"Bist mein großer Bruder, du bist immer da"

 

Rolf Gössner beschreibt und analysiert in seinem Kompendium der Groß- und Kleinschnüffeleien das gesamte Gruselkabinett des staatlichen, kommerziellen und privaten "Willens zum Wissen". Angefangen bei der Video-Überwachung im öffentlichen und privaten Raum, über die Überwachungsmöglichkeiten per Telekommunikation zu den Machenschaften der verschiedensten Geheimdienste bis hin zu den Informationsinteressen der Privatwirtschaft. Jeder Mensch in der Informationsgesellschaft wird zum Objekt der verschiedensten sich wechselseitig überlagernden Ausspähungsgelüste.

 

Den zentralen "Großen Bruder" gibt es nicht, dafür eine Vielzahl von "Kleinen Brüdern", die größtenteils vollkommen unkontrolliert ihrer Sammelwut nachgehen. Unkontrolliert, aber doch mit der Möglichkeit sich zu vernetzen und Daten auszutauschen, abzugleichen:" Das Problem dieses unkontrollierten Wachstums liegt einerseits in der Unübersichtlichkeit der unterschiedlichen Systeme und Subsysteme, andererseits in den fast unbegrenzten und kaum beschränkbaren Möglichkeiten, die eine vernetzte Daten-Welt bietet. Hier können sich die zahlreichen "Little Brothers", jeder für sich schon höchst problematisch, tatsächlich zu einer großen Bedrohung auswachsen, sobald sie sich vernetzen, sich über die erfaßten Daten einer Vielzahl von ausgeforschten Personen und Personengruppen austauschen und so zu einer geballten Datenmacht entwickeln." (S. 19)

 

Das Individuum wird durch diese Ausweitung der Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten mehr und mehr zum Objekt. Einerseits als ständig zu überwachendes, potentielles Sicherheitsrisiko für den Ordnungs- und Sicherheitsstaat, andererseits als Konsument, dessen Bedürfnisse es zu erkennen, zu generieren und zu kontrollieren gilt.

 

Das Bewußtsein, daß die "Little Brothers" einen ähnlich perfiden, ungleich subtileren Terror wie der "Große Bruder" ausüben und in die allerintimsten Bereiche des Individuums eindringen, ist in der Gesellschaft nicht mehr gegeben. Der Horror des allseits beobachteten und erfaßten Subjekt-Objekts ist in Zeiten, in denen sich die Nation an der Tristesse der Hürther Containerdeppen, Love Camps etc und an Bildern aus öffentlichen Überwachungskameras im Privatfernsehen ergötzen, scheinbar nicht mehr begreiflich zu machen.

 

Rolf Gössner weiß wovon er redet, als Experte für Überwachung und Geheimdienste steht er konsequenterweise seit 30 Jahren selbst unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Daß Rolf Gössner den Kampf gegen Windmühlen weiterhin betreibt, dafür ist ihm zu danken. Mit seinem sachkundigen Buch, das sich mit WWW-Verweisen und Stichwortverzeichnis vorzüglich als Nachschlagewerk eignet, liefert er reiches Material für die Auseinandersetzung mit der Überwachungs- und Kontrollgesellschaft.

 

rezensiert von: A. K.

 

Rolf Gössner:"Big Brother" & Co. Der moderne Überwachungsstaat in der modernen Informationsgesellschaft

Konkret Literatur Verlag, 2000,

ISBN 3-89458-195-6, DM 32,-

 

Aus: Zoon politikon  (TH Darmstadt)


Weitere Rezensionen auf Anfrage: goessner@uni-bremen.de oder über den Verlag

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