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Aus:
FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 18. August 2004
Der gläserne Passagier
ist der Willkür ausgeliefert
Der skandalöse Transfer sensibler Fluggastdaten an
US-Sicherheitsbehörden verstößt gegen Bürgerrechte und europäischen Datenschutz
VON ROLF GÖSSNER
Der Standpunkt des Autors
US-Behörden haben seit Mai 2004
direkten Zugriff auf die Daten von Fluggästen, die von einem Flughafen in der
EU in die USA fliegen. Das erlaubt ein von EU-Rat und -Kommission mit
Washington geschlossenes Abkommen. Der Autor sieht darin einen eklatanten
Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte und Datenschutzbestimmungen. Er hofft,
dass der Europäische Gerichtshof, der vom EU-Parlament angerufen wurde, das
Abkommen annulliert. Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, ist
Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte" sowie Autor
zahlreicher Sachbücher zu Bürgerrechtsthemen.
Gegen das ausdrückliche Votum des Europäischen Parlaments
und der EU-Datenschutzbeauftragten hatten EU-Rat und -Kommission im Mai 2004
ein höchst brisantes Abkommen mit den USA geschlossen. Darin geht es um die
Übermittlung von Flugpassagierdaten aus den 25 EU-Ländern an
US-Sicherheitsbehörden.
Dieser Vorfall steht beispielhaft für das notorische Demokratiedefizit in der
EU - um so erfreulicher, dass das Europäische Parlament gegen dieses Abkommen
schweres Geschütz auffährt: Es hat vor kurzem den Europäischen Gerichtshof in
Luxemburg angerufen, um eine Annullierung zu erreichen. Die große Mehrheit der
Parlamentarier vermisst einen ausreichenden Schutz für die übermittelten Daten.
Die Datenweitergabe verstoße gegen Grundrechte und völkerrechtlich garantierte
Prinzipien des Datenschutzes.
Von dem Datentransfer sind jährlich mehr als zehn Millionen Flugpassagiere aus
Europa, die in die USA fliegen oder über die USA weiterreisen, unmittelbar
betroffen. Schon bevor sie auch nur einen Fuß auf den Boden des Landes gesetzt
haben, sind die US-Sicherheitsbehörden über sie umfassend informiert, haben
ihre Schlüsse gezogen, Verdachtsmomente ventiliert oder Verdächtigungen
konstruiert. Begründet wird all dies mit der "Bekämpfung des Terrorismus
sowie sonstiger Verbrechen transnationaler Art, einschließlich der
organisierten Kriminalität".
Schon vor Abschluss des Abkommens hatten die USA europäische Fluggesellschaft
unter massiven Druck gesetzt: Sollten sie sich weigern, die gewünschten Daten
herauszurücken, drohten ihnen empfindliche Geldbußen oder gar die Entziehung
der Landerechte. Tatsächlich haben viele Fluglinien sämtliche Passagierdaten
ohne jegliche rechtliche Grundlage übermittelt.
Hochsensible Informationen
Anstatt den Fluggesellschaften den Rücken zu stärken, unterwarf sich nun die
gesamte EU der Sicherheitsdoktrin der US-Regierung, die kaum noch
rechtsstaatliche Grenzen kennt. Mit dem geschlossenen Abkommen erhält die
US-"Heimatschutz"-Behörde elektronischen Direktzugriff auf die
Fluggast-Datensätze aus allen europäischen Flug-Buchungssystemen. Mit diesem
automatischen "Pull-Verfahren" erhalten die US-Sicherheitsbehörden
weit mehr Daten, als ihnen nach dem Abkommen eigentlich zustehen - gegen die
bloße Zusicherung, die darüber hinausgehenden Daten nicht auswerten und
verarbeiten zu wollen.
Nach dem Abkommen geht es um 34 personenbezogene Daten: Neben den Kerndaten zur
sicheren Identifikation werden auch zum Teil hochsensible Informationen
übermittelt wie etwa Reiseverlauf und Hotelbuchungen, Bonusmeilen von
Vielfliegern und Reiseversicherung, Kreditkarten und Telefonnummern sowie
Angaben über Krankheiten und spezielle Essenswünsche während des Flugs - also kosher,
hindu, moslem meal oder Diabetikeressen. Aus solchen Angaben können
Verdachtsmomente herauskristallisiert und weitreichende Schlüsse gezogen
werden, etwa auf Reisebewegungen oder Religionszugehörigkeit der Betroffenen.
Lückenlose Bewegungsbilder
Fluggäste aus EU-Staaten in die USA werden praktisch zu gläsernen Passagieren.
Ihre millionenfach gelieferten Daten können ohne ihre Einwilligung nach allen
Richtungen verarbeitet, durchgerastert und mit einer Unzahl anderer
polizeilicher, geheimdienstlicher oder auch privater Dateien abgeglichen
werden, um Verdächtige herauszufiltern. Die Daten werden dreieinhalb Jahre
gespeichert, unter bestimmten Bedingungen aber auch zehn Jahre oder länger. Mit
dieser Datenvorratshaltung können lückenlose Bewegungsbilder sowie
Persönlichkeitsprofile von Flugpassagieren erstellt werden - zumal wenn die
Weitergabe von Email-Adressen und Kreditkartennummern den Zugriff auf
finanzielle Transaktionen und privaten Meinungsaustausch ermöglichen. Selbst an
Behörden anderer Staaten dürfen die Daten weitergegeben werden, ohne dass deren
Verwendung kontrolliert werden kann, ohne Gewähr, dass der Datenschutz in jenen
Ländern eingehalten wird. Auch unbescholtene Fluggäste müssen verstärkt damit
rechnen, dass sie auf Grundlage solcher unkontrolliert übermittelten Daten zu
Opfern rigider Antiterror-Maßnahmen werden und sich wie Verbrecher behandeln
lassen müssen. Die Datenübermittlung kann letztlich zu peinlichen Verhören und
erkennungsdienstlicher Behandlung führen, zu willkürlichen Festnahmen und
Inhaftierungen und schließlich zu Ausweisungen auch vollkommen unschuldiger
Personen - ohne Begründung und ohne die Möglichkeit, einen Anwalt oder die
deutsche Botschaft einzuschalten.
Beispiele hierfür gibt es seit dem 11. September 2001 leider genug: So musste
der deutsche Geschäftsmann Jakob T. bei seiner Ankunft in den USA erleben, wie
ihn Sicherheitskräfte einem entwürdigenden Verhör unterzogen, ohne erkennbaren
Anlass in Handschellen legten und schließlich ins Gefängnis steckten. Ohne Begründung
wird er später nach Deutschland abgeschoben. Bei einer Umfrage bestätigten
Dreiviertel der befragten deutschen Geschäftsleute, die in die USA reisen,
Behinderungen und Willkürakte.
Offener Rechtsbruch
Die Fluggastdaten liefern die materielle Grundlage für
solche Praktiken und Willkürakte. Die systematische Weitergabe auch intimer
Daten greift tief in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ein, verstößt
gegen europäische Datenschutzbestimmungen und essenzielle Schutzpflichten der
EU-Organe gegenüber den Menschenrechten der EU-Bürger. Das ist offener
Rechtsbruch - auch wenn sich die US-Behörden in dem Abkommen verpflichten, die
Daten der Fluggäste "ohne unrechtmäßige Diskriminierung" zu
verarbeiten. Denn im Fall des Zuwiderhandelns gibt es keinerlei Sanktionen.
Gegen Missbrauch ist man nicht gefeit. Nichtamerikanische Fluggäste haben kein
Beschwerderecht bei einer unabhängigen Stelle. Folgerichtig halten
Datenschützer den Datentransfer für eine unverhältnismäßige und ungeeignete
Maßnahme, die weit über das Ziel der Terrorbekämpfung hinausschieße und sich
auch mit dem anerkennenswerten Sicherheitsinteresse nicht rechtfertigen lasse.
Es bleibt zu hoffen, dass der Europäische Gerichtshof das Abkommen für null und
nichtig erklärt. Da die Flugdaten unablässig in die USA fließen, ist höchste
Eile geboten. Bis dahin bleibt den betroffenen Passagieren nur, auf
Datensparsamkeit zu achten, also nur so viele Daten preiszugeben, wie für den
Flug unbedingt nötig sind. Darüber hinaus wäre auch an Individualklagen Betroffener
zu denken.
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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 17.08.2004 um 16:48:07 Uhr
Erscheinungsdatum 18.08.2004