fantasien und grundrechtssprengenden Denkanschlägen, die er fast täglich verübt, sieht sich offenkundig bestätigt. In der Bevölkerung und den Medien, die bislang Schäubles Aufrüstungspläne gar nicht so erstrebenswert fanden, wird die Kritik daran womöglich mehr und mehr verstummen.
Tatsächlich
stellt sich für viele die Frage: Brauchen wir nicht doch noch weitergehende
Eingriffsbefugnisse für Polizei und Geheimdienste, um den nun ausgemachten Homegrown-Terroristen
das blutige Handwerk zu legen? Jetzt, wo die Gefahr nicht mehr nur mit Mustafa
und Mohammed in Zusammenhang gebracht wird, die längst unter Generalverdacht
stehen, sondern eben auch von eingeborenen Islamkonvertiten droht, die auf die
Namen Fritz und Daniel hören. Und so zeichnet sich auch schon ein neues
Feindbild ab: der Konvertit - ein potentieller Terrorist. Prompt fordern
CDU/CSU-Politiker ein diskriminierendes Register zur pauschalen Überwachung von
Menschen, die zum Islam übergetreten sind. Und so zeichnet sich auch schon ein
neues Feindbild ab: der Konvertit – ein potentieller Terrorist.
Deutschland
gilt schon seit Jahren als Teil eines globalen Gefahrenraums mit zunächst eher
abstrakter Gefährdungslage. Doch spätestens nach den Kofferbombenfunden vom
letzten Jahr und den neuesten Festnahmen hat der islamistische Terror nach
herr-schender Meinung Deutschland erreicht. Und diese neue Bedrohungslage
könne, so die nicht ganz logische Schlussfolgerung, nur mit abermals neuen Befugnissen
bewältigt werden.
Doch lassen wir die
Kirche, oder auch die Moschee, im Dorf. Der letzte Festnahmeerfolg nach einem monatelangen
Großeinsatz der Polizei, mit dem mutmaßlich geplante Anschläge verhindert
wurden, zeigt doch allem Anschein nach: Wir brauchen weder heimliche
Trojanerfahndungen per Online-Durchsuchung von Computern noch grundgesetzwidrige
Bundeswehreinsätze im Innern des Landes, wie sie Schäuble unablässig fordert.
Aber auch keinen Umbau des Bundeskriminalamtes in ein deutsches FBI, geschweige
denn die Internierung von „Gefährdern“, die Nutzung unter Folter erpresster
Aussagen oder die Tötung von Topp-Terroristen – Denkansätze eines
Sicherheitsministers, dem offenbar jegliches Verfassungsbewusstsein abhanden gekommen
ist.
Jetzt
hat die Innenministerkonferenz beschlossen, Menschen, die sich im Ausland in so
genannten Terrorcamps ausbilden lassen, zu bestrafen, sobald sie in die Bundesrepublik
zurückkehren. So plausibel eine solche Strafandrohung auf den ersten Blick auch
scheinen mag, so problematisch ist sie bei genauerem Hinsehen. Wie will man
denn hierzulande feststellen oder gar nachweisen, dass jemand in einem Camp zum
Terroristen ausgebildet worden ist? Verübte oder unmittelbar geplante
Straftaten sollen offenbar keine Kriterien der Strafbarkeit sein, noch nicht
einmal konkrete Vorbereitungshandlungen, was eigentlich notwendig wäre. Und
aufgrund welcher Erkenntnisse soll denn beurteilt werden, um welche Qualität
von Ausbildung es sich gehandelt hat? Will man sich dann tatsächlich auf
dubiose, nicht gerichtsfeste Erkenntnisse der Geheimdienste verlassen, oder auf
Aussagen, die unter Folter zustande gekommen sind? Das wäre mit
rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Standards jedenfalls nicht zu
vereinbaren.
Der Autor
Rolf
Gössner, Rechtsanwalt, Publizist und Parlamentarischer Berater,
ist Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Mitherausgeber des
jährlich erscheinenden Grundrechte-Reports sowie Autor des kürzlich
erschienenen Buches "Menschenrechte in Zeiten des Terrors -
Kollateralschäden an der ,Heimatfront'" (Hamburg 2007, 288 Seiten, 17
Euro).
Der Text
ist die überarbeitete Fassung einer Rundfunksendung des Autors. Darin
warnt er vor den jüngsten Vorschlägen der Innenminister-Konferenz: den Besuch
von Terrorcamps und die Sympathiewerbung zu bestrafen, sei mit Bürgerrechten
nicht vereinbar.
Die Innenminister der Länder haben auch angemahnt, die
Sympathiewerbung für "islamistische" terroristische Vereinigungen und
Aktivitäten in dem berüchtigten Terrorismusparagrafen 129a Strafgesetzbuch zu
sanktionieren. Strafbar wären dann etwa Internetauftritte, Flugblätter oder
Spruchbänder, die El Qaida oder terroristische Aktionen positiv werten. Es ist
allerdings zu befürchten, dass wir damit in alte Zeiten zurückfallen, als die
bloße Sympathiewerbung für Gruppen, die als terroristisch galten, bereits unter
Strafe gestellt wurde.
Nicht
nur Mitglieder und Unterstützer terroristischer Vereinigungen konnten in den
70er, 80er und 90er Jahren belangt werden, sondern auch bloße
"Werber" für solche Gruppen. Das Georg-Büchner-Zitat "Krieg den
Palästen" und ein fünfzackiger Stern (RAF-Symbol), an die Plastikwand
einer U-Bahn gesprüht, brachten etwa einer Münchner Arzthelferin wegen Werbens
für eine terroristische Vereinigung zwölf Monate Gefängnis ein.
Weil
diese fast uferlose Art von Terrorismusbekämpfung zu einer Art Zensur und Vergiftung
des politischen Klimas führte, zeitweise zu einer regelrechten Sympathisantenhatz,
wurde seit 2003 - auf Druck der damaligen bündnisgrünen Regierungsfraktion -
das bloße Werben nicht mehr unter Strafe gestellt, wenn es sich um reine Sympathiewerbung
für die Vereinigung oder ihre Ziele handelt. So wird also etwa das Verteilen
von Flugblättern oder Dokumentieren bestimmter Texte nicht mehr ohne Weiteres
zum terroristischen Delikt. Jetzt ist nur noch das "Werben um Mitglieder
oder Unterstützer" strafbar - was jedoch über das gezielte
"Anwerben" neuer Mitglieder und Unterstützer hinausgeht; auch setzt
eine diesbezügliche "Tat" nicht voraus, dass das werbende Verhalten
zu einem messbaren Erfolg für die Vereinigung geführt hat.
Gleichwohl sind die zensurierenden Wirkungen dieser
Organisationsnorm erheblich eingeschränkt und das immer wieder beklagte
Gesinnungsstrafrecht wenigstens insoweit entschärft worden. Die neuen Pläne der
Innenminister drohen diese Entschärfung wieder rückgängig zu machen - sie
werden keinesfalls nur "Sympathiewerbung" für islamistischen Terror
treffen, sondern allgemein und weit darüber hinaus Geltung erlangen. Die bloße
Dokumentation von Reden oder Bekennerschreiben, welcher Terrorgruppe auch immer,
könnte dann bereits strafrechtliche Ermittlungen und Verurteilungen zur Folge
haben - auch wenn solche Dokumentationen lediglich der Information und dem
politischen Diskurs dienen sollen. Die Innenminister der Länder und des Bundes
haben offenbar aus dem "Deutschen Herbst" nicht allzu viel gelernt.
Schon nach den
Terroranschlägen in den USA vom 11.9.2001 übertrafen sich Parteien und
Sicherheitspolitiker gegenseitig mit Gesetzesverschärfungen zur Terrorismusbekämpfung,
die der Sicherheit der Bürger dienen sollen, aber mit Sicherheit ihre Freiheitsrechte
einschränken. 2002 sind die umfangreichsten Sicherheitspakete der deutschen
Rechtsgeschichte in Kraft getreten. Damit wurden etwa Polizei- und Geheimdienst-Befugnisse
stark ausgeweitet, Sicherheitsüberprüfungen von Arbeitnehmern auf "lebens-
und verteidigungswichtige Betriebe" ausgedehnt, "biometrische
Daten" in Ausweispapieren erfasst und Migranten einer noch intensiveren
Überwachung unterzogen. Inzwischen ist auch die Antiterrordatei eingeführt, mit
der die Trennung von Polizei und Geheimdiensten unterlaufen wird und
zusammenwächst, was nicht zusammen gehört. Und die Bundeswehr wird bereits so
dreist und selbstverständlich im Innern des Landes eingesetzt, zuletzt gegen
den massenhaften G-8-Protest, als hätte das Grundgesetz ausgedient.
Dennoch scheint es immer noch nicht genug: Nach jedem Anschlag entbrennt eine neue Debatte um angebliche Sicherheitslücken, in der es im Kern um einen fatalen Umbau der Sicherheitsarchitektur geht - mit dem Effekt einer zunehmenden Militarisierung der "Inneren Sicherheit", einer weiteren Zentralisierung und Vernetzung aller Sicherheitsbehörden und einer Erhöhung der Kontrolldichte in Staat und Gesellschaft. Eine Rüstungsspirale ohne Ende.
Selbst
die Gewerkschaft der Polizei fürchtete angesichts dieser überzogenen Sicherheitsgesetze
schon um die "Bürgernähe" der Polizei und um den "freiheitlichen
Staat". Statt der Polizei immer neue Befugnisse zuzumuten, die mit ihrer
Personaldecke kaum zu bewältigen sind, solle man sich lieber um die bestehenden
Vollzugsdefizite kümmern - zumal die Polizei wegen der faktischen
Allzuständigkeit, die ihr von der Sicherheitspolitik aufgebürdet wird, längst
heillos überfordert ist.
Anstatt
der Bevölkerung die Wahrheit über Unsicherheitsfaktoren in einer demokratischen
und hochtechnisierten Risikogesellschaft zuzumuten, machen ihr Regierungspolitiker
immer wieder unhaltbare Sicherheitsversprechen. Zu dieser Wahrheit gehört auch,
dass sich die Gefahrenlage immer dann besonders verschlechtert, wenn die
Politik wieder mal ihren Teil dazu beiträgt - etwa durch den Beschluss, mit dem
Einsatz von Tornados der Bundeswehr in Afghanistan einen aktiven Kriegsbeitrag
zu leisten. Das erhöht die Anschlagsgefahr auch hierzulande.
Verantwortliche
Politiker verdrängen solche Zusammenhänge gerne, bedienen stattdessen das
ohnehin starke Sicherheitsbedürfnis der Bürger und nutzen es zur Legitimierung
längst geplanter Nachrüstungsmaßnahmen - auch wenn die wenigsten zur Bekämpfung
eines religiös motivierten, selbstmörderischen Terrors von weitgehend unauffälligen
Tätern taugen. Nur in wenigen Fällen konnte die Sicherheitspolitik plausibel darlegen,
dass ihre Gesetze zur Bekämpfung dieser Art von Terrorismus tauglich sein können.
Dazu gehören Maßnahmen zur Erhöhung der Flug- und Verkehrssicherheit, zur Kontrolle
internationaler Geldströme, möglicherweise auch die Abschaffung des Religionsprivilegs
im Vereinsrecht. Die letzten Anschlagsversuche in England aber zeigten, dass
diese auch mit all den inzwischen erfolgten Gesetzesverschärfungen und unter hohem
Fahndungsdruck nicht zu verhindern sind, sondern häufig nur durch Glück und Zufall,
durch aufmerksame Bürger oder aber durch klassische kriminalistische Ermittlungen
der Sicherheitsbehörden.
Für ein
vages Sicherheitsversprechen bezahlt die Bevölkerung mit schweren Grundrechtsverlusten
einen hohen Preis. Doch weder in einer hochtechnisierten Risikogesellschaft
noch in einer liberalen, offenen Demokratie kann es einen absoluten Schutz vor
Gefahren und Gewalt geben. Unhaltbare Sicherheitsversprechen und ein ausuferndes
Sicherheitsdenken, wie wir es nicht nur hierzulande erleben, können zerstören,
was sie zu schützen vorgeben: Demokratie, Freiheit und Bürgerrechte, die im
Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes ohnehin schon schweren Schaden erlitten
haben.
[document info] Copyright © FR-online.de und Rolf
Gössner 2007, 14.09.2007
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